Textatelier
BLOG vom: 08.02.2008

Friedrich Ritter: Robinson auf den Galápagosinseln

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Es gibt kein Paradies auf Erden. Das Paradies schafft sich jeder selber – oder die Hölle.“
(Margret Wittmer, ehemalige Insulanerin auf Floreana, 1904‒2000).
*
„Nirgends hat man seine Ruhe, am wenigsten am Ende der Welt.“
(Dr. Friedrich Ritter, Insulaner auf Floreana)
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Vor nicht langer Zeit las ich das Buch „Als Robinson auf Galápagos“ von Friedrich Ritter. Das Werk aus dem Jahre 1935 lieh ich mir von der Wissenschaftlichen Regionalbibliothek in Lörrach D aus. Das Buch interessierte mich deshalb, weil ich auf der Suche nach Anekdoten über Ärzte war. Ich studierte viele Fachbücher und Biographien aus Baden-Württemberg. Besonders fasziniert war ich über die Abenteuer des Dr. Friedrich Ritter, der als Aussteiger und Philosoph bekannt wurde. Er hatte wenig Interesse sich als Arzt in seiner badischen Heimat niederzulassen, sondern wollte ein freies Leben ohne Zwang führen. Er galt in Wollbach, seinem Geburtsort, als eigenwilliger Träumer.
 
Wollbach D mit seinen knapp über 1300 Einwohnern gehört heute zu Kandern. Die Gemeinde, die wir von etlichen Wanderungen her kennen, liegt am Treffpunkt der Täler Wollbachtal und Kandertal im Markgräflerland.
 
Elke Hundt, Lehrerin in Wollbach, schrieb in der Chronik „Wollbach im 20. Jahrhundert“ das Kapitel über den modernen Robinson und erwähnte auch, wie ihn Zeitgenossen sahen: „Zeitgenossen beschrieben Friedrich Ritter als einen kleinen muskulösen Mann mit einer selbstbewussten Stirn und stark lockigem Haar. Es hing ihm der Ruf eines Eigenbrötlers an, der gepaart war mit grosser Willensstärke und unerschöpflicher Energie.“
 
Eine weitere Aussiedlerin war Margret Wittmer, die 1932 mit ihrer Familie nach Floreana kam. Die Wittmers siedelten sich in der Nähe von Dr. Ritter an. Margret Wittmer berichtete über die 1. Begegnung mit diesem Mediziner in ihrem sehr interessant und spannend zu lesendem Buch „Postlagernd Floreana“ wie folgt: „Ich erschrak im ersten Augenblick, als ich diesen merkwürdigen Einsiedler zum ersten Male sehe: (…) Dr. Ritter ist klein, gedrungen, er hat breite, muskulöse Schultern. Auf seinem kurzen Hals sitzt ein seltsam geformter Kopf, ein abgerundetes Dreieck von einem bärtigen Gesicht, in dem die breite Nase auffällt. Scharfe Längsfalten stehen auf seiner Stirn unter dem dichten, etwas ungepflegten Haar. Wenn ich ihm allein begegnet wäre, wäre ich wahrscheinlich vor Angst davongelaufen.“
 
Aber schauen wir einmal in das Buch von Dr. Ritter hinein. Sie werden staunen, was er alles zu berichten hatte.
 
Friedrich Ritter wurde am 24. Mai 1886 als Sohn des Kaufmannes und Bürgermeisters Johann Friedrich Ritter in Wollbach geboren. Er studierte Medizin, Zahnmedizin, Chemie und Naturwissenschaften an den Universitäten Freiburg, München, Heidelberg und besuchte die TH in Darmstadt. Kurze Zeit lebte er als Arzt in Berlin. 1929 verliess er die Stadt und liess sich auf der 18 km langen und 12 km breiten Insel Floreana, die zum Galápagos-Archipel gehört, nieder. Auf der Insel versteckten sich früher in Höhlen Seeräuber, später war auf der Insel eine Strafkolonie angesiedelt. Norweger waren es, die versuchten, die unwirtliche Insel zu besiedeln. Sie gaben jedoch bald auf und hinterliessen Pferde, Rinder, Obst- und Weingärten.
 
Ritter wollte dem Materialismus abschwören und in die Einsamkeit fliehen. Begleitet wurde der Arzt von Dora Strauch. Die Berlinerin war nach einem Nervenleiden gelähmt, aber Ritter konnte sie durch suggestive Kräfte auf wunderbare Weise heilen.
 
Die Beiden liessen übrigens ihre Ehepartner in Deutschland zurück. „Wir verständigten unsere Ehehälften und überliessen es ihnen, nach Belieben die weiteren Konsequenzen zu ziehen. Dabei muss ich doch ausdrücklich betonen, dass keinerlei eheliche Konflikte auf keiner Seite irgendwie bestimmend auf unseren Entschluss einwirkten“, schrieb Ritter in einem Brief. Er hatte also keinerlei Schuldgefühl seiner Frau gegenüber. Das war in der Tat sehr seltsam. Aber auch das Verhältnis zu Dora war nicht als glücklich zu bezeichnen. Wie Elke Hundt erwähnte, reiste sie nach dem Tod von Johann Friedrich Ritter nach Deutschland zurück, wo sie, entkräftet von der harten Arbeit, auf der Insel kurz darauf starb.
 
