BLOG vom: 03.02.2008
Was sich an Schreibzeug in meinem Büro angesammelt hat
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
In meinem Büro, das noch etwas nostalgische Atmosphäre ins digitale Zeitalter hinüberretten konnte, gibt es massenhaft Füllfederhalter, sogar noch einen Federhalter, der mit farbigen Schlieren verziert ist, in dem eine biegsame Feder steckt. Ein Tintenlappen wie eine gefüllte Spitzmütze mit einem von Hand gestricktrickelten gelben Schnürchen mit einem Holzkügeli am Ende ist auch dabei. Man stellte solche Schnürchen früher selber her: Ums Loch einer hölzernen Fadenspule waren 4 Rundkopfmessingnägel eingeschlagen. Die Bastler führten ein Wollgarn (vielleicht auch mehrere) durch das Spulenloch und führten es mit einer Stricknadel so kunstvoll um die Nägel, dass eine hübsch gemusterte Schnur entstand. Leider kann ich die Herstellung nicht genau beschreiben, weil sich niemand die Mühe gemacht hat, mich zu instruieren. Dem sagten wir stricktrickeln, ein Wort, das ich im Internet nicht gefunden habe. Und so schenke ich es hiermit der digitalen Welt und selbstverständlich auch der eifrig registrierenden Duden-Redaktion.
Soeben habe ich meine antiquierte Schreibwarenwelt neu organisiert. Das Hauptsortiment machen in meinem Büro Farbstifte, Bleistifte und Kugelschreiber aus. Die Kugelschreiber, die auf einem Blatt Papier keine Spuren mehr hinterliessen, habe ich ausgesondert. Die Blei- und Farbstifte spitzte ich in meiner Caran-d’Ache-Spitzmaschine mit Drehkurbel, die es schon in meiner Schulzeit in den 1940er-Jahren gab. Man dreht die Kurbel, bis das Holz nicht mehr angegriffen wird und alles kraftlos geht – aber es gibt Bleistifte, die könnte man vollkommen durchdrehen – es gibt ja auch Menschen, die das tun. Die Maschine schabt Schicht um Schicht vom Holz und natürlich auch den Graphitstab ab; man muss da schon selber geistesgegenwärtig genug sein und im richtigen Moment anhalten, will man den Bleistift nicht total durchdrehen. Vielleicht war das eine frühe Form der Umsatzförderung – die Bleistifte lieferte schliesslich auch Caran d’Ache.
Ich habe alle Bleistifte und Kugelschreiber mit einem feuchten Lappen abgerieben und in eine unterteilte, schubladenartige hölzerne Schachtel versorgt. Dabei fiel mir auf, dass viele Bleistifte uralt sein müssen. Einige sind hinten (wahrscheinlich von mir und nicht etwa von unserer Hausmaus) angenagt. Vielleicht entstanden solche Nagespuren, wenn mir die richtige Formulierung nicht einfallen wollte. Man könnte das zerfranste Holz als Pinsel gebrauchen.
Interessant aber ist, dass ich noch 2 Aluminiumhülsen zum Verlängern kurzer Bleistifte habe – ja man brauchte Bleistifte und Farbstifte früher möglichst vollständig auf. Sie waren für uns teuer, und man trug Sorge dazu. Die Begegnung mit den Bleistift-Verlängerungshülsen hat mich sympathisch berührt, weil sie in die Zeit vor dem Wegwerf- und dem Loslasszeitalter zur Umsatzförderung zurückgeführt hat. Das Verb „loslassen“ war ein genialer Marketingtrick, wie ich durchaus zugeben will.
Ganz besonders wertvoll ist für mich ein Bleistift, an dessen hinterem Ende sorgfältig eine Kerbe herausgeschnitten worden ist. Auf deren Fläche ist mit Tinte „K.K.“ eingebrannt, das heisst also, der ehemalige Besitzer hat sein Monogramm wohl zum Zwecke hinterlassen, dass bei einer allfälligen Verwechslung des Bleistifts dieses an den rechtmässigen Besitzer zurückgegeben werden konnte. Oder aber es sollte möglicherweise einem Diebstahl vorbeugen; denn etwas, das so genau gekennzeichnet ist, stiehlt man doch nicht.
