BLOG vom: 28.10.2007
Scharfe Gegensätze: Gerd Gaiser versus Heinrich Böll
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
Am 23.10.2007 ist mein Blog „Werkstattgespräche mit Schriftstellern: Heinrich Böll“ erschienen. Warum schon wieder in die leidige deutsche Nachkriegsliteratur einsteigen?
Nachdem alles gesagt worden ist, muss dies dennoch wieder gesagt werden: Der Rassismus macht sich breit. Der Faschismus kann nicht bloss als eine Randerscheinung abgetan werden. Die „Islamisten“ bedrohen den ach so friedfertigen Westen, ganz besonders die USA. Israel ist der Schutzpfeiler am Brückenkopf westlicher Verteidigung gegen die Putschisten ringsum im Nahen Osten. Die USA verteidigen sich nur, versuchen die Herzen mit Bomben zu gewinnen und schwenken dabei tüchtig das Banner der alleinseligmachenden Demokratie, die in der USA befremdliche, diktatorische Formen angenommen hat ... Das wirft die Fragen auf: Wer ist der Verteidiger, wer ist der Angreifer?
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„Gianna aus dem Schatten“
Dieses Blog hat mich einfach überrumpelt. Heute Morgen kramte ich im versteckten Teil meiner Bibliothek, dort nämlich, wo hinter der vorderen Bücherreihe viele andere Bände platzsparend gestapelt sind. Ich suchte vergeblich nach einem Werk von Theodor Fontane. Dabei fiel mir das Novellenbändchen „Gianna aus dem Schatten“ von Gerd Gaiser in die Hände, 1957 vom Carl Hanser Verlag veröffentlicht. Warum habe ich es nicht wie ein Stück glühende Kohle fallen lassen? Vom Klappentext verführt, las ich zuerst ernsthaft, dann immer rascher überfliegend die 67 Seiten. Der seichte, selbstgerechte Stil befremdete mich.
Das einander entfremdete Ehepaar ging auf steinigem Weg im bergigen Hinterland Richtung Lostallo. Was hatte es dorthin verschlagen? „Eine der stärksten Novellen unserer Zeit“, verhiess der Klappentext. „Gerd Gaiser, ein Meister der Sprache und der Gestaltung, hat hier ein Werk geschaffen, dessen Thema unser aller Thema ist: die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.“
Ich muss mich an meinen Aphorismus halten: Die Rolle des Künstlers erfordert das Schnitzmesser, die des Kritikers das Schlitzmesser. Letzterer begeht damit meistens Schnitzer. Aber ich habe ja schon mit meiner Kritik begonnen …
Kurz zum Inhalt: Ein Deutscher besuchte mit seiner 2. Frau ein italienisches Bergdorf und begegnete dort wieder der Partisanin Gianna aus der Kriegszeit, „mit der er etwas gehabt hatte“. Dieser Deutsche wurde von den Partisanen als Geisel festgehalten und im Austauschhandel freigelassen. Welche Schuld hatte sich dieser Deutsche aufgeladen? Die Partisanenbande wurde ausgehoben. Dieser Deutsche hatte sie verraten, kaum hatte er seine Seite erreicht. Der Kommandant hielt ihn für einen Dünnmann (Versager) und lud ihn ein, sich der Partie anzuschliessen. Gianna wusste um seinen Verrat. Gianna pirschte sich mit dem Gewehr an den Deutschen. Es war ein Wunder, dass er den Kopfschuss überlebte. Wer spricht von Verrat? Schliesslich war er ein Soldat, der nach dem Rechten sah … sich ans Reglement hielt. Vieles wird in dieser Novelle verschleiert – man merkt, auf wessen Seite Gerd Gaiser ist.
Diese weisswaschende Tendenz ist vielen seiner Bücher eigen, zumal ihm seine Nazivergangenheit nachlief. Sein Rassenwahn schimmert immer wieder durch.
Wie eingangs gesagt, flackert heute Rassenhass wieder auf – und deswegen glaube ich, sollte der „Fall von Gerd Gaiser“ nochmals kritisch eingesehen werden, besonders, da auch der (Neo-)Faschismus zu Hassgefühlen aller Art aufwiegelt.
