Schnee! Schwelgen in winterlichen Erinnerungen
Autor: Heinz Scholz
Für viele Erwachsene und vor allem für Kinder ist der Winter die schönste Jahreszeit. Sobald die ersten Schneeflocken fallen und als weisse Pracht die Erde bedecken, sind auch die Kinder nicht mehr in der warmen Stube zu halten. Sie ziehen Winterkleider an, nehmen den Schlitten oder die Skiausrüstung, treffen sich mit Freunden, und schon geht es zum nächsten Hügel. Die Kinder sind glücklich, erzählen, singen und werfen die ersten Schneebälle.
Nach dem Neuschnee von gestern Montag (10 bis 15 cm hier in Schopfheim D) schlug ich heute meinem Enkel eine Schlittenfahrt auf dem Dinkelberg vor; man wohnt ja nicht umsonst im Schwarzwald. Es folgte ein Jauchzen, die Vorfreude war offensichtlich gross. Das Ziel war bald erreicht.
Sofort sauste Manuele mit seinem Schlitten laut lachend zu Tal. Zunächst wollte er unbedingt allein fahren; dann liess er sich doch überreden, eine Fahrt zusammen mit dem Opa zu machen. Da die Fahrt infolge der schwereren Beladung des Schlittens nun schneller vonstatten ging, wollte er nur noch mit mir fahren. Es ist unbeschreiblich, wie glücklich das Kind war! Aber auch den Erwachsenen, die mit ihren Kindern fuhren, machte es sichtlich Spass – mir auch.
Gegen 14.30 Uhr tummelten sich an unserem Hang inzwischen 20 Kinder mit ihren Begleitpersonen. Das war ein teilweise ausgelassenes, wildes Herumfahren! Ein kleines Mädchen, das vielleicht 4 Jahre alt war, konnte nicht lenken, es fuhr kreuz und quer herum. Wir nannten es die „wilde Zora“. Es hatte ein ähnliches Aussehen wie die gleichnamige Figur aus dem Buch „Die rote Zora und ihre Bande“ von Kurt Held. Einmal sauste es auf uns zu – wir stiegen gerade nach einer rasanten Abfahrt wieder in höhere Gefilde –, und ich konnte gerade noch mit einem Ruck unseren Schlitten zur Seite ziehen. Ein anderes Mal fuhr das Mädchen mit ihrer älteren Schwester zwischen 2 aufwärts steigenden Kinder durch. Dabei konnte es das Gefährt nicht mehr halten, und beide stürzten in den weichen Schnee.
Bei dieser Gelegenheit erinnerte ich mich an die Erlebnisse in meiner Jugendzeit. Wir wohnten in den 50er-Jahren in der bayerischen Gemeinde Buchdorf (Kreis Donauwörth), bis 1955. Wir fuhren Schlitten auf der abschüssigen Dorfstrasse oder einen Hohlweg entlang. Ab und zu stiess ein zu rasanter Fahrer mit einem Pferdefuhrwerk, einem Auto oder einem Fussgänger zusammen. Da war jeweils das Wehgeschrei gross.
Besonders gefährlich kann eine Schlittenfahrt auf unbekanntem Gelände sein. Als Kind verliess ich einmal die übliche Rodelbahn, um eine neue Abfahrt zu erkunden. Ich fuhr einen mir unbekannten Hügel hinab. Plötzlich kam ich an einen steilen Abhang, unten sah ich Bäume und einen Bach. Instinktiv warf ich mich vom Schlitten und purzelte in den Schnee. Der Schlitten sauste allein weiter, katapultierte sich über den Abhang und landete zwischen Bäumen im Bach. Schlitten und Fahrer blieben heil. Von nun an mied ich diese Abfahrt.
Während unserer heutigen Winteraktion kam mir auch die Bezeichnung „Schlittenrecht“* in den Sinn. In einigen Gegenden Deutschlands versteht man darunter das Recht der jungen Männer, die Mädchen zu küssen, nachdem sie mit ihnen Schlitten gefahren haben. Darüber wusste schon Wolfgang von Goethe in seinen Werken zu berichten.
Genug der Abschweifungen und Erinnerungen. Die aktuelle einstündige Schlittenfahrt bereitete uns beiden viel Freude. Es war eine wunderschöne Abwechslung, zusammen mit so einem kleinen Erdenbürger Schlitten zu fahren. Hoffentlich gibts auch dann noch Schnee, wenn Manuele erwachsen sein wird!
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* Die Stelle über das Schlittenrecht findet sich in Goethes Werk „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ (2. Teil, 6. Buch). Sie hat den folgenden Wortlaut: „Bei einer großen Schlittenfahrt wird einem täppischen Menschen ein Frauenzimmer zuteil, das ihn nicht mag; ihm begegnet neckisch genug ein Unglück nach dem andern, das bei einer solchen Gelegenheit sich ereignen kann, bis er zuletzt, als er sich das Schlittenrecht erbittet, von der Pritsche fällt, wobei ihm denn, wie natürlich, die Geister ein Bein gestellt haben. Die Schöne ergreift die Zügel und fährt allein nach Hause; ein begünstigter Freund empfängt sie und triumphiert über den anmaßlichen Nebenbuhler. Übrigens war es sehr artig ausgedacht, wie ihn die vier verschiedenen Geister nach und nach beschädigen, bis ihn endlich die Gnomen gar aus dem Sattel heben. Das Gedicht, in Alexandrinern geschrieben, auf eine wahre Geschichte gegründet, ergetzte unser kleines Publikum gar sehr, und man war überzeugt, daß es sich mit der ‚Walpurgisnacht’ von Löwen oder dem ‚Renommisten’ von Zachariä gar wohl messen könne.“
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