BLOG vom: 14.11.2007
Neue Staffeleggstrasse: Hangwasser, das vergessen wurde
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Mit der Planung der Neuen Staffeleggstrasse (Staffeleggzubringer) ist 1964 begonnen worden. Die Sache eilte so sehr auch wieder nicht, obschon für die Gemeinde Küttigen AG (Bezirk Aarau) am Jurasüdhang unter der Staffelegg der üppige Durchgangsverkehr zum und vom Fricktal schon lästig war und immer noch ist. Von der östlichen Nachbargemeinde Biberstein her aber kamen eher bremsende Signale, weil die neue Strasse das westliche Wohngebiet (Wissenbach und den Burz mit dem Chesletenrain bis hinauf gegen die Juraweide) mit einer Hintergrundmusik berauschen wird, die hier eigentlich weniger gefragt ist. Strassenausbau- und Neubauten gehören ohnehin nicht zu den höchsten aller Bibersteiner Gefühlen. Die Gemeinde hat sich seit langem für eine hohe Wohnqualität (was möglichst wenig Fahrzeug- und Durchgangsverkehr bedeutet). Auch die Gemeindebehörde ist in dieser Richtung aktiv.
Bibersteiner Qualitäten
Das sind nicht einfach hohle Sprüche, locker aus dem Ärmel geschüttelt. Das Denken in Qualitäten statt Quantitäten hat in Biberstein eine jahrhundertelange Tradition. Denn Biberstein war zwischen 1316 und 1318 vom Grafen Johann I. (gestorben 1337) als „Stadt zu Biberstein“ gegründet worden, das heisst, an diesem habsburgischen Vorposten an der Aare sollte eine Stadt entstehen. Man wollte damit die Kyburger in Schach halten, die Aarau gegründet hatten und sich zweifellos gern nordwärts ausgedehnt hätten, wäre diesem Treiben nicht Einhalt geboten worden.
Ein verbrieftes Stadtrecht scheint in Biberstein zu fehlen, aber logischerweise müsste so ein Recht in eine Stadtgründung impliziert sein. Die Historiker mögen mir diese freimütige Geschichtsinterpretation verzeihen – ich lasse mich gern belehren. Jedenfalls ist Biberstein die einzige Stadt auf Schweizerboden, die sich mit eingelegtem Retourgang entwickelte – und somit eine Besonderheit, eigentlich eine Sensation in den wachstumseuphorischen Zeiten. Biberstein blieb ein ärmliches Bauern- und Arbeiterdorf, bis dann eben in der beunruhigten Neuestzeit Wohnqualitäten einen hohen Stellenwert erhielten. Viele Ruhe suchende Zuzüger siedelten sich an, und statt Zentrumsfunktionen wahrnehmen zu müssen, kommt Biberstein nunmehr mit Steuerfusssenkungen kaum noch nach – an der Gemeindeversammlung vom 23. November 2007 soll er auf 88 Prozent (bezogen zur Kantonssteuer) fallen.
Die lange Staffeleggzubringer-Historie
Doch davon wollte ich eigentlich nicht berichten, sondern von der Staffeleggzubringer-Geschichte, die mit einer 40-jährigen Planungszeit, während der auch die zahlreichen Einsprachen in Ruhe behandelt werden konnten, begann. Am 5. Juli 2004 wurde endlich mit dem Bau begonnen. Das neue Strassenstück (NK 107) von der Aarauer Telli (Niveauanschluss Tellistrasse) via Rohrer Lehenschachen, wo es auf einen Damm steigt, über die 2-spurige Aarebrücke mit Fussgängersteg wenig unterhalb der Zurlindeninsel und anschliessend durch einen Gewölbe- und dann einen Rechtecktunnel und durchs friedliche, allerdings durch eine Hochspannungsleitung verunstaltete Horentäli bis zum Anschluss an die bestehende Staffeleggstrasse oberhalb von Küttigen (Horen, unterhalb des Kalksteinbruchs bei der scharfen Kurve) mit Kreisel bzw. Kreiselumfahrung wird 3100 m lang. Diese Neue Staffeleggstrasse umfährt nicht allein das Dorf Küttigen, sondern sie ist auch ein Bestandteil der Ostumfahrung von Aarau, welche wiederum die Sperrung der Altstadt von Aarau mit ihren wunderschönen Giebeln allein schon im Hinblick auf ihren Bau ermöglich hat. Vor so viel übergreifender planerischer Weitsicht hatten die Bibersteiner Wünsche nach einem Leben im Frieden der Abgeschiedenheit von den grossen Verkehrsströmen leider keine Chance mehr.
