BLOG vom: 13.01.2009
Epesses VD: Ein Hauch von Indien in den Lavaux-Rebbergen
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Kein Knochen wird wegen eines indischen Essens ins Weinbaugebiet Lavaux mit dessen steilen, von Natursteinmauern gestützten Rebbergen reisen, die den Namen „Berge“ wirklich verdienen. Diese Landschaft, zu der 14 Gemeinden (Lutry, Villette, Grandvaux, Cully, Riex, Epesses, Puidoux, Chexbres, Rivaz, Saint-Saphorin, Chardonne, Corseaux, Corsier-sur-Vevey und Jongny) und 6 darin eingeschlossene Weinbaugebiete (Lutry, Villette, Saint-Saphorin, Epesses, Dézaley und Chardonne) mit kontrolliertem Anbau (mit einer Fläche von total 898 Hektaren) gezählt werden, ist aus guten Gründen ins Unesco-Kulturerbe aufgenommen worden. Es verdient des Schutzes, der Ehrfurcht. Dabei kann man das beeindruckende Schöne durchaus mit exotischen Speisen verbinden.
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Auf den 08.01.2009 war ich zu einem Treffen in Epesses VD (Bezirk Lavaux) aufgeboten, worüber ich mich besonders freute, weil ich diese Terrassenlandschaft über dem leicht gerundeten Genfersee noch nie in einem Januar gesehen hatte, höchstens vielleicht einmal flüchtig bei der Vorbeifahrt aus der Eisenbahn. An jenem frühen Nachmittag war es leicht hochneblig und bitter kalt; die etwa ‒3 °C schienen eine besonders intensive Kältequalität zu haben. Die Reblandschaft war schneefrei, brachte angenehm schraffierte Braun- bis Rottöne zwischen dem Grau der Steinmauern hervor, deren höchste im Gebiet Dézaley den Hang stützen. Von oben sind die Steinbauten als helle Bänder zu erkennen; von unten betrachtet, entfalten sie ihre volle Wucht.
Dieser Eindruck entstand besonders im engen Weinbauerndorf Epesses mit den zusammengebauten, ineinander verschachtelten Häusern aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Die häufigen flaschengrünen Fensterläden sind ein Hinweis darauf, worum es hier geht. Eine steife Bise zog durch Mark und Bein sowie der Route de la Corniche entlang durchs Dorfzentrum; von den gut 300 Einwohnern war praktisch niemand zu sehen. Brunnen und Aussentreppen engen die Strasse zusätzlich ein. Das Spitzbogentor des spätgotischen Hauses Bovard war geschlossen, als ob es die Kälte nicht einlassen wollte. An einer hell-weinroten Fassade am Sentier de la Béguine weist eine kunstvolle Tafel auf die Winzer Vincent Duboix et Fils („Haut de Pierre Dézaley“) hin.
Das Dorf ist rundum in Rebparzellen mit ihren kahlen, manchmal etwas moosigen Böden eingebettet. Die meisten der zu einer 7 gekrümmten Rebstöcke sind noch nicht geschnitten, die Blätter vom Wind zur nächsten Mauerkrone geweht und noch nicht kompostiert, noch nicht zu fruchtbarer Erde zerfallen. In diesen Rebkulturen erkennt man gleichschenklige dreieckige Signale in Rot (Spitze nach oben) oder Gelb (Spitze nach unten), die den Sprühflugzeugen den Weg weisen oder versperren, wobei die Pestizide wegen der Luftbewegungen nicht genau einzugrenzen sind, wie ich aus eigener Anschauung weiss. Kleine Strassen oder Transporteinrichtungen winden sich durch das steile, intensiv kultivierte Gelände. In der Genfersee-Ufernähe haben sich die Strasse und das Bahntrassee ihre Schneisen gebahnt; einige grosse Bäume markieren das Ufer, das sogleich ansteigt, Höherem zustrebt. Und gelegentlich ballen sich die Häuser zu geschlossenen Dörfern zusammen.
