Textatelier
BLOG vom: 08.11.2008

Auf Reiner- und Bruggerberg: Wasserschloss- und Alpenblick

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Zweifellos ist der Energie- und Wasserkanton Aargau im Wasserschloss am wässrigsten, also dort, wo Reuss und Limmat in die Aare einmünden. Das Schauspiel ist vom Reinerberg aus (direkt oberhalb von Lauffohr) besonders eindrücklich zu sehen. Der ehemalige Nationalrat Peter Bircher aus Wölflinswil hat mich kürzlich auf diesen Aussichtspunkt aufmerksam gemacht – ein guter Tipp.
 
Am Sonntag, 02.11.2008, machte ich mich zu dieser kleinen Exkursion auf, fuhr von Biberstein aus linksufrig der Aare entlang über Umiken und Brugg nach Lauffohr und zweigte nach links ab: gegen Vorderrein, das heisst dem Fuss des Bruggerbergs entlang.
 
Der Bruggerberg ist eine hügelartige Erhebung im Aaretal, die sich bis maximal 522 m ü. M. erhebt und gegen Südosten steil abfällt. Sie reicht von Umiken bis Vorderrein (rund 3,5 km) und ist maximal 1,5 km breit ist (zwischen der „Au“ bei Brugg und Rüfenach). Dieser Hügel ist reich an Pflanzen und Tieren, hat also bedeutende ökologische Werte und nimmt damit eine bedeutende Vernetzungsfunktion wahr. Als weitgehend unbebautes Gebiet dient es der Funktionstüchtigkeit der national bedeutenden Auengebiete Umiker Schachen und Wasserschloss, indem es einige wenig gestörte Wandermöglichkeiten und damit Durchlässigkeit für Tierwanderungen bietet – seit meinem Spaziergang in diesem Gebiet weiss ich, wie schön ein ungestörtes Wandern ist. Der Brugger Stadtrat (Exekutive) hat die ökologische Bedeutung des Bruggerbergs aufgrund eines Gutachtens in einem Bericht aufgezeichnet, als der Einwohnerrat 1996 noch unüberbaute Gebiete am Bruggerberg der Bauzone zuweisen wollte. Dagegen erhob die Pro Natura Aargau Einspruch, worauf die Planung zurückgewiesen wurde. Die Ökoinsel Reiner-/Bruggerberg ist noch einigermassen intakt, auch wenn die Forstwirtschaft mit brachialen Mitteln dort ihr Geschäft betreibt.
 
Rein
Auf den Bruggerberg kann man von Brugg oder aber von Vorderrein aus steigen, wobei keinerlei Kletterausrüstung nötig ist. Ich entschied mich für den Aufstieg ab Rein, genauer ab Vorderrein, wo die exponierte Kirche ist. Sie wurde 1864 nach Plänen von Johann Kaspar Wolf, damaliger Zürcher Staatsbaumeister, im Historismusstil mit schlichten neuromanischen Elementen erbaut, das heisst man griff auf altbewährte Stilelemente zurück; die Neugotik ist es, die den markanten Turm prägt. Der stattliche Kirchenbau verfügte damals über 700 Sitzplätze, ist heute aber unterteilt, so dass ein Saal für verschiedene Anlässe zur Verfügung steht.
 
Die Kirche diente den Reformierten eines grossen Einzugsgebiets (Remigen, Rüfenach, Villigen, Stilli und Lauffohr). 1940 wurden durch Beschluss des Aargauer Grossen Rats alle Reformierten in der Gemeinde Würenlingen und auf dem Gebiet Siggenthal Station der Kirchgemeinde Rein zugeteilt. Nach dem Anschluss von Lauffohr an die Stadt Brugg im Jahr 1972 blieben die Reformierten im Gebiet der ehemals selbstständigen Gemeinde kirchlich bei Rein. Die Lauffohrer machen heute immerhin einen Viertel der rund 3800 Mitglieder der Kirchgemeinde Rein aus.
 
Neben der Kirche sind das 1788 erbaute Pfarrhaus, das heisst das nach einem Brand von 1948 mit der herkömmlichen Raumaufteilung neu erstellte Gebäude, sodann ein Friedhof mit Grabsteinen, die in der Grösse normiert sind, und auch ausreichend Parkplätze, wo man seinen Untersatz deponieren kann. Von dieser Anhöhe aus kann man das untere Aaretal mit den Industrieanlagen von Siggenthal, vorab dem Portland-Cement-Werk, gut einsehen. Dieses Vorderrein (nicht zu verwechseln mit dem Vorderrhein, den die Bündner für sich gepachtet haben) ist wie auch Hinterrein ein Dorfteil von Rüfenach AG. Auf den 1. Januar 1898 sind die Gemeinden Rüfenach und Rein auf Befehl des Grossen Rats gegen ihren Willen vereinigt worden. Hier gibt es Industrie, Gewerbe und eine Staudengärtnerei (Martin Dietwyler beim Hasel) für Naturgartenfreunde und eine riesige Glasbautenanlage in der Neumatt, die in der Talebene fast so viel Platz wie das übrige Dorf einnimmt (die Profiflor Pflanzen AG an der Reinerstrasse, die Pflanzen aufzieht und mit Pflanzen handelt).
 
