Textatelier
BLOG vom: 16.11.2007

Apotheker-Geschichten: Vipern, Liebesarznei, Abführmittel

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Ein Arzt ohne erstklassigen Apotheker ist wie ein General ohne Artillerie.“
(Jules Romains)
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In diesem Blog nehme ich die Apotheker näher unter die Lupe. Es sind Anekdoten, die mir entweder erzählt wurden oder die ich in älteren Schriften entdeckt habe.
 
Die kaputte Vase
Die folgende Geschichte erzählte mir ein in Ausbildung befindlicher Apotheker, der sich bei der Novartis in Wehr D als Praktikant einige Wochen im Analytischen Labor fortbildete.
 
Der besagte angehende Pharmazeut absolvierte auch in einer Apotheke sein Pflichtpraktikum. Sein Chef hatte wunderschöne Apothekengläser und eine chinesische Vase. Die Vase stand in einer Ecke der Apotheke auf einem Podest. Alle Mitarbeiter, auch unser Praktikant, glaubten, die keramische Kostbarkeit sei das Prunkstück der Sammlung, denn der Apotheker putzte sie jeden Tag sehr sorgfältig. Als der Chef eines Tages zu einer Tagung musste, passierte das Unglück. Der etwas tolpatschige Praktikant stiess die Vase vom Podest. Und da lag sie nun, in vielen Stücken zerbrochen, auf dem Boden. „Was tun?“, dachte sich der Praktikant und kam auf eine glorreiche Idee: Kleben, immer wieder kleben, hiess die Devise. Nach etwa einer Stunde war die Vase wieder wie neu. Er stellte sie wieder zurück auf ihren Platz. „Hoffentlich merkt der Chef nichts“, dachte er.
 
Das Kunstwerk war so vollkommen zusammengeklebt, dass der Chef tatsächlich nichts merkte. Einige Tage später reinigte der Apotheker die Vase wie immer mit einem Staublappen. Nun geschah etwas, womit keiner gerechnet hatte. Er wurde durch einen Kunden abgelenkt und schwupp, die Vase lag auf dem Boden. Als der Apotheker die in vielen Teilen zerbrochene Keramik sah, war er zunächst verdattert, dann fasste er sich und sagte: „Endlich ist die olle Vase kaputt, die war nicht viel wert; sie stammte aus Taiwan.“
 
Sisi orderte 5 Liter destilliertes Wasser
Friederike Oberfrank, die 60 Jahre (1942‒2002) in der Kurapotheke Bad Ischl tätig war, weiss etliche Anekdoten rund um die traditionelle Apotheke zu berichten. Sie kannte noch Herrn Adamec, der in der früheren kaiserlichen und königlichen Hofapotheke beschäftigt war. Wenn das Kaiserehepaar hier weilte, musste Herr Adamec jeden 3. Tag 5 Liter Aqua destillata zur Kaiservilla bringen. Sisi (Elisabeth von Österreich-Ungarn) pflegte mit diesem Wasser und Eiern ihre Haare zu waschen. In diese Apotheke in Bad Ischl kamen viele Prominente, wie der Komponist Franz Lehár, der Schauspieler Theo Lingen, Filmstar Olga Tschechowa („Das war eine so wunderschöne Frau“) und die Theater- und Filmschauspielerin Winnie Markus.
 
Mit Theo Lingen hatte Friederike Oberfrank ein besonderes Erlebnis. Aber lassen wir sie selbst berichten: „Er kam in die Apotheke und hat sich von mir wiegen lassen. ,Aber Herr Lingen’, habe ich gesagt, ,Sie haben noch ihren Rucksack auf dem Buckel!’ ‒ ,Macht nichts’, hat er geantwortet, ,den wiegen wir extra und ziehen ihn vom Gewicht ab!'“
 
Ältestes Apotheker-Herbar
Das älteste von einem Apotheker geschaffene Herbarium mit 233 Kräutern befindet sich heute im Überlinger Stadt-Museum. Der Schöpfer dieses Werks scheint ein wilder Bursche gewesen zu sein. Er hat sich mit dem „blaser uf dem Wendelstein (Münsterturm) geschlagen“, ein „ross tot geritten“, welches der Stadt gehörte, und er soll einige ledige Töchter defloriert haben. Die Strafen wurden ihm jedoch auf Bitten des Vaters wegen seiner Verdienste für die Stadt erlassen.
Quelle: „Das Medizinalwesen der Freien Reichsstadt Überlingen“ von Alexander Munck, Internationale Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie, 1951.
 
