Textatelier
BLOG vom: 17.02.2009

Eppenberg SO: Die verträumte Rodungsinsel auf dem Podest

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
 
Südlich von Aarau und zwischen dem angrenzenden Aare- und Suhrental ist ein meist bewaldeter Hügel, dessen Name ich nicht kenne. Vielleicht gibt es dafür gar keinen; jedenfalls scheinen nicht einmal die Swisstopo-Kartographen eine passende Bezeichnung für ihn parat zu haben. Die gemeindeeigene Webseite von Eppenberg-Wöschnau (www.eppenberg-woeschnau.ch) nennt ihn in der geographischen Ortsbeschreibung „Hügelzug des Buchholzes“:
 
„Die Gemeinde Eppenberg-Wöschnau liegt rund 2 km südwestlich der Stadt Aarau (Luftlinie). Die Fläche des 1,9 km2 grossen Gemeindegebiets umfasst einen Abschnitt des Schweizer Mittellands im äussersten Osten des Kantons Solothurn. Die nördliche Grenze verläuft entlang des ehemaligen Aarelaufs, während der Hauptwasseranteil weiter nördlich über einen Seitenkanal zu einem Wasserkraftwerk geleitet wird. Von der Aare erstreckt sich der Gemeindeboden südwärts über die Talniederung (Schachen) und auf den angrenzenden Hügelzug des Buechholzes, der mit einer Felskante und einem Steilhang scharf zum Aaretal hin abfällt. Auf der Höhe westlich von Eppenberg wird mit 491 m ü. M. der höchste Punkt der Gemeinde erreicht.“
 
Wenn ich aber meine 1:25 000 Landeskarte „Aarau“, Blatt 1089 (Ausgabe: 2005), richtig interpretiere, wird mit Buechholz nur die nördliche Hügelspitze zwischen den Baugebieten Wöschnau und Eppenberg bezeichnet, die östlich durch das Roggehusertäli mit dem Wildpark und westlich durch das Gebiet Halden sowie die Strasse und Bahnlinie Aarau‒Olten begrenzt ist. Dort oben war einmal ein prähistorisches keltisches Refugium, wie auf der erwähnten Landeskarte vermerkt ist. Es bestand zur La-Tène-Zeit (Latènezeit) wohl nicht sehr lange, besass ein beschützendes Wallsystem sowie einen Graben und soll mit seinen 12 Hektaren eines der grössten Europas gewesen sein. Gleichwohl waren die keltischen Funde eher spärlich; in der Wöschnau unten wurden dafür römische Ziegel und Münzen gefunden. Die erwähnte Epoche ist mit der Jüngeren Eisenzeit ziemlich identisch (450 bis 15 vor unserer Zeitrechnung), als eben das Geld die Naturalwirtschaft zu verdrängen begann. Die Münzen bestanden aus Metallen, wie man weiss. Die auf einer recht hohen Entwicklungsstufe agierenden Kelten zogen dann allerdings gegen die Germanen und die übrigen mächtigen Völker der Alten Welt, vor allem gegenüber den Römern, den Kürzeren.
 
Vielleicht könnte man den Hügel in Anlehnung an die Herkunft des althochdeutschen Namens (Berg des Eppo, letzteres ein alemannischer Personenname) als Eppoberg bezeichnen. Im Zusammenhang mit Eppenberg, dieses oberen, auf dem „Berg“ gelegenen Teils der Doppelgemeinde (total etwas über 300 Einwohner, Gemeindefläche: 1,89 km2, inkl. Gewerbefläche im aarenahen Schachen), wird treffend von einer Rodungsinsel gesprochen. Das den Strassen entlang ausfransende Dorf liegt 80 Meter höher als Wöschnau drunten im Aaretal. Eppenberg ist rundum von Wald gesäumt und hat einen landwirtschaftlich geprägten Charakter, wie es sich für eine Gemeinde mit einer Sichel im Wappen gehört. In letzter Zeit wurde dieser einst wohl ausgeprägte bäuerliche Anstrich durch den fortschreitenden Bau von Einfamilienhäusern zunehmend überlagert.
 
Eppenberg ist verkehrsmässig recht gut gelegen, führen doch zweispurige Strassen durch den Wald neben dem Roggehausertäli mit dem Roggehuserbach nach Wöschnau an der Grenze zu Aarau, aber auch nach Schönenwerd auf der einen und nach Unterentfelden auf der anderen Seite. Dennoch ist der Verkehr minim; einen Transitverkehr gibt es kaum. Den Umstand, dass Eppenberg nicht allein eine Rodungs-, sondern auch Erholungsinsel ist, machte ich mir am 12.02.2009 für einen Spaziergang zunutze, zumal zwischen Haufenschichtwolken (Stratocumuli) die Sonne die jungfräuliche, etwa 5 cm dicke Schneefläche erleuchtete.
 
