BLOG vom: 18.05.2009
Swatch-GV: Finanzunruhen gingen an der Uhrenunruh vorbei
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Seine erfrischend unkonventionelle Art gefällt mir. Ohne ihn gäbe es wahrscheinlich keine nennenswerte Schweizer Uhrenindustrie mehr. Sie wäre schon in den 1980er-Jahren der damals einsetzenden Globalisierung nach dem von Kurzsicht geprägten US-Muster zum Opfer gefallen. Traditionsindustrien wurden serienweise weggefegt, bestenfalls fusioniert, US-tauglich gemacht. Die Geschichte und die Marken – also die Substanz – blieben dank ihm erhalten und wurden noch gemehrt, vor allem durch die Swatch, diesem Begriff für verspielte Modeuhren aus Plastik von bester Qualität. Die Luxusmarken, die er unter seine Fittiche nahm, wie Breguet, Blancpain, Glashütte Original, Jaquet Droz, Léon Hatot, Omega, Tiffany & Co., Rolex usw. gehören zu den begehrtesten der Welt.
Der Name des Manns, der hinter diesem Welterfolg steht, muss wohl kaum genannt werden. Der aus dem Libanon stammende Nicolas G. Hayek (81), heute ein Schweizer durch und durch, ist der Inbegriff eines erfolgreichen Unternehmers, dessen Erfolgsrezept die Unangepasstheit und die Eigenwilligkeit sind. Er denkt und handelt selbstständig, verblödet nicht im Mainstream. Als ihm noch vor der US-Hypo- und Sondermüllaktien-Krise provisionsgierige Banker (der amerikanische Ursprung trifft diesmal den Kern der Sache) die Bieler Bude einrannten und ihn zum Kauf der von Papierschrott der Lehman-Brüder oder des US-Milliardenbetrügers US-Börsenchefs Bernard Madoff, dem „moralisierenden, scheinheiligen Verantwortlichen der vorwiegend angelsächsischen Börsen-Governance“ (Hayek), andrehen wollten und die Finanzwelt vom schnellen Geld traumatisiert war, sagte er: nein. Seine Unruh, die für den gleichmässigen Gang der Uhren sorgt, geriet nicht aus dem Takt. Deshalb waren er und auch sein Unternehmen denn auch nicht dabei, als die Kartenhäuser einstürzten und alles wie ein schlechter Horrorfilm nach Hollywoodmuster ablief.
„Die Realität ist recht traurig ... Es ist die Realität der Finanzwirtschaft, die die Börsen beherrscht, der Banken, der Fonds, der ‚strukturierten’ Produkte und der wichtigen Industrien, die häufig von gierigen, habsüchtigen, egoistischen und manchmal gar unredlichen Menschen geleitet werden – ihr einziger Antrieb ist das Geld, egal zu welchem Preis, ihre einzige Mentalität eine kriminelle Nach-mir-die-Sintflut-Haltung, ohne irgendein Verantwortungsgefühl gegenüber der Gemeinschaft.“ Diese Hayek-Ausführungen bezeichneten an der Generalversammlung der Swatch Group, CH-2504 Biel, des heute weltgrössten Uhrenkonzerns, der auch im Schmucksegment tätig ist, das wirtschaftliche Umfeld. 1793 Aktionäre waren ins Kongresshaus Biel gepilgert, um das Neueste aus dem „kerngesunden Imperium“ zu vernehmen, das grosse Kapitalreserven hat und aufgrund neuester Verkaufszahlen bereits Silberstreifen am wirtschaftlichen Horizont ausmacht.
Aktienrückkaufsprogramme
2008 wurde von der Swatch-Group (24 270 Mitarbeiter, keine Entlassungen) ein Bruttoumsatz von 5,966 Milliarden CHF erzielt, mehr denn je (Hauptabsätzmärkte sind Europa und Asien). Allerdings schmälerten negative Währungseffekte wie die Abschwächung von Euro und britischem Pfund und der volatile Dollar, dessen Zerfall, übers Jahr 2008 betrachtet, anhielt, den Konzerngewinn; dieser belief sich auf 838 Mio. CHF, 17,4 % weniger als 2007. Bei solchen Dimensionen spielen die Jahressaläre kaum mehr eine Rolle (Nicolas G. Hayek: 5,4 Mio. CHF; Sohn Nick Hayek, CEO: 5,38 Mio. CHF). Darüber wurde an der Generalversammlung vom 15.05.2009 mit keinem Wort gesprochen. Stattdessen gab es von Aktionärsseite Kritik an den Aktienrückkaufsprogrammen zwecks Kapitalherabsetzung und einer Optimierung der Kapitalstruktur aus der Vergangenheit. Eine zu hohe Fremdfinanzierung (im Verhältnis zum Eigenkapital) beeinträchtigt die Flexibilität des Managements. Weil nach Aussage eines finanztechnisch versierten Aktionärs ein Teil der zurückgekauften Aktien aus Gründen einer brutalen Steuerbelastung nach 6 Jahren am Besten vernichtet wird, wurde von ihm festgestellt, es handle sich um eine Kapitalverschleuderung; so werde Geld zum Fenster hinaus geworfen. Das Unternehmen hätte sich seiner Ansicht nach gescheiter den Aktionären gegenüber grosszügiger gezeigt, wenn schon an der optimalen Kapitalstruktur herumgedoktert werden musste. Durch Aktienrückkäufe kann eine Gewinnverdichtung (Erhöhung der Earnings per Share, EPS) vorgezeigt werden, was ja Swatch wirklich nicht nötig hat. Der Mehrwert für Aktionäre ist in der Regel bescheiden (Quelle: Rudolf Volkart: „Aktienrückkäufe und Eigenkapitalherabsetzungen. Wertkonsequenzen aus analytischer Sicht“, www.isb.uzh.ch/publikationen).