Von Arzneien und Apothekern
Schon im 16. Jahrhundert galten grobe Speisen als gesund, und „auserlesene“ führten nach Ansicht der damaligen Mediziner zu Krankheit und Tod. Die Chronisten warnten vor übermässigem Zucker- und Süssspeisengenuss. Die aus Apotheken erhaltenen Arzneien solle man getrost zum Fenster hinauswerfen und auf Gott bauen. Wohl deshalb, weil es infolge der unleserlichen Schrift der Ärzte zu Verwechslungen gekommen ist. In jener Zeit gehörte der „Glaube“ zu den Sympathie- und Geheimmitteln. So gab es Sympathiemittel gegen Brüche. Diese bestanden unter anderem aus Knabenkraut und mit Urin gefüllten Eierschalen. Der zu jener Zeit berühmte Doktor Jörg Han aus Überlingen hatte ein vorzügliches Mittel gegen Melancholie: Es bestand aus einer Latwerge von Goldperlen und Gesteinen. Gegen Epilepsie sollte Menschenblut und gegen die Bisse toller Hunde das Essen der Leber dieses Tieres helfen. Beliebt waren auch Aderlässe und Kuren in Heilbädern. So wurden unfruchtbare Frauen in Wildbäder geschickt.
 
Verwechselte Arznei
Herr von Guttenstein hatte während eines Reichstags in Augsburg eine Buhlschaft. Mit viel Schmeicheleien und Unkosten hatte er die Gunst einer Frau erworben. Damit er auch in der Nacht seiner Auserwählten imponieren konnte, sandte er seinen Kammerdiener mit einem Rezept in die beste Apotheke. Zur selben Zeit begab sich ein Bürger, der arg unter Verstopfung litt, in dieselbige. Er legte ein Rezept mit einem Abführmittel vor. Die beiden Rezepte wurden jedoch vom Gehilfen verwechselt. Da die Arzneien in Latwergeform zubereitet waren, wurde die Verwechslung begünstigt. Der Verstopfte erhielt die Liebesarznei und der Herr von Guttenstein das Abführmittel. Während der Nacht musste der Graf immer wieder das Bett seiner Gespielin verlassen und die Toilette aufsuchen. Es wurde nichts aus der Liebesnacht. Er brauchte noch Tage, um sich von dieser Arznei zu erholen. Der verstopfte Bürger fand keine Erleichterung, im Gegenteil, er blieb verstopft und lief die ganze Nacht unruhig umher.
 
Quelle der letzten beiden Episoden: „Wappen, Becher, Liebesspiel“ ‒ Die Chronik der Grafen von Zimmern (1288‒1566), ausgewählt von Johannes Bühler, Societäts-Verlag, Frankfurt a. M. 1940, und „Aus dem heimatlichen Leben des 16. Jahrhunderts“, auf Grund der Zimmerschen Chronik dargestellt von Eduard Johne, Druckerei Anton Meder, Donaueschingen (ohne Jahresangabe).
 
