BLOG vom: 29.06.2009
Suppenhuhn-Resultat: Grandioses Pouletfleisch, mariniert
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Als ich am Abend des 22.06.2009 vor dem leer gegessenen Teller sass, war ich vom Resultat meiner Kocherei rundum begeistert. Auf dem glasierten weissen Porzellan strahlten noch einige orangerot eingefärbte Fetttröpfchen, Restposten vom Tomatenrisotto. Es schien, dass der frisch zubereitete Pouletfonds noch immer seinen zarten Fleischduft aussenden würde – davon waren schliesslich auch die gesamte Küche und der angrenzende Essraum erfüllt. Die Stimmung war gemütlich. Vor den Fenstern ging ein gewittriger Regen nieder.
Gehen Sie zum Arzt ...
Meine Risotto-Zubereitung auf Suppenhuhnbasis dachte ich mir als Belohnung aus. Ich hatte mich übers vorangegangene Wochenende bei Tische sehr zurückgehalten, denn an jenem Montag musste ich zum 2. Gesundheits-Check-up antreten, zu dem mich das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau aufgeboten hatte (und in der Arztpraxis ist zu viel Gewicht nicht gern gesehen): „Im Interesse der Verkehrssicherheit unterstehen die (...) Inhaber eines schweizerischen Führerausweises der Pflicht, sich periodisch verkehrsmedizinisch untersuchen zu lassen“ (alle 2 Jahre nach dem 70. Geburtstag), und dem Aufgebot lagen die Formulare „Anamnese und Befunde“ sowie „Ärztliche Begutachtung“ bei. Mit der „Anamnese“ war nicht etwa das Gebet nach der Konsekration (der liturgischen Weihe einer Person oder Sache) nach katholischem Ritual, sondern die Aufzeichnung der Krankengeschichte nach Angaben des Kranken gemeint.
An Krankenhistorie hatte ich nichts zu bieten, zumal ich mich nach wie vor vollkommen gesund fühle, trotz des etwas über der Norm liegenden Lebendgewichts von 88 kg. Mich stört das nicht, da es sich schliesslich je nach Nahrungsmittelzufuhr und Bewegungshäufigkeit beliebig nach oben oder unten manipulieren lässt. Mein Blutdruck blieb seit 2 Jahren konstant, innerhalb der von der Medizinbranche ersonnenen Toleranz. Die Prostata konnte beim ärztlichen Abtastversuch kaum aufgetrieben werden. Meine Nasenspitze konnte ich mit geschlossenen Augen mit dem linken und rechten Zeigefinger, die in weitem Bogen heranzuführen waren, ziemlich genau ansteuern. Wasser in den Beinen hätte ich auch nicht, sagte Dr. med. Rolf Hugentobler in Küttigen AG, das Musterbeispiel eines vernünftigen Hausarzts alter Schule, der nicht einfach ein Mediziner im Sinne eines Pillenverschreibers ist.
Suppenhuhn-Beschaffung
Zur Feier meiner nun auch offiziell bestätigten Gesundheit und im Interesse meines im vorangegangenen Blog angekündigten Suppenhuhn-Selbstversuchs begab ich mich von der Arztpraxis direkt in den grossen MMM im Wynenfeld in Buchs AG. Auf der Fahrt erinnerte ich mich (Beweis meines intakten Erinnerungsvermögens ...) an einen Text aus der Schrift „Autofahren im Alter“, die mir das Strassenverkehrsamt geschenkt hatte: „Autofahren im Alter hat viel mit Eigenverantwortung zu tun“, steht darin, und ich strengte mich entsprechend an. Aber eigentlich gilt das Zitat für alle Lenkrad-tauglichen Altersstufen.