In unregelmässigen Abständen – manchmal musste er ein halbes Jahr auf die Beförderung seiner Post warten – schrieb er Briefe mit seinen Erlebnissen in die Heimat. Als schliesslich die Presse davon Wind bekam, wurde das Leben dieses Mannes, der die Einsamkeit suchte, in vielen Zeitungen der Welt ausgebreitet. In einem Vorwort des Buches „Als Robinson auf Galápagos“, das 1935 publiziert wurde, ist unter anderem dies zu lesen:
 
„Zahlreiche Besucher erschienen auf der weltfremden Insel, neue Auswanderer suchten ihr Schicksal nach dem Vorbild Dr. Ritters mit der Insel zu verknüpfen. Diese wurde ein Schauplatz von Ereignissen, die bald in stärkstem Gegensatz zu dem einsamen Streben des Siedlerpaares standen. Hass, Missgunst, Zank und Streit – Menschliches, Allzumenschliches schlich sich durch die neuen Ankömmlinge in die Inselidylle ein. Alle Warnungen, die Dr. Ritter aussandte, halfen nichts.“
 
Ritter und seine Begleiterin schafften es in mühevoller Arbeit, den harten vulkanischen Boden zu bearbeiten, alle möglichen Pflanzen anzubauen und davon zu leben. Als Vegetarier assen sie hauptsächlich Früchte, Gemüse, Wurzeln und Hühnereier, nur ab und zu – wenn Gäste kamen oder in Zeiten, in denen Früchte nicht so üppig wuchsen – probierten sie Fleischspeisen. Margret Wittmer schrieb dazu Folgendes: „Dr. Ritter und Frau Dora waren keine Vegetarier aus Überzeugung; sie redeten nur viel über ihre vegetarische Ernährungs-Philosophie, um sich interessant zu machen.“
 
Hier einige Erlebnisse, die Ritter in Briefen an deutsche Freunde zum Besten gab:
 
Drei Begrüssungsarten der Ekuadorianer
Auf der Überfahrt hatten viele mit Seekrankheit zu kämpfen. So auch eine behäbige Bäuerin. Ihr Mann hatte ein probates Mittel gegen diese Krankheit. Er meinte, sie solle so viel Fleisch und so fett und so oft wie möglich essen. Er habe dies nicht nötig, da er als alter Seemann nie Übelkeit verspüre.
 
In Quito (Ekuador) angekommen, erfuhren die Beiden, dass ein ausländischer Arzt kaum die Genehmigung erhielt, eine Praxis zu führen. Nur 2 Ärzte waren bisher zugelassen worden. Ein italienischer Mediziner erhielt zwar die Erlaubnis, durfte jedoch keine Rezepte ausstellen. Er beauftragte einen befreundeten Tierarzt, dies für ihn zu tun.
 
Auf der Rückreise von Quito zum Schiff fielen Ritter die 3 üblichen Begrüssungsarten auf: „... die erste und kühlste ist der Handschlag, die zweite, vertraulichere besteht in gegenseitigem ,Sich-auf-die-Schulter-Klopfen’, und die dritte, innige steigert sich zur regelrechten Umarmung.“ ‒ „Eine weitere seltsame Nationalsitte der Ekuadorianer ist die Folgende: Es ist ihnen verboten, barfuss durch einen öffentlichen städtischen Park zu gehen, während doch die Barfüssigkeit im ganzen Lande Nationaltracht ist.“
 
Er beklagt sich auch über die unhygienischen Zustände in den Hütten auf den Inseln. Oft laufen Schweine, Katzen, Hunde, Ratten durch die Behausungen und so manches „ungezogenes“ Huhn hat freien Zutritt, „dass sie einem aus dem Teller picken“. Abfälle werden aus den fensterlosen Öffnungen der Hütten hinausgeworfen. Überall herrscht undurchdringlicher Morast.
 
Amerikanerin wollte ein Bügeleisen mitbringen
Ritter erhielt viele Zuschriften von Abenteurern, die ebenfalls auf so einer Insel leben wollten. So träumten viele von einsamen Stränden und das genussvolle Baden im Meer. Ritter bemerkte, die Idylle würde trügen, da Haie bis zu einem halben Meter Wassertiefe heranschwimmen. Ein Norweger meinte, die Haie wären nicht so gefährlich, „sie begnügten sich meistens mit einem Arm oder Bein“.
 
Eine Amerikanerin wollte unbedingt ihr Bügeleisen mit auf die Insel bringen, während eine andere Dame sich nach einem Backofen erkundigte. Viele fragten nach den Verdienstmöglichkeiten auf so einer Insel. Sammler wollten, dass der Insulaner für sie Muscheln und Käfer sammle und in einer aufwändigen Verpackung an sie sende.
 