Geröstete Seide und Vipern in Apotheken
Die frühen Apotheken von Stuttgart und auch anderswo verkauften hauptsächlich inländische Heilpflanzen und Arzneistoffe aus dem Morgenland. Die Heilpflanzen wurden entweder selbst vom Apotheker im Garten gezogen oder von „Kräuterweibern“ und „Kräutermännlein“ gesammelt. Aber es gab auch ungewöhnliche Arzneien in mittelalterlichen Apotheken wie Kot von Bären, Kühen, Ziegen, ferner giftige Vipern, rohe und geröstete Seide, Bocksleber, Wolfsleber und die Lunge des Fuchses. 1561 bezog der Hofapotheker von Tübingen die Exkremente von 2 Löwen, sorgfältig getrennt in 2 Schachteln. In Teig geknetetes und in Pillen geformtes Schlangenfleisch wurde aus Italien bezogen und für die Bereitung des Allheilmittels „Theriak“ gebraucht. In einem Arzneibuch aus dem Jahre 1485 wurde empfohlen, die wenig appetitlichen Arzneien zu versüssen:
„Wie man mit Süss das hinunterkäm’,
Und es der Menschheit macht genehm,
Zu kosten, schmecken, riechen, niesen,
Darob man sonst möchte` sich verdriessen.“ 
Apotheker von Steuern befreit
In vergangene Zeiten herrschten paradiesische Zeiten für Apotheker. Als nämlich 1413 die erste Apotheke in Stuttgart eröffnet wurde, erhielt der Arzneifachmann von der Stadt 10 Scheffel Roggen, 10 Scheffel Dinkel und 2 Eimer Wein, damit sie „desto stattlicher und besser halten möge“. Ausserdem war das Apothekerhaus steuerfrei und vom Frondienst befreit. Johannes Galtz, der Sohn des Gründers Heinrich Galtz, führte die Apotheke nicht zur Zufriedenheit, deshalb wurde ein Nürnberger Apotheker eingesetzt. Dieser musste schwören, nur die besten Arzneien zu verwenden, an den Rezepten der Ärzte nichts zu ändern, Gift und andere Mittel „womit man Leben vertreiben oder sonst andere Bosheit ausüben kann“, an keine verdächtigen Personen zu verkaufen und echten Theriak nicht mit minderwertigen Produkten zu mischen.
Quelle der letzten beiden Episoden: „Unser Stuttgart“ von Wilhelm Seytter, Max Kielmann Verlag 1903.
 
Irrtümer eines Apothekers
Folgende Geschichte erzählt man sich im Renchtal: Kommt eine Frau in Tracht mit einem Henkelkorb in die Stadt zu einem Apotheker. Der Apotheker war immer der Ansicht, eine gute Menschenkenntnis zu besitzen. Er erkannte in der Frau eine Bäuerin, wusste aber nicht, ob er die Frau schon einmal gesehen hatte. Er liess es sich nicht anmerken, sondern dachte sich, im weiteren Gespräch würde er schon alles herausbekommen. Er beugte sich vor und sagte im vertraulichen Ton: „Na gute Frau, wie geht es Ihnen. Was macht ihr Mann?“ Die letzte Frage muss falsch gewesen sein, denn sie schleuderte einen vernichtenden Blick in Richtung Apotheker. Sie erwiderte, ihr Mann sei schon 20 Jahre tot. Dann fragte er nach der Mutter. Aber auch diese Frage war deplaziert, da auch diese schon tot war. Der Apotheker war etwas verunsichert. Dann fasste er sich wieder und nahm einen neuen Anlauf. „Und sonst, wie geht´s daheim?“ Der Apotheker war überzeugt, endlich etwas von dieser Frau zu erfahren. Die Frau holt tief Atem und sagt: „Ha – sie frisst nit unn sie sufft nit unn leit de ganze Dag im Schdrau!“ („Ha – sie frisst nicht und säuft nicht und liegt den ganzen Tag im Stroh!“).
 
Endlich wusste der Apotheker Bescheid. Er fragte die Bäuerin, ob sie krumme Beine habe, was diese verneinte. Der Apotheker empfahl Knochenmehl und Lebertran. Die Frau fragte, ob diese Mittel denn geeignet seien. Da beugte sich der Apotheker vor und entgegnete vertrauensvoll: „Am besten Sie geben ihr Sauwohl! Dreimal täglich einen Esslöffel in die Tränke.“
Der Fachmann hinter der Ladentheke war wiederum auf dem Holzweg. Die Reaktion bei der Patientin war furchtbar. Sie kann im Moment nichts sagen, geht einen Schritt zurück und krächzt dem Apotheker entgegen: „Nai, dess isch doch nit mini Sau, des isch doch mini Schwester!“
Quelle: „Lustige Leute", von Hans Heid, „Aus unserer Heimat", Heimatbeilage der „Renchtäler Zeitung", 1939.
 