Zu meiner Überraschung fand ich im Migros ein recht opulentes Suppenhuhn-Angebot in den Tiefkühltruhen im hintersten Teil des ausufernden Ladens, aus dem man kaum mehr herausfindet. Dieses Suppenhuhn-Angebot zu nutzen, hat ja auch etwas mit Eigenverantwortung zu tun, wenn man schon gelegentlich ein Ei oder Eiergerichte wie eine Omelette isst. Man kann nicht das Ei ohne das gealterte Huhn haben.
In der grossen Truhe mit der arktischen Temperatur lagerten zum Beispiel Einzelstücke wie Hühnerhälse, „Poulet Suppenfleisch“ aus der Schweiz (5,6 CHF pro kg) oder ganze Suppenhühner (Aufschrift: „POULET POLLO“) in einer gelben Kunststoffverpackung, auf der 6 herumpickende weisse Hühner-Strichzeichnungen abgebildet sind (7,42 CHF pro kg); ich nahm ein 1,2 kg schweres Modell (8,90 CHF) und ein Pfund Suppenfleisch (Rückenteile) mit.
Im „Lehrbuch der Küche“ von Eugen Pauli (Ausgabe 1984) steht, beim Suppenhuhn (Poulet) handle es sich um das übliche Landhuhn (maximal 2 Jahre alt): „Seine Verwendung ist vielseitig, sei es zur Herstellung von Hühnersuppe, für Poule au riz oder als Frikasse usw.“
Zum Geflügelfonds
Da ich jetzt mit dem nötigen Wissen und Material ausgerüstet war, stand daheim dem wohlverdienten Kochvergnügen nichts mehr entgegen. Sofort spülte ich das Suppenhuhn und die übrigen Teile ab, setzte sie in einem grossen Topf mit kaltem Wasser auf, entzündete die Gasflamme, ist doch eine Spitzenküche nur über Gas (oder Holz) möglich – die Hitze hat erwiesenermassen unterschiedliche Qualitäten. Während des aufblühenden Kochprozesses fügte ich 2 halbierte Bio-Zwiebeln dazu, auch eine Stange Lauch, 3 Rüebli (Karotten), einen Esslöffel Salz, Büschel von Schnittlauch, Petersilie, Liebstöckel und etwas Rosmarin, aromatisches Grünzeug aus dem eigenen Garten; etwa ein Dutzend schwarze Pfefferkörner warf ich ebenfalls in die Pfanne. Über der angereicherten Flüssigkeit sammelte sich ein Eiweissschaum an, den ich abschöpfte – im Interesse der Klarheit der Brühe. Das Huhn schwamm mit gespreizten Beinen entspannt knapp unter der Oberfläche, wie empfänglich für das, was noch kommen sollte.
In der Küche verbreitete sich neben dem Dampfabzug ein herrlich würzig-fleischiger Duft. Damit war das Umfeld gegeben, den Weissen „La Côte“ zu probieren, den ich fürs Risotto einsetzen wollte. Wie beim Autofahren lasse ich auch beim Weinprobieren mein Bewusstsein für Eigenverantwortung zum Zuge kommen, das heisst, ich lasse es nicht bei einem einzigen Schluck bewenden, sondern scheue mich nicht, auf der Grundlage von 1 bis 2 Nachfolge-Schlücken die versteckten Nuancen des vergorenen Traubenmosts zu ergründen. Der neutrale, fruchtige Wein von den nordwestlichen Gestaden des Genfersees bestand den Test.
Zum Risotto
Inzwischen stellte ich die Zutaten für den Risotto zusammen: eine grosse Tasse Carnaroli-Reis, der seine Form und Textur schön behält, Olivenöl, 2 gehackte Zwiebeln, 2 kleine Markbeine, Tomatenpüree, fein geriebenen Sbrinz (anstelle von Parmesan oder Pecorino).
