BLOG vom: 27.06.2008
Bio-Marché Zofingen: Fehlender Hunger und fehlende Hörner
Autor: Walter Hess, Biberstein CH (Textatelier.com)
Viele vermeintliche Lebensweisheiten entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Dummheiten. Eine davon ist diese: Man soll Lebensmitteleinkäufe immer nach und niemals vor dem Essen machen. Schliesslich behauptet auch niemand, man erbringe im ermüdeten Zustand die besten Arbeitsleistungen.
Die Sache mit der falschen Einkaufsterminierung beruht auf der Erfahrung, dass man mit Hungergefühlen im Bauch mehr einkauft als in einem gesättigten Zustand – und das Essen beginnt mit dem Einkauf. In der Einkaufspraxis wirkt sich das dann derart aus, dass man nach einer sättigenden Mahlzeit vollkommen desinteressiert an den Köstlichkeiten vorbeiwandert und die Aufgabe, sich mit Nahrung einzudecken, vernachlässigt oder nur noch in ungenügendem Masse wahrnehmen kann. Man wäre ja gescheiter daheim geblieben, statt die Zeit in einem Einkaufstempel zu vertrödeln.
Ich habe das am 22. Juni 2008 hautnah erlebt, als wir den 9. Bio-Markt („Bio Marché“) in Zofingen (www.biomarche.ch) besuchten. Wir hatten daheim aufs Mittagessen verzichtet und wollten uns auf dem Markt so biologisch verpflegen, wie das auch in unserem Haushalt üblich ist. Wir sind keine besonderen Liebhaber von Agrogiften und schädigenden Zutaten aus dem E-Nummern-Sortiment und schlagen auch um Genverändertes möglichst grosse Bögen, wo immer dies überhaupt noch möglich ist.
Wir trafen am erwähnten Tropensonntag um etwa 13 Uhr in Zofingen ein und wollten zuerst einmal zu Mittag essen, um den Rhythmus nicht zu verlieren. Der seit 2002 mit dem „Goût Mieux“ ausgezeichnete Loohof“ aus Oftringen (www.loohof.ch) bot in und neben der Markthalle gute Gerichte an. Ich wählte einen Curry-Reis mit Früchten, einem Melonenschnitz und ein paar Streifen von gebratenem Pouletfleisch, was auf knackige Eisbergsalatblättern arrangiert war. Das Fleisch wurde frisch gebraten, und wir wurden exzellent bedient; da war eine engagierte Equipe am Werk. Ich ass noch ein Stück frisches Brot dazu und trank ein Glas Süssmost und war dann angenehm gesättigt. Das Gefühl gut, gesund und mit etwas exotischem Pfiff gegessen zu haben, war berechtigt. Ganz in der Nähe erzeugten die Robaflores auf Blechfässern karibische Klänge, die zur Aussentemperatur passten.
Dann war die Exkursion zu den etwa 150 Ständen mit allem, was die Bio-Landwirtschaft hergibt, an der Reihe. Man konnte Gebäck, Käse, Trockenfleisch, Würste und alles mögliche Andere degustieren; doch das alles interessierte mich nicht mehr gross, und nur mit etwelcher Überwindung kaufte ich einige Delikatessen ein, wandte mich aber schwerpunktmässig den geistigen Genüssen zu. So freute ich mich, als mir eine hübsche junge Dame eine Zeitung in die Hand drückte, auf deren Titelblatt die Schlagzeile „Kuhhörner, mehr als ein Kopfschmuck“ zu lesen war. Im nachfolgenden Text zur biologisch-dynamischen Landwirtschaft stand geschrieben: „Kühe mit Hörnern sind alles andere als selbstverständlich geworden. Hornlosigkeit ist schon fast die Norm. Kühe auf biodynamischen Höfen (Demeter) sind ganze Kühe. Sie tragen Hörner.“
Der Text gefiel mir, sprach mich an, hatte meine Zustimmung. Denn ich ärgere mich immer über die Hornochsen aus dem Landwirtschaftsbereich, welche nichts Gescheiteres zu tun wissen, als Hornamputationen durchzuführen und die Kuhprodukte am Ende gegebenenfalls gerade noch unter „Bio“ verkaufen. Die erwähnte Zeitung „Fonds Goetheanum“ (www.fondsgoetheanum.ch) aus CH-4143 Dornach (Kanton Solothurn) begründet die Bedeutung des Horns für die Kuh folgendermassen: „Eine Kuh mit Hörnern bietet einen stolzen und schönen Anblick. Das Horn als Sozialorgan erlaubt den Kühen, das labile Gleichgewicht zwischen Einzeltier-Sein und Herdentier-Sein zu finden und zu halten (…) Das soziale Gleichgewicht der Herde kann gestört sein, etwa wenn für die behornten Tiere zu wenig Platz vorhanden ist. Die Kühe sind dann unruhig und können aggressiv werden. Enthornte Kühe brauchen weniger Platz, die Kosten für den Laufstall sind tiefer. Platzbedarf und Kosten sind die beiden häufigsten Gründe für das Enthornen. Die Regel ist, dass den Kälbchen die Hornansätze weggebrannt werden. Neuerdings werden auch Rassen eingesetzt, denen das Horn weggezüchtet wurde.“
