BLOG vom: 01.08.2007
CH-Nationalfeiertag und die kämpferische Hymne von einst
Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich
Zu den Themen 1. August und Heimat fällt mir allerhand ein. Zuerst aus der Kindheit: Da waren die Abende unseres Nationalfeiertags etwas aussergewöhnlich Schönes. Damals war der 1. August noch ein normaler Arbeitstag, aber am Abend stieg man auf eine Anhöhe, hielt sich um ein grosses Feuer auf und schaute in die Ferne nach andern Feuern auf anderen Hügeln aus. Wir Kinder trugen ein Lampion und erhellten so den Weg durch den dunklen Wald. So schlicht zu feiern, blieb mir bis heute massgebend. Ich brauche keine Raketen. Sie sind mir zu laut, erschrecken die Tiere, verschmutzen die Luft. Sie stören mich und sie zerstören die stillen Gefühle der Heimat gegenüber. Denn an diesem Abend möchte ich besonders über mein Leben hier in der Schweiz sinnieren.
Ja, ich gebrauche das Wort Heimat immer noch, auch wenn es schon Politiker gegeben hat, die es gern abgeschafft hätten. Heimat ist ein Begriff wie tausend andere, der positiv oder negativ eingesetzt oder missbraucht werden kann, je nach persönlichen Erfahrungen und den Einflüssen von Eltern und Umwelt. Für mich ist der Begriff wohlwollend besetzt. Heimat ist der Ort, wo ich meine Wurzeln habe, wo ich auf die Welt gekommen bin, meine Augen erstmals geöffnet und meine ersten Entdeckungen gemacht habe. Heimat ist mir seit langem das Leben mit meinem Ehemann Primo. Zur Heimat gehört meine Sprache. Der Ort auch, wo ich verstanden werde. Und Heimat im grösseren Sinn ist das Land und das Volk, dem ich angehöre. Ich liebe die Landschaft und die Berge und die Eigenheiten und Sprachen in allen Kantonen der Schweiz. Ich schätze Werte, die mir hier vermittelt wurden. Je älter ich werde, desto öfter fühle ich aber Heimweh im eigenen Land. Viele Werte sind uns abhanden gekommen, ohne dass sich neue etablierten. Dass heute alles nur materiell bewertet wird, der Wirtschaft dienen muss und von ihr gesteuert ist, das gehört nicht mehr zu meinem Menschsein in der Schweiz. Ich distanziere mich auch vom Rassismus, der sich hier eingenistet hat. Ich spüre einfach, dass ich ein Auslaufmodell geworden bin.
Am diesjährigen 1. August werden die Enkelkinder den Abend beleben, und auf sie soll er zugeschnitten sein. Mena hat dem Grossvater bereits das Schweizer-Fahnentuch übergeben, dass er es an einem passenden Stecken befestige. Dieses Tuch hat sie von ihrer Tante zur Geburt erhalten. Und es hiess dazu, Mama solle sie darin einwickeln, damit sie eine rechte Schweizerin werde.
Mena ist in Kanada zur Welt gekommen, geht in Paris zur Schule, hat einen Schweizer Pass und einen Vater, der aus dem mittleren Osten stammt. Es wachsen da verschiedene Einflüsse in ihr, die alle am Heimatgefühl mitgestalten. Sie wird den Begriff einmal anders definieren als ich. Und das ist auch gut so.
Müsste ich Heimat fotografieren, wäre es ein altes Dampfschiff auf dem türkisfarbenen Urnersee, an dessen Heck die Schweizerfahne flattert. Mein Erstlingseindruck von der Schulreise 1951 aufs Rütli. Dieses Bild trage ich als kostbaren Schatz in mir.
Ich selbst habe erst begriffen, was Heimat ist, als ich in die Fremde ging. Da stürmte so viel Unbekanntes und Unverständliches auf mich ein und ich konnte mich nicht präzise ausdrücken. Vor allem gab es anfänglich keine Sprache, die mein Befinden oder meine Gefühle hätten beschreiben können. Das ging damals Vielen so. Wir hatten keine Reiseerfahrung, kannten andere Völker höchstens aus Büchern, vielleicht noch von Radio-Reportagen.
Wenn ich jetzt erzähle, dass mich meine Freundin Pia, auch eine Schweizerin, jeden Sonntag in meinem Zimmer an der Rue St-Placide in Paris besuchte und dass wir dann meistens die damals gebräuchliche Schweizer Vaterlandshymne sangen, um unser Heimweh noch ein bisschen zu steigern, dann werden viele, die das lesen, den Kopf schütteln. Ich jetzt auch. Nicht deswegen, weil wir ein wichtiges Lied, das unserem Herkunftsland gewidmet war, anstimmten, sondern über dessen Inhalt. Ich entnehme den Text dem Liederbuch „S Liedergärtli“ mit Untertitel „Was wir Mädchen singen“.
Ist es da verwunderlich, dass wir damals anders dachten und dass die Frauenrolle eine andere war? Wir sangen dieses Lied, ohne den Text wirklich zu verstehen. Es war für uns einfach etwas Vertrautes, das wir von feierlichen Momenten her kannten.
Meine Schlummermutter, eine vornehme Französin, fragte mich einmal, warum wir auch die englische Nationalhymne sängen, wir seien doch Schweizerinnen. Die Melodie war für beide Länder die gleiche. Der Text aber verschieden.
Vaterlandshymne
1. Rufst du, mein Vaterland, sieh‘ uns mit Herz und Hand all‘ dir geweiht. Heil dir, Helvetia, hast noch der Söhne ja, wie sie Sankt Jakob sah, freudvoll zum Streit!
2. Da, wo der Alpenkreis nicht dich zu schützen weiss, Wall dir von Gott, steh’n wir den Felsen gleich, nie vor Gefahren bleich, froh noch im Todesstreich, Schmerz uns ein Spott.
3. Frei und auf ewig frei, ruf‘ unser Feldgeschrei, hall‘ unser Herz! Frei lebt, wer sterben kann, frei, wer die Heldenbahn, steigt als ein Held hinan, nie hinterwärts.
4. Doch wo der Friede lacht, nach der empörten Schlacht, drangvollem Spiel, o da viel schöner, traun, fern von der Waffen Graun’, Heimat, dein Glück zu baun’n, winkt uns das Ziel.
Dieses Lied verkörperte die wehrhafte Schweiz und lehnte sich sicher an die söldnerische Vergangenheit an. Die Frauen sind verborgen in der Heimat und im Glück, die die Männer fern von der Waffen Graun bauen wollen.
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