Textatelier
BLOG vom: 19.11.2008

Slow Food: Weisse und schwarze Trüffel scheibelt der Chef

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Kein Gestank betört die Genussfähigen unter der Menschheit stärker als jener der Weissen Trüffeln (Tuber magnatum pico), die auch gleich einen der teuersten Düfte verbreiten. Viele Leute werden davon magnetisch angezogen; es gibt aber auch andere. Etwa 10 000 CHF beträgt der momentane Kilopreis – noch 1995 hatte dieser erst bei etwa 3000 CHF gelegen. Und etwa 730 g pro kg sind reines Wasser, das ja auch seinen Preis hat. Die Nachfrage war vorübergehend gestiegen, nachdem neuerdings auch Russen und Chinesen auf den Gestank der weissen und schwarzen „Diamanten der Küche“ gekommen sind; im Moment aber leidet der Absatz wieder wegen der allgemein verbreiteten Wirtschaftskrise.
 
An einer Wohltätigkeitsversteigerung in Italien wurde 2006 ein 1,5 kg schwerer Alba-Trüffel noch für 125 000 Euro von Gordon Wu vom Ritz-Carlton-Hotel in Hongkong ersteigert. Das wäre heuer nicht mehr möglich. Die von den USA ausgegangene Finanzkrise hat selbst der Luxusknolle einen Tiefschlag versetzt. An der Trüffelauktion vom 09.11.2008 im Maskensaal der Schlossburg Grinzane Cavour (Italien, Region Piemont) wurde für einen 850 g wiegenden weisser Trüffel von einer japanischen Unternehmerin 24 000 Euro (rund 35 000 CHF) bezahlt; 2007 waren für einen 750 g schweren Weissen noch 143 000 Euro hingeblättert worden. „La Stampa“ (Turin) schrieb dieser Tage in ihrem Auktionsbericht, dem Trüffel gehe es schlechter als der Wallstreet; der Preiseinbruch betrug rund 70 %, bei den grössten Exemplaren rund 85 %. Einige Aktientitel können da allerdings sehr wohl mithalten.
 
Der Weisse Trüffel
Und natürlich schreckt auch das Slow-Food-Convivium Aargau/Solothurn nicht zurück, wenn irgendwo ein Tartufo bianco di Alba (Piemont) auftaucht, zumal unverfälschte Naturprodukte ohnehin ganz oben auf der kulinarischen Prioritätenliste der genussfähigen Langsamesser stehen. Auch Ex-Jugoslawien wie Istrien und Nordspanien (Baskenland) liefern den begehrten Schlauchpilz, der gern im Boden unter Steineichen, Pappeln, Linden, Nussbäumen usf. wuchert.
 
Ist er einmal gefunden, braucht es nur noch den richtigen Koch, der weiss, dass Weisse Trüffel niemals gekocht werden dürfen und der einfach das richtige Umfeld für die Trüffelspäne bietet. Ein solcher ist Albi von Felten vom Landhotel „Hirschen“ in CH-5015 Erlinsbach AG an der Strasse, die zur Saalhöhe hinauf führt. Er selber hobelt im häuslichen Kreis einige Scheiben vom Schwarzen Trüffel aufs Frühstücksei, um einen neuen Tag stilvoll zu beginnen – es muss nicht immer die weisse Variante sein. In der Regel werden die weissen Herrlichkeiten als dünne Scheiben über hausgemachte Teigwaren wie Nudeln gelegt. Und damit b(P)asta.
 
Doch beim SF-Anlass vom Abend des 14.11.2008 diente ein Kalbstartar (Battuta di vitello) als rundes Sockelelement, über das der Chef höchstpersönlich ungefähr 1 Gramm vom Weissen raffelte – er meinte es mit den Gästen gut. Doch von dem sagenhaften penetranten, würzigen Geruch, wie er besonders zur Reifezeit auftritt, war nur noch wenig zu spüren, ob man das loben oder ankreiden will, sei dahingestellt. Das Trüffelfleisch war leicht gräulich und, wie es sich gehört, von feinen gelblichen bis gelblichbraunen, vielfältig verschlungenen Äderchen durchwebt. So war nach meinem Gusto denn das Kalbstartar die eigentliche Sensation dieses Einstiegsgerichts in den Pilzabend; möglicherweise war es mit einer Spur Abrieb von einer Orangenschale zart und angenehm parfümiert. Dazu trank man eine Fully-Spezialität (Coteau de Plamont) (2006) von Marie-Thérèse Chappaz. Trotz seines eigenwilligen Charakters ordnete sich dieser Wein schön unter – eine harmonische Rarität aus dem Wallis.
 
