Textatelier
BLOG vom: 07.01.2009

Meine Bäume: Der Schnee deckt zu und deckt auch auf

Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
 
Zum Jahresende 2008 wurde uns noch eine weisse Decke geschenkt. Schnee bis in die Niederungen. Dicke, weiche Flocken fielen vom Himmel. Ein seltener Moment wahrer Ruhe. Er dauerte über eine Stunde. Und ich sass nur da und schaute diesem Treiben zu.
 
Die beiden Bäume, eine Aspe und eine Hagenbuche, am Rand von Nachbars Wiese, müssen mich schon gut kennen. Ich schaue immer nach ihnen aus. Ich bewundere sie. Sie sind meine Freunde. Nun hat mir der Schnee zum Neujahr ein Geschenk gemacht. Er setzte sich auf gebogene Äste und markierte ein grosses Herz. Ich habe es fotografiert. Es ist keine Illusion. „Meine“ Bäume zeigen mir ihr Herz. Der Schnee macht es möglich.
 
Auch auf der Westseite unseres Hauses ist die verschneite Welt nun eine andere, eine weichere. Hier milderte die weisse Pracht den radikalen Schnitt der üppig gewachsenen Sträucher, rund um die Einfahrt in die Höhle des Zivilschutzes. Bis anhin wusste ich nur, dass sich hinter „meinem“ grünen Hain, den ich vom Büro aus sehen konnte, eine Einfahrt in den kleinen Berg befinde. Jetzt sehe ich sie. Ich konnte zuschauen, wie sich die Landschaftsgärtner, vermutlich von „Grün Zürich“ an die Arbeit machten und den ganzen Wall zwar professionell, aber doch schonungslos zurückschnitten.
 
Während dieses Abholzens dachte ich manchmal: So jetzt reicht es. Und wusste doch, dass ich da nichts zu bestimmen habe.
 
Der neue Anblick war anfänglich brutal. Doch entdeckte ich bald, dass ich jetzt auf den Waldboden sehen kann. Jenseits der Zivilschutz-Einfahrt sind ein Dutzend stramme Hagenbuchen herangewachsen und bilden ein Wäldchen als Abschluss des Schulhausareals uns gegenüber. Wenn die Sonne langsam untergeht, berührt sie diesen Waldboden und bringt mir Lichtstrahlen auf den Schreibtisch. So kann ich den Schmerz loslassen und die Sträucher ermuntern, wieder neu aufzublühen. Der Schnee unterstützt mich. Er mildert alles. Und ich glaube, dass sich das Grün eines Tages auch wieder zeigen wird.
 
Der Schnee plaudert auch Geheimnisse aus. Wir bemerkten schon beim ersten Schnee Angang Dezember 2008, dass der Fuchs vom neuen Zaun quer durch die grosse Wiese überrascht worden ist. Seine Spuren deckten auf, wie er die Grenze spürte, sich irritiert abwandte, im Kreis herum ging, bis er einen neuen Weg in gewohnter Richtung gefunden hatte.
 
Spuren von Kindern, die unserem Haus entlang schleichen, um den Schulweg abzuschneiden sind auch sichtbar, ebenso jene einer dicken grauen Katze, die so gar nichts Liebenswertes an sich hat.
 
Komme ich nach dem Kern von Altstetten, fallen mir an den Tramstationen die vielen Zigarettenstummel auf, die jetzt gefroren sind und erst nach dem Abtauen weggewischt werden können.
 
Da, wo wir wohnen, wird der Schnee nicht sofort weggeräumt. Einerseits wird das Weiss lange erhalten, andererseits kann ich jetzt nicht mehr unbeschwert ausschreiten. Wenn ich einkaufen gehe, laufe ich auf der nicht stark befahrenen Strasse, vorsichtig bis ängstlich. Und warte, bis der Schnee schmilzt und bekomme eine Ahnung, wie Menschen, die in den Bergregionen leben, sich frühzeitig auf den Winter einstellen müssen.
 
Die kleine Schrift „Brachzeit. Gedanken zum Winter“, 1979/80 entstanden und im Noah-Verlag, CH-9413 Oberegg AI, herausgegeben, machte mir damals so grossen Eindruck, dass ich deren Inhalt noch immer wie einen Schatz hüte und gelernt habe, die Brachzeit des Winters zum Auftanken zu nützen. Aber das einleitende Gedicht von Christian Mägerle, das hatte ich vergessen. Jetzt lese ich es noch vor:
 
Winter 
Lass uns dann und wann
die Spur im Schnee erneuern,
die Spur von mir
zu dir, von deiner
zu meiner Tür!
In der Zwischenzeit
mag es schneien ...
 
Ursprüngliche Quelle: Christian Mägerle, „Irgendwogeläut", Gedichte, St. Gallen 1978.
 
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