BLOG vom: 18.06.2007
Kunstwerke über der SMD in Kölliken und in Biberstein AG
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Ein technisches Bauwerk, das den physikalischen Anforderungen genügt, wird immer als schön empfunden. Das gilt für Brücken, Kühltürme, Industriebauten und Hochbauten aller Art. In diesem Sinne als von geradezu faszinierender Schönheit empfinde ich die filigran anmutenden Bogentragwerke aus weiss lackierten Stahlträgern, die über der Abbauhalle und der Manipulationshalle der Sondermülldeponie Kölliken im aargauischen Suhrental (SMDK) auf dem Areal der ehemaligen Kölliker Ziegelei in den letzten Monaten errichtet worden sind. Zweifellos ist das eine Ingenieur-Meisterleistung. Das berühmte Strohhaus (mit Dorfmuseum) Kölliken, ein 1802 erbauter Ständerbau mit 4 Hochstüden, hat damit eine überragende Konkurrenz erhalten, wenigstens was das Ausmass anbelangt.
Tag der offenen Deponietüren in Kölliken
Der Rückbau des Giftmüllgemischs, ein praktisch undefinierbarer Cocktail innerhalb eines aktiven Bioreaktors im oberen Dorfteil von Kölliken, soll am 1. November 2007 beginnen. Die Geschichte jenes Grundstücks, wo bereits römische Legionäre vor 2000 Jahren Ziegel gebrannt haben, wird also fortgesetzt. Die Tongrube war 1974 erschöpft, die Ziegelproduktion wurde deshalb eingestellt, und aus dem Ziegeleiareal wurde vorübergehend ein Umschlagplatz für Tonwaren – bis frisch-fröhlich der Sondermüll angekarrt wurde, dessen Kölliker Aufenthalt demnächst zu Ende gehen wird. Die ehemalige Tongrube, welcher Dichter eine vollkommene Dichtigkeit andichteten, war wider allen Erwartens für diese Exkremente der industrialisierten Zivilisationsgesellschaft nur eine Zwischenstation. Wäre sie dicht gewesen, hätten sie Regen und Hangwasser bald zum Überlaufen gebracht. Aber für derartige intellektuelle Leistungen war die Zeit noch nicht reif.
Damit das toxische Konglomerat für die Umgebung gefahrlos abgebaut („rückgebaut“) werden kann, wurde eine Riesenhalle errichtet, in der ein leichter Unterdruck vorhanden sein wird. Bogenträger tragen die Hallendächer, damit darunter keine Stützen das Arbeiten am verpackten Deponiekörper behindern werden, und zudem wäre es nicht eben ein Honiglecken gewesen, Stützenfundamente durch den Sondermüll abzuteufen. Besonders eindrücklich sind die Träger über der 200 m langen und 170 m breiten Abbauhalle, übrigens der grössten stützenfreien Halle im ganzen Schweizerlande. Nicht einmal die Arenen der Sportler und Hooligans können damit konkurrenzieren.
Die total 40 000 m2 umfassenden Dächer hängen an Stahlseilen an den Gitterbögen, die aus Hosena in Brandenburg (Nähe Dresden D) angeliefert worden sind. Brückenbauer kennen den Trick des Aufhängens von Tragflächen an Trägern und Seilen seit langem. Über dem Sondermülldeponiekörper sind die grössten Bögen 170 m lang und etwa 170 Tonnen schwer (pro Meter eine Tonne im Durchschnitt). Sie wurden am Boden vormontiert und dann von einem Raupenkran, der 500 t in die Höhe heben kann, auf die Hallenmauer aus Beton und eine Hilfsbrücke in der Deponiemitte gehoben, sodann mit Hydraulikzylindern justiert und gewissenhaft verschraubt. Insgesamt wiegen die Träger total 5500 Tonnen (insgesamt wurden 8500 t Stahl verbaut). Die Dächer ihrerseits bestehen aus Stahlblech, über das eine Folie gelegt worden ist. Sie können maximal 1,5 m Schnee tragen, ansonsten eben geschaufelt werden muss. Doch einem Sturm von „Lothar“-Dimensionen (Dezember 1999) würde die Halle standhalten.
