Textatelier
BLOG vom: 19.12.2008

Der Unsinn von Prognosen, Prophetien, Meinungsumfragen

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
„Wenn ein Prophet redet und es trifft nicht ein,
so hat es der Herr nicht geredet“
5. Mose 18,22
 
Um den Jahreswechsel herum feiern die Prognostiker gerade in Krisenzeiten ihre Hochkonjunktur. Man erwartet von ihnen etwas Zuversicht. Sie wissen ja genau, was passieren wird, und wenn es dann halt ganz anders herauskommt, hört man nichts mehr von ihnen, weil sie gerade wieder ihre nächste Prognose austüfteln. Oder sie halten es mit Nassiv Nicholas Taleb, der in seinem Buch „Der Schwarze Schwan“ zu Ereignissen, die sich uns auf verzerrte Weise präsentieren, schrieb: „Da unser Gedächtnis begrenzt und gefiltert ist, neigen wir dazu, uns an diejenigen Daten zu erinnern, die im Nachhinein zu den Fakten passen – es sei denn, wir sind wie der eponyme (fiktive Person mit dem Namen einer Sache im Sinne von ,Nomen est omen’) Funes aus der Kurzgeschichte ,Funes el merioso’ von Jorge Luis Borges, der nichts vergisst und dazu verdammt scheint, die Last der Anhäufung nicht verarbeiteter Informationen zu leben (was ihm nicht allzu lange gelingt).“ Der deutsche Titel lautet: „Das unerbittliche Gedächtnis.“
 
Die Extrapolatoren
Eine der bekanntesten, einfachsten und deshalb häufigsten Prognosetechniken ist die Extrapolation: Man glaubt aus der Faktenansammlung heraus die Geschichte zu kennen und nimmt einen gleich bleibenden Weiterverlauf an. Die Durchmischung des Geschehens mit dem Zufall, eine selbstständige Kategorie, bleibt die grosse Unbekannte, die ausgeblendet bleiben muss. Das aktuelle Beispiel: die Finanzkrise, made in den USA, die zur Weltwirtschaftskrise geworden ist.
 
Täglich kommen neue Kapitalverbrechen aus dem Land der unbegrenzten Abzockereien ans Licht, so etwa jene des amerikanischen Finanzbetrügers jüdischer Herkunft und früheren Nasdaq-Chefs Bernard Madoff, eine einst hochgejubelte Wallstreet-Legende. Madoff hat mit seinem Schneeballsystem Milliarden ergaunert. Jetzt sind wieder viele Banken, auch kleinere Institute in der US-hörigen Schweiz, betroffen, ebenso (laut „Wall Street Journal“) jüdische Hilfsorganisationen, die von einer „Katastrophe“ sprechen. Die hochgelobte US-Börsen- und Finanzaufsicht SEC, die den Banken jetzt mehr Spielraum bei der Bewertung fauler Kreditpapiere lässt, drückte schon vorher alle Augen zu – eine offensichtlich sehr Vertrauen einflössende Institution auf dem Zuverlässigkeitsniveau der Ratingagenturen. Und wie bei all den US-Betrügereien im Zusammenhang mit dem American Way of Credit (im staatlichen und privaten Bereich) werden die Schulden globalisiert, weil jetzt ja alles zusammenhängt. Der Globalisierungstrick funktioniert auch in solchen Fällen. Der verantwortungslose Stil des Lebens und Wirtschaftens der Amerikaner hat derartige Dimensionen angenommen, dass die ganze Weltwirtschaft davon in den Abgrund gerissen wird.
 
Das hatte so niemand vorausgesagt. Auch der spontane Fall der Berliner Mauer – 1989 hatte noch kein Seher davon gesprochen – und der Bau der Israel-Mauer kamen überraschend; man hatte ja solche Schandtaten als überwunden betrachtet. Anderseits traf der für die Jahrtausendwende vor allem aus religiösen Kreisen prophezeite Weltuntergang nicht ein. Ob es den Cern-Experimentatoren in Genf mit ein paar Jahren Verzögerung noch gelingen wird, diese Apokalypse mit Hilfe des Teilchenbeschleunigers via das Schwarze Loch nachzuholen, wird sich weisen. Wegen einer Panne wurde unsere Gnadenfrist noch etwas verlängert.
 
