BLOG vom: 03.05.2009
Verkabelt und vernetzt: Das verflixte „digitale Zeitalter“
Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
Sein Gesicht zerfloss wie ein Schmelzkäse inmitten seines Vortrags übers „Digitale Zeitalter“. Der Geschäftsführer einer wichtigen Kommunikationsfirma unterbrach ihn mit der Frage: „Was genau meinen Sie mit dem ,Digitalen Zeitalter’?" Thomas Heilbronner verhaspelte sich und verstrickte sich in seiner Antwort. Eindeutig hatte er sich schlecht vorbereitet, und sein Vortrag war hastig aus Dokumentationen, also aus 2. Hand, zusammengestückelt. Heilbronners Kollegen grinsten hämisch schadenfreudig und weideten sich an seiner Verlegenheit.
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Nein, in eine solche peinliche Situation möchte ich nicht geraten. Ich fasse mich kurz und frage mich, was es mit dem digitalen Zeitalter auf sich habe – auf mich bezogen. Persönlich kann mir das digitale Zeitalter gestohlen werden. Ich lege Wert auf persönliche Direktkommunikation. Aber ich bin mir bewusst, dass ich voreilig urteile. Ich bin aufs E-Mail angewiesen und auch auf Internet-Recherchen. Auch bin ich gezwungen, Flüge übers Internet zu buchen. Ich bin längst zum Besitzer eines Pin-code geworden … Aber so weit als möglich bezahle ich meine Einkäufe bar – und fehlt mir das Geld, lasse ich es bleiben. Schuldenfrei lebt sich viel angenehmer.
Ich beabsichtige hier keineswegs, statistischen Ballast abzuwerfen und verweise auf
www.statistics.gov.uk/focuson/digitalage und andere Informationsquellen, woraus klar hervor geht, dass es sich dabei um einen ausgeprägten Wachstumsmarkt, lies ein Bombengeschäft, handelt und mehr und mehr Privatpersonen und Geschäftsleute auf die Errungenschaften des digitalen Zeitalters angewiesen sind – als Folge der Globalisierung, verbunden mit der allgemeinen kollektiven Verdummung.
Privatpersonen tätigen mehr und mehr Käufe online; Geschäftsleute bieten ihre Dienste und Ware übers Internet (E-Commerce) an. Kinder und Erwachsene klatschen täglich stundenlang via „Facebook“ und ähnlichen „social networking“-Kanälen oder verblöden anderweitig bei elektronischen Spielen aller Art und Unart. Zu den Unarten müssen an 1. Stelle die unzähligen Pornographie-Websiten genannt werden. Das ist ein Kapitel, auf das ich nicht eingehen mag.
Die Welt ist verkabelt und vernetzt, und der Mensch ist in diesem Netz beinahe unentrinnbar verstrickt. Die Handy- und iPod-Seuche grassiert. Wer Stille sucht, wird selbst auf abgelegenen Wanderwegen unverhofft von einem Schreihals mit Handy statt Spazierstock ausgerüstet, lautstark überfallen …
Der Zahlungsverkehr wird heute grösstenteils elektronisch abgewickelt. Der Mensch ohne Pincode ist eine Null. Die Hacker haben inzwischen auch diese Pin-code-Nuss geknackt und schleichen sich raublüstern in die Konti ein. Selbst einst als sicher gepriesene Websiten werden von diesen Banditen überfallen. Aus diesem Grund meide ich jetzt auch das eBay. Der ganze Datenschutz wackelt wie ein schiefbeiniger Schemel.
Ist es nur mein PC mit Altersgebrechen, der spukt? Immer länger dauert es, bis ich online bin, um meine E-Mails zu empfangen und zu versenden. Plötzlich erstarrt der Kursor (Cursor, verbessert mich der im PC eingebaute „Spellcheck“ = Wörterbuch), und ich muss den PC aus- und einschalten, damit er sich, der Cursor, auf dem Bildschirm wieder bewegt. Andere Leute stecken in der gleichen Patsche, erfahre ich. Das Kommunikationsnetz, das unendliche, ist mehr und mehr überlastet und droht aus seinen elektronischen Nähten zu platzen.
Beginne ich ein Blog zu schreiben, zwängen sich alltäglich rüpelhaft und unaufgefordert Aufdatierungen von Programmen und unterbrechen meine Gedankenübertragung aufs Blatt. Bis diese „Gebetsmühlen“ ausgeleiert haben, gehe ich mir einen Kaffee brauen. Das habe ich eben getan und kann wieder weiterschreiben.
Wie viel Energie verschleisst das digitale Zeitalter? Jedem Haushalt wird angeraten, das rote Pünktchen bei Nichtgebrauch des Fernsehers auszuschalten und die alten Glühbirnen mit der grünen Variante auszuwechseln. Zum Glück leuchten sie nicht grün; aber ich empfinde ihr Licht als unangenehm. Im September dieses Jahrs 2009 verschwinden die alten Glühbirnen. Ich werde mir einen Vorrat anschaffen, gleichgültig, ob mir das vorgeworfen wird oder nicht. Alle diese an und für sich geringen Energiesparmassnahmen, lobenswert wie sie sind, verblassen, solange in Bürohochhäusern nachtsüber das Licht brennt und die Strassenbeleuchtung eingeschaltet bleibt. Wer rechnet hoch, wie viel Energie das digitale Zeitalter verschlingt und wie viel CO2 ausgestossen wird, damit alles Drum und Dran der Elektronik funktioniert?
Es liegt auf der Hand, dass sich die digitalen Fürsten immer wieder etwas Neues einfallen lassen, um das Huhn, den Verbraucher, zu rupfen. Der alte Fernseher muss durch einen digitalen ersetzt werden; jedes Handy oder iPod veraltet beinahe über Nacht. Wer will schon im digitalen Zeitalter dem „Vorsprung durch Technik“ nachhinken und sich blamieren? Mit allen Marketing-Mätzchen wird der Konsument verführt. Ich selbst ziehe ein gutes Essen vor oder stöbere nach Fundstücken, die kein Gran Energie verbrauchen. Gute Lektüre ist mir mehr wert als aller elektronische Zauber, das E-Book inbegriffen. Aber jeder kann es so halten, wie es ihm/ihr beliebt. Ein bisschen Entscheidungsfreiheit ist uns erhalten geblieben.
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Hier beschliesse ich meinen Exkurs und bin froh, dass mich niemand mit kniffligen Fragen unterbricht, die mich in Verlegenheit bringen könnten.
Hinweis auf weitere Feuilletons von Emil Baschnonga