Seit dieser Entdeckung plagt mich das schlechte Gewissen: Wie kam dieses K.K.-Bleistift in meinen Besitz – es scheint mir ein geradezu kaiserlich-königliches Gerät zu sein. Ich kenne mich gut genug, um hundertprozentig sicher zu sein, dass ich es auf gar keinen Fall gestohlen habe. Es muss sich um eine mir höchst peinliche Verwechslung handeln. Und falls unter unseren Nutzern jemand ist, der dieses Schreibgerät vermissen sollte, ich würde es ihm sofort zusammen mit aufrichtigen Entschuldigungen zurückgeben.
Eine grossartige Erfindung waren die Bleistifte mit einem am oberen Ende eingebauten Radiergummi, mit dem man gleich ausradieren konnte, was man geschrieben hatte. Im Gegensatz zu den herkömmlichen sechskantigen Bleistiften, die sehr gut in der Hand liegen, sind sie aus konstruktiven Gründen rund, denn rund ist auch die Metallhülse, meist aus goldig leuchtendem Messing, welche den Gummi mit dem Stift verbindet. War der Bleistift schneller als der Gummi verbraucht, konnte man diesen immer noch in eine Bleistifthülse einsetzen und weiter gebrauchen.
Und dann sind in meiner Sammlung auch noch einige Drehbleistifte zu finden, mit denen ich mich nie richtig anfreunden konnte, weil meine schwere rechte Hand oft die Mine, dieses dünne, spröde Stäbchen aus Graphit, abgeknickt hat, und zudem hatte ich meistens im entscheidenden Moment keine Ersatzminen zur Hand.
Kürzlich suchte Eva bei Ikea Spreitenbach einige Stapelbehälter; wir waren gerade dort vorbeigefahren, und ich stand unter dem Zwang, mitzugehen, obschon in mir in solchen riesigen Einkaufstempeln sofort Fluchtgedanken auftauchen. Etwas milder gestimmt wurde ich, als in den Riesenhallen kleine Bleistifte neben Einkaufszetteln zur freien Bedienung auflagen. Obschon ich hier überhaupt nichts aufzuschreiben hatte und ich unter keinerlei Bleistiftemangel leide, sicherte ich mir einen solchen nur 16 cm langen, sechseckigen gegenüber dem Normalformat dünneren Stift, auf dem www.ikea.com steht. Bleistifte und Kugelschreiber sind beliebte Werbeträger.
Ich habe einmal gelesen, der Ikea-Gründer Ingaver Kamprad sei ein ausserordentlich sparsamer Mensch, ein Geizhals sogar, der es dadurch zum Multimilliardär brachte. Er soll in Sachen Reichtum selbst mit dem Bill Gates konkurrieren können, so dass es angezeigt zu sein schien, den Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen. Neben dieser finanziellen Stärke soll er auch eine Schwäche haben: eine Schreib- und Leseschwäche nämlich.
All dies zusammen erklärt die Miniaturausgaben der Ikea-Bleistifte. Irgendwo hat das etwas mit dem traditionellen Bleistifte-Gebrauch zu tun, den ich weiterpflegen möchte. Damit dürfte auch die Grundlage für einen persönlichen Reichtum liegen. Der Start scheint mit dem heutigen Schreibzeugordnen gelegt worden zu sein.
PS: Selbstverständlich überprüfe ich auch herumliegende Vogelfedern immer auf ihre Tauglichkeit als Schreibzeuge. Auch davon habe ich ein Sortiment – und weil ich ja schon immer gern geschrieben habe, fühle ich mich reich. Und dieses Gefühl genügt vollauf.
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