Auf dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise kann fröhlich extrapoliert werden, dass die nächste Zukunft wirtschaftlich desolat sein wird, zumal ja die US-Amerikaner entweder ihr Leben auf Pump weiterführen (die praktische Abschaffung des Leitzinses wird sie im Leben über ihre Verhältnisse hinaus beflügeln) oder als massgebende Konsumenten ausfallen werden. Auch Barack Obamas angekündigter Billionen-Rettungsversuch durch die Instandstellung der zerfallenden US-Infrastruktur wird auf Pump geschehen; er dürfte den US-Staatsbankrott immerhin augenfälliger machen. Ob Leitzins oder Konsum über die zur Verfügung stehenden Mittel hinaus: Da will man wieder einmal die Probleme mit der gleichen Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Dass das niemals gelingt, wusste schon Albert Einstein.
 
Weil die Wirtschaftswelt noch kaum gemerkt hat, dass sie multipolar geworden ist (China, Indien, Russland), wird sie bei der verhängnisvollen Fokussierung auf Amerika ihre depressive Stimmung weiterpflegen. Das ist eine grobschlächtige Prognose, die sich jedermann aufdrängt. Aber sie kann natürlich durch unvorhersehbare markante Ereignisse, wie etwa wenn Obama seine Atomkriegsdrohungen gegen den Iran in die Tat umsetzen sollte, noch in unvorhersehbarer Weise abgewandelt werden.
 
Wunschdenken und Desinformationen
Bei vielen Prognosen spielen das Wunschdenken, bei anderen aber bewusste Desinformationen mit. Die biblischen Propheten als Gottes zornige Boten schüchterten das Volk ein, auf dass sich ihre Anhängerschaft vergrössere und der Glaube der Verängstigten gestärkt werde. Sie sahen sich eher als Verkünder des göttlichen Willens denn als Weissager; doch weil die Strafen ja in der Zukunft zu erwarten waren, kann man sie getrost zu den richtigen Propheten zählen.
 
Das Wunschdenken seinerseits wächst meistens aus den Bauchgefühlen heraus, das vielerorts an die Stelle des kritischen Denkens getreten ist und eine fortgeschrittene geistige Erblindung markiert. Wahrscheinlich wird sich bei der weiteren Evolution der Menschheit das schrumpfende Gehirn allmählich in den Bauchbereich hinunter verlagern. Selbst bei mir ist der Bauch inzwischen grösser als der Kopf.
 
Die allermeisten Bankanalysten arbeiten offensichtlich aus dem hohlen Bauch heraus, was an den Resultaten deutlich abzulesen ist. Sie haben auf den US-Hypotheken- und anderweitigen Schuldbriefschrott bis hin zu Hedge Fonds aus den US-Dunkelkammern gesetzt, bis es selbst ihren Kunden zu dumm wurde. Aber da war es bereits zu spät.
 
In der Finanzbranche gehören Prognosen zur Tagesordnung, besonders im Börsen- und anverwandten Fondsbereich. Denn wenn jemand genau wüsste, was für Kurse die nächsten Wochen bringen würde, müsste er nicht mehr als Analyst oder Wirtschaftsprognostiker tätig sein – er würde ein Vermögen machen, genau wie das die vielen auf die Nase gefallenen Hedge Fonds geplant hatten. Die Pleiten in diesem schrankenlos agierenden Sektor haben sich in diesem Jahr 2008 des Anlegerunheils dramatisch erhöht – sie dürften in diesem Jahr 2008 gegen 1000 gehen.
 
Die Propheten geben sich nicht geschlagen. Sie fühlen sich nach den Lehren der Religionsgeschichte als Mittler mit übermenschlichen Begabungen, die im Namen einer Gottheit (wie dem Geld) auftreten und in deren Auftrag ein geheimes Wissen über die Zukunft offenbaren. Sie sagen Heil oder Unheil voraus, je nach den Bedürfnissen des Markts. Selbst nach all den Pleiten wird von den durch nichts aus der Ruhe zu bringenden Visionären munter drauflos prognostiziert.
 
