Textatelier
BLOG vom: 18.11.2008

Bellelay (04): Wo ein Moor wieder langsam aufwachsen darf

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
In den Tallagen der Freiberge finden sich viele Moore (tourbières); man trifft sie dort an, wo die Jurafalten abgetragen und vollständig zu einem Plateau umgewandelt worden sind. Die Niederschlagsmengen sind auf der verkarsteten Hochebene grösser als im Mittelland, und dennoch sind oberirdische Flussläufe selten. Früher war das noch anders: Im Spättertiär trugen Flüsse die Ketten ab und spülten die erodierten Gesteine weg. Dann erhob sich der Freiberger Block erneut, und der Doubs tiefte sein Bett weiter ein. In den ausgelaugten Landschaften aus Kalkstein, den so genannten Karstlandschaften mit den trichterförmigen Vertiefungen (Dolinen), versickert das Wasser, und es erscheint dann in tiefer gelegenen Tälern wieder, weshalb grosse Flächen des Gebiets einen Wassermangel haben.
 
Nur an Stellen mit wasserundurchlässigen Mergel- und Tonschichten (Oxfordien) haben sich Teiche und dann Moore gebildet: Flach- und Hochmoore. Das bekannteste in den Freibergen ist das Schutzgebiet Etang de la Gruère bei Saignelégier. Vor allem während des 1. und 2. Weltkriegs wurde dort Torf gestochen, ein preisgünstiges Heizmaterial. Heute sieht man von den dafür nötigen Einrichtungen kaum noch etwas; nur die grossflächigen Vertiefungen in der Ebene sind Hinweise auf den einstigen Abbau. Inzwischen ist vor allem die Gärtnereibranche zu den Hochmoorfeinden geworden – dadurch sind riesige Moorflächen zusammen mit den spezialisierten Pflanzenarten in aller Welt vernichtet worden.
 
Ein kleines Moor befindet sich in der Ebene südlich von Bellelay (Berner Jura, Gemeinde Saicourt), in der Vacherie de l’Oiseau (932 m ü. M.). Es wird La Sagne genannt, ist gut 1,2 km lang und bis zu 200 m breit und steht unter Naturschutz (Landeskarte der Schweiz 1:25 000, Blatt 1105, „Bellelay“). Wie einer Orientierungstafel „Die Regeneration des Moores“ zu entnehmen ist, wurde dieser ganze Sektor früher intensiv ausgebeutet, und daran hat sich die Phase der langsamen Erneuerung angeschlossen, nachdem die alte Entwässerung 1993 verschlossen worden ist. Flora und Fauna, deren Vielfalt bereits wieder hoch ist, können sich jetzt wieder erholen.
 
Das Moor wird auf der Südseite von 2 Wäldern begleitet: dem Forêt de Montbautier und dem Fôret derrière la Rouge Eau (hinter dem roten Wasser). Dies sind Mischwälder aus Fichten, Waldföhren und Birken. Die Fichten und Föhren sind auf erhöhten und deshalb trockenen Standorten anzutreffen, und in Senken, die zwar sehr nass, aber nicht überschwemmt sind, stockt der so genannte Torfmoos-Birkenwald. Seitlich gibt es Hochstaudenfluren. Die zentralen Ereignisse ist der Schwingrasen (Marais tremblant) und Seggen (Touradons, Laiches).
 
Über einen Steg (Plattform) aus Holz, das wie die nahen Laubbäume üppig mit bläulich-grauen Flechtenrosetten der Gattung Parmelia saxatilis, wenn ich mich nicht irre, überzogen ist, kann der Wanderer einige Meter ins Moor hinein gehen und seine Beobachtungen aus leicht erhöhter Warte machen. Am Tage unseres Besuchs (06.11.2008) war die Winterruhe bereits eingekehrt. Ein vorangegangener Schneefall hatte die Pflanzenstängel niedergedrückt. Am Birkenwaldrand lagen in den Vertiefungen der braunen, aus kleinen Pflanzenhügeln und -rinnen (Bulten und Schlenken) bestehenden Fläche, also auf hügelig-weichen Pflanzenpolstern noch immer kleine Schneereste. Manche Schlenken, die mit braunem Wasser angereichert sind, können sich zu so genannten Kolken oder Blänken vereinigen – das sind dann die Mooraugen, die zur Moor-Romantik gehören.
 
