BLOG vom: 12.04.2008
Kleine orientalische Geschichten: Die Rettung der Krüge
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
Es gibt Tage, an denen ich am liebsten in einer Dunkelkammer schreibe, weil von draussen der Lichteinfall zu grell ist und mich hinter der Schreibfläche meines PCs blendet und ablenkt. Ich ziehe die Storen tief. Sie sind genau so tiefblau wie die Umrahmung meines Schreibfensters. So wird der Einfall oder Gedanke leicht geknipst und rascher getippt. Wie eine Fotografie entwickelt sich dann das Bild in der Hirnschale des Heimlabors zum Bild – zum Wortgebilde. Rasch ziehe ich die Storen wieder hoch: Ist die Aufnahme verwackelt? Liegt sie schief? Ist sie unter- oder überbelichtet? Kann sie verbessert werden? Besser frage ich mich positiv: Ist sie gelungen und liegt sie richtig, weder zu hell noch zu dunkel? Das sind Fragen der Einstellung in der persönlichen Optik.
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In welchem Element fühlt man sich wohl? In jenem, das zuletzt Freude abwirft, bin ich geneigt zu sagen, selbst wenn sie zuerst viel Mühe und Geduld abfordert.
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Eine Anekdote ist mir haften geblieben: Eine Frau beauftragte ihren Mann, ein Dutzend Walnüsse als Zutaten zum Essen zu kaufen. Auf dem Markt fand er sie in einem Krug. Er griff in den Krug und umklammerte die Nüsse in der Faust. Allein, es gelang ihm nicht, die Faust aus dem Krug zu befreien, so sehr er sich auch bemühte: Seine Faust blieb im Topf eingeklemmt. Zerbrich mir ja nicht den Topf, sagte der Händler besorgt. Zaungäste umringten den Mann, und einige hielten und zerrten umsonst am Topf. Ein Sufi (persisch für weiser, heiliger Mensch) erschien und riet: „Lass die Nüsse los.“ Befreit zog der Mann die Hand aus dem Gefäss.
Da es um Zutaten ging, füge ich meine eigene hinzu: Der um den Topf besorgte Händler schüttete dankbar die Nüsse nicht in die Hände des Käufers, sondern in jene des Sufis als Geschenk des Himmels. Die Güte des Sufis‘ war grenzenlos. Er trug dem Mann die Nüsse nach ins Haus, wo das Gericht bereits in Kochtopf brodelte und wurde nach gastfreundlichem Brauch zur Mahlzeit eingeladen.
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Vom Sinn der Ohrfeige zur rechten Zeit: Die Bewandtnis zum Krug und der Bezug auf Persien rechtfertigt diese Anekdote: Mullah Nasredin befahl seinem Sohn, beim Brunnen Wasser zu holen. Ehe er ihm den Krug reichte, versetzte er ihm eine schallende Ohrfeige und drohte: „Zerbrich mir ja nicht den Krug!“ Der Nachbar hatte das mit angesehen und schalt Mullah Nasredin: „Warum schlägst du ihn … er hat ja nichts verbrochen?“ Mullah Nasredin antwortete: „Wenn ich ihm die Ohrfeige nachher versetzt hätte, nachdem er mit zerbrochenem Krug ohne Wasser zurückgekommen wäre, wäre es zu spät gewesen. Jetzt habe ich ihm vorneherein hinter die Ohren geschrieben, ja vorsichtig zu sein.“
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Auf der Karriereleiter, ob in der Politik oder im Geschäft, erklettern viele die höchste Stufe ihrer Dummheit.
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Der aufrecht Gehende schreitet auf die Gefahr, hinzufallen. Der Kriecher fällt nicht, aber er kann keinen Gefallenen aufrichten.
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Wer schon scheut Kosten, um Geld zu sparen?
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Es kommt öfters vor, dass ich ein Buch verliere und vergeblich danach suche. Das letzte Mal fand ich es wieder, wie ich beim Essen zufällig in die Ecke blickte. Jetzt weiss ich, was ich tun muss, wenn ich das nächste Mal meine Brille verliere.
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