Textatelier
BLOG vom: 01.09.2009

Rund um Gersbach D: Barockschanze und eine Kräuterwirtin

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Ein sehr interessanter Vorschlag erreichte mich am 17.08.2009 per E-Mail von meinem Wanderfreund Toni aus Lörrach. Er schlug für den 20.08.2009 eine kleine Wanderung rund um Schopfheim‒Gersbach vor. Dann hatte er noch 2 Besonderheiten in petto: Besuch der Nachbildung einer Barockschanze und die anschliessende Einkehr im „Café zur Kräuterwirtin“. Er erzählte mir ganz euphorisch von diesem Lokal mit der agilen Wirtin. Er war nämlich einige Tage vorher mit seiner Frau dort gewesen und hatte und zur vollsten Zufriedenheit einen Schwarzwälder Speck gevespert, der gut abgelagert, zart und würzig war. Das machte Appetit.
 
Toni konnte noch die anderen Wanderfreunde Manfred von Lörrach und Walter von Steinen begeistern, und so fuhren wir die kurvenreiche Strecke von Schopfheim nach Gersbach. Es war der heisseste Tag des Jahres 2009. In Freiburg wurden 37,5 °C und in Ihringen am Kaiserstuhl, dem wärmsten Ort Deutschlands, 38,1 °C gemessen. In Schopfheim waren es zwischen 35 und 37 °C. In Gersbach betrug die Temperatur an geschützten Arealen in etwa 900 m Höhe um die 30 °C.
 
Wir parkten am Informations-Pavillon am Ortseingang und wanderten in Richtung „Hohle Eiche“. Das war unser Umkehrpunkt. An einigen Stellen wehte uns ein kühler Wind entgegen, der uns sehr erfrischte; an geschützten Stellen traf uns die Hitze mit aller Wucht. Aber das ging bald vorbei. Wir erfreuten uns noch an den traumhaften Blick nach Schopfheim ins Wiesental, auf die Schwarzwaldberge und die Berge des Schweizer Juras. Es war etwas diesig, so dass wir die mächtigen Berge im Berner Oberland nicht erblicken konnten.
 
Der Rückweg über die Wiesen um Gersbach gestaltete sich nicht schwierig, weil wir nur einen kurzen Anstieg hatten. Wir frequentierten Wegweiser des Schwarzwaldvereins. Von hier aus konnte man über die Mettlerhöfe ins Wehratal nach Wehr absteigen. Aber das war uns an diesem Tag doch zu beschwerlich. Wir hatten ja ein anderes Besichtigungsprogramm vor uns.
 
Gersbach
Noch einige Infos zu Gersbach. Das Höhendorf liegt auf einem Hochplateau des südlichen Schwarzwaldes auf 800 bis 1169 m ü. M. und gehört zur Stadt Schopfheim. Es ist Goldmedaillenträger des Wettbewerbs „Unser Dorf soll schöner werden – unser Dorf hat Zukunft“ (2004) und der „Entente Florale“, ein Europawettbewerb (2007).
 
Einige Fakten habe ich schon im Blog vom 28.07.2008 (Frank Hiepe: Ein versierter Kenner der einheimischen Flora) publiziert. Auf jeden Fall ist Gersbach ein wunderschöner Ort mit vielen Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten. Die rührige Gemeinde hat viele Besonderheiten zu bieten. Nicht nur den Weidepark Gersbach, den Waldglaspfad oder das Waldglaszentrum im Rathaus, sondern auch den 10 km langen Schanzenweg mit vielen Schautafeln und den „eisernen Kulturpfad“ mit Skulpturen von W. Gerstner. Die Skulpturen sind im ganzen Ort zu sehen, ausgehend vom Schwarzwaldgasthaus „zum Waldhüter“ bis zum Anwesen Greiner.
 
Geniale Strategie des „Türkenlouis“
Von unserem Ausgangspunkt fuhren wir durch das Dorf zur Barockschanze*. Es handelt sich hier um die Rekonstruktion einer Sechseckschanze. Solche oder ähnliche Schanzen, aber auch Wach- und Signaltürme, Wallgräben, Sperrgräben und Palisaden wurden im 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts entlang einer 200 km langen Verteidigungslinie in ganz Baden errichtet. Die Linie verlief von der Schweizer Grenze bis nach Heidelberg. Initiator war der badische Markgraf Ludwig Wilhelm (1655‒1707). Er ging auch unter dem Namen „Türkenlouis“ in die Geschichtsbücher ein, weil er am Sieg gegen die Osmanen in der Schlacht bei Slankamen (auch: Szlankamen) beteiligt war. Am 19.08.1691 trafen während des „Grossen Türkenkriegs“ (1683‒1699) die Heere von Österreich und des Osmanischen Reichs aufeinander. Obwohl das osmanische Heer mit 90 000 Mann mit 200 Geschützen den kaiserlichen Truppen mit ihren 50 000 Soldaten und 50 Geschützen weit überlegen war, siegten die Truppen unter Leitung des „Türkenlouis“. Die Kriegsbeute war ungeheuer: 10 000 Stiere, 10 000 Zelte, 5000 Pferde und 2000 Kamele und Maultiere. Insgesamt soll der „Türkenlouis“ in 57 Schlachten  siegreich gewesen sein.
 