An einem Träger baumelte ein etwa 30 t schwerer Bagger zu Demonstrationszwecken, der in dieser Umgebung wie ein Spielzeug wirkte.
Solche Details waren am Samstag, 16. Juni 2007, dem Tag der offenen Tür zu erfahren. Auf einem Rundweg erhielt man Einblicke in die Dimensionen dieser Ab-Baustelle. Dazu gehören ebenfalls die aufwändigen Massnahmen zur Abschirmung des Schmutzwassers gegen das Grundwasser; das Abwasser muss gesammelt und in der hauseigenen Kläranlage aufbereitet werden.
Ganze Völkerwanderungen (rund 3000 Personen kamen laut Veranstalterangaben) bewegten sich auf dem komfortablen Wanderweg und Industrielehrpfad auch über viele Treppen, der dem geübten Beobachter ungeahnte Perspektiven bietet. Und Fachleute beantworteten unterwegs alle Fragen kompetent. So erfuhr ich zum Beispiel, dass allein der Abbruch der Hallen 20 Mio. CHF kosten wird ... falls man diese technische Meisterleistung überhaupt zerstören wird. Vielleicht wird man bis Ende 2013 – dann soll die 445 Mio. CHF erheischende Rückbauübung abgeschossen sein – noch gescheiter werden als man heute schon ist. Man wird die Halle mit ihrer wie gestrickt anmutenden Tragkonstruktion, die zusammen mit der Hangsanierung allein 104 Mio. CHF kostete, vielleicht auf Anregung des Heimatschutzes als Industriedenkmal stehen lassen und sich, um Vergebung ringend, lächelnd an die Einfaltspinseleien im Umgang mit dem Sondermüll im 20. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung erinnern. Jetzt scheint eine neue Epoche angekommen zu sein: Sogar an Massnahmen im Interesse von Natur und Landschaft in der unmittelbaren SMDK-Umgebung ist gedacht worden, so etwa an die Renaturierung des Mülibachs, an die Aufforstungen von Wald und Hecken (man könnte die Flächen auch einfach der Natur überlassen, was noch gescheiter wäre), an die Anlegung einer Magerwiese und neben einem Lebensraum-Vernetzungskorridor an die Aufwertung des Amphibienlaichgebiets „Hof“. Denn dort, wo sich Frösche und Kröten vermehren, ist die Welt (wieder) in Ordnung.
Ich hatte den ganzen ehemaligen Unfug der „Entsorgung“ von Giftmüll ganz oben am grössten Grundwasserstrom der Schweiz als damaliger Redaktor am „Aargauer Tagblatt“ jahrelang publizistisch begleitet und von Anfang an vehement dagegen angeschrieben. Auch viele Köllikerinnen und Kölliker wehrten sich, zumal ein kritisches Nachdenken genügte, um die sich anbahnende Katastrophe vorauszusehen. Die kommunale Vorkämpferin war Hertha Schütz-Vogel, die ein überparteiliches Komitee gründete und der im Informationspavillon durch eine prominente Erwähnung ein berechtigtes kleines Denkmal gesetzt worden ist. Diese Ausstellung ist von Hanspeter Faessler, Corporate Communications, CH-5043 Holziken, geschmackvoll und aussagekräftig gestaltet. Der Pavillon ist jeden Samstag von 10 bis 16 Uhr offen.
