BLOG vom: 03.05.2007
Energieverschwendung: Die neoliberale Fahrt zur Hölle
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Der gelernte Zuckerbäcker und Dichter Ferdinand Raimund (1790–1836) hat 1834 sein Zaubermärchen „Der Verschwender“ als bühnenreifes Stück geschrieben: Der Verschwender namens Julius von Flottwell ist ein reicher Edelmann, ein flotter, gutmütiger Mensch, erfüllt von naiver Lebensfreude, allerdings unberechenbar und begriffsstutzig. Er wendet grosse Beträge für Feste auf und beschenkt alle seine Untertanen sehr grosszügig und ruiniert sich dadurch selber. Er wird dann durch die Fee Cheristane auf wunderbare Weise von seiner Verschwendsucht gerettet.
Vielleicht ist die Verschwendung ein Naturprinzip. Denn als allergrösste Verschwenderin gilt tatsächlich die Natur. Sie geht zum Beispiel mit der Samenproduktion aller Lebewesen unglaublich verschwenderisch um. Sie feiere ein Fest mit der „unerschöpflichen Masse“ schrieb der französische Schriftsteller und Philosoph Georges Bataille (1897–1962) einmal. Er nahm dieses Verhalten als Vorbild, plädierte für die „Aufhebung der Ökonomie“ und sprach dem gewinnorientierten Produzieren das Wort – er war also ein Wegbereiter des Kapitalismus.
Mit der Bedeutung des Luxus im Wirtschaftssystem hat sich dann der deutsche Soziologe Werner Sombart (1863–1941) befasst. Er veröffentlichte 1912 eine Untersuchung über Kapitalismus und Luxus mit dem Untertitel „Über die Entstehung der modernen Welt aus dem Geist der Verschwendung“. Auf dem Umweg über Betrachtungen zur Liebe und zu sich auflösenden Ehen fand er zur Einsicht, dass der Luxuskonsum eine marktbildende Kraft entwickle und das kapitalistische System fördere. Und das traf sich ja gut, das war gefragt: „Aller persönlicher Luxus entspringt zunächst einer rein sinnlichen Freude am Genuss: Was Auge, Ohr, Nase, Gaumen und Tastsinn reizt, wird in immer vollkommenerer Weise in Gebrauchsdingen irgendwelcher Art vergegenständlicht“ – und zudem profitiert das System davon.
Diese geschichtlich-literarischen Eskapaden mögen als Einstieg genügen, um unser neoliberales System mit seinem Einheitsdenken und seinen intensiven Bezug zur Verschwendung zu hinterfragen, vor allem unter dem Eindruck der gegenwärtigen Diskussion über das Energiesparen, denn schliesslich hat jede Güterproduktion etwas mit Energieverbrauch zu tun. Auch das Schreiben dieses Blogs am elektrisch betriebenen Computer gehört dazu.
Der neoliberale Stil
Der Neoliberalismus, der ein fester Bestandteil der Globalisierung ist, strebt in seiner heutigen Ausprägung eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung an. Liberalismus ist ein beschönigender Wortteil. Denn durch überstaatliche Organisationen wie die Welthandelsorganisation WTO, die Weltbank und der Internationale Währungsfonds IWF, die unter US-amerikanischer Kontrolle und in deren Dienste stehen, wird darauf geachtet, dass globale, das heisst der Globalisierung dienende Spielregeln ausserhalb der USA eingehalten werden. Diese sind noch immer auf die Interessen der aggressiven Führungsmacht USA ausgerichtet, auch wenn diese momentan unter einem sinkenden Stern steht, nicht allein wegen des Dollarzerfalls. Die neoliberale Globalisierung wurde denn auch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts von Ökonomen der Weltbank und des IWF vorangetrieben. Dabei wurde die ehemals vorgesehene Förderung der so genannten Entwicklungsländer aufgegeben; sie haben vor allem noch als Rohstofflieferanten zu dienen (früher als Sklaven-Produzenten) und werden auch mit Hilfe gelegentlicher Geldgaben niedergehalten, wie schon immer, was am bitteren Ende Flüchtlingsströme auslöst. Der Stil ist nachhaltig: So wird die afrikanische Landwirtschaft durch die massive staatliche Subventionierung der Industriebauern vor allem in den USA, die mit wachstumsbeschleunigenden Chemikalien, inkl. Wachstumshormonen, und dem Einsatz von gentechnologischen Veränderungen arbeiten. Auch das gehört zur rücksichtslosen Wirtschaftsweise. Die US-Politik zielt darauf ab, die gesamte Welternährung allmählich unter ihre Kontrolle zu bringen.