Darauf werden im Frühjahr neue Pflanzen wachsen und die unteren Teile zum Absterben bringen. Weil der Untergrund stark durchnässt, sauerstoffarm und versauert ist, wird der biologische Abbau erschwert, und es bilden sich Schichten aus unzersetztem Pflanzenmaterial, das man Torf (Torfmull) nennt. So wächst die Torfdecke Schicht um Schicht in die Höhe und wölbt sich am Ende wie ein Uhrglas leicht auf … was zu der nahen Uhrenindustrie gut passt … Der Prozess läuft ganz langsam ab.
 
In diesem Moor verändert sich die Vegetation in Abhängigkeit des Abstands zwischen Bodenoberfläche und mittlerem Wasserstand sowie der gerade zur Verfügung stehenden Wassermenge. Übergangsmoore bilden sich vor allem in den zuletzt ausgebeuteten Torfstichen; sie sind meist tief und noch vollständig unter Wasser. Sie bezeichnen das Zwischenstadium, bevor sich die Hochmoor-typische Vegetation wieder einstellen kann. Hier gedeihen Pflanzen, wie sie für Hoch- und Übergangsmoore typisch sind, zum Beispiel mehrere Seggenarten. Zu den Rosinen gehört der Rundblättrige Sonnentau; im Gebiet von Bellelay ist dies das einzige bekannte Vorkommen einer fleischfressenden Pflanze. Sie fängt mit Hilfe klebriger Drüsen kleine Insekten, welche sie anschliessend verdaut. Damit reichert die Pflanze ihre Nahrungspalette an.
 
Ein kleines Bächlein fliesst in der Nähe: La Sorne. Auf diesem Gewässer, das demnächst ein Stück weit renaturiert werden soll und das Gebiet dadurch zusätzlich aufwerten würde, lagen weisse Schaumfetzen, die wie geschlagenes Eiweiss aussahen. Das sei nur an dieser einzelnen Stelle, bei einem Brücklein, der Fall, sagte mir Evi Lachat, die ganz in der Nähe das Pferdezentrum betreibt. Solche Schaumkronen sind natürlichen Ursprungs und können sich bilden, wenn sich Stoffe aus dem lehmigen Untergrund mit dem Torf, d. h. der darin enthaltenen Humussäure (Huminsäure) aus abgestorbenen Lebewesen, mischen. Sie haben also für einmal nichts mit Detergentien aus Waschmitteln zu tun.
 
Und noch ein Gewässer erweckt die Aufmerksamkeit des Bellelay-Besuchers: ein grosser, mit Bäumen umrahmter Löschwasserweiher westlich der Pferdestallungen, der bereits pflanzlich besiedelt ist und vielleicht auch einmal zu einem Hochmoor wird, je nach (unterlassenem) Unterhalt. Im Norden sind die Wohnhäuser des Weilers Bellelay mit ihren Satteldächern aufgereiht – mit Sätteln weiss man in dieser von Pferden geprägten Landschaft schliesslich umzugehen.
 
Und nach dieser eindrücklichen Exkursion fühlte ich mich für die Niederschrift einiger Bellelay-Blogs gesattelt.
 
Quellen
Burckhardt, Dieter: „Die schönsten Naturschutzgebiete der Schweiz“, Verlag Ringier, Zofingen.
Fuchs, Arnold, und van Hoorick, Edmond: „Der Jura“, Silva-Verlag, Zürich 1986.
 
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