BLOG vom: 19.06.2007
Die Habsburg, die Habsburger und die Gemeinde Habsburg
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Meistens redet man von der Habsburg und meint das Schloss, dem namengebenden Stammsitz der Habsburger Dynastie, einer imposanten Anlage, obschon von ihr nur noch der westliche Teil erhalten ist. Und unter die Habsburger versteht man die Angehörigen des Hauses Habsburger, etwa 24 Generationen mit rund 4000 Angehörigen, die das Erwachsenenalter erreichten, von Guntram, der Reiche, bis zum Kronprinzen Otto, geboren 1912. 5 regierende Herzöge, 4 Könige und 1 Königin in der österreichischen Hauptlinie und 18 Kaiser sind ein Adelsweltrekord, der nicht mehr zu übertreffen sein dürfte. Doch gibt es auch noch Habsburg. Damit ist die gleichnamige Gemeinde oder das Dorf im Bezirk Brugg zu Füssen des Schlosses gemeint, und auch deren rund 400 Einwohner sind Habsburger. Neben dem berühmten, gebildeten Otto von Habsburg, dem erstgeborenen Sohn des Karl I./IV. Karoly und seiner Ehefrau, der Kaiserin Zita, sind sie die einzigen noch lebenden Habsburger, die den Namen verdienen. Das muss auch einmal gesagt sein.
Dorfrundgang in Habsburg
In diesem Tagebuchblatt geht es deshalb in erster Linie um diese Gemeinde als solche, die weit weniger bekannt ist als alles, was sonst unter dem Namen Habsburg segelt. Bei meinem Dorfrundgang vom 14. Juni 2007, einem sonnigen, heissen Sommernachmittag, war sie mit Schweizer, Aargauer und Habsburger Fahnen aus mir vorerst noch unbekannten Gründen beflaggt. In den Gärten blühte es in allen Farben. Die von Süden (von Scherz AG aus) zum langgestreckten Dorf Habsburg am Fusse des Wülpelsbergs führende Strasse und ihre Fortsetzung im Dorf als Dorfstrasse waren offenbar erst vor kurzem verkehrsberuhigend saniert worden. Es gibt kleine Inseln, Ein- und Ausbuchtungen, Mäuerchen aus etwas wuchtig geratenen Kalksteinen, wie sie gerade in Mode sind, gepflegte Häuser, von Blumen eingefasst. Aber irgendwelche Läden und Geschäfte sind nicht mehr vorhanden, nicht einmal ein Dorfrestaurant; die Einkäufe werden heute notgedrungen vor allem in Brugg, Scherz, Windisch und Birr-Lupfig getätigt, auswärts also. Selbst die Poststelle wurde im Oktober 2001 geschlossen, und Habsburg wird nun von Scherz aus bedient, falls jemand einen Brief geschrieben oder eine Zeitung abonniert hat. Immerhin gibt es im Dorf oder am Rand davon noch grössere Bauerngehöfte, ebenfalls sorgfältig mit Blumen geschmückte übrigens. Und als Gasthaus steht ja das Schloss-Restaurant zur Verfügung; dort oben wird bei gutem Wetter auch im Garten-Restaurant gewirtet. Als Pächter und Wirt ist seit rund 28 Jahren Hansedi (Hans Eduard) Suter-Mattenberger tätig, der 22 bis 24 Personen auf der Lohnliste hat, wovon 10 Aushilfen sind, die je nach Bedarf eingesetzt werden können, wie er mir bei einem Gespräch sagte. Der Wirt selber wohnt im Dorf unten. Dieses Dorf ist ein Wohndorf und macht gewiss nicht den Eindruck einer Schaltstelle eines ehemaligen Weltreichs; die Habsburg-Dynastie hatte ja auch Kolonien in Afrika, Amerika und Asien, beispielsweise auf dem ehemals spanischen Besitz der Philippinen, dieser riesigen Inselwelt, die nach Philipp II. benannt ist.
