BLOG vom: 03.04.2009
G-20: Wie London das Treffen der Tonangeber erlebte
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
Zum Auftakt
Natürlich hatten die englischen Medien ihr Fressen: „Obama Schulter an Schulter mit Brown“, prunkt eine Überschrift. Die anglosächsische Brüderschaft triumphiert. Barack Obama und seine Frau Michelle genossen nicht nur privatim ein Frühstück mit Gordon Brown und seiner Gattin in 10 Downing Street, sondern wurden erst noch zu einer exklusiven Audienz bei der Königin im Buckingham Palast empfangen. Das mag den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy verstimmt haben – er, der so gern sein aufgeblähtes Ego, zusammen mit seiner Frau Carla Bruni, zur Schau stellt …
Barack Obama wurde in seinem „Biest“, wie seine Limousine genannt wird, zum Stelldichein in Downing Street gefahren, knapp 10 Minuten von der Residenz des amerikanischen Botschafters entfernt. Das mordsschwere Vehikel wurde eigens nach London geflogen und soll, gepanzert wie es ist, allen Attentatsversuchen widerstehen. Zum Glück hielt der Strassenbelag dem Druck stand, und das Vehikel brach nicht zu einer Untergrundstation durch. 20 weitere Vehikel wurden eingeflogen mitsamt einer Schutzmannschaft (Secret Service Personal) von 500 Leuten, worunter ein 35-köpfiges Küchenpersonal. Nein, das ist kein Aprilscherz. Die Russen behaupten, ihre eigene Limousine übertreffe jene von Barack Obama.
Zwischen Klammern gesetzt, scheint mir eine solche Sonderbehandlung von Barack Obama, milde gesagt, klümprig und kaum vereinbar mit Diplomatie und Staatsprotokoll. Auch Frau Merkel und andere wurden dabei ausgeblendet, aus den Linsen verbannt.
Gestern Donnerstag, 01.04.2009, entflammte der Volkszorn in massiven Protesten bei der „Bank of England“ und Umgebung: Es gab dabei viele blutige Nasen und Beulen. Wie erinnerlich, lösen Konferenzen dieser Art nicht nur in England Proteste aus, von Mitläufern zu Krawallen inszeniert. Die Fotos erweckten Aufsehen weltweit im Fernsehen, aber sind am nächsten Tag schon vergessen.
Das G-20-Treffen „in ExCelsium“
Das Versprechen, 1 Billion USD in die Ankurbelung, vornehmlich der Wirtschaft und des Handels, zu investieren, löste Jubel aus. Die Börsen sprangen vor Freude wie junge Lämmer hoch. Eine Billion schleppt 12 Nullen nach sich. Wer kann das bezahlen? Die Hälfte dieses Betrags, 500 Milliarden USD, wird der IMF (International Monetary Fund, IWF) zugespielt. Nein, niemand bezahlt: Das Geld kommt in Form von Anleihen, in anderen Worten von frisch gedruckten Mätzchen in Umlauf, und wird in einem komplizierten Verteilungsfilter zu Buche schlagen – und wohl dort stecken bleiben. Wenn ich das Wort „pledges“ höre, werde ich hellhörig und misstrauisch. Solche Versprechungen oder Zusicherungen pflegen im Sand zu verlaufen. Die armen Nationen dürfen weiterhin auf wirksame Unterstützung harren.
Biher wurde kein Protektionismus toleriert, sondern massiv bestraft. Plötzlich ist alles ganz anders. „Britische Stellen für Britten“ hatte Gordon Brown noch vor wenigen Wochen gekräht, und Barack Obama warf ebenfalls alls Prinzipien über Bord: „Kauft amerikanische Ware.“ Die landeseigenen Interessen wiegen vor, selbst in der globalisierten Welt, was zeigt, dass der Turbokapitalismus out ist.
Die Steueroasen sollen nicht nur bedrängt, sondern ausgemerzt werden: eine Fata Morgana. England und andere Staaten müssten zuerst vor ihren eigenen Türen wischen. Dazu fehlen die Besen.
Nach wie vor werden angeschlagene Banken von der staatlichen Wohlfahrt gestopft. Die Boni-Kultur wird in den Untergrund verwiesen, wo sie weiterlebt. Die Finanzmärkte werden kosmetisch reguliert.
Immerhin verliessen die G-20-Teilnehmer das ExCel-Zentrum zuversichtlich gestimmt und reihten sich zur „phot-op“ (photo opportunity), wie es an solchen Anlässen üblich ist. Sogar Frau Merkel und Herr Sarkozy zeigten sich zufrieden. Der ganze G-20-Plausch kostete England rund £ 20 Millionen, ein Pappenstiel verglichen mit der nebulösen 1 Billion USD, nur muss dieser Betrag bar bezahlt werden.
Juhe! Die neue Weltordnung ist geboren.
Der graue Alltag wird sich einschleichen. Mal sehen, wie lange der Jubel anhält. Gewiss wird auch diese Krise gelöst – aber nicht von einem Tag auf den andern.
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