Textatelier
BLOG vom: 26.04.2007

Der Narzissmus blüht. Das 4. Geschlecht: Metrosexuelle

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Letzten Sonntag, im Gespräche mit Bekannten, tauchte das Wort „metrosexuell“ auf. Wo bin ich während der letzten Jahre gewesen? Das Wort war mir unbekannt. Ein britischer Journalist soll dieses Wort schon 1994 geprägt haben.
 
Nachsichtig wurde ich aufgeklärt: Der Metrosexuelle ist ein Mann, der seine weibliche Seite anerkennt und sehr auf seine äussere Erscheinung bedacht ist. Wie Frauen benutzt er Gesichtscreme, parfümiert sich, lässt sich seine Fingernägel und wohl auch seine Zehennägel feilen, polieren und lackieren, kleidet sich nach der letzten hautschmeichelnden Mode und geht gern luxuriös einkaufen. Er sei auch der Kunst zugetan, erfuhr ich. Der Metrosexuelle gedeiht im Treibhaus der mondänen Teile der Grossstadt (Metro = Metropole), besucht Clubs, betreibt Gymnastik, geht zum Masseur und lässt sein Haar nicht etwa bei einem x-beliebigen Coiffeur schneiden, sondern vom anerkannten Haarkünstler behandeln.
 
Wer sich als Metrosexueller aufspielt, hat Geld und Zeit zum Vergeuden – und wird folglich vom Verkaufspersonal in Luxusgeschäften gar artig bedient. Er ist durch und durch ein Konsument, der seinen narzisstischen Anlagen frönt – er ist sein eigenes Liebesobjekt und takelt sich dementsprechend auf.
 
Jetzt haben wir im Metrosexuellen das 4. Geschlecht entdeckt – nach den Frauen, Männern, Schwulen oder Lesben.
 
Ich erkundigte mich nach Beispielen. David Beckham sei so einer, bekam ich schlagartig zur Antwort. Jetzt bin ich aufgeklärt und wieder auf der Höhe der Zeit. Mit diesem Schlagwort (buzz word), von der Werbung und Luxusmagazinen geschäftstüchtig aufgegriffen, bleibt der kommerzielle Rummel im Schwung und erhält sogar neuen Auftrieb.
 
In diesem Zusammenhang bezeichne ich mich simpel als „Retrosexueller“, der nur unter Zwang auf den Einkaufsbummel geht und selten genug einen neuen Anzug und hin und wieder ein Paar währschafte Schuhe kauft. Die Wahl überlasse ich gemäss meiner perfiden männlichen Art am liebsten meiner lieben Frau, die sich um mein Aussehen kümmert. Ein Rasierwasser wird mir zum Geburtstag geschenkt (Hemden hingegen kriege ich auf Weihnachten). Eigenhändig schneide ich mir die Nägel und verliere dabei wenig Zeit. Zum Coiffeur gehe ich erst, wenn eine Geschäftsreise bevorsteht.
 
Wurde mit der Spezies der Metrosexuellen eine neue Gattung entdeckt? Keineswegs. Früher wurden sie Gecken oder Dandys (Stutzer) genannt. Ich habe gar nichts gegen sie, da sie die oft eintönige Menschenlandschaft beleben und mir ihre modischen Exzesse allenfalls ein Schmunzeln abnötigen.
 
Der Metrosexuelle darf nicht mit dem Exzentriker verwechselt werden, der leider heute am Aussterben ist. Er ist bloss ein eingebildeter und verweichlichter Mitläufer und Nachäffer männlichen Geschlechts, eigentlich mit einem Zwitter vergleichbar. Honoré Daumier hat sie köstlich aufs Korn genommen. Vor jedem Helgen werden sie von Empfindungen überflutet. Man begegnet ihnen auf vielen Vernissagen. Somit ist ihr angebliches Kunstempfinden abgestempelt.
 
Jetzt gilt es noch, die weiblichen Metrosexuellen zu entdecken. Aber darauf geht die Geschäftswelt nicht ein, da es wenig einbringt, abseits des Markengetümmels. Frauen mit männlichem Einschlag halten es mehr mit Leinenhemden, ausgedienten Pullovern und soliden Schuhen mit flachen Sohlen, und sie gehen am liebsten mit Pferden um, wenigstens hier in England, und bestellen lobenswert ihre Schrebergärten mit organischer Kost. Man begegnet ihnen auch auf den „Farmer Markets“ mitten in der Metropole.
 
Eine Untergattung von Frauen mit männlichen Charakteristiken versteht es seit jeher mit grösstem Charme – und erst noch höchst photogen –, sich steinhart in der Männerwelt zu behaupten, wie etwa Ségolène Royal gegenwärtig in Frankreich. In vielen Haushalten hält bekanntlich die Frau die Zügel in der Hand. Vielleicht gelingt es einem Metrosexuellen, sie zu besänftigen … Gemeinsam gehen sie dann einträchtig einkaufen, wie etwa David Beckham und seine Dompteuse. Warum bringe ich das nicht fertig? So ein abrupter Gesinnungswandel meinerseits und erst noch in meinem Alter, glaube ich, würde meine Frau stark beunruhigen. Somit lasse ich es bleiben.
 
Auch ein Mann mit einem Bart kann sehr wohl weiblich empfinden, feinfühlig und intuitiv sein. Sigmund Freud kannte sich sehr gut in der weiblichen Psyche aus. Der maskuline Johann Sebastian Bach komponierte auch herzergreifende zärtliche Melodien und Gesänge, gleichermassen der eher raubauzige Ludwig van Beethoven. Auch Ernest Hemingway waren Gefühlsexzesse nicht fremd. Es kommt halt eben auf die rechte Mischung zwischen männlichen und weiblichen Wesenszügen an. Wie ein gutes Kotelett muss das Fleisch (männlich) mit Fettstreifen (weiblich) durchzogen sein, damit das Essen schmeckt.
 
Aber verglichen mit einem harten Sauschwarten, fett- und substanzlos und geistig verkohlt, wie etwa George W. Bush, dem jedes Empfinden für Kultur und Kulturen fehlt, sind mir die sanftmütigen, verweiblichten Metrosexuellen viel lieber: Sie richten wenigstens kein Unheil an.
 
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