Aktienrückkäufe dienen der betrieblichen Wertsteigerung und können laut Vater Hayek ein Schutzschild gegen eine Betriebsübernahme zum Schnäppchenpreis sein. Zurzeit sei kein weiteres Rückkaufsprogramm geplant, beruhigte er das Publikum, weil sich die im Geld schwimmende Swatch-Gruppe Spielraum für Zukäufe erhalten will, womit die Interessenkongruenz zwischen Management und Kapitalgebern in absehbarer Zeit auf keine harte Probe mehr gestellt werden dürfte.
Vater Hayek ist nicht allein der Verwaltungsratspräsident, sondern auch ein Grossaktionär, der in letzter Zeit eifrig Aktien von seinem eigenen Unternehmen gekauft und damit Zeichen der Zuversicht in die Welt gesetzt hat – währenddem anderweitig sogar Verwaltungsräte vermeintlich oder tatsächlich sinkende Schiffe durch Aktienabstossung verlassen haben, von der UBS bis zur GM, um zu zeigen, dass ihnen mehr am privaten als am geschäftlichen Erfolg gelegen ist. Wenn Aktionäre dies bei nächster Gelegenheit nicht durch Abwahlen quittieren, sind sie selber schuld.
Magglingen-Ausflug
Bei der Swatch-Gruppe ticken die Uhren in mehrerer Hinsicht anders. Nur eines können die Uhrmacher nicht: Im Anschluss an die GV ein Buffet Riche so inszenieren, dass es nicht zu Warteschlangen, Gedränge kommt. Das ist nicht ihre Kernkompetenz. Ich mochte da nicht mitdrängen, mit leerem Teller das eine oder andere Häppchen erkämpfen, sondern ich fuhr nach der Stärkung mit einem Multivitamin-Getränk bei schwachem Regen über das Dorf Evilard (Leubringen) die 9 km hinauf nach Magglingen (Magglingen gehört zu dieser Gemeinde im Bezirk Biel). Dieses Dorf liess sich nie für die deutsche Sprache erwärmen und hielt am Französischen fest; man ist da eindeutig hinter der unsichtbaren, dafür hörbaren Sprachgrenze. Die Sicht von diesem Teil des Berner Juras ins Schweizer Mittelland und die Alpen vom Mont Blanc bis zu den Glarner Alpen sowie den Alpstein in der Ostschweiz war ziemlich eingetrübt.
Magglingen (Macolin) ist seit 1887 durch die Standseilbahn Biel‒Magglingen (Bienne‒Macolin, FUNIC) mit Biel verbunden, als auf den Höhen über Biel die ersten Hotels entstanden. 1898 folgte die Bahn von Biel nach Evilard.
Magglingen, dieses seit 1944 als Sitz der Eidgenössischen Turn- und Sportschule dienende Sportler-Mekka, habe ich jetzt erstmals gesehen, ein Hinweis auf meine lotterige Beziehung zum Spitzensport. Es ist von voluminösen Bauklötzen geprägt, die im Dienste des Wettkampfs auf höherer Ebene stehen – eine andere Welt des möglichst schnellen Bewegens und Gelds also. Vor allem ist dort oben die Eidgenössische Hochschule für Sport Magglingen EHSM angesiedelt, die Wissen und Kompetenzen für die Ausübung und das Unterrichten von Sport und Bewegung vermittelt, wie es auf der Webseite www.baspo.admin.ch heisst. Als Kompetenzzentrum bietet die EHSM ein sportmedizinisch, trainingswissenschaftlich und logistisch hochwertiges Dienstleistungsangebot. Dazu dient vor allem die Jubiläumshalle der Sportschule. Ich war als Wanderer der einzige „Sportler“ im Freien – einige Männer luden Waren aus Fahrzeugen der Schweizer Ski-Nationalmannschaft um, die Jahreszeiten überwindend. Für mich gehört frische Luft zum Sport, und ich habe bis heute nicht begriffen, weshalb jemand auf die Idee kommen kann, eine Turnhalle zu schulischen Zwecken zu bauen.
Bald fuhr ich am Südosthang des Magglingerbergs noch weiter, hinauf zum „End der Welt“ am Jorat, dem waldreichen Hochland, das auch Jurten heisst, wo auf der Hohmatt die Strasse bei einem Berggasthaus aufhört (1031 m); an diesem Weltenende werden noch Speckrösti und Spiegeleier angeboten – ohne Gedränge.
Für alle, die sich durch eine fehlgeleitete Ernährung und/oder durch einen Bewegungsmangel das Grab vorzeitig schaufeln oder einfach in aller Seelenruhe das selige Ende abwarten, gibt es dort oben den „FriedWald“ – die Möglichkeit zur Baumbestattung zwischen den Bäumen (www.friedwald.ch). Die Asche eines Verstorbenen wird auf seinen vorangegangenen Wunsch hin direkt zu den Wurzeln eines Baums gegeben. In dieser Oase der Ruhe kann man sich rechtzeitig seinen Baum auswählen – überflüssigen, störenden Friedhof-Zubehör gibt es hier nicht. Die Bäume sind bloss mit Buchstaben wie FV gekennzeichnet und registriert. An einem Baum werden bis zu 10 Aschen von Familienangehörigen eingegraben.
So kann man einst, zu Asche zerfallen, mit dem Baum dem Himmel entgegen wachsen. Und das geht dann ohne Swatch oder Rolex. Die Zeit, die gute und die schlechte, ist überwunden.
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