Ich habe den Tag der offenen Tür zu Gesprächen mit einigen wenigen der rund 4100 Köllikern benützt, die ich zufällig angetroffen habe und die eine tolerante Rolle spielten und schicksalsergeben viel Ungemach auf sich nahmen. Ich wünsche Ihnen, dass sie vielleicht einmal Nutzen aus dieser ganzen Geschichte – über den zweifelhaften Bekanntheitsgrad hinaus – werden ziehen können, aus einem Drama, das unter der Leitung von Jean-Louis Tardent nun wirklich professionell einem hoffentlich guten Ende zugeführt wird. Und dringend zu hoffen ist auch, dass das in Kölliken erworbene Know-how international urheberrechtlich geschützt wird und international vermarktet werden kann, zum Beispiel zum Nutzen unter anderem von uns Aargauer Steuerzahlern, die wir neben den ganzen Kalamitäten 41,66 % der Aufwendungen in der Grössenordnung von einer halben Milliarde Franken schon eher zu bemillionen als zu berappen haben. An Bedarf an Sondermüll-Sanierungsrezepten dürfte in Zukunft kein Mangel bestehen, rechnet man doch allein im Aargau mit 2500 belasteten Standorten; bei 100 von ihnen ist anzunehmen, dass mit der Zeit konkret interveniert werden muss. Dabei ist der Aargau diesbezüglich bestimmt keine erschreckende Ausnahme.
Die Chemikalien-Deponien sind eigentliche abenteuerliche chemische Reaktoren. In der SMDK Kölliken werden pro Tag etwa 2000 m3 Abgase freigesetzt, die zum Beispiel Methan und andere leichtflüchtige Kohlenwasserstoffverbindungen enthalten und die von über 70 Gassonden erfasst werden. Bei der Deponie ist aus diesem Grunde ein Messwagen der inNET Monitoring AG zur kontinuierlichen Bestimmung von Feinstaub, Methan und Nichtmethan-Kohlenwasserstoffen stationiert. Er liefert die Basiswerte, mit denen dann die allfälligen Verschmutzungen während der Rückbauarbeiten verglichen werden können.
Den Appetit aber soll man sich von alledem nicht verderben lassen: Bei einer Bratwurst, einem Bürli (Brötchen) und einem Bier in der neuen Lagerhalle (obschon auf der Baustelle ein Alkoholverbot gilt), gespendet vom Konsortium Sondermülldeponie Kölliken, machte ich mir Gedanken über die menschliche Intelligenz und deren Folgen. Sie ist in der Lage, Dummheiten von gigantischen Dimensionen zu inszenieren (wie eben die Sondermüllproduktion und die Einlagerung am denkbar falschen Ort), und dann muss ein unsäglicher Aufwand getrieben werden, um die himmelschreienden Schlachtfelder abzuräumen und Gras darüber wachsen zu lassen; solch ein Tun hat geradezu G.-W.-Bush-Dimensionen, bei der global Schauplätze der Vernichtung hinterlassen werden. Und solche Kausalbeziehungen kann man am Ende als Mittel zur Arbeitsbeschaffung schönreden. Die Weltkonjunktur wird bald einmal wegen all der Kurzsichtigkeiten der Debakelveranstalter zur Hochblüte gelangen ...
Das Bildhauer-Symposium in Biberstein
Kunstwerken von wesentlich bescheideneren Ausmassen als das Kölliker Metallträgergewebe bin ich auch auf dem Heimweg beim Schulhaus meiner Wohngemeinde Biberstein begegnet, ganz in der Nähe der Aare, wo unsichtbare Biber an Silberweidenstämmen nagen. Auf dem Schulhausplatz war gerade der letzte Tag des 2. Bildhauer-Symposiums, das der rührige Kulturtreff Biberstein organisiert hatte. Dort werkten 8 Künstler mit Werkzeugen, Herz, Leib und Seele und waren immer gern zu einem Schwatz bereit. Eine Maschine hämmerte wuchtig auf glühendes Eisen ein, so dass der Vorplatz wie bei einem leichten Erbeben vibrierte. Daneben arbeitete ein Steinmetz mit einem Meissel, der von einem Kompressor betrieben wurde, oder aber die Bildhauer schwangen auf traditionelle Art den Knüpfel (Klöpfel, Klöppel) und steuerten den Meissel (mit Stahleinsatz) millimetergenau, ein Bild aus dem Kopf auf den Stein übertragend. Holzplastiken entstehen heute im Dunstbereich von Kettensägen.
