Textatelier
BLOG vom: 20.06.2008

Demokratie-Ende: Globalisierung erträgt Volksmeinung nicht

Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Das Wort „Demokratie“ im Zusammenhang mit Grossbritannien kann man jetzt getrost vergessen: Nach dem britischen Oberhaus hat sich am Abend des 18. Juni 2008 auch das Unterhaus für die Ratifizierung der neuen EU-Verfassung, die jetzt verharmlosend als Lissabonner Vertrag bezeichnet wird, ausgesprochen. Damit haben nunmehr 19 von 27 Staaten unterschrieben. Das war zwar nicht anders zu erwarten gewesen, doch dass auch noch beschlossen wurde, in Grossbritannien keine Volksabstimmung durchzuführen, gibt schon zu denken. Denn es geht ja um nicht weniger als um die Abschaffung der Eigenstaatlichkeit; der Weg wird geöffnet, damit alle Kompetenzen nach Brüssel auswandern können. So könnten die Mitgliedstaaten zur Aufrüstung verpflichtet und EU-Militäreinsätze (wahrscheinlich im Schlepptau der Kriegsnation USA) ohne parlamentarische Zustimmung ermöglicht werden; dass die Völker zu schweigen haben, versteht sich von selbst. Wenn es ein einziges Mal einen Grund für eine Volksabstimmung gäbe, dann hier. Da geht’s an die Substanz. Am Schweizer Fernsehen wurde das vom Brüsseler Korrespondenten am Abend des 19.06.2008 in der „Tagesschau“ als „Stärkung der Demokratie“ in der EU verkauft. So werden wir informiert und allmählich verkauft ...
 
Genau beim Essenziellen muss das Volk ausgeschaltet werden; denn es ist in London bekannt, dass etwa 86 % der Briten zu dem Ermächtigungsgesetz Nein sagen würden, das als „Lissabonner Vertrag“ daher kommt. Eine Ahnung von der Volksstimmung gaben die Proteste auf der Zuschauertribune des britischen Oberhauses, wo auf das Nein der Iren – Irland ist der einzige von 27 EU-Staaten, in dem das Volk befragt wurde – und auf den Umstand darauf verwiesen worden ist, dass es sich beim House of Lords um kein gewähltes Gremium handle. Was sich Königin Elizabeth II. denken wird, wenn sie das Ratifizierungsgesetz in voller Kenntnis der Konsequenzen unterschreiben wird? Ich würde mich konsequent weigern, habe es aber nie zum König gebracht, was als Schweizer zugegebenermassen recht schwierig ist.
 
Der Unterhaus-Abgeordnete Bill Cash, Leiter der Londoner Europa-Stiftung, will „tiefgreifende Neuverhandlungen“ herbeiführen, womit er mit dem Gedanken eines Austritts aus der EU spielt. So lange das Volk ausgeschaltet ist, wird das selbstverständlich nicht gelingen. Und der Geschäftsmann Stuart Wheeler will die britische Regierung gerichtlich zum Referendum zwingen. Verzweiflungsakte mit wenig Aussicht auf Erfolg.
 
Der Vorschlag des deutschen Philosophen und Soziologen Jürgen Habermas, mit einem europaweiten Referendum die Gretchenfrage nach Europa zu stellen (die einzige anständige Lösung), hat schon gar keine Chance, weil das Resultat das EU-Ende bedeuten würde.
 
Ich erwähne dies hier, weil die innerbetrieblichen Vorgänge in der EU zu den vielen Beispielen dafür gehören, dass in der globalisierten Welt die Demokratie keinen Platz mehr hat, keinen Platz mehr haben kann. Beides schliesst sich aus. Die so genannte Wertegemeinschaft, die alle demokratiefernen Länder als Schurken abgestempelt hat, betätigt sich als besonders hinterlistiger Oberschurke. Man spielt etwas vor, das nicht mehr sein darf: Volksherrschaft.
 
In der Schweiz, offiziell noch EU-frei, spüren wir das auch. Wir sind über Bilaterale Verträge wie das Schengen-Abkommen mit der EU verbandelt und werden nun auf diesem Wege unserer weltweit einzigartigen Demokratie scheibchenweise beraubt und üben uns im autonomen Nachvollzug dessen, was immer in Brüssel ausgeheckt worden sein mag, neuerdings beim Asyl- und Ausländerrecht. Der Aushöhlungsprozess läuft. So muss nun die Schweiz die maximale Ausschaffungshaft an einen EU-Beschluss anpassen und von 25 auf 18 Monate verkürzen, weil die Schweiz ja zum Schengen-Raum gehört. An sich ist das keine Tragödie, doch zeigt auch dieser Vorfall wieder, wie leicht unsere Beschlüsse ausgehebelt werden können. Unser jetziges Ausländerrecht haben wir erst 2006 in einer Urnenabstimmung angenommen – und schon wird darum herumgefeilt, jenseits des Volks. Die EU agiert über dem Volk.
 
Ein anderer Fall, wo unsere demokratische Einflussnahme praktisch illusorisch wurde, ist die Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf Bulgarien und Rumänien. Die eingeschränkte Fragestellung lautet nun: Freizügigkeit für alle 27 oder nichts. Das heisst, wenn wir Nein zur Erweiterung auf die beiden erwähnten osteuropäischen Länder sagen würden, wäre dies ein Nein auch zu den übrigen 27 Ländern. Das schweizerische Parlament hat ein Gesamtpaket geschnürt, so dass eine differenzierte Stellungnahme, wie sie uns früher versprochen worden war, elegant verunmöglicht wurde.
 
Das Vorantreiben der Globalisierung mit dem Endziel des Zentralismus, der totalen Beherrschung und der Überwachung durch die an den Hebeln der Macht operierenden Globalisierer wird sich also vor allem in der Kunst der Ignorierung des Volkswillens üben müssen. Dabei ist sie ihrer Geschmeidigkeit beim Umgehen mit der lästigen Basis bereits auf einem bewundernswert hohen Stand angelangt.
 
Buchhinweis
Hess, Walter, und Rausser, Fernand: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com GmbH, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7. CHF 37.20, EUR 24.10.
 
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