Textatelier
BLOG vom: 05.01.2009

Thermalbad Baden: Verblasster Glanz des Lustbarkeiten-Orts

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Lebensfreude gehört in Heilbädern ebenso zu den Heilmitteln wie das warme Wasser mit seinem Mineraliengehalt. Vor Jahrhunderten waren die Kurbäder Stätten der Lustbarkeiten, und Badekuren waren die beinahe einzige Möglichkeit, im modernen Sinne Ferien zu machen.
 
Der italienische Humanist Gian Francesco Poggio (1380‒1459) hat in einem berühmten Brief, der 1417 geschrieben wurde, die Umgebung der Thermalquellen in Baden als einen irdischen und von Sinnenfreudigkeit erfüllten Garten Eden gerühmt. Er war entzückt von der Schönheit der „am grössten Teil des Leibes nackten Frauen“ und wunderte sich, „in was für Unschuld sie lebten und mit welch unbefangenem Zutrauen die Männer zuschauten, wie Fremde gegen ihre Frauen sich Freiheiten herausnahmen“.
 
Im Spätmittelalter war Baden auch als Frauenbad berühmt. Eine Badekur in der Thermalquelle, welche der heilig gesprochenen Verena (die sich später in Bad Zurzach niederliess) geweiht war, galt als Heilmittel gegen die Unfruchtbarkeit, und inwieweit badende Männer ihren Anteil zur Befruchtung beitrugen, kann ich nur ahnen. Jedenfalls stehen chronische Frauenkrankheiten noch heute auf der Liste der Indikationen.
 
Die Blütezeit des Badener Badelebens begann in der Mitte des 19.Jahrhunderts. Vergnügen und lockere Sitten haben den Charakter der Bewohner der Stadt Baden geprägt. Vielleicht spiegelt sich darin dieselbe Leichtigkeit wie im Thermalwasser, in dem der Mensch weniger als 10 % seines eigentlichen Körpergewichts wiegt – in meinem Fall sind es noch knapp 9 kg.
 
Niemand vermag zu sagen, wann der Badebetrieb in diesem badelustigen Baden (Aargau) aufgenommen worden ist. Die 19 mineralreichsten Heilquellen der Schweiz waren seit prähistorischen Zeiten einfach da und mussten nicht mühsam erbohrt werden wie in Zurzach. Sie liefern zusammen täglich etwa 1 Million Liter ausgesprochen mineralienreiches, 47 °C warmes Wasser. Auf der Webseite www.thermalbaden.ch wird die Entdeckung der Badener Quellen auf das Jahr 58  v. u. Z. zurückgeführt. Der Sage nach fand der Jüngling Siegawyn seine Ziege, die sich verirrt hatte, an einem Felsen vor, aus dessen Gestein heisses Wasser floss. Bei jener Gelegenheit kam dem Bräutigam die Idee, seine gelähmte Frau zu baden, die so auf wundersame Weise geheilt wurde.
 
Diese Wasseraustritte sind das Resultat der komplizierten geologischen Verhältnisse beim Durchbruch der Limmat durch einen Ausläufer des Kettenjuras, und sie waren wohl auch der Anlass dafür, dass sich hier eine Stadt gebildet hat. Ganz gewiss haben die Römer die Heilkraft der Heilquellen erkannt. Lang ists her. Vom ehemaligen so genannten Römerbad sind noch 2 Trakte erhalten, das Einzige, was von der berühmten, bis ins 14. Jahrhundert zurückreichenden Badegaststätte „Zum Schinderhof“ (später „Hinterhof“ genannt) übrig geblieben ist. Die beiden vernachlässigten Gebäude sind 1778 (Westflügel mit dem wieder verwendeten, spätbarocken, verwitterten Türgericht und der Holztür mit Fenstern in der oberen Hälfte) und 1850‒1860 (Mitteltrakt und Ostflügel) erbaut worden und dürften wahrscheinlich dem nächsten Neubau zum Opfer fallen.
 
