BLOG vom: 04.05.2009
Relaunches bei den Druckmedien: Ästhetik des Untergangs
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Vor einigen Wochen rief mich eine nette Dame aus dem Hause Tamedia an, um mich für die neu gestaltete SonntagsZeitung zu begeistern. Die Zeitung habe einen Relaunch durchgemacht, erfuhr ich aus dem Festnetz. Die Bunde seien jetzt übersichtlicher und noch farbiger geworden, und deren Auftaktseiten hätten ein verändertes Layout erhalten. Ich hatte schon vorher gelesen, dass diese Zeitung ab dem 23.11.2008 einen neu gestalteten Zeitungskopf bekommen und sich entschlossen habe, vom bisherigen konsequent gehandhabten 6-spaltigen Umbruch abzugehen. Was für weltbewegende Sensationen!
„Das sind ja traurige Nachrichten. Geht es dieser Zeitung denn so schlecht“, fragte ich zurück, „dass die Macher ständig an deren Kleid herumdoktern müssen?“ Die Anruferin schien perplex zu sein. Ich fuhr erläuternd weiter: „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich wegen mehr Bunden und mehr Poppigkeit eine Zeitung abonniere. Da wurde offensichtlich an der falschen Seite herumgeschräubelt: Man müsste doch den Inhalt verbessern und nicht ständig die Aufmachung verändern. Hat man bei Tamedia denn keinen Sinn für das Wesentliche mehr?“ Mein Eindruck vom Tages-Anzeiger, wie er sich früher auch inhaltlich präsentierte, ist ein recht guter. Die Zeitung, die später mit der SonntagsZeitung ergänzt wurde, beschäftigte ausgezeichnete Schreiber; gewiss gibt es sie noch immer. Jetzt aber scheint die Marketingabteilung das Sagen zu haben, wie oft bei Medien; die Vermarkter haben keine Ahnung von Qualitätsjournalismus als Erfolgsgrundlage. Das interessiert sie auch nicht. Die Leser laufen davon.
Die zerknirschte Dame, die ich von aller Verantwortung für Relaunches hier ausdrücklich reinwaschen möchte, suchte noch zu retten, was nicht mehr zu retten war und bot mir, der Verzweiflung nahe, ein Probeabonnement (10 Nummern für 30 CHF) an. „Sie können doch von mir nicht erwarten, dass mich oberflächliche Modifizierungen begeistern und zum Abonnieren veranlassen.“ Sie gab auf. Verlorene Zeit mit solch einem Trottel, mag sie gedacht haben. Sie tat mir Leid, dass ihr keine besseren, schlagkräftigeren Verkaufsargumente mit ins Call Center gegeben worden waren.
Das grosse Relaunchen
Wenn ich das Wort „Relaunch“ höre, stellt sich bei mir immer ein deutlicher Brechreiz ein, was man mir bitte nicht verübeln möge. An sich bedeutet dieser angloamerikanische Ausdruck in der Werbesprache einen verstärkten Werbeeinsatz für ein etabliertes Produkt. So etwas wird immer dann zwingend, wenn der Absatz in den Keller zu stürzen droht und man sich ausserstande fühlt, das Produkt zu verbessern. Im Druckmedienbereich aber bedeutet Relaunch eine äusserliche Neugestaltung, die meistens auf mehr Farbe, grössere Bilder, mehr Weissraum und weniger Buchstaben abzielt. Der Text stört die Grafik sehr und wird sukzessive abgeschafft.
In total verzweifelten Lagen wird dann auch der altüberlieferte Kopf zerstört (relauncht) oder gar der eingebürgerte Name des Publikationsorgans abgeändert. Weil dabei, wie erwähnt, meistens nur Blödsinn angerichtet wird, kommt es wegen der Verschlimmbesserungen anschliessend bald zum Relaunch des Relaunchs. Genau das macht es denn auch verständlich, dass Zeitungen und Zeitschriften in ihrer Agonie ständig am Relaunchen sind, das ohnehin knapper werdende Geld fürs Herumzupfen am Kleid oder gar für neue bunte Röcke statt für den Geist einsetzen – ja der Inhalt wird wegen der an die Relauncher hinaus geworfenen, nunmehr fehlenden finanziellen Mittel und dem damit verbundenen Zwang zum zusätzlichen Sparen noch mehr vernachlässigt. Sogar bei den Zeitungsausträgern muss in schäbiger Art der Lohn gekürzt werden.