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Der Pfarrerssohn Gerd Gaiser (1908–1976) war Kunsthistoriker, Luftwaffenoffizier und obendrein freier Maler und Schriftsteller. Als populärer Autor von Kriegsromanen (besonders bekannt ist der Titel „Die sterbende Jagd“) gewann er viele Auszeichnungen, worunter ausgerechnet auch den Theodor-Fontane-Preis. Sein Ruhm als „Dichter seiner Zeit“ zerfloss jedoch jäh, als er von der Kritik auf- und angegriffen wurde, worunter von Reinhold Grimm (siehe unter www.ingentaconnect.com (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik), Walter Jens (deutscher Philologe), Marcel Reich-Ranicki (ein polnischer Jude und Literaturkritiker). In seiner Kritik „Der Fall Gaiser“ schrieb Letzterer:
„Er möchte die Seele gegen den Geist ausspielen, die Stimme des Blutes gegen die Stimme der Vernunft, die Beschwörung gegen die Analyse, die Schwärmerei gegen die Vernunft, das Völkische gegen den Intellekt. Statt zu klären, verklärt er, statt zu verdeutlichen, verschleiert er, statt zu erhellen, verdunkelt er. Aus der Realität macht er einen Mythos. Er stellt sich nicht den Problemen, er entstellt sie, indem er sie poetisiert.“
Schon 1941 tat sich Gerd Gaiser hervor mit „Reiter am Himmel“ – ein krasses, gruseliges Sammelsurium von „Reichslyrik“, wovon dieser Ausschnitt ein Zeugnis seiner Gesinnung ist (die er als Jugendwirren bagatellisiert):
Die ein Hebräer anführt:Einer Schlachtsau Leben wird das entgeltenStickig und fett.Wenn wir aber fallen,Wird lang unsre JugendWie ein Riff aus dem Meer der Geschlechter ragen,Da wir dem herrfolgten (?),Der, entwachsen dem Sagbaren, …
Wiederum spielte mir der Zufall eine Karte zu. In die „Werkstattgespräche“ von Horst Bienek ist auch Gerd Gaiser einbezogen. Schon zur Zeit des Interviews (1962) mehrten sich kritische Stimmen rund um Gerd Gaiser.
Auf Bieneks Frage nach einer vermuteten „Artverwandtschaft“ mit Ernst Jünger (wie Gaiser den Nazis zugeneigt und Feind der Demokratie) – zuerst lobend vermerkt, aber später zunehmend kritischer – antwortete Gaiser: „Ich bin mir nicht bewusst, mich je an Jünger orientiert zu haben“, und fügte hinzu: „Wissen Sie, die Wege der Literaturkritik sind verschlungen wie alle Personalämter. Man darf ihnen als Autor nicht zu viel Bedeutung zumessen.“
Bienek konnte Gerd Gaiser im Gespräch nicht fassen: Er war viel zu schlüpfrig und zu wendig, und er beantwortete dessen Frage ausweichend. „Welche Bücher haben einen besonders starken Eindruck auf Sie ausgeübt?“ fragte ihn Bienek. „Die Sprache der Bibel“, antwortete Gerd Gaiser und fuhr fort: „In meinen Schuljahren war es der Umgang mit dem Griechischen und dem Hebräischen …"
Bienek: „Haben Sie bei der Niederschrift eines Romans bestimmte Gefühle wie Mitleid, Bestürzung oder Schmerz, die sie dann dem Leser mitteilen?“
Gaiser: „Ich nehme an, dass jeder Autor das Leiden seiner Figuren teilt, dass er Widerwillen gegen sie oder Sympathie mit ihnen empfindet. Aber wie gesagt, Gefühl ist Rohstoff. Es darf nicht stehen bleiben, wenn er schreibt.“
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Gefühl als Rohstoff? Die Gefühle sollten die Person durchweben – sie sind die Goldfäden zum Verständnis. Der Autor ist das beobachtende Auge oder Gewissen. Seine Aufgabe kann nicht sein, selbstherrlich als Richter Widerwillen oder Sympathie zu bestimmen.
Konformisten, Mitläufer gibt es mehr als genug – sie wissen nichts von der inneren Notwendigkeit zum Menschsein. Sie setzen sich darüber hinweg. Damit sind die krassen Gegensätze zwischen Heinrich Böll und Gerd Gaiser aufgedeckt.
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