Als meine Augen der Kälte wegen zu tränen begannen, begaben wir uns auf der Strasse Richtung Chexbres (3 km nach Osten). Nach dem Austritt aus dem Dorf Epesses sind es etwa 700 m zur Auberge de la Crochettaz (www.crochettaz.ch), ein Konglomerat aus 3 vereinigten Bauten mit ziegelumrahmten Lukarnen, die in den steilen Rebhang hinein gebaut sind und nahtlos in diesen übergehen. Hier wächst der Dézaley La Crochettaz.
Beim Eintritt ins Gasthaus wird man sogleich von einer indischen Atmosphäre und der in diesem Lande selbstverständlichen Gastfreundschaft eingeschlossen, allerdings ohne schreierische Bollywood-Atmosphäre. Da liegen Prospekte für Reisen nach Goa auf. Das Restaurant in der 1. Etage des Westtrakts, dessen Fenster von einem Vordach im Bedarfsfall von allzu viel Sonneneinstrahlung geschützt ist, machte einen sachlichen, sauberen Eindruck. Hier wird auch die regionale Cuisine du Terroir gepflegt, und zu einem Fondue passt der opulente indische Farbgebrauch nicht unbedingt. Das Fonduegelb kann dem Jupiter dennoch zur Ehre gereichen; der Schmelzkäse wird davon nicht negativ beeinträchtigt.
Es war eher kühl im Haus, was sich aber bald ergeben sollte, als nach dem Knoblauchbrot zu Öl und einer würzigen Sauce vom gross gewachsenen, stämmigen dunkelhäutigen, indischen Wirt mit dem eher iberischen Namen Norman Rodrigues und einer dienstbereiten Chinesin die heissen Gerichte aufgetragen wurden: Ein funkelndes Lammcurry, zudem das Tikka kababs (Hühnerfleisch, mit Masala eingerieben und gegrillt, dann mit einer feuerroten Sauce umhüllt), der kaschmir-artige Basmati-(Basumati-)Reis (Kashmir ki kalli) mit Weinbeeren und kandierten Fruchtstückchen sowie Spinat mit Schalotten sowie ein Linsengericht. Dazu tranken wir, aus Gründen der Völkerverbindung, den gefälligen, unaufdringlichen weissen Epesses La Demoiselle von Dubois Fils und viel Wasser. Die Gewürzmischung Masala (Chili, Koriander, Kreuzkümmel, Pfeffer, Ingwer, Gelbwurz, Safran, Nelken, Kardamom, Zimt), das Herz der indischen Kochkunst, das mild oder brennend scharf sein kann, war offensichtlich für schweizerische Gaumen abgedämpft. Das Feuer brannte mässig.
Wir alle genossen das gemütliche Essen in angeregter Stimmung und warfen gelegentlich einen Blick durch die Scheiben zu den Rebterrassen und den still ruhenden Genfersee. Ich erinnerte mich an frühere Weineinkäufe in dieser Gegend, zum Beispiel bei Daniel Leyvraz in CH-1071 Rivaz, wo ich einen fassgereiften Dézaley grand Cru gefunden hatte, den ich bei speziellen, festlichen Gelegenheiten auftischte.
Was haben denn das Lavaux und Indien gemeinsam? Vielleicht sind es ausgeprägte Gefühle für Tradition. Hier wie dort hat die Nahrung (im Lavaux sind es die Trauben) eine grosse Bedeutung und verdient die volle Aufmerksamkeit. „Annam Brahma“ sagen die Inder: Speise ist Gott. Und sie fügen bei, dass durch die Nahrung alle Lebewesen, auch die Pflanzen, also das Leben selbst, erhalten werden.
Die Waadtländer im Lavaux würden dies, wie ich annehme, sehr wohl bestätigen. Sie lehren wie die Inder, dass (auch flüssige) Nahrung Genuss sein darf.
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