Etwas verstaubt
Am 29.12.2008 begab ich mich wieder einmal ins Bäderquartier, das mir von verschiedenen publizistischen Einsätzen (auch im Zusammenhang mit „Badenfahrten“) her bekannt ist. Die Badehotels sind alle noch da, doch abgesehen von der berühmten, 1421 erstmals erwähnten „Blume“ mit dem malerischen, filigranen Innenhof und dem Speisesaal mit seiner dezenten Stukkaturen-Gliederung, die leider feiertagsbedingt geschlossen war, sind sie mehr oder weniger vernachlässigt. Der Kurort erlebt seinen Rückgang seit den 1970er-Jahren. Die Zahl der Logiernächte nimmt seither ab (wohl auch wegen des Privatautomobilismus – man fährt nach dem Baden wieder heim) und, eine Folge davon, fehlender Investitionsbereitschaft. Seit 5 Jahren und mehr stehen die Badehotels „Verenahof“ mit dem Hermann-Hesse-Zimmer, der „Ochsen“, „Bären“ und „Staadhof“ (ein knapp 40 Jahre alter Betonbau von Otto Glaus, der wegen seines schlechten Zustands abgerissen werden soll) leer. Sie sind ausgeräumt; Waschbecken und Toiletten wurden herausgerissen, Lampen abmontiert. Die Fensterläden sind geschlossen, und der Zahn der Zeit nagt an den verblassenden Bauten. Das ganze Mobiliar wurde verkauft, versteigert oder in Lagerhallen verstaut.
 
Die Badehotels haben alle eine stolze Geschichte. So steht der Verenahof auf den Grundmauern der 3 ehemaligen Badeherbergen „Zum Löwen“, „Zum Halbmond“ und „Zur Sonne“, die teils schon in Dokumenten aus dem 14. Jahrhundert erwähnt sind. Den Südtrakt erbaute Kaspar Joseph Jeuch 1845, den Nordtrakt Johann Heinrich Reutlinger 1872. Im Inneren sind 2 mehrgeschossige, klassizistische Säulenhöfe. Auch das Badehotel „Zum Ochsen“ war schon im 14. Jahrhundert da. Es wurde 1569 zusammen mit dem benachbarten Gasthaus „Zum Bären“ durch einen Grossbrand zerstört, und anschliessend wurden beide wieder aufgebaut. Im Inneren befindet sich der so genannte Ochsensalon mit spätgotischen Fenstersäulen. Zum „Ochsen“ gehört die eine Dependance, die ebenfalls 1845 durch den erwähnten Badener Architekten Jeuch entworfen worden ist. Das Badehotel „Zum Bären“ endlich wurde 1361 erstmals erwähnt. Nach dem brandbedingten Neubau wurde das Haus im frühen 19. Jahrhundert und auch 1909 wieder umgebaut. Der nordseitige Fassadenvorbau, 1881 von Architekt Kaspar O. Wolff aus Zürich entworfen, ist ein eindrückliches Architektur-Beispiel zur Neurenaissance in der Schweiz.
 
Man kann sich den einstigen Glanz dieses Bäderquartiers noch lebhaft vorstellen, das von Superlativen begleitet war. Laut Prof. Dr. A. Hartmann handelt es sich um „die schönste, interessanteste und wichtigste Heilquelle der Schweiz“. Und wohl jedermann leuchtet ein, dass diese historische Bausubstanz wo immer möglich erhalten und wiederbelebt werden müsste, denn nur was im Verlaufe der Zeiten organisch gewachsen ist und gewissermassen Geschichte in sich aufgesaugt hat, besitzt seinen unvergleichlichen und nicht rekonstruierbaren Charme, so dass auch bei einer Erneuerung auf eine Kulissenscheinwelt verzichtet werden kann.
 
Neue Blüte angekündigt
Wie am 20.11.2008 vom Verwaltungsratspräsidenten der Verenahof AG, Benno Zehnder, bekannt geworden ist, beteiligen sich im Auftrag einer Investorengruppe 5 prominente Schweizer Architekturbüros (Bétrix+Consolascio, Mario Botta, Diener+Diener, Max Dudler und Christian Kerez) an einem Studienwettbewerb für ein neues Bad, Hotel sowie Wohn- und Gewerbebauten am Limmatknie. Das Neue soll mit dem Alten verbunden werden. Wenn möglich soll 2012 mit dem Bauen begonnen werden – hoffentlich spielt die von den USA lancierte Weltwirtschaftskrise dem Unterfangen keinen Streich.
 