Oberhalb des Neuburenhofs an der Strasse nach Schönenwerd bei der Abzweigung Fohracherweg ist ein 24-Stunden-Parkplatz vorhanden, der auch dem nahen Waldhaus dient. Folgt man der Strasse weiter in Richtung Schönenwerd, ist man sogleich im Gebiet Riedbrunnen, wo an schöner Aussichtslage (auch zum dampfenden KKW-Kühlturm in Gösgen und den Solothurner Jura) gerade neue Einfamilienhäuser mit einer Art Sheddächern (sattelartige Aufbauten) im Bau sind. Der Laubmischwald sah aus, als ob er aus Birken bestehen würde; doch hatte der Wind auf der Westseite Schnee an die Stämme geklebt. Tatsächlich dürfte es hier oben manchmal stürmisch zugehen, worauf geknickte Stämme oder aufgestandene Wurzelteller mit rostroter Lehmerde hinweisen.
 
Ich schlug dann einen Halbbogen nach rechts zur Rodungsinsel des Eppo, die sich als ausladende Schneefläche für intensivlandwirtschaftlichen Gebrauch in wärmeren Tagen erwies, und steuerte der Einfamilienhauszeile am Steinackerweg und von dort dem Dorfzentrum zu. In diesem findet sogar eine grosse Scheune mit Backsteinelementen Platz, die offenbar verschiedene Renovationen über sich ergehen lassen musste. Im Dorf ist ein Bauernhof, bei dem ein stattliches Wegkreuz mit dem Siloturm um Aufmerksamkeit buhlen. Das Kleeblattkreuz trägt den Sieg davon. An der Scheune sind alte Plakate von Schwing- und Älplerfesten befestigt: „Aarau – wir kommen“, steht auf der Ausgabe 2007; es tönt bedrohlich, zuversichtlich, kraftvoll.
 
Da der Winterdienst dort oben in Eppenberg eingeschränkt ist, war die teilweise vereiste Strasse Richtung Unterentfelden gesperrt – doch für einen einsamen Fussgänger mit Sohlenprofilen waren die Verhältnisse durchaus ausreichend. Ich folgte dieser Strasse und bog dann nach links in einen Feldweg ein, der nur mit einer Gassispur (Fährten von Schuhsohlen und mäandrierende Hundepfoten) gezeichnet war, dem Wald „Ischlag“ entgegen. In diesem dichten Fichtenwald wurde tatsächlich Holz eingeschlagen. 2 musikalisch begabte Motorsägen-Akrobaten heulten darin mit ihren Instrumenten konzertant um die Wette. Wenn der eine leiser wurde, gab der andere umso mehr Gas. Dann wieder gabs ein Decrescendo, einer trumpfte wieder auf, und der andere stimmte mit voller Wucht ein. Dann war ein Krachen zu hören: das Finale.
 
Innerhalb des Waldrands fliesst der Roggenhausenbach in einem tiefen Graben vorbei, der aus dem oberliegenden Tägermoos kommt. Vor etwa 25 oder mehr Jahren hatte in diesem Gebiet ein Friedhofgärtner den Abraum vom Gottesacker abgeladen. Eva und ich entdeckten diese Deponie bei einem Spaziergang. Zu den Vergänglichkeiten gehörten hier ganze Buchsbäumchen, die kreuz und quer zwischen Grabsteinen lagen. Wir rissen einige Zweige mit Wurzeln ab und nahmen sie nach Hause, eine starke, lebensretterische Tat. In unserem eigenen Garten pflanzten wir die Buchszweige als Windschutzstreifen an der Ostseite, wie es schon die Römer zu tun pflegten; schon sie rahmten mit dem Buchs ihre Gärten ein. Diese Pflanze nennt sich lateinisch Buxus sempervirens; das Adjektiv hinter dem Gattungsnamen bedeutet immergrün.
 
Die Sträucher zeigten sich für unsere Rettungsaktion dankbar, und es gefiel ihnen bei uns ganz ausserordentlich gut. Sie wuchsen in die Höhe und die Breite, beantworteten Rückschnitte mit einer Verdickung des harten Stammholzes, das gern zum Drechseln verwendet wird, und auch durch eine Verstärkung der Wurzelmasse. Ein lichthungriger Apfelbaum in der Nähe wurde allmählich von den Buchsbäumen bedrängt, und ich entschloss mich, die beiden nahesten Buchse auszugraben. Das war eine unerwartet harte körperliche Arbeit. Die Wurzeln krallten sich tief im Boden fest, liessen nicht locker – und ich auch nicht. Ich rückte mit Brechstangen und am Ende noch mit einem alten Lastwagenheber an, den ich einmal auf einem Autoabbruch gekauft hatte, mit dem ich meine Zugkräfte bis zu einer Tonne vergrössern konnte. Der grösste Teil der Wurzeln gab den Widerstand allmählich auf – und der Rest dürfte sich wieder als junges Bäumchen mit den länglich-elliptischen, sattgrünen Blättchen bemerkbar machen – nichts von ewiger Ruhe nach dem Segnen des Zeitlichen: immergrün und immerlebend.
 