Der Bildhauermeister Michel Veuve aus CH-5036 Oberentfelden lud mich ein, auf die herkömmliche Weise mit Knüpfel und Meisseln unterschiedlicher Grösse einen nassen Sandstein zu bearbeiten, der sich spielend leicht formen liess. Und der aus dem österreichischen Knittelfeld stammende Bildhauer Josef Perchthaler, CH-5023 Biberstein, orientierte mich über die unterschiedlichen, zu bildhauerischen Zwecken geeigneten Steinqualitäten, und er erzählte mir von den Werkstätten in Carrara (Italien), die gemietet werden können. Er kann es nicht begreifen, dass alte Grabsteine oft vernichtet statt einer Weiterverwertung zugeführt werden – ich auch nicht. Alex Schaufelbühl aus CH-5524 Niederwil AG seinerseits zeigte mir in der Ausstellung im Cheminéeraum des Schulhauses einen Schrank mit 12 vergoldeten Ikea-Schubladen mit Griffen aus uralten, unförmigen Eisennagelköpfen und mit einem metallenen Rundofen-Unter- und Oberteil. Die Schublädchen sind lose übereinander in einen leicht bombierten Baumstamm eingelassen, und das Ganze hat auf den Betrachter eine starke Wirkung. Im Freien arbeitete er gerade an einer stark vergrösserten Nachbildung eines eiförmigen Pinienzapfens von etwa einem halben Meter Höhe. Mit einer kleinen Kettensäge fräste er die schräg nach oben gerichteten Zapfenschuppen aus, einen nach dem anderen, und er war bescheiden genug zuzugeben, dass er es mit dem besten Willen nicht so schön wie die Natur fertig bringe; doch allein schon der Mut, sich an die Abbildung eines solchen Naturkunstwerks heranzuwagen, erfülle ihn mit Genugtuung, sagte er zu mir. Mit dem schweisstriefenden Eisenkünstler Daniel Schwarz, Iron Art, CH-5078 Effingen, unterhielt ich mich neben der Esse über verschiedene Eisen- bzw. Stahlqualitäten, ihre Verarbeitung und das dafür nötige Formempfinden, währenddem eine massive Eisenstange in den glühenden Kohlen zur Rotglut kam und auf die Einbuchtungen unter dem Hammerwerk wartete.
Neben den erwähnten waren auch folgende Künstler dabei: Franz Arnold, Schmuckschmied in CH-5503 Schafisheim; der Holzbildhauer Thomas Lüscher, CH-5112 Thalheim; Lotti Meschter, Bildhauerin, Zeichnerin und Texterin, CH-3110 Münsingen, und der Bildhauer Valentino Zucchetti, CH-5722 Gränichen. Sie alle sprechen ihre individuelle künstlerische Sprache.
So kam ich unverhofft schon wieder mit der Welt der schönen Künste in Kontakt, die all den Müll, den unsere Gesellschaft ebenfalls produziert, überdecken, überlagern. Man ist ihnen zu Dank verpflichtet, ob sie nun kathedralenartige Trägerkuppeln bauen oder sich von der Wunderwelt eines Baumzapfens hinreissen lassen, wenn sie etwas Ansprechendes gestalten. Sie helfen mit, diese Welt der Irritationen lebenswert zu erhalten.
Hinweis auf die Beschreibung der SMDK im Textatelier.com
Hinweis auf ein weiteres Blog zur Sondermülldeponie Kölliken
Hinweis auf Textatelier-Texte zur Bildhauerei
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