Soweit der Textauszug, der meines Erachtens eine weitere Verbreitung verdient; die Enthorner verdienen es, auf die Hörner genommen zu werden. Dass sogar Hornwegzüchter ihr Unwesen treiben, wusste ich bisher nicht. So werden ganze Tiere verstümmelt, nach menschlichem Gutdünken umgebaut, als ob wir es besser wüssten als die Natur. Zwar sieht man in der letzten Zeit wieder mehr Vieh auf der Weide, doch die Hornlosigkeit steht in krassem Widerspruch zu dieser tierfreundlichen Massnahme. Enthornte Tiere werfen einen dunklen Schatten auf das Naturverständnis der Bauern, dem die Tiere gehören. Sie beweisen, dass dieser Herrscher über Tiere und Natur bereit ist, sich über die Natürlichkeit hinwegzusetzen, dass er die Naturgegebenheiten brutal dem kommerziellen Denken unterordnet.
Ich weigere mich zu glauben, dass der Platzgewinn durch konsequente Hornamputationen von existenzieller Bedeutung für einen Bauernbetrieb sein könnte, auch wenn sie einer der vielen Auswüchse der destruktiven Hochertragsphilosophie sind, unter der ja alle Branchen leiden. Wahrscheinlich ist der Imageschaden, den hornlose Tiere einem Landwirtschaftsbetrieb zufügen, grösser als der minime Nutzen durch Platzgewinn im Laufstall. Und so bin ich überzeugt, dass die Bauern eben sowie wie die Gewässerkanalbauer konsequent umdenken müssen. Auch bei den Gewässerkanalisationen ging es um einen Platzgewinn (weniger Auslauf für das Gewässer), dessen Folgekosten sich dann in Überschwemmungen bemerkbar machten. Niemand kann ungestraft in die Natur eingreifen, womit ich dieser Natur keine Rachegelüste unterstellen will: Es geht einfach um Folgen, die sich aus Naturgesetzmässigkeiten ergeben – und die können auch psychologischer Natur sein.
Zu einem Bio-Markt gehört die Aufklärung wie auch der Verkauf hochwertiger Produkte. Ein Nutztierzoo auf dem Chorplatz in der wunderschönen, hochmittelalterlichen Zofinger Altstadt mit ihren gepflegten Barockbauten und Bürgerhäusern mit Ründen im Bernerstil zeigte bedrohte Schafrassen wie Walliser Landschafe, Bündneroberländer Schafe, Spiegelschafe und Engadiner Fuchsschafe. Die Botschaft: Hört mit der blödsinnigen Vereinheitlichung im Rahmen des Hangs zum Grössenwachstum auf!
Die Zofinger Version ist eine Version eines Bio-Markts, die neue Massstäbe im Lebens- bzw. Ernährungsverhalten herbeiführen will. Diese Veranstaltung wird als „grösstes Bio-Festival der Schweiz“ bezeichnet. Die Veranstalter sind bei der Zulassung der Aussteller und Teilnehmer im Allgemeinen wählerisch (Geschäftsführerin der Bio-Marché AG ist Dorothee Stich). Das bedeutet ein vertrauensbildendes Anheben der Qualität. Zugleich wird ein Einblick ins Geschehen über die Region hinaus gegeben, so etwa mit Bezug auf die entsprechenden Anstrengungen in den Bergkantonen. Am Bio-Markt 2008 (20. bis 22. Juni 2008) war zum Beispiel die Vermarktungsinitiative „alpinavera“ zu Gast. Sie präsentierte eine grosse Zahl von Bio-Erzeugnissen aus den Kantonen Graubünden, Zürich und Glarus: Getreideerzeugnisse, Fleisch wie den Glarner Netzbraten, Wein, Bier, Spirituosen usf., einschliesslich dem Siemi von Surrein GR, ein Getränk aus Holunderblüten, die mit Zucker und Zitronensäure 6 Wochen lang gären durften. Und alles ist in einen festlichen Rahmen aus Musik, Gauklern und Kinderparadiesen mit etwas Nostalgie wie einem handbetriebenen Karussell umgeben.
Und so kommt denn hier durchaus auch auf die Rechnung, wer keinen Hunger hat.
Hinweis auf ein weiteres Blog über den Bio-Marché Zofingen
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