Die infantilen Mätzchen gehen also nicht allein auf Kosten der intellektuellen Substanz. Und solche Massnahmen im Zeichen der Dekadenz sollen erfolgreich sein! Schon mit ihrem Bemühen, in Schönheit zu sterben, beweisen die Zeitungsmacher keine Überlebenskompetenz, um es in der Sprache der Zeit auszudrücken.
Für jeden einigermassen medienkundigen Menschen bedeutet das Signal „Relaunch“ also eindeutig, dass sich ein Publikationsorgan in einer schweren Absatzkrise befindet und jetzt durch Herumschräubeln an der Optik verzweifelt versucht wird, den Untergang noch etwas hinauszuschieben. Die Macher übersehen dabei, dass sie ihre Kunden damit nur verärgern und vertreiben. Die Bindung an ein Blatt, das einem seit Jahren oder gar Jahrzehnten vertraut geworden ist, wird gelockert, systematisch aufgelöst. Und damit erreicht das Relaunchen exakt das Gegenteil von dem, was damit eigentlich beabsichtigt war. Ein Trauerspiel. Als sich sogar das Traditionsblatt Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) bemüssigt fühlte, mit roter Farbe Kästen und Inhaltsleisten zu betonen, brachte das die Leser in Rage. Immerhin wurde die Frakturschrift im Titelkopf behalten.
In Schönheit sterben
So sanft geht es nicht immer zu und her. Die Relaunches zielen alle in die gleiche Richtung: Richtung Boulevard. Vorbilder: „USA Today“, „Bild“, „Blick“. Die Schriften werden grösser, die Farbenpracht nimmt zu, auch bei Zeitschriften. Denker werden zurückgebunden, Schreiber durch Buchstabenvorgaben eingekerkert; Buchstaben („Bleiwüsten“) sind verpönt. Die Folge ist eine inhaltliche Aushöhlung, eine geistige Verödung. Wer ausführlich und hintergründig zu schreiben wagt, findet im relaunchten Blatt bei all den plakativen Bildern, übergrossen Titeln und Leerräumen keine Spalten mehr, die das zu schlucken vermöchten. Was in Worten ausgedrückt werden müsste, wird zurückgefahren. Es scheint, als ob sich Zeitungen und Zeitschriften, von wenigen Ausnahmen abgesehen, gleich selber abschaffen wollten. Schrottpapiere. Relaunch total.
Die Sache erinnert bis ins Detail hinein an den „Tod in Venedig“, der von Thomas Mann 1912 in einer herrlichen Novelle beschrieben worden ist. Hier wie dort hat man es mit einer „Tragödie der Entwürdigung“ (Mann) zu tun. Der Hauptdarsteller, der für seine Werke geadelte Schriftsteller Gustav von Aschenbach, streicht sich noch eine dicke Schicht Schminke ins Gesicht, bevor er das Zeitliche segnet. Ein wunderbar zur Druckmedienlage passendes, bezeichnendes Bild.
Die Herkunft des Worts Relaunch zeigt gewisse Bezüge zu einer Welt an, die uns als Vorbild dient und uns in allen Belangen in den Abgrund reisst. Wir opfern den Vorgaben von jenseits des Atlantiks die ganze Wirtschaft, indem wir unser wirtschaftliches Glück nicht mehr langfristig suchen, sondern in den nächsten 3 Monaten, indem wir von dort jeden Schrott übernehmen, ja sogar käuflich erwerben und dann zu erneutem Vertrauen aufgerufen werden. Das Relaunchen (das neue Starten, wie die Übersetzung heisst) ist zum Dauerzustand geworden, weil frühere Fehlleistungen der kreativen Sanierer dazu zwingen. Und der angesammelte Blödsinn von vorausgegangenen Innovationen wird meistens bei nachträglichen Korrekturversuchen noch überboten. Die Relaunches erfolgen in immer kürzeren Abständen, eine aktive Leservertreibung.