Laut „Aargauer Zeitung“ AZ vom 21.11.2008 reicht der Planungsperimeter (das von der Planung erfasste Gebiet) entlang der Limmat vom Mättelipark bis zum Pavillon (Merciersteg); der Bereich der Hotels Verenahof, Ochsen und Bären wird in die Betrachtung einbezogen. Die Verenahof AG plant ein grosszügiges Thermalbad mit (hoffentlich) 500 000 Besuchern im Jahr (etwa dreimal mehr als heute) für ein gesundheitsbewusstes Publikum in hochstehender Architektur. Sie will das Parkhaus auf gegen 500 Plätze erweitern (heute sind es 200). Auf dem Areal sollen Optionen für eine weitere Entwicklung offen bleiben. Im Flussknie ist eine nicht bäderbezogene Nutzung mit Wohnen und Kleingewerbe vorgesehen. Der „Verenahof“ soll zum Boutique-Hotel mit rund 40 Zimmern werden. Archäologie und Denkmalschutz werden zum Zuge kommen.
 
Hoffentlich klappts diesmal, nachdem seit mehr als 20 Jahren an der Erneuerung der Badeanlagen herumgeplant wird. Es gab auch Projekte, die alten Hotelpaläste abzubrechen, was die Stadt Baden und der Denkmalschutz zum guten Glück zu verhindern wussten. Auch Projekte der Verenahof AG aus den Jahren 2004 bis 2006 wurden aus dem Verkehr gezogen.
 
Besuch im Thermalbad
Eine Erneuerung ist bitter nötig, schade eigentlich für das ungenügend genutzte heilwirksame Wasser, das keine Rezession kennt und weitersprudelt, als ob nichts geschehen wäre. Mehr als die Hälfte des Thermalwassers fliesst ungenutzt in die Limmat, eine pure Verschwendung. Das bestehende Garten-Thermalschwimmbad ist zwischen 1963 und 1965 auf dem Areal der früheren Tennisplätze zwischen Verenahof und Limmat entstanden und ist in ein Innen- und Aussenbad aufgeteilt. Es kostete rund 3 Mio. CHF und wurde 1964 in Betrieb genommen.
 
Diese vor allem aus Sichtbeton erstellte Anlage mit den hellbraun gekachelten Bassins ist ebenfalls in die Jahre gekommen. Bereits der Eingangsbereich und die Dame, die mir am Vormittag die Billetts (16 CHF für 2 Stunden) verkaufte, machten einen eher abweisenden Eindruck. Als ich fragte, ob es irgendwelche Schriften über die Geschichte des Bads, die Wassereigenschaften und die Heilanzeigen gebe, unterwies mich die Kassierin, ich könne im Internet nachsehen. Ich hätte schon gern etwas mehr gewusst und füllte die Lücken später aus meiner Bibliothek. In den Kästen, in denen die Kleider deponiert werden, sind die mit weissem Plastik bezogenen Spanplatten am Aufquellen. Neben dem Aussenbad liegen vergammelte Plastikjalousien – einen gerade noblen Eindruck macht die Anlage nicht mehr.
 
Doch technisch funktionierte alles, selbst der Ding-dang-dong-Glockenton, der einen von Düse zu Düse befiehlt. Bei diesen kraftvollen Unterwassermassagen bot sich Gelegenheit, die Umgebung genauer zu betrachten. In der Nähe des Badüberlaufs hatten sich bis auf die Zementpflastersteine hinaus steinharte, abgerundete Kristalle (Gips mit Einschlüssen) gebildet, die den enorm hohen Mineralstoffgehalt beweisen. Die Gesamtmineralisation beträgt 435 mg/l, wovon 71 mg Borsäure und Kieselsäure sind.
 
Das Wasser ist als Natrium-Kalzium-Chlorid-Sulfatwasser klassifiziert, das an Kationen (positiv geladene Ionen, also Atome oder Moleküle) Ammonium (0,78 mg/l), Lithium (4,8 mg/l), Natrium (720), Kalium (63), Magnesium (99), Kalzium (503), Strontium (6,2), Eisen (0,013), Mangan (0,016), Kupfer (<0,005), Zink (<0,01), Blei (0,002) und Aluminium (0,018) enthält. An Anionen (negativ geladene Ionen) sind Fluorid (3,1), Chlorid (1185), Bromid (2,5), Jodid (0,009), Hydrogenkarbonat (487), Sulfat (1375), Hydrogenphosphat (0,05), Hydrogenarsenat (0,1) und Molybdän (<0,005) vorhanden.
 