Im Rahmen dieses neokapitalistischen Systems unter der Herrschaft der kriegerischen Hegemonialmacht USA, das wegen der damit verbundenen Vereinheitlichungstendenzen zunehmend an den seinerzeitigen Kommunismus erinnert und sich diesem offensichtlich zunehmend stärker annähert, steht die Gewinnmaximierung im Interesse einzelner Oberglobalisierer und gefrässigen Grossfirmen mit US-Ausrichtung über allem. Auch Methoden, welche die Biosphäre beschädigen und ein Experiment mit der gesamten Ökologie und folglich auch der Menschheit sind, werden ohne weiteres toleriert, wenn sie dazu angetan sind, den kurzfristigen und -sichtigen Gewinn zu erhöhen. Dasselbe spielt sich auf dem Medikamentensektor ab, wo Risiken beliebiger Art im Interesse des Geschäfts in Kauf genommen werden. All dies geschieht nicht auf einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten, langfristigen Philosophie, sondern es geht ums schnelle Geld. Die Unternehmen haben nach US-Vorgaben bereits alle 3 Monate ihre Zahlen vorzulegen. Nach langfristigen Philosophien wird nicht gefragt.
Eines der vielen bezeichnenden Beispiele für diese aus Kurzsichtigkeit erwachsenen Praxis ist das Leerfischen der Weltmeere: Unter dem Drang zum Erzielen möglichst hoher Erträge wird nicht dafür gesorgt, dass sich die Fischbestände wieder erholen können, sondern jedermann fischt so viel zusammen wie er nur kann, auch wenn er morgen und übermorgen weniger und bald einmal überhaupt nichts mehr fangen wird. Man kann dies auch symbolisch verstehen und auf beliebige Wirtschaftszweige ausdehnen. Eine Zeitlang kann dieses irrsinnige System mit seinem zerstörerischen Keim noch wegen steigender Preise (Resultat des knapper werdenden Angebots) überleben; aber am Ende kollabiert diese Art des Wirtschaftens zwangsläufig.
Derselbe Prozess spielt sich bei der masslosen Erdölverbrennung ab, die eine offensichtliche Vergeudung ist, ebenso wie beim Raubbau an allen anderen Rohstoffen. Die Vorräte sind endlich, und das kümmert eigentlich niemanden. Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht beziehungsweise bis der Brunnen leer und ausgetrocknet ist. Bemerkenswerterweise aber sind es nach dem momentanen Stand der Dinge (noch) nicht Verknappungserscheinungen, welche die Ökologie bedrohen, sondern die aus der Übernutzung hervorgegangenen Umwandlungsfolgen als Klimakollaps und in vielen Erdteilen die Trinkwasserzerstörung, welche als augenfällige Indizien für ein kollektives Fehlverhalten in Erscheinung treten, Folgen des destruktiven Leichtsinns, den auch die schrittmachenden Alphatiere mit ihrer Lust am Verwüsten und Einsammeln von Reichtum vorleben. Energie- und Materialverschwendung gehen Hand in Hand. Die Wegwerfmentalität (kaufen und möglichst bald wieder loslassen, damit Platz für neue Wegwerfprodukte entsteht) wird werbetrickreich gefördert.
Demonstrativer Müssiggang
In seiner „Theorie der feinen Leute“ schrieb Thorstein Veblen (1857–1929), ein amerikanischer Ökonom norwegischer Abstammung, schon 1899, es genüge durchaus nicht, nur das Notwendige zu verbrauchen; denn allein der Überfluss verschaffe Ansehen. Zum „demonstrativen Müssiggang“ gehört die „demonstrative Verschwendung“, damit feine Leute als solche wahrgenommen werden. Das wusste auch die katholische Kirche, die Showeffekte liebt und sich auf Kosten des Volks mit einem unwahrscheinlichen Prunk umgeben hat und noch immer umgibt. Und so gilt es also, diesen Überfluss, falls er nicht vorhanden ist, durch demonstrative Verschwendung vorzutäuschen. Je mehr Güter jemand vergeudet, um so grösser ist das Ansehen des Angebers. Das war jedenfalls bis vor kurzer Zeit so. Inzwischen wird der herkömmliche Moral stiftende wirtschaftliche Nutzen zunehmend skeptischer betrachtet.
Die USA sind die grösste Verschwendernation, nicht allein bei den Energieträgern, sondern sogar noch beim Wasser. Die Güterfabrikanten haben sich darauf eingestellt, wie das am deutlichsten bei den masslos Benzin fressenden, grosskotzigen Autos abzulesen ist. Viele Menschen, zu einfältigen Konsumtrotteln degeneriert, sind in den USA hoffnungslos überschuldet, was eine Zeitlang noch durch die gerade platzende Immobilien-Blase vertuscht werden konnte (siehe dazu das Blog vom 27.3.2007: Dubioser US-Immobilienmarkt: Alles Faule kommt von drüben).
