Textatelier
BLOG vom: 06.06.2007

Reisender, so du wieder einmal nach Sachseln kommst

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Und so geschah es, nachdem ich Sachseln erstmals am 26. Februar 2007 besucht hatte (siehe Blog vom 15.03.07: „Von der Basler Fasnacht zum Niklaus von der Flüe“). Am miesen Pfingstmontag, auf der Fahrt von Heidelberg in die Schweiz, las mich mein werter Geschäftskollege beim Hauptbahnhof in Basel auf. Im Gespräch verloren wir den Faden. Damit ist die Autobahn A2 Richtung Luzern gemeint. Auf vielen Umwegen auf der Landstrasse, nach vielen Kreiseln, spurten wir endlich wieder auf die A2 ein und erreichten gerade zur rechten Zeit das Gasthaus Engel in Sachseln (Obwalden) zum Abendessen. Keine kulinarischen Experimente, dachte ich und wählte genau wie das letzte Mal meine Lieblingsspeise, wenn immer ich in der Schweiz bin: „Kalbsläberli mit Rösti“ und gewann dabei meine gute Laune flugs wieder, unterstützt vom „Blauburgunder“. Diesmal war die Gaststätte „militärfrei“, was ich keineswegs bedauerte. Ganz im Gegenteil.
 
Wer sass mit seiner Frau am Nebentisch? Ein deutsches Ehepaar, das mein Kollege gut kannte. Rainer ist der Geschäftsführer eines nahen Gewürzwerks. Seine Gemahlin Debora ist Journalistin. Beide waren vor wenigen Jahren nach einem 5-jährigen Aufenthalt aus China zurückgekehrt. Wie sie sich in Sachseln eingelebt hätten? fragten wir. Rainer zögerte, denn er wollte mich als Auslandschweizer nicht brüskieren. Debora liess durchblicken, was sie dachte: „Wir grüssen die Leute immer, wie es hier üblich ist, mit ,Grüezi’, aber kriegen immer nur ,Guete Tag’ zur Antwort. So halten sich die Einheimischen auf Distanz. Es fällt schwer, sich mit ihnen anzubiedern.“ „Wie lange dauert es denn hier, bis man jemand duzen darf?“ wollte Rainer wissen. Wir duzten einander schon …, was ja auch in Deutschland nicht so rasch geschieht. Man ist eben hierzulande eher zurückhaltend, meinte ich ausweichend und schmunzelte dabei, wie ich mich an den herrlichen Abend erinnerte im Familienkreis bei Walter und Eva Hess in Biberstein. Walter offerierte mir und meiner Frau Rapskäse und füllte die Gläser mit süffigem Weisswein. Walter erhob sich und wir uns alle ebenfalls, wie er uns feierlich das Du antrug. Ich fühlte mich voll und ganz in Biberstein aufgenommen, eine Ehre, die mich von Herzen freute.
 
Seit wenigen Wochen habe ich ein „Sprachmödeli“ angenommen. Der mir sympathische Geschäftsführer einer Schweizer Firma mengte regelmässig meiner Präsentation sein bekräftigendes „So isch’s“ bei (so ist es). Jetzt ertappe ich mich immer wieder dabei, wie ich das „So isch’s“ von mir gebe. Meine Frau hat es ebenfalls angenommen. Wir stimmen also mehr als je zuvor miteinander überein.
 
Und „So isch’s halt“, wandte ich mich an Rainer aufs Du bezogen.
 
Eigentlich hatten wir nicht vor gehabt, einen 2. Abend in Sachseln zu verbringen, sondern wollten nach dem lokalen Geschäftstreffen anderntags nach Langenthal weiterfahren und dort übernachten. So buchten wir uns für eine 2. Nacht in Sachseln ein. Ich war froh, dass ich meine Papierfracht im Zimmer liegen lassen konnte. Ausserdem herrschte am Mittwoch der Ruhetag im Gasthaus Engel, genau die Ruhe, die ich selber brauchte, um meine Papierstösse zu sichten und zu ordnen und dabei gleichzeitig allfällige Gedächtnislücken bei der Besprechung der Projektergebnisse am Mittwochvormittag zu stopfen.
 