Beim ausserhalb des Bads stationierten Trinkbrunnen erlebt man den hohen Gehalt degustativ. Neben dem leichten Schwefelwasserstoffgeruch spürt man eine leichte Bitterkeit des offensichtlich schweren Wassers.
 
Im äusseren Thermalbad mit Blick zu den Überbauungen und den Reben an der Lägeren (Gemeinde Ennetbaden), in denen ein Rebbauer gerade weisse Wolken erzeugte (vielleicht eine Mineralstoffdüngung), sprach ich mit einem kräftig gebauten, korpulenten Mann in den späten 50ern. Er sei Geleisearbeiter gewesen, erzählte er mir, und habe am ganzen Körper derartige rheumatische Schmerzen gehabt (wohl „Weichteilrheumatismus“) oder/und Gelenk- und Muskelrheumatismen, dass er sich kaum noch bewegen konnte. Er sei von Arzt zu Arzt und von Klinik zu Klinik gereist, sei mit Medikamenten, u. a. mit Cortison, vollgepumpt geworden, bis er gespürt habe, dass auch das Hirn Schaden nahm. Physiotherapien hätten jeweils für 2 bis 3 Stunden geholfen, und dann hätten sich die Schmerzen wieder eingestellt, stärker als vorher. Ein Bekannter habe ihn dann auf das Thermalbad Baden aufmerksam gemacht, das er seit etwa 5 Monaten wöchentlich 2 Mal besuche. Nach gut 2 Monaten seien die Schmerzen vollständig verschwunden gewesen, und er fühle sich wieder wohlauf. Das tönte schon fast wie ein biblisches Wunder.
 
Einen weniger durchschlagenden Erfolg hatte in Baden seinerzeit Hermann Hesse, wie er in seinem Buch „Kurgast“ festhielt; seine Ischias-Schmerzen vergrösserten sich zeitweise eher; dann ging es ihm wieder besser, aber geheilt sei er nicht, schrieb er. Doch weil er viele Menschen sah, die mehr noch als er litten, hörte er auf, seine Ischias „allzu grimmig“ zu verfolgen: „Ich sehe ein, dass sie zu mir gehört, dass sie wohlerworben ist wie das beginnende Grau in meinem Haar und dass es unklug ist, sie einfach ausradieren oder wegzaubern zu wollen. Seien wir verträglich mit ihr, gewinnen wir sie durch Versöhnlichkeit!“
 
Das Zehren und Verzehren
Nach einem gut einstündigen Bad fühlte ich mich wohl, wegen der verbesserten Hautatmung entspannt und erfrischt. Und hungrig – „die Heilbäder ,zehren’ nämlich“ (Hesse). Das traf sich gut. Wir mussten ohnehin noch Mövenpick-Gutscheine abarbeiten, weil diese Ende 2008 abliefen. Also fuhren wir zur A1 und zum nahen, kürzlich renovierten und schwungvoll mit himmlischen Grau- und Blautönen eingefärbten „Fressbalken“, der bei Würenlos AG diese Autobahn überquert. Wir stellten hoch über der Autobahn im Marché-Restaurant unseren eigenen Kur-Lunch zusammen: Kiwi-Ananassaft, asiatische Suppe, Lammgigot und Kartoffeln sowie eine Kakiwähe. Falls sich wegen des Fleischkonsums Rheuma einstellen sollte, würden wir wissen, was wir zu tun hätten.
 
Wie gesagt: Lebensfreude gehört zum Baden und zu Baden, bis hinein in die Hotels im Bäderquartier, in denen einst opulente Mähler aufgetragen wurden. Bis sie wieder zugänglich sein werden, behelfen wir uns eben anderweitig mit dem Picken. Wir kamen uns wie auf einer kleinen Urlaubsreise vor, und als wir wieder daheim angekommen waren, überfiel uns eine grosse Müdigkeit wie nach einem interkontinentalen Flug. Die Lehre: Den Zustand der Erschlaffung kann man auch im engeren Wohnbereich finden.
 
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