BLOG vom: 01.07.2009
Bernie Madoffs Schneeball-Spiel ist in den USA der Normalfall
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Bernard („Bernie“) Madoffs Schneeballsystem wird von den hinterher immer sehr gescheiten Medien gerade als „der grösste Betrugsfall aller Zeiten“ gefeiert. Auf den faulen Trick fielen selbst Grossbanken, andere Vermögensverwalter wie Fondsgesellschaften, Stiftungen, Wohltätigkeitsorganisationen wie die Elie Wiesel Foundation, die das Geld offenbar horteten statt weitergaben, und ebenso die jüdische „Elite“, die laut FAZ Madoff vor allem in New York und Palm Beach als einen von ihr sehr verehrte, voll herein. Dabei ist Madoff trotz der mutmasslich entschwundenen 65 Milliarden USD ein verhältnismässig kleiner Fisch, was noch zu begründen sein wird.
Der Trick, der solchen Systemen zugrunde liegt, ist simpel. Die horrenden Gewinne, die in diesen Dimensionen logischerweise nie anfallen konnten, wurden von Madoff mit den Einlagen neuer Kunden bezahlt, wenn sie jemand zurückhaben wollte. Aber bei Erträgen zwischen 15 und 20 Prozent im Jahr lässt man das Geld doch besser weiter „arbeiten“ ...
Charles Ponzi entthront
Bisher hatte in der ausführlichen, nicht enden wollenden US-amerikanischen Kriminalgeschichte Charles Ponzi (1882‒1949) das Ansehen als Schwindler Number One. Jetzt ist er entthront. Der Börsenpolizei SEC gelang es nicht, seinen Rekord zu erhalten. Sie hatte zwar zusammen mit den in die Gaunereien eingebundenen Ratingagenturen gegenüber Bernies Zauberkünsten während 20 Jahren alle Augen zugedrückt. Keiner der teuren Aufseher wollte den Gottesdienst mit dem Höhepunkt der wunderbaren Geldvermehrung, ein noch grösseres Luxuswunder als bei der biblischen Hochzeit von Kanaa, stören.
Diese religiösen Rituale werden im aufgeklärten Bankensektor als „Ponzi scheme“ (Ponzi-Trick) bezeichnet. Die kreative Buchhaltung basiert auf den Schneeball- oder Pyramidensystemen. Damit diese funktionieren, braucht es eine ständig wachsende Teilnehmerzahl – und die Letzten beissen die Hunde.
Schneeballsystem Hypomarkt
Selbstverständlich entstand auch die US-amerikanische Hypokrise, welche mit ihren noch viel, viel gigantischeren Dimensionen die gesamte Weltwirtschaft niederriss, auf dem Fundament solch eines Schneeballsystems. Man kaufte eine Hütte, die man sich nicht leisten konnte, belastete sie mit zusätzlichen Hypotheken, warf das Geld wirtschaftsbelebend für den Luxuskonsum hinaus, nahm zur Zahlung der Zinsen neues Geld auf, das ebenfalls wieder verzinst werden musste – schon wieder auf Kredit – und so fort.
Das Papiergeld-Zinssystem ist mit seinen Zinseszinsen ja auch nichts anderes als ein Schneeballsystem.
Auf solchen, exzessiv ausgeweideten Systemen beruhte der ganze bisherige Scheinerfolg der US-Wirtschaft (als „Wirtschaftslokomotive“ verherrlicht) und damit die Finanzierung des angeberischen US-Way of Life weit über die eigenen finanziellen Möglichkeiten hinaus. Mit diesem suchte man die ganze Welt zu beeindrucken, was ja merkwürdigerweise tatsächlich gelungen ist; der US-Kult ist weltweit noch immer intakt. Die Schuldscheine wurden mit falschen Ratings (AAA) vergoldet und über die ganze Welt teuer verkauft, eine Irreführung mit Dimensionen, welche die Herren Ponzi und Madoff im Ranking der Grossbetrüger auf hintere Plätze verweist.
Jedes Schneeballsystem ist einmal am Ende; es stürzt früher oder später ein, wie unter anderen der European Kings Club und der Phoenix Kapitaldienst schon längst gelehrt haben. Und auch dies: Auf Wirtschaftsprüfer ist kein Verlass. Die Allerdümmsten sind unter solchen Voraussetzungen jene Anleger, die nicht rechtzeitig ausgestiegen oder am Schluss noch aufgesprungen sind. Madoffs System, für das rund 20 Personen im ovalen Lipstick-Gebäude in Manhattan agierten bzw. die Zahlungseingänge verbuchten, war nicht Auslöser der Finanzkrise, sondern es brach zusammen, weil zu viele Anleger ihr Geld eben wegen der Finanzkrise abziehen wollten.
