BLOG vom: 14.08.2007
Paul Gugelmann: Kritische, poetische, lustige Konstruktionen
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Ein verwirrend filigran konstruiertes Werk des Skulpteurs Paul Gugelmann (78) ist dem Thema „Fortschritt“ gewidmet: Da sitzt ein Mensch mit einer Narrenkappe in einem Gewirr von Drähten und Metallteilen, die sich auf geheimnisvoll vernetzte Weise bewegen. Die Aktion läuft darauf hinaus, dass der zivilisierte Narr an seinem Stuhlbein sägt. Bei einem anderen Kunstwerk sind die 7 menschlichen Hauptsünden in eine Frauenbüste eingewoben: Trägheit, Eitelkeit, Habgier, Zorn, Neid, Völlerei und Wollust. Gleich nebenan dreht sich das Lebensrad, das eine Rücklaufsperre hat. Und beim Totentanz ist endlich zu sehen, wie der Tod alle und alles steuert.
Die Bürgerliche Vereinigung Biberstein (BVB) folgte am Sonntagnachmittag, 12. August 2007, dem Aufruf von Präsident Markus Schlienger zum Besuch des Paul-Gugelmann-Museums in Schönenwerd SO, wo Silvia und Hans Nussbaumer die „poetischen Maschinen“ in Bewegung setzten und erläuterten. Ursprünglich geschah dies mit Dampf, Metatabletten, Federnaufzügen usf., inzwischen sind einige Elektromotoren zum Einsatz gekommen. Der ehemalige Créateur der Bally-Werke, Paul Gugelmann, der zwischen 1951 und 1969 in Paris als Schuhdesigner tätig war, liess bei seinem hobbymässigen künstlerischen Schaffen seiner Fantasie auch ausserhalb seines Berufs freien Lauf. Neben der Kritik am menschlichen Verhalten und an der Gesellschaft unter Einbezug der Machtpolitik der Religionen – der Religionsturm wackelt bedenklich – sind auch ein feiner Schalk und Poesie in die mobilen Skulpturen eingeflossen. Sie leben nicht von der spielerischen Bewegung und der Faszination der Mechanik allein, sondern sie sind oft auch Musikinstrumente oder imitieren das Vogelgezwitscher täuschend ähnlich. Selbst die Musik dient hier nicht nur der Erbauung, sondern hat eine Funktion im Rahmen von Gugelmanns Mitteilungsbedürfnis. Beim Werk „Largo“ (1968), das auf einen Geigenkasten gebaut ist, zeigt sie, wie schnell die Zeit vergeht – besonders beim Musikhören. Und dieser Genuss ist, wie man im Museum lernt, auch mit Hilfe eines einzigartigen Grammophons mit Dampfantrieb möglich.
Ein besonderer Leckerbissen neben einer Allegorie über das Kopfnicken in zentral geführten scheindemokratischen Einheiten (nur gerade ein Hund schüttelt den Kopf über so viel Einfalt) ist ein bewegliches Schaustück über die hierarchischen Sitten und Gebräuche in einem Grossunternehmen, womit das Bally-Unternehmen in seiner Endphase gemeint sein dürfte. Der Direktor ganz oben setzt seinen Untergebenen mit einem Hammerschlag auf den Kopf unter Druck. Und diese Methode wird dann von Stufe zu Stufe weitergegeben, bis ganz unten dann auch noch der brave Lehrling einen Fusstritt in den Hintern erhält.
Das Faszinierende an den geschweissten, gelöteten, ineinander verzahnten, von Nagelwalzen gesteuerten und nach schuhmacherischer Art auf Holzmodellen geformten Kunstwerken mit ihren Geräten zur Tonerzeugung ist nicht nur ihre technische Funktion, sondern ihre Aussage und der immer mitspielende karikierende Humor. Hier werden Masken aufgesetzt und abgenommen. Es kommt zu Entlarvungen wie etwa durch die Darstellung der „Arche des Teufels“ (1992) mit ihrem Kämmerchen für verbotene Schäferstündchen, deren Mitteilung darin besteht, dass eben auch das Unerlaubte, ja das Schlechte überlebt hat. Aber Antworten auf die ungelösten Fragen können nicht geliefert werden: War das Ei am Anfang? In einem grossen geflochtenen Ei ist ein Huhn – mit einem Ei. Überall sind witzige Details auszumachen, wie etwa dort, wo der Besucher unter dem Titel „Fehlkonstruktion“ einen Einblick ins menschliche Gehirn erhält.
Man zieht beim Rundgang durch die Ausstellung Rückschlüsse auf den heute in Gretzenbach SO lebenden Künstler, der etwa 800 bis 1200 Stunden an Arbeit pro Skulptur aufgewendet hat: Er ist ein kritischer Beobachter und Denker mit handwerklich-technischem Geschick, eine einzigartige Kombination unterschiedlicher Talente, die zu einmaligen Kunstwerken führte. Er wurde am 19. Mai 1929 in Schönenwerd geboren und trat nach einen Welschlandaufenthalt in die Werbeabteilung der Bally-Schuhfabriken ein, wurde Grafiker und Créateur, der sich dann seinen philosophischen Maschinen annahm und auch viele Werkaufträge erhielt. In seiner Werkstatt entstand 2001 die ausgefallene Solothurner Uhr, die mit 11 (statt 12) Stunden auskommt. Sie befindet sich an der Westfassade des UBS-Gebäudes am Amtshausplatz/Schanzenstrasse. Auch dabei handelt es sich um eine 3 m hohe Metallplastik, diesmal in Form eines Harlekins, der Fröhlichkeit vermittelt und auf seinem Glockenspiel das Solothurner Lied schlägt: „S’isch immer so gsi“ (Es ist immer so gewesen).
Seine Kleinkunstwerke hat Gugelmann nie verkauft, sondern entweder verschenkt oder 1994 in eine Stiftung eingebracht. Sie können seit 1995 in dem speziell für sie stilvoll eingerichteten Museum unter kundiger Führung besichtigt und erlebt werden. Es befindet sich direkt neben der romanischen, christkatholischen Kirche St. Leodegar aus dem 11. Jahrhundert mit ihrem um 1610 erneuerten Kreuzgang. Der Kirchturm wackelt hier glücklicherweise nicht. Und auch das Denkmal für den Schuhindustrie-Pionier Carl Franz Bally (1821–1899) im Park vor der Kirche steht auf festem Sockel.
Auf einer Art Sockel am Jurasüdhang (Chesletenrain 5) steht auch das Haus von Prisca Brosi und des Musikers Jan Baechinger, die ihre Infrastruktur anschliessend für einen BVB-Grillplausch an schönster Aussichtslage zur Verfügung stellten. Was es dabei noch an Lokalpolitik zu besprechen gab, wurde bei gut bürgerlichem Essen mit Kartoffel-, Rüebli- und Hörnlisalat zu den Grilladen getan. Eine der 7 Hauptsünden, die Völlerei, wurde durch ein Masshalten in allen Dingen umgangen, weil das in Biberstein so der Brauch ist und Paul Gugelmanns Erziehungsmethoden ebenfalls Früchte getragen haben mögen.
Hinweis auf weitere Ausflugsberichte und Blogs zur Reisethematik von Walter Hess
(Reproduktionsfähige Fotos können zu all diesen Beschreibungen beim Textatelier.com bezogen werden.)
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