Brücke als Aussichtspodest auf Aue
Die Baukolonnen fuhren auf, wie gesagt, und vorerst wurde einmal die 234 m lange Brücke (Radius: 260 m, gegen Norden 1 % ansteigend) mit einer schiefen, vorgespannten Fahrbahnplatte auf Betonpfeilern in die Aare gestellt. Sie wirkt elegant – ich muss es zugeben. Darunter werden jetzt südseitig (im Rohrer Schachen) die Voraussetzungen für eine Weichholzaue geschaffen; es handelt sich hier um eine zwar kleine, aber dennoch erfreuliche Vergrösserung der wiederhergestellten Auenlandschaften an der Aare (Auenschutzpark Aargau). „S’isch all daa“, sagen wir in der Schweiz: Es ist immerhin das, besser als nichts.
Das heimliche Hangwasser
Bemerkenswerterweise ist aber in der 40-jährigen Planungszeit, was etwa 2 Menschen-Generationen entspricht, vergessen worden, ans Hangwasser zu denken, das eben manchmal auch die Eigenschaft hat, unterirdisch zu verlaufen. Ich kann hier persönlich eigene Beobachtungen wiedergeben, wonach Wasser, besonders ausgeprägt nach Niederschlägen, in die Täler fliesst. Diese bemerkenswerte Erscheinung kann man in allen Tälern beobachten – jedenfalls ist mir das schon hundertfach gelungen. Ich versteige mich hier sogar noch zur Behauptung, solches Hangwasser, zu wilden Bächen vereinigt, habe überall dazu geführt, dass die Täler ausgehoben, vertieft wurden; auch ganze Tobel, Schluchten und Cañons gehen auf diese Erscheinung zurück. Das kann man sogar in geografischen Werken, die nicht an der Oberfläche bleiben, nachlesen und auf Landkarten auf den ersten Blick sehen. Doch nicht immer bleibt das Wasser an der Oberfläche, in lockeren Böden wird es in die Tiefe abtauchen und dort einen Grundwasserstrom bilden.
Das Horentäli, durch das die Neue Staffeleggstrasse führt, ist ebenfalls solch ein Tal, wie es der Name sagt, an der Westflanke des Hombergs (Maiacher, Raimatt, Gibel) türmt sich der überwachsene Jurakalk auf, und westlich davon ist der Egghübel. Aber die Planer mochten in den besagten 40 Jahren keine Gedanken an den unterirdischen Wasserlauf verschwenden. So kam es denn zu einer Fehlplanung. Im Un-Klartext der Aargauer Abteilung Tiefbau, wiedergegeben im Info-Blatt 2 („Baustart im Horental“) wird diese Unterlassungssünde wie folgt im Amtsjargon verschleiert: „Mit der Ausarbeitung des Bauprojektes Neue Staffeleggstrasse Anfang 2006 wurden zusätzliche geologische und hydrogeologische Untersuchungen des Baugrundes ausgelöst. Ziele dieser Untersuchungen waren es, die Bodenkennwerte zu verifizieren sowie die Fliessrichtung und die Wassermengen des im Horental vorhandenen Grundwassers näher zu untersuchen.“ Hätte man mich gefragt, hätte ich kostenlos bekannt geben können, dass das Wasser abwärts fliesst.