In einem Mitteilungsblatt für Kapitalanleger, das mir am 15.12.2008 ins Haus geflattert ist, liest man zum Beispiel: „Gegenüber dem CHF erwarten wir den USD in 3 Monaten bei 1.15“ und: „Wir gehen für die nächsten 3 Monate von einer Seitwärtsbewegung des EUR/CHF aus.“ Im gleichen Mitteilungsblatt der regional verankerten Bank, die dennoch auf die Lehman-Brüder hereingefallen war, kann man nachlesen, wie ungenau (und damit unbrauchbar) Konjunkturprognosen sind: „Die Konjunkturprognosen für die Schweizer Wirtschaft für das Jahr 2009 fallen sehr unterschiedlich aus. Das Seco prognostiziert ein Wachstum von 1,3 %, wobei die Exporte und die Importe mit je 2,3 % eine wesentliche Stütze darstellen und die Bauinvestitionen mit einem negativen Wachstum von 1,5 % belasten.“ Das Seco, dieses „Kompetenzzentrum des Bundes für alle Kernfragen der Wirtschaftspolitik“, wusste es also auf Zehntelprozente genau, eine Meisterleistung! Doch die CS war auf eine andere Zahl gekommen: „Die Credit Suisse rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von 1 %.“ Die Konjunkturforschungsstelle KOF ihrerseits sieht es pessimistischer. Sie prognostiziert ein Wachstum von 0,3 % für das Jahr 2009.
 
Und am 16.12.2008 traute das Seco seiner eigenen Fehlprognose nicht mehr: Die Expertengruppe Konjunkturprognosen des Bunds ging jetzt davon aus, dass die Schweizer Wirtschaft 2009 um 0,8 Prozent schrumpfen wird. Bereits 2010 dürfte das BIP wieder um 1,0 Prozent ansteigen ... obschon es schwierig sei, die Dauer der Rezession in der Schweiz zu quantifizieren. Die pessimistische Prognose wurde zusammen mit dem angekündigten Ausbau der Hilfe für die Wirtschaft bekanntgegeben. Das fügte sich so schon ineinander. Mit diesem so genannten 2. Konjunkturpaket sollen nach US-Vorbild Investitionen vor allem im Infrastrukturbereich mit einem Volumen von rund 650 Mio. CHF ausgelöst werden.
 
Mit unterschiedlichen oder an die politischen Bedürfnisse angepassten Prognosen werden wir laufend hingehalten. Es scheint eine intellektuelle Untugend zu sein, alles in exakte Zahlen fassen zu wollen.
 
Ehrlicher wäre es schon zu sagen: Wir wissen es nicht. Und wenn ich angesichts der angehäuften Debakel und des faulig stinkenden, auseinander gebrochenen US-„Wirtschaftsmotors“ eine Prognose für die mithangende Schweiz machen müsste, würde ich von einem wesentlich grösseren negativen Wirtschaftswachstum, also von einem markanten Rückgang, ausgehen. Aber auch das wäre reine extrapolatorische Spekulation.
 
Die Spekulanten
Die Börsianer fühlen sich immer aufgerufen, bevorstehende Entwicklungen vorweg zu nehmen. Wenn man ahnt, dass ein Unternehmen einen aussergewöhnlich guten Geschäftsverlauf haben wird, müssen die Aktien gekauft werden, bevor das allgemein bekannt gemacht wird und die Kurse gestiegen sind; dann wäre es zu spät. Meistens brechen die Kurse bei Bekanntgabe guter Geschäftsabschlüsse ein, weil diese bereits in die Kurse eingearbeitet (eskomptiert) sind. Es müssen schon Abschlüsse sein, die alle Erwartungen weit übertreffen, damit der Kurs nicht sinkt und allenfalls noch etwas steigt.
 
Die nervös vorausschauenden Spekulanten nehmen jedes Anzeichen und Gerücht wahr, kaufen oder verkaufen, je nachdem. Das führt dann dazu, dass Gerüchte zwecks Kursmanipulationen gestreut werden. Der in der Finanzwelt ganz ausserordentlich ausgeprägte Herdentrieb akzentuiert die Irrfahrten dann noch.
 
Man erinnert sich noch lebhaft an den ehemaligen Fed-Chef und Börsenmanipulator Alan Greenspan, der mit den Anlegern nach Gutdünken spielte, von diesen und der Wirtschaftspresse als Orakel wahrgenommen wurde; erst kürzlich gab dieser Weissager zu, er habe sich geirrt. Auch da kam die Einsicht der Hereingefallenen wieder zu spät.
 