Am Haselmatt-Waldrand in Eppenberg riss mich ein Traktor mit einem Anhänger aus den Erinnerungen. Ein Bauer führte dampfenden und durchaus wohlriechenden Kuhmist herum, und er mag sich über den Wanderer in diesem touristisch noch kaum entdeckten Gebiet gewundert haben. Dieser Wandersmann begab sich wieder dem verschneiten Dorf entgegen, das er fotografierte. Als Vordergrund diente ein gleichartiges Kleeblattkreuz wie jenes im Dorf, dessen viereckige Stütze diesmal zum Teil durch schön behauenen Kalkstein erneuert worden war. Die umgebenden, maschinell bearbeiteten Äcker mit den gleichmässigen Streifen sahen aus, als ob sie nach dem Auftragen von Haarfestiger frisch gekämmt seien.
 
Über einen vereisten, durch fussballgrosse Grasbüschel kupierten Weg erreichte ich den Neuburenhof mit dem riegelbauartigen, bräunlichen Wohnteil, auf dessen Vorplatz ein Bauer seinen Traktoranhänger mit Hochdruck reinigte – kurz bevor die Temperatur wieder unter den Gefrierpunkt fiel. Beim Hof erzählt ein weisser Orientierungspfahl nach dem „Willkommen“ die Geschichte dieses Guts: „,De Neubuur’ heissen wir, seit der Hof dem Grossvater im Jahr 1888 abbrannte und neu aufgebaut wurde – mit einer Gaststube. Auch heute bewirten wir Gäste auf dem Hof. Unser Hof ist der einzige Bauernhof im Dorf.“
 
Da stutzte ich nun doch ein wenig, zumal ich mit eigenen Augen im Dorf Eppenberg einen anderen Bauernhof gesehen hatte, unter dessen Silotürmen enthornte Kühe sich vom Bürstenrad einer Reinigungsmaschine den Juckreiz vertreiben liessen. Des Rätsels Lösung aber fand ich beim Kartenstudium heraus: Der Neuburenhof gehört bereits zu Schönenwerd – und ist also der einzige in dieser Gemeinde, die im Übrigen vom Stift und von der Bally-Schuhgeschichte geprägt ist.
 
Und dann fuhr der Pfahl mit seiner Erzählung weiter: „…Und als einzige in der Region pflanzen wir Sonnenblumen an. Solothurner Sonnenblumenöl ist in der Landi erhältlich.“ Gezeichnet: Martina und Peter Hodel.
 
Bei der Rückkehr begleitete mich ein Esel mit angegrauten mittellangen Haaren und einem Glöckchen, das er wahrscheinlich von Ziegen entlehnt hatte. Da er gleichmässig eingefärbt war, gelang mir die Rassenbestimmung nicht. Wahrscheinlich ist das ein Mischling mit gewissen Anteilen vom Poitou- und Martina-Franca-Esel. Da ich ähnlich ergraute Haare wie er habe und auch meine eigenen Ohren mit zunehmendem Alter länger werden, waren wir uns auf den ersten Blick sympathisch. Wir verstanden uns gut, gewisse Gemeinsamkeiten ortend. Mein neuer Bekannter erinnerte ans kroatische Sprichwort: Eine Person und ein Esel wissen zusammen mehr als eine Person alleine.“ Und so verabschiedeten wir uns mit einem gewissen Stolz über das angehäufte gemeinsame Wissen. Ein treuherziger Blick begleitete mich durch den Maschenzaun.
 
Schliesslich traf ich noch eine Bronzetafel an, die von der „Güterregulierung Eppenberg-Wöschnau 1992‒2002“ zu berichten weiss, an der 4 Gemeinden beteiligt waren (auch noch Aarau, Schönenwerd und Unterentfelden). Und ein Aarauer Polizeiauto, dessen Insassen hier oben für Ruhe und Ordnung sorgen würden, wenn es diese nicht ohnehin gäbe, und die mich skeptisch musterten, belebte das Idyll. Die Polizisten schöpften bei meinem Anblick keinerlei Verdacht. Die Sache mit dem Buchszweige-Diebstahl war ohnehin längst verjährt.
 
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