Im Tunnelbereich wurde aufgrund der verspäteten Einsichten der Baufortgang eingestellt und die geologischen und hydrogeologischen Abklärungen nachgeholt. Denn würde man die Strasse einfach in dieses von einem unterirdischen Hangwasserbach durchflossene Tal bauen, könnte die Strassentrasse durch den hohen Wasserdruck bei Regenfällen angehoben werden. Um das zu verhindern, muss etwa die Hälfte des 696 m langen, auf 3 Fahrspuren ausgeweiteten Tagbautunnels als Rechteckprofil gebaut werden. Rechteckprofil bedeutet, dass der Tunnel nicht einfach ein Halbbogen ist, sondern eine rundum betonierte, annähernd rechteckige Röhre, die unten zudem mit Drainagerohren versehen ist, so dass das Wasser nicht mehr die Fahrbahn hubstaplermässig anheben kann. Und zudem muss im Rahmen des Wassermanagements im Anschluss ans untere Tunnelende eine 55 m lange Betonwanne erstellt werden. Die 70 Mio. CHF Baukosten, von denen ursprünglich gesprochen wurde, sind inzwischen kein Thema mehr – es dürften etwa 17 Mio. CHF mehr werden, selbst wenn alles relativ gut geht.
Nach der langwierigen Planung hat man jetzt also den langwierigen Bau. Das Werk wird voraussichtlich erst um 2010 (die Terminplanung endet in der Jahresmitte) statt Ende 2008 beendet sein. Wer die Verantwortung für die Fehlplanung zu tragen hat, wird sich noch weisen müssen. Die Kosten werden ja in solchen Fällen immer aufs Volk abgewälzt. Daraus schliesse ich messerscharf, dass das Volk am Debakel schuld ist – meine Wenigkeit inbegriffen.
Im Informationspavillon
Auf der Nordseite der Aarebrücke steht ein grosser Informationspavillon, der jeden 1. Mittwoch im Monat von 17 bis 19 Uhr geöffnet ist. Ich ging am 7. November 2007 hin und konnte mit dem fachkundigen Chefbauleiter des Abschnitts Nord, Andreas Schurter, von der Firma F. Preisig AG, CH-8050 Zürich, ein längeres Gespräch führen; an der Fehlplanung war er nicht beteiligt. Ich erhielt dabei einen Kurs in Strassenbau, so dass ich mich mit dem Gedanken anzufreunden begann, ein eigenes Baugeschäft zu eröffnen. So erfuhr ich beispielsweise, dass man Strassen wegen des Wassers immer von unten her nach oben baut – so kann man diese Flüssigkeit ständig bewältigen. Das ist eine bewährte Regel, die nicht immer angewandt werden kann, wie eben bei der Neuen Staffeleggstrasse, wo man jetzt entgegen der Strassenbaukunst-Regeln zuerst ganz oben baut, weil unten noch die Tunnelprofile umgezeichnet werden müssen.
Ich fragte Andreas Schurter, ob man denn die unproportionierte störende Hochspannungsleitung im Horentäli nicht gleich in die Strassenbaugrube hätte verlegen können. Doch das gehört nicht zum Bauauftrag. Viel mehr tritt die Leitung während des Baus störend in Erscheinung, denn man muss darauf achten, dass die Baumaschinen nicht mit den Leitungen in Kontakt kommen, was ein rotes Sicherheitsband 5 m unter der Gefahrenzone verhindern soll. Auf der anderen Seite nimmt man auch auf den kleinen Horenbach Rücksicht, der freundlicherweise bisher nicht begradigt wurde und auch jetzt nicht beeinträchtigt werden soll.
Unterhalb der scharfen Kurve der bestehenden Staffeleggstrasse, wo die Neubaustrecke endet, ist das Gebiet Giebel. Um die Liegenschaften in jener Gegend vor dem Strassenlärm etwas zu schützen, wird auf der Ostseite der Strasse eine begrünte einförmige Steilböschung und auf der Westseite ein Lärmschutzdamm errichtet. Im Infozentrum ist ein entsprechendes Modell vorhanden. Kleine Automodelle fahren bergauf und bergab. Und man hört tatsächlich nichts. Auch in der Tunnelbaugrube ist noch alles schön ruhig.
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