Zu Reichtum gelangen die verantwortlichen Politiker und Wirtschaftspolitiker, die einen Wissensvorsprung haben und die Erträge von Insidergeschäften geniessen können. Auch Prognostiker mischeln da fröhlich mit. Verschiedene Rahmenbedingungen wollen das zwar verhindern, aber der Graubereich ist zu gross, um unerlaubte Geschäftemachereien zu unterbinden.
 
Die Meinungsforscher und Meinungsmacher
Vor wichtigen politischen Ereignissen wie Wahlen und Abstimmungen wurden die Prophetien durch das vermeintlich seriösere Instrument von Meinungsumfragen ersetzt, die in der Regel mit dem Etikett „repräsentativ“ geadelt werden. Die Idee stammt aus den wahrheitsverdrehenden Vereinigten Staaten, wo es seit 1820 Vorformen von Meinungsumfragen gibt und wo das Lügen in all seinen Ausprägungen eine besonders lange Tradition hat. „Hausinterne Meinungsforschungsinstitute der grossen US-Zeitungen analysieren nicht nur täglich Effekte einzelner Wahlkampfveranstaltungen, sie versorgen Wähler und Parteien buchstäblich bis zur letzten Sekunde mit selbst produzierten Zahlen“, berichtete Prof. Dr. Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim (www.umweltjournal.de).
 
Solche Umfragen sind hervorragende und auch in unseren Breitengraden zunehmend intensiver eingesetzte Manipulationsinstrumente der Auftraggeber, die durch die Art der Fragestellung das Resultat weitgehend bestimmen können. Unsaubere Zitierweisen und tendenziöse Interpretationen geben dem Nonsens noch den Rest.
 
Die einträglichen Meinungsumfragen sind im Rahmen der zunehmend amerikanisierten Berichterstattung trotz alledem zu einem wichtigen politischen Steuerungsinstrument geworden. Sie dienen zur Steuerung des „Urnenpöbels“, wie sich der glänzende deutsche Kabarettist Georg Schramm einmal ausdrückte, bei dem die eingebundenen Leitmedien bereitwillig ihre Dienste als Helfershelfer leisten, und manchmal sind sie die treibende Kraft; sie zitieren sich gegenseitig. So kann man beispielsweise mit Rankings (Rangierungen) der Politiker-Beliebtheit unbeliebte Namen diskreditieren und wegmobben. Deshalb hat mich Ueli Maurer nach der Wahl in den Schweizer Bundesrat sehr beeindruckt, als er in einem Radiointerview sinngemäss sagte, solche statistische Beliebtheitsdarstellungen in den Medien schaue er sich nicht an. Er hat Recht: Das wäre Zeitverschwendung.
 
Viele Leute sind überhaupt nicht in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden, weil ihnen zum Beispiel die Reife zum Denken in politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten fehlt oder aber sie die Zeit nicht haben, um sich gründlich genug zu informieren. Sie haben also keine Meinung, oder aber ihre „Meinung“ ist dann schlicht und ergreifend die Wiedergabe dessen, was ihnen die Mainstreammedien eingetrichtert haben, die meistens auf bestimmte Interessengruppen abgestimmt sind. In seinem 1993 erschienenen Buch „Die öffentliche Meinung gibt es nicht“ ist Pierre Bourdieu zur Einsicht gekommen, dass Meinungsumfragen bloss die Illusion vermitteln, es gebe eine öffentliche Meinung als reine Summierung individueller Meinungen. Diese öffentliche Meinung sei ein Artefakt (ein Kunstprodukt), welche die Funktion habe zu verschleiern, „dass der Meinungsstand zu einem gegebenen Zeitpunkt ein System von Macht- und Spannungsverhältnissen darstellt und dass zur Wiedergabe des Meinungsstands nichts weniger geeignet ist als eine Prozentangabe.“
 
Hinzu kommt, dass sich bei Meinungsumfragen die Leute anders verhalten als sie es sonst tun. Das Resultat zeigt also nur das Verhalten des Menschen in solch einer speziellen sozialen Situation. Man erkennt das ja häufig aus Meinungsumfragen, die von Fernsehstationen veranstaltet und nach ihrem Gutdünken zusammengeschnitten werden.
 