„natürlich leben“
Ich selber bin schwer relaunch-geschädigt. Als einstiger Chefredaktor der Zeitschrift „Natürlich“ absolvierte ich einen 3-wöchigen Studienaufenthalt in Brasilien. Genau in dieser Zeit meiner Abwesenheit wurde die Zeitschrift hinterrücks eilig relauncht und verunstaltet – was bei meiner Anwesenheit nicht möglich gewesen wäre. Etwa 30 % des Texts wurden durch Schriftaufblähungen, grössere Bilder und Leerräume abgeschafft – zur Verärgerung von Lesern und Mitarbeitern. Ich tobte, als ich den Unsinn sah, und war froh, dass Mitte 2002 meine ordentliche Pensionierung fällig war.
Dann ging das Relaunchen erst richtig los, kein Stein blieb mehr auf dem anderen. Ich war nur noch ein passiver Beobachter wie ein Vater, der aus Distanz zuschaut, was aus seinem erwachsen gewordenen und in die Selbstständigkeit entlassenen Kind wird. Sogar die seit gut 20 Jahren eingebürgerte Titelschrift wurde geändert, ein besonders gravierender Fehler. Für Bilder wurde jede Menge Platz zur Verfügung gestellt, die günstigste Art des Seitenabfüllens. Ähnliche Bilder im Grossformat, etwa von Pillenhaufen in allen Regenbogenfarben, wurden nebeneinander ins Heft geklatscht, wenn es an unterschiedlichen Motiven mangelte.
Inzwischen hat sich die Auflage von rund 92 000 auf 43 985 mehr als halbiert, was gerade wieder einen Relaunch nötig machte. Die Werbewoche berichtete am 27.04.2009 darüber so: „Das Verlagshaus AZ Medien hat das Monatsmagazin Natürlich einem Relaunch unterzogen und gibt es neu unter dem Titel natürlich leben heraus. Es behandelt künftig mehr Themen und setzt stärker auf Aktualität. Die Autoren Remo Vetter und Nicole Amrein schreiben zudem eine Rubrik für das Monatsmagazin. Für das neue Design zeichnet Adrian Hablützel von Artdepartment Zürich verantwortlich.
Die hohe Akzeptanz ,grüner’ Themen habe die Redaktion dazu motiviert, einen Schritt weiter bei der Modernisierung der Zeitschrift zu gehen, wird Chefredaktor Markus Kellenberger in einem Pressecommuniqué zitiert.
Natürlich leben erscheint seit kapp 30 Jahren und beschäftigt sich mit Themen wie Natur, Gesellschaft und Gesundheit. 1981 gegründet als Gesundheitsmagazin, wurde die Publikation hauptsächlich in den 90er-Jahren geprägt durch grün-konservative bis ökologisch-fundamentale Ausrichtung.“
Ende Zitat. „Grün“ im politischen Sinn waren wir nie, bewahre! Wohl aber im ökologischen. Tatsächlich war für uns immer die Ökologie Richtschnur, das Fundament für unser Denken, wenn man es so nennen will – und sicher nicht die Ökonomie oder gar das Mitschwimmen im Hauptstrom.
Auf der Webseite www.werbewoche.ch ist neben der erwähnten Mitteilung eine Werbestutz-Werbung eingeblendet, in der ein älterer Herr mit dem Daumen nach unten zeigt und fragt: „Machen Sie die Rechnung immer ohne Ihren Kunden?“ Ein Zufall, gewiss. Manchmal haben es Zufälle in sich.