Dorfgeschichte
Wie bei meinen Exkursionen üblich, schaue ich jeweils auf der Gemeindekanzlei vorbei, erkundige mich nach Informationsmaterial und allenfalls käuflichen Büchern, zum Beispiel solchen zur Ortsgeschichte. Als ich vor dem Gemeindehaus, in dem sich früher ein Volg-Laden befunden hatte (die Gemeindekanzlei war damals im Untergeschoss des Schulhauses), die Informationstafel mit den Öffnungszeiten studierte, kam eine junge, freundliche Lehrtochter, Sarah Wüst, herbei; sie hatte gerade den Informationskasten neben dem Amtshaus mit neuem Material bestückt. Ob sie mir helfen könne, fragte sie. Ja, gern. Sie zeigte mir, obschon die Kanzlei eigentlich geschlossen war, die vorhandenen Informationsblätter; eine Ortsgeschichte gebe es leider nicht, sagte sie. Aber sie schenkte mir ein rosarotes Informationsblatt, dem ich einige Angaben für dieses Blog entnommen habe. Darauf steht unter anderem, dass die Gemeinde Habsburg 223 Hektaren (ha) umfasst, wovon 131 ha Wald sind. Noch vor rund 600 Jahren sei praktisch die ganze Gemeinde bewaldet gewesen; nur das Schloss ragte damals über die Baumkronen hinaus, wie man auf der gemeindeeigenen Homepage www.habsburg.ch nachlesen kann. Dort steht auch, dass von einer bevölkerungsmässigen Aufwärtsentwicklung nicht die Rede sein konnte, was den Ort nicht unsympathisch macht: „Im Jahre 1833 wohnten nur 4 Einsassenfamilien (Werder, Erismann, Riniker, Senn) im Dorf, die aber zusammen 177 Personen zählten. Bis zum Jahr 1960 sank die Zahl auf 126 Personen“, liest man im offiziellen Text. Doch dann kaufte die Gemeinde Land, erschloss es und kurbelte die Bautätigkeit an, so dass nun eben etwa 400 Personen im Dörfchen Habsburg offensichtlich angenehm leben.
Viele von ihnen habe ich während meines Dorfrundgangs nicht gesehen, nur gerade 3 Schülerinnen, eine jüngere Frau, die von einer Einkaufsfahrt zurück kam und parkierte und 2 bis 3 vorbeifahrende Autos. Eine Familie sass unter einem Sonnendach im Garten, Ferienstimmung verbreitend. Auch ein Postautor fuhr vorbei, das zwischen Brugg-Windisch, Habsburg und Scherz zirkuliert (der nächstgelegene Bahnhof ist Brugg). Diese Busse verkehren seit dem 12. Dezember 2004 im Halbstunden-Takt, was vor allem für auswärts Arbeitende und Schüler komfortabel ist.
Wasserbeschaffung
Für die schleppende Entwicklung der Gemeinde mag die erschwerte Zugänglichkeit zu Wasser mitverantwortlich gewesen sein. Bis 1908 haben die Habsburger in Habsburg all ihr Wasser aus Sodbrunnen bezogen. Bei meinem Rundgang bin ich 2 solcher renovierter Anlagen begegnet; eine davon befindet sich in der Nähe des Gemeindehauses am Beginn der Schlossgasse. Und im Schloss oben ist im Burghof ein besonders mächtiges Exemplar aus dem letzten Drittel des 11. Jahrhunderts zu sehen; dieser Sodbrunnen wurde 1995 konserviert. Laut dem Schweizerischen Kunstführer „Die Habsburg“ von Peter Frey, Martin Hartmann und Emil Maurer hatte der heute im unteren Teil verfüllte (mit Abraum beladene) Brunnenschacht eine Tiefe von 68,5 Metern in den Jurakalk, wie Bohrungen ergaben. Dies ist der tiefste bekannte Brunnenschacht der Schweiz. Es ist anzunehmen, dass mehrere Jahre daran gebaut worden ist. Im Verlauf der frühen Neuzeit wurde der Brunnen aufgegeben; der Grund dafür ist unbekannt.