Albi von Felten begleitete fachkundig durch den Abend, der mit Lammsalami mit eingebauten Baumnüssen und marinierten Champignons zu einem Spumante Brut („Charme“) von Angelo Delea in Losone TI im opulenten „Hirschen“-Weinkeller begonnen hatte. Der Wirt bietet nur Produkte an, zu denen er eine persönliche Beziehung aufgebaut hat. So stand auf den vorweihnachtlich gedeckten Tischen ein Fläschchen mit dunkelgelbem, trübem (unfiltriertem) Rapsöl von Matthias Rösche, der dieses in der alten Käserei in Egliswil im Aargauer Seetal in Handarbeit nach alter Tradition sorgfältig herstellt und das ein feines Holzaroma in sich trägt, wie ich es empfunden habe. Man tunkt Brot hinein und freut sich des leicht herben Geschmacks.
 
Der 2. Gang bestand aus einem Schaumsüppchen aus frischen, dickfleischigen Steinpilzen, das nach frischem Laub, Nüssen, Rapsöl, Knoblauch (Chnobli) und Schalotten duftete. Ein Zwischengang voller Eleganz.
 
Der Schwarze Trüffel
Dann wandte man sich den Schwarzen Trüffeln zu, die schon den Gastroposophen Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755‒1826) betört haben. Das dazu ständig strapazierte Zitat lautet so: „Der Trüffel vermag Frauen sanfter und die Männer liebenswürdiger zu stimmen.“ Diesbezüglich war nach meiner Beobachtung kein Bedarf vorhanden; denn die gut 30 Personen umfassende Gesellschaft war schon vor dem Lammsalami sanft und friedlich gewesen. Ganz andere Sitten herrschen offenbar bei Trüffelsuchern im Ausland, die ihre Hunde streng bewachen müssen, damit sie nicht von Mitkonkurrenten vergiftet werden. Und mein Tischnachbar Paulo Bleisch aus CH-5023 Biberstein erzählte mir von Trüffelsammlern in Italien, die von einem bewaffneten Bodyguard oder einem scharfen Hund beschützt werden müssten, damit sie mit ihrer wertvollen Fracht nach der Jagd auf Trüffel (in Frankreich: „chasse aus truffes“) nicht überfallen werden. Ins Kapitel Kriminalität gehören auch Fälschungen mit dem synthetisch herstellbaren Trüffelaroma oder der Zugabe von Stücklein von schwarzen Oliven oder Totentrompeten, die Schwarze Trüffel vortäuschen.
 
In der Schweiz hat der Waadtländer Pflanzenzüchter François Blondel damit begonnen, in den Kantonen Genf, Waadt und Neuenburg Trüffel-Plantagen anzulegen (Bäume mit Pilzsporen zu impfen), auch im Auftrag von Landwirten (bisher rund 10 ha). Ob die Schwarzen da mitmachen, wird sich noch weisen.
 
Albi von Felten lief beim Vorzeigen gefüllter Körbchen mit Schwarzen Trüffeln (Tuber melanospurum vittadini) zur Hochform auf; denn damit kann man wirklich kochen und der Kilopreis liegt ums Zehnfache unter demjenigen des Weissen Alba- oder Piemonttrüffels – bei etwa 1000 CHF. Zur günstigen Preisgestaltung trägt auch bei, dass man nicht unbedingt ins Périgord fahren muss, um diese schwarzen, zerfurchten Knollen zu finden. Es gibt ihn nämlich auch im Aargauer Jurabereich, weil Trüffel kalkhaltige Böden lieben, so den Waldrändern entlang zwischen Aarau und Biberstein. Es kann vorkommen, dass nach einem Aarehochwasser die Schwarzen Trüffel aus dem erodierten Sand herausschauen. Ich darf gar nicht daran denken, wie viele jeweils nach intensiven Regenfällen in die Turbinen des Kraftwerks Rupperswil-Auenstein gespült werden; es würde mich nicht wundern, wenn den Steckdosen bei Hochwasser im Herbst ein dezentes Trüffelaroma entweichen würde.
 
Ein einheimischer Gärtner fand laut von Felten in einem Rosenbeet schwarze „Teerklumpen“, wie er zuerst meinte – es waren Schwarze Trüffel. Es gibt sie auch im unteren Fricktal mit seinen Buchen-Eichen-Wäldern, im Schenkenbergertal und auf der Juraweide in meiner Wohngemeinde Biberstein, wobei sie allerdings nicht einfach am Flurwegrand herumliegen … Manchmal haben sie eine stattliche Grösse und wiegen bis 250 g. Vor allem haben hier etwa 3 Frauen mit Trüffelhunden, wozu sich der lockige Lagotto Romagnolo ausgezeichnet eignet, recht gute Sammelerfolge. Mit den Hunden muss ständig gearbeitet werden, damit sie ihr Talent nicht verlieren. Anderswo werden auch Trüffelschweine zu Hilfe gerufen, die allerdings seltener eingesetzt werden, schon weil sie mühsam im Auto zu transportieren sind und es schwierig ist, zu verhindern, dass sie die wertvollen Funde gleich selbst essen. Auch Trüffelfliegen, welch letztere sich genau dort niedersetzen, wo Trüffel im Boden sind, werden als Wegweiser benutzt.
 