Schneeballsystem neoliberale Wirtschaft
Das grösste Schneeballsystem ist die neoliberale, auf kurzfristige Gewinne ausgerichtete Wirtschaft. Sie kann, wie jedes andere Schneeballsystem auch, nur anwachsen, wenn ständig mehr konsumiert wird, das heisst wenn immer mehr Geld in sie hineingepumpt wird. Doch wenn der Schneeball beim Herunterrollen immer grösser wird, immer mehr Schnee um sich wickelt, kann er Lawinen auslösen oder allein schon durch seine Grösse eine zerstörerische Macht entfalten.
Eine Wirtschaft, die nur ständig wachsend überleben kann, ist vom Ansatz her falsch konstruiert. Sie müsste aus den Reserven aus guten Jahren auch schwierige Zeiten überstehen können. In diesem Fall aber wäre ein langfristiges Denken, Planen und Handeln nötig. Der Neoliberalismus aber agiert bestenfalls im Hinblick auf maximal 3 Monate, ist kurzsichtig. Darin liegt eines seiner Verhängnisse (die anderen sind die Vereinheitlichung, der Gigantismus und damit die höhere Störungsanfälligkeit, die bald zur Katastrophe werden kann).
Schneeballsystem Staatsverschuldung
Die Katastrophe ist jetzt gerade da, und dabei kommt ein neues Schneeballsystem zum Zuge, bei dem von Anfang an nicht mit Schneebällen, sondern mit ganzen Lawinen gearbeitet wird. Barack Obama ist der grosse Lehrmeister. Der serbelnden Industrie werden immer mehr Milliarden nachgeworfen, zum Beispiel der maroden Autoindustrie, die nach den Charaktereigenschaften des Landes USA auf Protz statt auf inhaltliche Grösse gesetzt hatte. Das Geld, das in die falsch konstruierte Wirtschaft, die u. a. ebenso falsch konstruierte Autos baut, ständig eingeschossen werden muss, kommt nach all den Debakel-Erfahrungen nicht mehr von den vorsichtiger gewordenen Anlegern, sondern vom Staat. Er vertritt beim Aufblasen des neuen blasenartigen Schneeballs zur Superblase die Auffassung, das Sterbenlassen einer abgehalfterten Industrie käme die Öffentlichkeit teurer zu stehen als ihre ständige Unterstützung. Ein Blödsinn zwar, aber medienwirksam und vordergründig und für kurze Zeit tröstend.
Wie bei der Hypo- und Kreditkartenblase die Schuldner, so agieren auch Staaten – und allen voran die USA – aus einem mittellosen Vakuum heraus. Hier geschieht die wunderbare Geldvermehrung durch eine Kadenzsteigerung bei den Dollarpressen, obschon natürlich die allermeisten Dollars nur noch in virtuellen Systemen entstehen. Ihr Wert entspricht dem Altpapierwert plus dem Glauben an sie vonseiten einiger Devisenhändler, die noch nicht erkannt haben, was es geschlagen hat.
Dieses unendliche Aufblasen der Geldmenge wurde durch den US-Befehl an alle Welt, den Golddevisenstandard abzuschaffen, ermöglicht; die rückgratfreie Schweiz verkaufte zu grosse Mengen Gold zu billig und drückte gleich auch noch den Preis des Restbestands. In China war das Gold unter den Kommunisten gar verboten.
Die Goldbestände in einem Land haben also keine limitierende Wirkung auf die Geldscheinpressen mehr, sondern diese können beliebig produzieren, das globale Schneeballsystem zur grössten Blase aller Zeiten aufblasen, die schwerwiegendste Fiktion aller Zeiten nähren. Der ganz grosse Knall steht noch bevor. Dann wird „das kriminelle schwarze Gesicht der Globalisierung“, das durch Madoff laut dem Autor des Buchs „L’Affaire Madoff“, Amir Weitmann, heraufbeschworen wurde, durch ein wesentlich schwärzeres übertüncht sein, falls etwas schwärzer als schwarz sein kann. Man wird selbst das schaffen.
In Amerika ist alles möglich. Dort gelingt es ohne Weiteres, einen 71-Jährigen zu 150 Jahren Gefängnis, also nicht bloss lebenslänglich, zu verurteilen.
Inzwischen rollen wesentlich grössere Schneebälle auf die Menschheit zu. Offensichtlich gingen ohnehin alle Massstäbe und mit ihnen jede Vernunft verloren.
Vielleicht hat der Börsen-Untergangsprophet Marc Faber Recht, wenn er die heutige Lage und ihre Akteure als bedrohlich einstuft („Ich halte Obama für einen ziemlich gefährlichen Kerl“): Die letzte Option ist vermutlich wieder Krieg. Damit können Politiker nach dem Vorbild von George W. Bush von ihrer Inkompetenz ablenken (Quelle: http://hw71.worldpress.com).
Literatur zum Thema
Hess, Walter: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“ (ISBN 3-9523015-0-7), Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005.
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