Die Wasserversorgung verbesserte sich für die Habsburger, als Villnachern am Linnerberg 1908 eine Quelle fasste und sich Habsburg anschliessen konnte, was allerdings eine 4,5 km lange Leitung nötig machte. 1954, beim Bau des Aarekraftwerks Wildegg-Brugg, offerierten die NOK (Nordostschweizerische Kraftwerke AG) der Gemeinde Habsburg 40 000 CHF für den Fall, dass keine Leitung mehr die neuen Anlagen durchschneide. Das Geschenk wurde angenommen. Und die Gemeinde konnte sich an die Wasserversorgung von Schinznach-Bad anschliessen, wo gerade im Gebiet „Brand“ ein neues Reservoir gebaut wurde. Elektrizität gibt es in Habsburg seit 1916.
Vom Schloss und von Japanern
Ich begab mich dann zum Schloss hinauf, löschte den Durst unter einem roten Coca-Cola-Sonnenschirm mit einer Apfelschorle. Dabei erfuhr ich vom Wirt Hansedi Suter, der auch dem fünfköpfigen Habsburger Gemeinderat angehört, den Grund der Beflaggung des blitzblanken Dorfs. Eine Delegation des japanischen Staatsfernsehens kam kürzlich vorbei und rekognoszierte für eine dreiteilige Serie über die Habsburger, zumal die Japaner an Geschichte sehr interessiert und seit wenigen Jahrzehnten dabei sind, ihre eigene Vergangenheit zu revidieren. Die Redaktorin Kumiko Igarashi von der Produktionsfirma Documentary Japan Inc. war mit Chauffeur und Übersetzer zum Recherchieren standesgemäss auf der Habsburg eingetroffen. Sie war aufgrund einer in die japanische Sprache übersetzten Reportage von Radio Schweiz International einerseits und der BBC anderseits mit dem Historiker Dr. Jürg Stüssi-Lauterburg, Windisch, auf den habsburgischen Stammsitz im Aargau aufmerksam geworden.
Wieso sich die Japaner für die Habsburger interessieren, war mir nicht klar; denn das Habsburger Weltreich hatte sich nie nach Japan erstreckt. Ich unterbreitete dem Historiker Stüssi diese Frage, der mir wie folgt antwortete: „Ich nehme persönlich an, die Sache habe damit zu tun, dass sie eine der verbleibenden grossen alten Dynastien an der Spitze ihres Staates haben (wenn auch nur symbolisch) und deshalb für die grosse alte Dynastie der Habsburger, einem Parallelfall, ein gewisses nahe liegendes Interesse haben.“ Das ist ein einleuchtender Erklärungsversuch.
Der Habsburger Gemeindeammann Urs Widmer zeigte den Gästen das Schloss und begleitete sie zu den weiteren habsburgischen Stätten Altenburg/Brugg und Königsfelden, wie dessen Vater Hans Peter Widmer am 23. April 2007 in der Mittelland-Zeitung am 23. April 2007 berichtete. Da am 1. Juli 2007 das Brötliexamen auf dem neu gestalteten Dorfplatz stattfindet, wurden die Flaggen gleich etwas früher montiert, um den Eindruck auf die Japaner zu verbessern; denn ihre Aufmerksamkeit und televisionäre Verfilmung könnte auch zur Tourismusverbesserung beitragen. Das Brötliexamen, das vielleicht auf die Habsburger zurückgeht, ist das Jugendfest in den Gemeinden des Eigenamts. Die Schüler erhalten nach der Feier ein Examenbrot als Dank für ihren Einsatz beim Lernen, ein schöner, tiefsinniger Brauch.
