Textatelier
BLOG vom: 05.01.2008

Das Rauchen verbieten, das Medikamenteschlucken fördern

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Das Marketing wirds schon richten. Die Abteilungen, die den Absatz durch Werbung und Lenkung des Markts fördern müssen, ob eine Nachfrage besteht oder nicht, sind das Wichtigste in einem Unternehmen überhaupt. Ich habe das am Ende meiner Tätigkeit bei Druckmedien schmerzlich erfahren müssen. Ein Berufsleben lang hatte ich der fixen Idee aufgesessen, Zeitungen und Zeitschriften müssten die besten Rechercheure und Schreiber, kritische Geister mit Erfahrung und von Format, beschäftigen. Dann würden solche Produkte Erfolg haben, aufblühen, Ansehen gewinnen. Und ich trat über die Auswahl der besten Autoren den Beweis dafür an.
 
Dennoch: alles falsch. Die Marketingabteilung versuchte mich (vergeblich) davon zu überzeugen, dass die Auflage noch viel höher wäre, wenn wir nicht so lange und gründlich recherchierte, engagierte Texte absondern würden. Denn die Leute seien Buchstaben gegenüber vollkommen lethargisch, könnten und wollten doch nicht mehr lesen. Die grauen Haare, die sich im Umfeld meiner Schläfen ausbreiteten, waren der offensichtliche Beweis für meine geistige Antiquiertheit. Texte, die über 30 Zeilen hinausgehen, würden sie vertreiben, sagen wahrscheinlich alle Marketingstrategen; so haben sie es gelernt. Ich leistete Widerstand, so lange es noch ging, bis zur Pensionierung. Ein Akt der Befreiung, für alle.
 
Über ein neues Layout, während meiner Abwesenheit ausgearbeitet, wurden Textflächen dramatisch verkleinert, und so ging es konsequent weiter. Mit der Zeit wurden gute Autoren stillgelegt, das Schreiben geradezu kriminalisiert. Wer einen ausgereiften und ausgefeilten Text ausarbeitete, schadete nach allen marketing-strategischen Dogmen der Auflage. Sie stehen in ihrem Status der Bibel keineswegs nach. Bilder mussten her, Bilder, geile Bilder, am besten von Prominenten, und wenn immer sich ein Journalist erdreisten mochte, eine eigene Meinung von sich zu geben, die er nicht gleich durch die Gegenmeinung selber neutralisieren wollte, dann sollte er sich bitte an einen Promi wenden, der diese Meinung an seiner Stelle vertritt.
 
Wenn Sie, liebe Nutzer, wissen möchten, was daraus geworden ist, schauen Sie bitte wieder einmal eine moderne Zeitung oder Zeitschrift an: grosse Titel, noch grössere Bilder und viel, viel Leerraum, wie ihn Layouter-Ausbildungsstätten wahrscheinlich kategorisch vorschreiben. Unbedrucktes Papier ist das Endziel, die Endlösung sozusagen, so makaber es auch klingen mag. Dafür grüssen Superstars schon aus der Kopfzeile. Wahrscheinlich können wir Normalverbraucher, aus Marketingsicht, gar nicht genug von diesem Anblick bekommen.
 
Natürlich verzeichnen die Bezahl-Medien dadurch einen enormen Auflageschwund, weil sie durch Textabschaffungsaktionen dokumentieren, dass sie nicht mehr an sich glauben. Die Gratismedien ihrerseits, welche die Verkürzung ebenfalls zu ihrem Leitmotiv erkoren haben, kommen noch etwas besser weg; allerdings braucht es erhebliche Marketinganstrengungen, um die Menschen zu bewegen, diese Gratisblätter, die wie Laub im Herbst ganzjährig von den Rotationsmaschinen fallen, wenigstens geschenkweise entgegenzunehmen und ihnen 20 Sekunden oder gar 2 Minuten zu schenken.
 
Ich möchte nicht ungerecht sein, nur weil mich der Zerfall im Druckmedienbereich stärker bewegt als gleich gelagerte Vorgänge in anderen, mir weniger nahe stehenden Branchen. So habe ich am 3. Januar 2008 eine Kurzmeldung (rund 20 Zeilen) gelesen, welche eine Studie von Marc-Andre Gagnon und Joel Lexchin von der York-Universität im kanadischen Toronto zusammenfasst, die im Fachblatt „PLoS Medicine" (Bd. 5, Nr. 1) publiziert wurde. Das Resultat der Studie läuft darauf hinaus, dass die Pharmaindustrie im Lande, das unser aller Vorbild ist, fast doppelt so viel Geld für Werbung (57,5 Milliarden USD) wie für die Forschung und Entwicklung (31,5 Mia. USD) hinauswirft. Und in der mediengerechten Kurzfassung hatte gerade noch die Feststellung Platz, dass (wahrscheinlich zur Lockermachung des Gelds fürs Marketing und zur Profitoptimierung) selbst umsatzträchtige Forschungsstandorte aufgegeben würden.
 