Die Meinungsumfragen dienen also wie die Prophezeiungen dazu, die Zukunft zu beeinflussen, zum Beispiel das Handeln der Politiker, die ja im Allgemeinen gern auf Umfragewerte schielen – im Hinblick auf die Wiederwahl. Diese Umfragen gehören also eindeutig ins Kapitel Meinungsmache. Sie sind eine Form der Prophetie, etwa zum Voraussagen (und Beeinflussen) von Wahl- und Abstimmungsergebnissen unter Einbezug der Mechanismen des Herdentriebs.
 
Bemerkenswerterweise können alle die faulen Tricks beliebig oft wiederholt werden, weil es nur ganz wenig Menschen gelingt, rekursiv, das heisst auf früheren Erfahrungen, zu lernen und immer wieder Täuschungen und Selbsttäuschungen erliegen. So weiss jedermann, dass die Werbung nie die reine Wahrheit verbreitet, doch fallen sozusagen alle immer wieder darauf herein.
 
Die Geschichte wiederholt sich häufig, aber oft wegen geänderter Begleiterscheinungen mit gewissen Abwandlungen, und der genaue Zeitpunkt der Wiederholungen ist nicht vorhersehbar. Doch wäre es nicht verboten, daraus gewisse Mechanismen abzulesen und sie in die eigenen Beurteilungen einzubeziehen, auch wenn das daneben gehen kann.
 
Die Wettermacher
Die quirligsten Propheten sind bei uns die Meteorologen, die auf dem gegenwärtigen Zustand der Atmosphäre basieren und diesen dann aufgrund des gigantischen Datenmaterials in die nahe Zukunft fortschreiben müssen. Sie sollten dank leistungsfähigerer Computer und der Prognosekarte des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage in Reading bei London etwas genauer geworden sein, doch der Haken liegt an der menschlichen Interpretation der Daten, die oft daneben geht. Die meisten Prognosen erstrecken sich über die nächsten 5 Tage. Der Trick liegt darin, dass die Fehler, die sich meistens schon ab dem 2. Vorhersagetag abzeichnen, laufend korrigiert werden, sozusagen eine zeitlich rollende Prognose, und am Schluss wird der Eindruck erweckt, so schlecht sei die Prognose auch wieder nicht. Die Prognostiker sprechen von etwa 84 % Genauigkeit, wobei Meteoschweiz um Grössenordnung mehr Geld zur Verfügung steht als Meteonews, ohne aber entsprechend wesentlich besser zu sein; manchmal ist es umgekehrt. Vor Fehlprognosen sind beide nicht gefeit.
 
Das lukrative Meteoprognostiker-Gewerbe liefert sich einen harten Konkurrenzkampf bei ungleich langen Spiessen. Die Präsentatoren sind vollständige Sonnenanbeter und haben das Gefühl, wir würden im November nur schon deshalb nach Kreta verreisen, weil es dort 9,5 °C wärmer als bei uns ist.
 
Unter allen Propheten am liebsten sind mir die Muotataler Wetterfrösche, die sich nur auf exakte Naturbeobachtungen abstützen. Sie liegen zwar ebenfalls nicht immer goldrichtig und müssen sich zudem gefallen lassen,  dass der Fernsehmeteo-Unternehmer vom DRS-Meteo-Dienst Thomas Bucheli die langfristig orientierten Wetterschmöcker vom Fernsehhausdach aus abkanzelt und lächerlich macht, was nicht dem Ansehen dieser beliebten urchigen Bergler mit ihrer enormen Fähigkeit zur Interpretation von Naturäusserungen und ihrem überraschenden Gedächtnis schadet, sondern wahrscheinlich nur ihm selber.
*
Wir möchten in jeder Hinsicht unbedingt im Voraus wissen, wie es weitergeht, was uns in Zukunft erwartet, und dabei sind wir schwer von Zukunftsblindheit gezeichnet. Wir werden immer wieder von unvorhergesehenen Ereignissen überrascht. Wir glauben den Propheten, greifen zu den Sternen in der Hoffnung, dass es wenigstens eine Astro-Logik geben möge und staunen dann, wenn alles ganz anders herauskommt – manchmal zu unserem Verdruss, manchmal zu unserer Freude.
 
Vielleicht sollten wir uns nach dem leuchtenden Beispiel der knorrigen Muotataler mehr im exakten Beobachten und Deuten üben und uns von den Propheten und Meinungsmanipulatoren verabschieden. Das wäre für uns ein Gewinn.
 
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