Es wird jubiliert
Ich durfte dann noch den ganzen Schlosskomplex erkunden, den Palas und den Grossen Turm, warf Blicke in die gotische Stube und den Rittersaal mit den Habsburger-Porträts an den Wänden, erinnerte mich an eine festliche Geburtstagsfeier, an der ich hier vor vielen Jahren teilnahm, stieg hinauf in die frühneuzeitliche Aufhöhung des Turms und hinunter in den permanenten Ausstellungsraum. Davon wird noch viel zu lesen sein. Denn schliesslich steht für 2008 ein doppeltes Habsburg-Jubiläum bevor: Dann wird im grossen Stil die erste urkundliche Erwähnung des Schlosses (1108) und gleichzeitig die Ermordung von König Albrecht I., des Sohns Rudolfs I. von Habsburg, am 1. Mai 1308 bei Windisch an der Reuss gefeiert – diese Ereignisse fanden also vor 900 beziehungsweise 700 Jahren statt.
Albrecht I. war machtbesessen, drängte einheimische Geschlechter zurück und war entsprechend unbeliebt. Er war seit 1282 Herzog von Österreich und der Steiermark sowie seit 1298 römisch-deutscher König. Die Mörder waren sein Neffe Johann von Schwaben und einige Freiherren. Johann, Parricida (= Verwandtenmörder) genannt, der meistens in Brugg lebte, fühlte sich um sein väterliches Erbe betrogen und machte mit seinem Onkel kurzen Prozess. Die Erbfolge-Systematik des Hauses Habsburg wurde dadurch schwer erschüttert, und das globalisierende Unternehmen fühlte sich aufgerufen, wieder einmal etwas Sinnvolles zu tun: In Königsfelden wurde eine Gedächtnisstätte errichtet. Zusammen mit dem Schloss Habsburg gehört die Klosterkirche zu den vielen wichtigen Kulturgütern im Aargau mit internationalem Rang.
Bereits zerbricht sich ein 16 Personen umfassender Beirat die Köpfe über die Ausgestaltung der Feierlichkeiten im 2008, und ein Trägerverein „Habsburger Gedenkjahr 2008“ ist ebenfalls gegründet worden. Wer mitmachen möchte und bereit ist, bescheidene 10 CHF Jahresbeitrag zu bezahlen, kann sich bei der Gemeindekanzlei, Dorfstrasse 41, CH-5245 Habsburg, als Mitglied anmelden.
Das inexistente Volk
So habe ich wieder einmal an Ort und Stelle eine Portion vitaler Aargauer Heimat kennen gelernt, die auch der oft genug von Brutalitäten gezeichneten Geschichte noch Glanz abzugewinnen versteht. Und ich mache mir bei solchen Gelegenheiten jeweils meine Gedanken über unsere Geschichtsbilder, wie seit je. Schon im Geschichtsunterricht während der Primarschulzeit konnte ich es jeweils kaum glauben, dass ein König oder ein Papst so viele schöne Sachen hatte bauen können; das mussten ja sehr fleissige, künstlerisch und handwerklich talentierte Persönlichkeiten mit übermenschlichen Kräften gewesen sein ... Erst später wurde mir bewusst, dass sie niemals eine Schaufel oder einen Hammer in ihre zarte, mit teuren Schmuckringen zusätzlich geadelte Hand nahmen und dass in der Geschichtsschreibung und -lehre (mit Ausnahme der vernachlässigten Kulturgeschichte) das gewöhnliche Volk, aus dem alles herausgesaugt worden ist, das alles bezahlen und alle schweren Arbeiten verrichten musste, nicht existiert. Undank ist der Welt Lohn.
So war es früher, und wie ist es eigentlich heute?
Ich schaute auf dem Weg zum Parkplatz gleich unterhalb des Schlosses Habsburg noch 2 Mazedoniern zu, die aus der Mauer der Schlossterrasse mit Hämmern mit zugespitzter Klaue lockeres Fugenmaterial entfernten. Diese Kalksteinmauer macht einen etwas dilettantischen Eindruck, sie ist wegen des eingedrungenen Wassers brüchig geworden. Viele Steine sind locker und müssen mit Mörtel neu verfestigt werden, der ewige Kampf gegen den Zerfall.
Die Habsburger sind ja ebenfalls ein Sinnbild für die Endlichkeit von jeder Grösse.
Hinweis auf Ausflugsberichte und Blogs zur Reisethematik von Walter Hess
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