Nachdem das Huhn etwa 1 Stunde (von total knapp 2 Stunden) geköchelt hatte, schien mir der Zeitpunkt gekommen, das Risotto nach Genueser Art in Angriff zu nehmen. In einer Chromstahlpfanne wurde das Öl erhitzt und die zerkleinerten Zwiebeln darin glasig gebraten, die Reiskörner zugegeben. Umrühren. Weisswein zugeben. Die zischende Dampfwolke ist allein schon ein Erlebnis für Augen, Ohren und Nase. Mit einem Schöpflöffel transportierte ich den Geflügelfonds etappenweise vom grossen in den kleinen Topf und fügte die Markbeine zu. Dabei kam ich mir wie ein Spitzenkoch vor ... so von Grund auf muss in einer Viel-Sterne-Küche gekocht werden.
Mit dem Tomatenpüree gehe ich recht grosszügig um, denn das Tomatenrisotto soll eine kräftig rote Farbe erhalten. Die Entwicklung des Fonds und des Risottos zu verfolgen, war ein faszinierendes Erlebnis. Ich messe kaum etwas ab, probiere unterwegs umso mehr, steuere das Gericht nach dem momentanen Empfinden dem Höhepunkt entgegen. Der Risotto brauchte noch etwas Meersalz, immer wieder einen Schöpflöffel Fonds, der auf der benachbarten Flamme in Ruhe weiterköchelte. Der Reis schien den Fond gierig aufzusaugen – kein Wunder. Den Rest des Wohlgeschmacks brachte der gegen Ende zugefügte Sbrinz ins Gericht. Ich gab noch ein kleines Stück Bio-Butter und etwas Olivenöl in den Risotto und bat Eva zu Tisch.
Mein Enthusiasmus kannte keine Grenzen, und ähnlich erging es meiner Ehefrau; sie bewies das auch durch mehrmaliges Nachschöpfen. Ein Festessen an einem Festtag.
Nach etwa 1 ¾ Stunden nahmen wir Huhn und Hühnerteile aus dem Fonds, dem Fundus für spätere delikate Gerichte wie für ein Hühnercurry am folgenden Tag; dafür stand uns noch tiefgefrorene Sauce zur Verfügung, die meine Schwägerin Alice mit den chinesischen Wurzeln bei ihrem letzten Besuch in der Schweiz für uns zubereitet hatte, ein Meisterwerk. So exzellent wie bei ihr habe ich bei meinen mehreren Besuchen in China nie gegessen.
Auch das Suppengemüse wurde herausgefischt. Die Flüssigkeit wurde noch deutlich eingekocht und dann portioniert im Tiefkühler verstaut. Ich hatte mir noch eine kleine Tasse dieser Bouillon der Sonderklasse einverleibt. Sie setzte Massstäbe. Früher wurde die Hühnerbrühe zur Stärkung von Kranken gereicht.
Es wurde mir von Eva ohne Weiteres gestattet, mich dem Abwaschen zuzuwenden (die Abwaschmaschine strafe ich mit Verachtung), eine von mir sehr geschätzte Arbeit, weil dabei noch einmal das gesamte Koch- und Esserlebnis durchlebt werden kann. Inzwischen beinte Eva die Hühnerteile aus und rettete fast 500 g zartes Pouletfleisch.
Diese Fleischstücklein sind nicht einfach eine ausgelaugte, langweilige Masse, sondern vielmehr wurden sie durch den aromatischen Fonds richtiggehend aromatisiert. Dieses Fleisch ist eine wunderbare Basis für einen Geflügelsalat oder Füllungen aller Art.
Epilog
Dieses Nachfolge-Blog zum Suppenhuhn-Elend ist eine Suppenhuhn-Reklame, aber aus einem inneren Bedürfnis und ehrlichem Empfinden heraus geschrieben – dahinter steht keine Bezahlung durch irgendwelche Suppenhuhn-Produzenten oder -Anbieter. Diese Konsekration eines profan anmutenden Tiers wie ein Suppenhuhn in den gewissermassen sakralen Bereich der schönen Kochkünste will den Weg zu neuen Lüsten ebnen und vor allem unserer Lebensmittelverschwendung den Riegel schieben helfen. Es geht um ethisch Grundlegendes, um Fonds eben.
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