Die Schliessung der Forschungsstandorte beelendet mich selbstredend nicht im Geringsten, zumal ich ohnehin keine synthetisierten Medikamente fresse (und deshalb auch noch vollkommen gesund bin). Selbst wenn ein Sektenprediger wie die himmlische Erscheinung Mike Huckabee (52) neuer Leiter der Neuen Weltordnung nach dem grossartigen George W. Bush werden sollte und ich durch die höhere US-Macht gezwungen werden sollte, an die biblische Schöpfungsgeschichte, einschliesslich übriges Altes und Neues Testament zu glauben, würde ich Mittel und Wege finden, das unbeschadet zu überstehen, keine leichte Sache zwar, zugegebenermassen. Und ich brauche selbst dann keine Antidepressiva, wenn ich all den grandiosen Nonsens zur Kenntnis nehme, der aus den USA zu uns über den Atlantik schwappt – was schon etwas heissen will und zusätzlich für meine ausserordentlich robuste psychische Robustheit spricht. Selbst die relativ bescheidenen Forschungsanstrengungen im Pharmasektor stimmen mich nicht traurig; sie beglücken mich eher. Denn je weniger geforscht wird, desto weniger neue krankmachende Medikamente überschwemmen den Markt.
 
Was mir aber einen gewissen Anflug von Tristesse vermittelt, ist der Umstand, dass die Ladenhüter-Medikamente, die noch keine einzige der zunehmenden Zivilisationskrankheiten zu heilen vermochten, nun einfach mit allen Tricks den verdummten, sklerotischen Menschen angedreht werden, die mit allen Verblödungstricks darauf abgerichtet wurden, auf solche Machenschaften hereinzufallen. Laut der erwähnten Studie bringt man die Medikamente mit ihren furchtbaren Nebenwirkungen wie folgt unters Volk: Verteilung von kostenlosen Produktproben, Anzeigen, Briefe und E-Mails, Besuche bei Ärzten sowie Seminare, bei denen für die Verwendung eines neuen Medikaments geworben wird.
 
Soweit die Studie, zu der man sich den Rest denken kann: Die bearbeiteten, zu Vertriebsorganisationen an der Front umfunktionierten Ärzte können sich so ihre teuren Ferien finanzieren, obschon sie dies, zugegebenermassen, durchaus auch aus der eigenen Tasche tun könnten. Sie haben nach den Tagen und Nächten der selbstlosen Aufopferung ein bisschen Spass verdient.
 
Die Forscher, die die Studie ausarbeiteten, stützten sich auf die Angaben von 2 Marktforschungsinstituten sowie auf Zahlen der kanadischen Wissenschaftsstiftung für das Jahr 2004, aus dem aktuellste Zahlen vorlagen. Sie gehen davon aus, dass die Werbeausgaben tatsächlich noch höher lagen, weil nicht alle Posten von den Forschungsinstituten erfasst wurden.
 
Aber darauf kommt es dann auch nicht mehr an. Wir Zentraleuropäer, die wir begierig jeden US-Blödsinn kopieren und wie Schosshunde hinter all den US-Vorgaben und Aktionen des Grauens herlaufen, wissen jetzt wenigstens, was im Arzneimittelbereich auf uns zukommen wird. Der Schweizer Bundespräsident 2008, Pascal Couchepin aus Martigny VS, plant als alibihafte Ablenkungsübung nach all den Rauchverboten auch noch einen weiteren finanziellen Beutezug auf die hinterbliebenen Zigarettensüchtigen (das Päckli soll um die 10 CHF kosten …); das Guinnessbuch der Rekorde hat sein Interesse bereits angemeldet. Aber gegen das gierige Verschlingen von Chemie-Arzneien und Chemikalienzusätzen in Nahrungsmitteln hat die hohe Politik nichts einzuwenden. Und auch den erwiesenermassen alkoholhaltigen berühmten Walliserwein kriminalisiert Couchepin nicht. Die einseitige Raucherhatz ist schliesslich auch in den USA der Brauch.
 
Die ins Marketingwunder eingebetteten Medien, die über Anzeigen von der Propagierung der Medikamente profitieren und sich infolgedessen hüten, ihren Konsumenten klaren Wein einzuschenken, ebnen das Feld für solche Verseuchungen. Die Prohibition, die anderswo viel gerechtfertigter wäre, findet bloss in einer rauchigen Nische statt, die gerade dem aktuellen Modetrend der Eindämmung der persönlichen Freiheiten entspricht.
 
Und das Marketing wird auch die Abschaffung der übrigen Freiheiten und des Datenschutzes schon richten, wenn diese allmächtigen Organisationen den entsprechenden Auftrag erhalten sollten. Vielleicht läuft diese Aktion schon (siehe Buchstaben-Killer in den Marketingabteilungen).
 
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