Da raste der Stier davon
Ottfried von Zeltingen publizierte in seinem Werk „Riss dir ke Bein erüs“ eine amüsante Anekdote aus dem Elsass: Ein Bauer aus Romansweiler trieb einen jungen Stier zum Fleischer nach Wassle. Als er gerade an einer Apotheke vorbei kam, blieb der Stier stehen, und der Bauer konnte ihn nicht dazu bewegen, weiterzulaufen. In seiner Unbeherrschtheit schlug der Landwirt auf das arme Vieh ein. Der Apotheker beobachtete diese Szene, ging zum Erzürnten und wollte wissen, warum er das Tier schlage. „Willst Du mich foppen? Du siehst ja selber, dass das Mistvieh nicht mehr geht“, schrie der Bauer. Der Apotheker lächelte listig und sagte, er wisse ein gutes Mittel. Er ging in die Apotheke und kam nach kurzer Zeit wieder mit einem Pulver zurück. Dieses rieb er dem Tier einige Zentimeter unter dem Schwanz ein. Nach kurzer Zeit des Wartens wurde der Stier unruhig und sauste dann den Beiden davon. Der Bauer war ganz verdattert. In seiner Not blickte er den Apotheker Hilfe suchend an und sagte zu ihm: „Wenn’s beliebt, Herr Apotheker, jetzt musst mich auch einreiben, sonst erwische ich mein Stierlein nicht mehr.“
 
Und hier noch 2 Anekdoten aus unserem Heilpflanzenbuch „Arnika und Frauenwohl“:
 
Ins Jenseits befördert
Apotheker Frank Hiepe warnte anlässlich eines Interviews im Südwestfunk vor einer Verwechslungsgefahr von Bärlauchblättern mit den Blättern der giftigen Herbstzeitlose. Die Gefahr besteht deshalb, weil manchmal die Herbstzeitlose in der Nähe von Bärlauchbeständen wachsen und die Blätter von Laien nicht immer unterschieden werden können. Frank Hiepe erwähnte einen Vergiftungsfall: Eine Frau sammelte eine Portion Bärlauchblätter, die einige Blätter der Herbstzeitlose enthielt. Sie kochte damit ihrem Gatten ein feines Süppchen. Dieses Mahl überlebte der Mann nicht. Apotheker Hiepe erwähnte auch, wie man Bärlauchblätter leicht von anderen unterscheiden kann. Bärlauchblätter riechen und schmecken knoblauchartig.
 
Eine Kundin, die nach dem Interview in die Wiesental-Apotheke in Zell kam, meinte zu Frank Hiepe: „Herzlichen Dank für ihren guten Tipp.“ Der Apotheker glaubte zunächst, sie bedanke sich für den Ratschlag, wie man Bärlauchblätter von giftigen Blättern unterscheide. Aber die Kundin meinte etwas ganz anderes. Sie sagte: „Nun weiss ich, wie man jemanden um die Ecke bringen kann.“
 
Baldrian gegen Durchfall
Folgender Witz kursiert bei uns im Südschwarzwald. Als ein von Durchfall geplagter Zeitgenosse in eine Apotheke kam und ein probates Mittel verlangte, bekam er von einem Lehrling aus Versehen Baldrian-Tropfen. Als der Apotheker von der Verwechslung erfuhr, war er natürlich ausser sich. Zum Glück kam der Kunde nach einigen Tagen wieder in die Apotheke. Der Apotheker wollte gern wissen, wie das Mittel denn bei ihm angeschlagen hat. Darauf antwortete der Geplagte: „Sehr gut, nun rege ich mich wegen des Durchfalls nicht mehr auf.“
 
Literatur
Scholz, Heinz; Hiepe, Frank: „Arnika und Frauenwohl“ (Heilpflanzen aus Baden-Württemberg, dem Elsass und der Nordschweiz), IPa-Verlag, Vaihingen 2002.
Von Zeltingen, Otfried: „Riss dir ke Bein erüs!“, Sammlung und Deutung der witzigsten alemannischen, meist elsässischen Anekdoten, Selbstverlag, Traenheim, 2. Auflage 1972.
 
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