Was jenseits des Atlantiks exzessiv abläuft, ist im Rahmen der neoliberalen Globalisierung (dem New Deal) im Prinzip überall zu beobachten, eine Folge des Nachahmereffekts: Eine aggressive Werbung, die schon auf Kleinkinder losgeht, führt einen regelrechten Konsumzwang herbei, und wer da nicht mithält und sein Markenbewusstsein zu wenig entwickelt hat, ist weg vom Fenster. Am deutlichsten sind die Auswüchse des Konsumzwangs bei Schülern festzustellen. In ihrer kindlichen Naivität und dem angeborenen Mitläufertum werden Kinder aus weniger wohlhabenden Häusern, die nicht jeden Modegag mitmachen können, heruntergemacht. Leider finden auch viele Erwachsene wegen der medialen Verblödung und der Amerikanisierung des Lebensstils ihr Leben lang nicht mehr aus dem vorpubertären Stadium heraus.
Wie an den Beispielen der Fischerei und der Erdölverschwendung aufgezeigt worden ist, geht auch der Wirtschaftsterror mit seinen aggressiven Verkaufsanstrengungen über Leichen. Die Politiker und die öffentlichen Verwaltungen halten mit, weil sie etwa über Steuereinnahmen vom gesteigerten Umsatz profitieren. Und wenn es im Hinblick auf die Erreichung dieser Ziele nötig ist, Dummköpfe, die mit der Knechtschaft zufrieden sind, statt kritisch denkende Menschen heranzubilden, werden eben die Bildungsanstrengungen entsprechend heruntergefahren.
Gut begründetes Verschwendungsverhalten
Zu jeder Zeit lassen sich gute Gründe für die Förderung des Verschwendungskults finden. Heute ist das Argument, er schaffe Arbeitsplätze, der Renner. Schon der französische Staatstheoretiker Baron de Montesquieu (1689–1755) spielte auf dieser Klaviatur: „Luxus muss sein. Wenn die Reichen nicht viel davon verschwenden, werden die Armen verhungern.“
Das Primat der Wirtschaft, das heute ausgeprägter, dominanter denn je ist, führt zur Förderung der Verschwendungsbereitschaft jedes Individuums, unter anderem auch durch einfach zu beziehende Kleinkredite. Zudem wird die Produktion zentralisiert, automatisiert; die teuren Maschinen, die möglichst 24 Stunden am Tag laufen sollten, stellen Waren über den Bedarf hinaus her, und so herrscht denn ein permanenter Handel mit Schund, der den Leuten förmlich aufgedrängt wird. Wenn sie nur kaufen. Kauft Leute, kauft!
Die Massenproduktion ist nicht allein ein aus der Technologie herausgewachsenes Konzept, sondern das Resultat der von Henry Ford und Frederick Taylor propagierten bzw. umgesetzten Visionen: Der so genannte Taylorismus ist eine Kombination von kapitalistischer Brutalität und einer auf der vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung basierenden Betriebsführung, entstanden zu Beginn der Elektrifizierung. Der Vorrang des Menschen wurde durch den Vorrang des Systems abgelöst. Die Arbeiter wurden von Taylor und seinen Jüngern, die sich ständig vermehrten und kopierten, als „schlecht konstruierte Maschinen“ apostrophiert. Statt sie zu ölen, wurden sie allmählich abgeschafft, ein Prozess, „Scientific Management“ genannt, der bei der neoliberalen Globalisierung seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Und aus der von Taylor und Ford gewünschten Partizipation aller Schichten an den Erträgen ist auch nicht sehr viel geworden, wie an der sich ständig weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich abzulesen ist.
Das alles steht ebenso wie die Rationalisierung der Landwirtschaft hin zu Grosseinheiten (Kolchosen) auf Kriegsfuss mit allen Naturschutz- und Energiesparbemühungen, die ja kaum über die Rhetorik hinaus kommen. So lange das neoliberale System im Rahmen der globalen Vereinheitlichungsbemühungen, also der Verschwendungsneoliberalismus, aufrechterhalten wird, sind Energiespardiskussionen scheinheilige Scheingefechte.
Und schliesslich landet man, wenn man solche Gedankengänge weiterpflegt, unwillkürlich bei Aristoteles, der die Verschwendung als eine Form der Selbstvernichtung empfunden hat. Das war eine weise Voraussicht, die sich in Zukunft noch deutlicher bestätigen wird.
Wir werden uns darüber dann in der Hölle weiter unterhalten können, wo laut Dantes „Göttlicher Komödie“ die Geizigen und auch die Verschwender stranden werden. Vielleicht wird bis dahin die Feuerhitze dort infolge Brennstoffmangels etwas erträglicher geworden sein. Ich hoffe es sehr.
Literatur zum Thema
Hess, Walter: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“ (ISBN 3-9523015-0-7), Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. (ISBN 3-9523015-0-7). Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“ (ISBN 3-9523015-0-7), Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. (ISBN 3-9523015-0-7).
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