Ritter: „Die meisten Einsamkeitsschwärmer hoffen im geheimsten Winkel ihrer Seele, ich würde ihnen eine Freikarte mit ausführlicher Gebrauchsanweisung schicken, damit sie so rasch und bequem wie möglich in ihr erträumtes Paradies kommen. Wacht auf! Und folgt dem harten Gesetz der Notwendigkeit, das heisst Forderung des Tages! Muss ich ihnen zurufen. Alles andere muss nur Enttäuschungen bringen.“
 
Alle Abenteurer, die dann kamen, verschwanden kurze Zeit darauf wieder von der „paradiesischen“ Insel.
 
Keine Ruhe auf dem Eiland
„Nirgends hat man seine Ruhe, am wenigstens am Ende der Welt“, schrieb Ritter enttäuscht. Grund war zunächst das Auftauchen einer amerikanischen Luxusjacht, auf der Bordfeste abgehalten wurden. Dann siedelte sich die Baronin Wagner de Bosquet in einem Haus an der Postoffice Bay an. Sie hatte vor, ein Hotel für reiche Amerikaner zu errichten.
 
Margret Wittmer war skeptisch, war unsicher, ob es sich hier um eine echte Baronin handelte. Sie war zwar seit 1923 mit dem Franzosen Bosquet verheiratet, kam jedoch mit ihrem „Hofstaat“ Philipson und ihrem Diener Lorenz an. Sie gab an, sie wäre mit Philipson verheiratet. Sie war eine unmögliche und streitsüchtige Person. Sie kam mit niemandem aus.
 
Der von Ritter herbeigesehnte Frieden war nun erheblich gestört. Während eines Jagdausflugs soll die Baronin einen Besucher angeschossen haben. Als nämlich der begleitende Soldat und die Baronin gleichzeitig auf ein Schwein schossen, fiel nicht die Sau um, sondern der Besucher Arenz. Er wurde mit einem Bauchschuss in ein Krankenhaus eingeliefert. Er überlebte die Attacke. Ritter und andere beschuldigten die Baronin. Das Einschussloch wurde nämlich durch ein 6-Millimeter-Geschoss verursacht. Der Soldat hatte jedoch ein Mauser-Dienstgewehr, Modell 88. Der Schuss konnte also nur von der Baronin abgegeben worden sein.
 
Nach diesem Vorfall sagte die Baronin: „Ich bin inselmüde. Dieser ewige Kampf mit Doktor Ritter und seiner Gefährtin, die mich nicht als Baronin anerkennen will, zermürbt mich. Wenn ich jetzt Gelegenheit hätte, ich würde die Insel sofort verlassen.“
 
1935 war es dann soweit. Die Baronin verliess das Eiland und wurde nie mehr gesehen.

In seinen Schilderungen vergleicht Ritter manche Berge auf der Insel mit dem Belchen oder Feldberg; an anderer Stelle schwärmt er von den Schwarzwaldtannen. Auf der Insel gab es nämlich nur das harte, krumme Akazienholz, das sich für den Hausbau als denkbar ungünstig erwies.
 
Ein offizieller Vertreter in Ekuador habe sich über das Herumlaufen der Beiden im Evakostüm auf der Insel beschwert und meinte, es sei eine „Schande für ganz Deutschland“, hier nackt zu leben. Wie Ritter bemerkte, haben sich die Beiden nie nackt vor Gästen gezeigt, sondern sich immer etwas übergezogen.
 
Tragisches Ende
Ein tragisches Ereignis beendete das Leben des „Robinsons“ im Jahre 1934. Die nach Deutschland zurückgekehrte Dora Strauch berichtete darüber. Beide hatten eine kleine Probe eingewecktes Hühnerfleisch aus einem aufgegangenen Konservenglas gegessen, um es auf Geniessbarkeit zu überprüfen. Ritter zog sich eine Fleischvergiftung zu, während die Partnerin gesund blieb. Die Krankheit führte innerhalb von 2 Tagen unter schwersten Vergiftungserscheinungen zum Tode. „Eines tragischeren Todes hätte Dr. Ritter nicht sterben können“, so der Kommentar des Herausgebers seiner Briefe.
 
Literatur
Feser, Volker: „Von Seefahrern, Siedlern und satanischen Sagen“, Exploring Ecuador, 1997-2007; im Internet nachzulesen unter http://www.exploringecuador.com
Ritter, Friedrich: „Als Robinson auf Galápagos“, Grethlein Verlag, Leipzig 1935.
„Wollbach im 20. Jahrhundert“, herausgegeben von der Evangelischen Kirchengemeinde Wollbach, 2002.
Willmer, Margret: „Postlagernd Floreana“ (ein aussergewöhnliches Frauenleben am Ende der Welt), Bastei Lübbe Verlag, 6. Auflage 2006.
 
Internet
 
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