Die Zeitschrift „Natürlich“, wie sie einst hiess, hatte ein ausgesprochen anspruchsvolles, interessiertes Publikum, das Substanz statt grafische Experimente erwartete. Ich weiss das aus Hunderten von Kontakten. Darauf hätte man sich auszurichten; da ginge es um Inhalt, Gehalt. Aber mit solchen Ansinnen hatte ich schon immer einen schweren Stand. Und inzwischen gerät die Erfüllung solcher Ansprüche zunehmend in Vergessenheit. Wie die Ankündigung „mehr Themen“ in der obigen Mitteilung durchblicken lässt, werden die Artikel weiter verkürzt (es sei denn, der Umfang werde entsprechend ausgedehnt).
Für mich ist es in diesem Fall besonders schmerzhaft, beobachten zu müssen, wie immer wieder das Auflageglück in den falschen Trickkisten gesucht wird, mit all den Folgen. Bei einer Monatszeitschrift von Aktualität zu sprechen, ist ein Witz; sie kommt zwangsläufig immer hintendrein. Schon eine Tageszeitung hinkt dem Radio, dem Internet und dem Fernsehen hinterher. Doch könnte eine Zeitschrift diesen Nachteil durch die Aufbereitung von Hintergründen, Zusatzinformationen, durch klare, erhärtete Aussagen und damit durch Tiefgang kompensieren; das gilt auch für Wochenmagazine. Wollte man die Aktualität verbessern, müsste man die Erscheinungskadenz erhöhen.
Verheerend ist auch das ständige Basteln am Titel und an der Titelschrift, eine Markenzerstörung; man könnte auch von Logozerstörung sprechen. Was soll das denn eigentlich? Wenn sich Firmen umbenennen, weil der schlechte Ruf einen neuen Namen erzwingt, habe ich Verständnis dafür. Erfolgsfirmen und -produkte hingegen werden dies niemals tun, solange sie alle Tassen im Schrank haben.
In den letzten 2 oder 3 Jahren, ich weiss es nicht mehr so genau, hat das Natürlich den Zeitschriftenkopf zweimal geändert – und jetzt auch noch den Titel: „natürlich leben“, heisst die Zeitschrift jetzt. Neu ist für den Titelbestandteil „natürlich“ die etwas verschlankte Schrift Franklin Gothic Heavy (ev. Arial Black) im Angebot, wenn ich mich nicht irre – es ist ja so schön, mit Computerhilfe etwas an Schriften herumzuspielen. Und das Verb „leben“ ist handschriftlich schräg angehängt.
„natürlich leben“ heisst die Zeitschrift jetzt also. Sie hat damit den Titel meines 1988 im AT Verlag, Aarau, erschienenen Buchs, das seit langem vergriffen ist, gekapert. Zwar wäre als Zeitschriftentitel das vereinfachte „Natürlich“ geeigneter, einfacher, schlagkräftiger. Doch ehrt es mich ja, dass eine meiner Ideen zu neuem Leben erweckt worden ist. Wenn auch zum falschen Zweck und dazu noch in marginalisierender Kleinschrift. Sie eignet sich als Buch-, aber nicht als Zeitschriftentitel.
Keine Zeit zum Nachdenken mehr
Die sich ständig drehenden Relaunches, wie sie im ganzen Medienwesen grassieren, landen oft wieder beim Bewährten als Zwischenstation, wie man sieht. Die nächste Neugestaltung kommt bestimmt. Bis hin zu Alarmstufe 6 und zum bitteren Ende. Würde man darüber jetzt eine Novelle schreiben, müsste ihr Titel lauten: „Tod im Verändern“ – oder: „Von der Ästhetik des Untergangs“.
Thomas Mann liess Aschenbach noch dies sagen: „Und im letzten Augenblick ist keine Zeit mehr, da bleibt uns keine Zeit mehr zum Nachdenken." Die auf reine Oberflächlichkeit und äusserliche Schönheit fokussierte Verhaltensweise des Relaunchens wird deshalb überleben … bis sie sich auch selber abgeschafft hat.
Hinweis auf einen weiteren Artikel im Textatelier.com zum Thema Druckmedien
Glanzpunkte:
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