Die Trüffel sind ausgesprochene Frischprodukte; sie sollten höchstens 10 Tage gelagert werden, wobei sie pro Tag etwa 2 bis 3 Prozent ihres Gewichts und wohl auch von ihrem Aroma verlieren. Man bewahrt sie mit Vorteil in einem Glas mit Reiskörnern auf und kann dann diesen Reis zu einem wohlduftenden Risotto zubereiten. Die Wintertrüffel riechen intensiv, die Burgundertrüffel sind diesbezüglich etwas zurückhaltender, und die Sommertrüffel sind weniger wertvoll, nicht zu vergleichen (etwa 200 CHF pro Kilo). Aus Asien kommt gelegentlich der indisch-chinesische Tuber indicum, der noch billiger ist (um 80 CHF/kg). Es gibt schätzungsweise 100 Trüffelsorten.
 
Die „Hirschen“-Küche, die zur „Trüffel“-Küche wurde, verarbeitete lokale Schwarze Diamanten innerhalb einer im Ofen gebackenen Mägenwiler Poulardenbrust, der Fricktaler Trüffelscheiben unter die Haut geschoben worden waren. Am Tisch hobelte der Wirt höchstpersönlich grosszügig zeremoniell Trüffelscheiben über die butterzarte Brust. Der dunkle Trüffeljus setzte Massstäbe. Dazu wurden Griessgnocchi und Herbstgemüse serviert. Der Barrique-Merlot „Lavertezzo“ (2003), wiederum von Delea in Losone, untermauerte das Festessen stilrein.
 
Der Käsegang setzte sich aus einem Trüffelbrie und dem in der Stadtchäsi Lichtensteig SG hergestellten rotschmierigen, aussen tanninhaltigen „Bergfichte“-Käse zu getrüffeltem Kartoffelstock zusammen. Diese Kombination war hervorragend, ein Musterbeispiel von Kreativität. Ich trank den Solaris (Schloss Wildegg, 2005), gekeltert von Robert Obrist, Schinznach-Dorf, dazu. Ein Zwetschgengratin mit Vanilleglacé rundete das Menu ab.
 
Der Service war perfekt untadelig. Als ich alle Zettel vollgekritzelt hatte, erhielt ich von der Lebenspartnerin des Wirts, Silvana Lück, unaufgefordert neues Notizpapier. So etwas an Aufmerksamkeit ist mir noch selten passiert.
 
Interna
Der Anlass war von Ruedi und Vreni Schulz, CH-8965 Berikon, Norditalien-Kenner, mit Geschick organisiert worden. Das Essen, inkl. Apéro, aber ohne andere Getränke, kostete 140 CHF und wurde für Mitglieder aus der Vereinskasse ausnahmsweise mit 50 CHF subventioniert.
 
Giuseppe Domeniconi, eine treibende Kraft und Vizepräsident der Stiftung Slow Food Schweiz (www.slowfood.ch), verwies auf die neue Zeitschrift „slow.ch“ (Leitung: Ursula Hasler), deren 1. Nummer dem Thema „Tisch“ gewidmet ist und dazu viele exzellente Beiträge enthält. „slow.ch“ ist die Nachfolgerin des „Adagio“. Das neue Magazin wird den rund 3000 SF-Mitgliedern in der Schweiz zugestellt und kann auch an Kiosken gekauft werden (Druckauflage: 10 000). Es markiert Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein und kann weitere Unterstützung brauchen, damit die schnelle Industriekost (Albi von Felten: „Körperverletzungsprodukte“) verlangsamt und zu einer regional abgestützten Gesundheitsnahrung wird, von der auch verantwortungsbewusste Produzenten anständig leben können. Es müssen nicht immer Weisse oder Schwarze Trüffel mit ihrem sogar aphrodisischen Nimbus sein – aber sie sollten zumindest nicht ausgeschlossen werden.
 
Hinweis auf Blogs über weitere Slow-Food-Anlässe
29.08.2006: Brunegg: Langsam essen, Wasser trinken nicht vergessen
Hinweis auf weitere Blogs von Eisenkopf Werner
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