Auf den Berg
Mitten im Dorf, das sich auch Vorder Rein schreibt, ist ein Wanderwegweiser, der zum Aussichtspunkt „Ufem Berg“ (35 Min.) weist; zum Bahnhof Brugg wären es von hier aus 80 Wander-Minuten. Zuerst steigt man auf dem Holzweg bergan, ohne auf dem Holzweg zu sein. In einem Garten standen noch die mit Eichenblättern dekorierten Überreste eines Schneemanns, dessen Rüeblinase bereits abgefallen war, und beim Waldeingang hat die Grenzbrigade 5 in Erinnerung an die Zeit zwischen 1938 bis 1994 einen Gedenkstein hingestellt. Dann erreicht man das „Holz“ – den Wald, ein Mischwald mit Laub in allen Rot-, Gelb- und Brauntönen. Man kommt an einem Brunnen aus Holz vorbei, den die Forstverwaltung Brugg 1998 montiert hat und der sein Wasser ruckweise spendet, als ob er unter Prostata in einem fortgeschrittenen Zustand leide. Der durstige Wanderer würde hier gern erfahren, ob es sich um Trinkwasser handle, wahrscheinlich schon.
 
Der Weg verläuft fast horizontal, verlässt oberhalb Hinterrein den Wald und gibt die Sicht zu den Dörfern Rüfenach und Remigen vor dem Geissberg frei. In den Spittelhalden wendet sich die Waldstrasse aufsteigend dem Reinerberg zu, vorbei an bewachsenen Nagelfluh-Strassenbördern und Holzbeigen. Schnurgerade steuert die Waldstrasse mit ihrem Mergelbelag, die von roten Buchenblättern neben einigen Nassschneeresten geziert war, dann dem Reinerberg-Höhepunkt (510 m) zu. Immer wieder zweigen mit Holztafeln bezeichnete Wege ab, so etwa der Chaufbergweg oder, weiter oben, der Brünnlihaldenweg. Auf dem Höhepunkt ist eine forstlich neu bepflanzte Kahlschlagfläche mit gepflanzten Jungbäumen anzutreffen, die mit Plastikumhüllungen versehen sind; Lärchenzweige sind durch ein engmaschiges Plastikgitternetz gewachsen. Solche Kunstforste rufen in mir wenig Begeisterung hervor; würde man die Naturverjüngung abwarten, wären solche hässlichen Massnahmen unnötig – die Natur, lässt man sie gewähren, stellt gratis so viele Bäume zur Verfügung, dass davon auch etwas für die Rehe bleibt.
 
Wasserschlossblick
Eine Holztafel im Biodesign mit dem eingebrannten Wort „Wasserschlossblick“ lehrt, dass man am richtigen Ort ist. Ein schmales Weglein führt zum Aussichtspunkt in der Nähe einer hoch aufragenden Swisscom-Antenne, an der nur Warntafeln angebracht sind; eine Auskunft über die Funktion dieser Anlage gibt es nicht. Und dann liegt das Wasserschloss zu Füssen des Wanderers, der sich jetzt direkt über Lauffohr befindet. Man versöhnt sich wieder mit der Forstverwaltung Brugg, die diesen Rastplatz 2001 eingerichtet hat, gesponsert von der Forstkommission Brugg, der B.-&-H.Haller-Storz-Stiftung und Rudolf Summermatter. Die Bäume, welche die Aussicht stören würden, sind gefällt.
 
Das Landschaftsbild, das sich vor dem Berggänger ausbreitet, ist imposant, lässt auf den Kampf zwischen menschlicher Bautätigkeit und Naturansprüchen schliessen. Die Flusstäler sind intensiv überbaut, und auch die Flüsse haben davon einiges abbekommen, um Nutzungsansprüchen besser dienen zu können. Im Vordergrund ist die Urmutter der Aargauer Gewässer, die Aare, in welche die Limmat auf der Höhe von Lauffohr einmündet. Der Blick reicht bis nach Baden am Fusse der Lägeren. Eher etwas im Verborgenen liegt die etwas südlich einmündende Reuss, die ihre letzte Krümmung bei Gebenstorf passiert. Sie taucht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zwischen Bäumen unter.
 
Alpenzeiger
Von hier aus sind es 15 Minuten zum Alpenzeiger am Bruggerberg. Und es ist ein Muss, diese kleine Strecke über einen breiten Waldweg zurückzulegen, bei nur bescheidenen Höhendifferenzen. Auf einem Freiberger Pferd kam mir eine stolze Reiterin entgegen. Beim Alpenzeiger (503 m) hat man eine ausgezeichnete Sicht auf Brugg und, klare Luft vorausgesetzt, zu den Alpen. Der Verkehrsverein Region Brugg und das Einkaufszentrum Neumarkt Brugg haben dort die Installation einer Panoramatafel aus Messing mit einem aufklappbaren, auch mit den Füssen bedienbaren Deckel ermöglicht, die eine wertvolle Orientierungshilfe ist. Die Vorlage fürs Panorama stammt von Xaver Imfeld, der es 1886 gezeichnet hat. Geätzt wurde es im Oktober 1928 von Walter Schüepp in St. Gallen, also vor 80 Jahren; es ist dementsprechend etwas mitgenommen. Die Zeichnung beschreibt die Gipfel zwischen Glärnisch, Pilatus, Wetterhörnern und Gübenerfluh im Gantrisch-Gebiet.
*
Mit all den Landschaftsbildern im Kopf wanderte ich zurück und machte noch einen kleinen Umweg über Hinterrein, ein friedliches bäuerliches Dorf mit einem dichten Netz breiter Strassen. Neben Lauch- und Maisplantagen kehrte ich nach Vorderrein zurück, geleitet vom spitzen Kirchturm mit dem Grünspan-Kupferdach, dessen Spitze von 4 kleinen Türmchen umgarnt ist, und der Turmuhr mit den goldenen Ziffern.
 
Es war 16.05 Uhr, und bereits stellte sich ein abendlicher Eindruck ein. Das Pfarrdorf Rain (damalige Schreibweise) sei „sehr angenehm gelegen“, schrieb Franz Xaver Bronner in „Der Canton Aargau“ 1844.
 
Man kann ihm bedenkenlos zustimmen.
 
 
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