Früh fuhren wir von Sachseln nach Langenthal los und kamen zügig voran, viel zu zügig. Unbemerkt liessen wir die Abzweigung Niederbipp links oder rechts liegen und bemerkten unseren Irrtum erst, als wir im Bözbergtunnel waren. Also „Bözberg retour“ und zwar Tempo Teufel. Zum Glück erwischte uns keine Radarfalle, und wir erreichten unseren Treffpunkt in Langenthal keine Minute zu früh. Kaffee wurde uns vorgesetzt. Wir gewannen unseren Gleichmut wieder.
 
Im Verlauf des Gesprächs wurde auch das Thema „Die Schweiz und die EU“ angeschnitten. Die Firmenstrategie hatte bestimmt, dass es bis 2012 keinen Sonderfall Schweiz mehr gebe. Der Einschleichdiebstahl der EU hat begonnen: Das Steuerparadies Schweiz wird eingedämmt, und die auf 27 EU-Nationen angeschwollene Bürokratie erleichtert die Völkerwanderung aus den Oststaaten auch Richtung Schweiz, Gewerkschaften hin oder her. Wachgerüttelt hörte ich noch unseren Gesprächspartner sagen: „So isch’s. Wir werden uns schön anpassen müssen.“ Als Berater sollten wir uns eigentlich darüber freuen, wie sich viele mittelständische Firmen neue Absatzkanäle in der EU erschliessen wollen, um nicht von ausländischen Firmen verschluckt zu werden.
 
Der Schutzwall der Schweizer Landwirtschaft ist ebenfalls gefährdet. Nun will ich daraus hier keine Geschichte machen. Ein „Berner Mutz“ in einer anderen Firma behauptete felsenfest, dass sich in der Schweiz wenig verändern werde. „Immerhin haben wir in der Schweiz mehr als genug Berge“, fügte er hinzu. „Einige Felsstürze mehr oder weniger tun der Schweiz keinen Abbruch.“ So ein Optimist.
 
Dieser Tag war hinter uns. Rainer ist gelernter Metzger, Koch und erst noch Betriebswirt. Er zauberte eine tolle Mahlzeit auf den Tisch. „Morgen wird es wieder schön werden“, verhiess er. Wir genossen die Aussicht auf den glitzernden Sarnersee. China war der Mittelpunkt unseres Gesprächs – ausgerechnet mitten in Sachseln.
 
Die Wettervorhersage bewahrheitete sich: Traumhaft schön blendeten die Schneekapuzen auf den Bergen ringsum meine Augen. Dieses Idyll kann doch keine EU verhunzen, solange wir wachsam bleiben. Ich bin ganz für den Heimatschutz. So soll es bleiben.
 
Was tut ein Bücherwurm in Basel, ehe er abfliegt? Er geht ins „Erasmushaus“, das stadtbekannte Buchantiquariat an der Bäumleingasse. Was fand er diesmal dort? „Fêtes Galantes“ von Paul Verlaine, ein nummeriertes Exemplar aus dem Jahr 1937, und erst noch galant von A. Calbert illustriert. Für Reiselektüre war somit gesorgt. Ich spreche zu meinem Steckenpferd, so wie es Verlaine gesagt hat: 
Tournez, tournez, bons chevaux de bois,
Tournez cent tours, tournez mille tours,
Tournez souvent et tournez toujours,
Tournez, tournez au son des hautbois.
 
(Dreht, dreht, gute Steckenpferde,
Dreht 100 Mal, dreht 1000 Mal,
Dreht oft und dreht immerfort,
Dreht, dreht zum Klang der Oboe.) 
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