In Baden hatte er jedoch mit Türken nichts zu tun, sondern mit den eroberungswilligen Franzosen, die über den Rhein drängten. Zu allem Übel verbündeten sich die Bayern mit den Franzosen.
 
Die Schanzen dienten dazu, dass sich Soldaten und Bauern zurückziehen konnten. Die Bauern wurden zum Schanzenbau zwangsverpflichtet. Zeitweise schufteten 15 000 Schanzebauern im ganzen Land. Mit dem Bau der Verteidigungslinie schaffte es der Landgraf zu seinen Lebzeiten, das Land zu sichern.
 
* Barockschanze nennt man sie deshalb, weil sie parallel zu den Kriegen im Barockzeitalter erbaut wurde (Frühbarock: 1616‒1648; Hochbarock: 1650‒1675; Spätbarock: 1675‒1715).
 
In der Schanze
Das Schanzenforschungs-Projekt, das von Werner Störk, Hauptlehrer an der Friedrich-Ebert-Hauptschule und Leiter der AG „Minifossi“ ins Leben gerufen wurde, hat von 2002 bis 2008 insgesamt 132 Anlagen wieder gefunden (42 Schanzen, 34 Vorposten und 56 Wall-Graben-Systeme). Über 10 000 Fotos sind im Internet unter der Web-Adresse www.jugendheim-gersbach.de einzusehen. Eine beachtliche Leistung.
 
Als wir auf dem Schanzenareal angekommen waren, bestiegen wir zuerst den 7 m hohen Turm ausserhalb der Schanze. Dieser Wach- und Signalturm (Chartaque) wurde mit historischen Biberschwänzen gedeckt und mit Douglasienholz beplankt.
 
Von hier oben hatten wir einen schönen Blick auf die 60 Meter im Durchmesser messende Schanze. Es war eine Meisterleistung, eine solche Schanze originalgetreu nachzubauen. Es war eine jahrelange Vorarbeit nötig. Insgesamt kostete die Anlage 370 000 Euro. 2 Drittel der Kosten trug das Leader-Plus-Programm der Europäischen Union, den Rest übernahmen der Landkreis Lörrach, die Stadt Schopfheim und Gersbach.
 
Nach der Turmbesteigung ging es wieder auf einer Wendeltreppe abwärts. Dann schritten wir durch das grosse Gattertor in die Schanze hinein. Im Hof befinden sich 2 Blockhütten, die mit einer extensiven Begrünung ausgestattet sind, und einige Info-Tafeln. Höhepunkt war für uns das Überqueren der Eingangsbrücke, die uns in den oberen Bereich der Schanze führte. Von hier aus gingen wir auf einem Weg unterhalb der Schanzenkrone um den Erdwall herum. An einer Stelle auf einer Art Terrasse hatten wir einen guten Blick auf den äusseren Graben und den äusseren Wall, aber auch einen schönen Blick auf Gersbach.
 
Bei der Kräuterwirtin
Nach der Besichtigung der Schanze fuhren wir zur Kräuterwirtin Helena Schmidt, die ihr Café im Möhrenblick 14 Ende Dezember 2008 eröffnet hat. Es ist kein gewöhnliches Café. Sie bietet nicht nur selbst gebackene Kuchen und Torten an, sondern auch herzhafte Speisen und Schwarzwälder Vesper. Auf den 2. und 4. Freitag im Monat kann man knusprige Hähnchen mit Kräuterknoblauch-Sauce und Bauernbrot vorbestellen. An jedem 1. Sonntag im Monat hat sie etwas Besonderes im Programm: Ein Sonntagsbuffet mit einem regionalen Frühstück und Hausgemachtes aus der Region für 11,80 Euro. Die Gerichte variieren je nach Saison „Es hät, solang`s git!“ Demnächst werden wir uns das Sonntagsbuffet einverleiben – wenigstens einen Teil davon.
 
Wenn man die Ankündigung liest, läuft einem das Wasser im Munde zusammen. So ist im Angebot dieses: Marinierter Briekäse auf Beinwell mit Dost und Pfefferminze, Kräuterquark, Vogelmiere-Meerrettich-Sahne, Lindenblütenlimonade, Kräuterschmalz im Töpfli serviert, Kräuter-Vollkornbrot, Blut- und Leberwurst im Heubett, Fruchtsalat mit Klee und Rosenblättern, Hollerküchlein.
 
Bevor wir im Freien Platz nahmen, entdeckte ich am Eingang einen schön bepflanzten Hügel mit Kräutern und Heilpflanzen. Gegenüber befanden sich auf einer Tafel einige Vesperhinweise (Speckbrot, Speckeier und einen Arbeitsteller für je 4,90 Euro, Wurstsalat reichlich garniert, mit Brennnesselkaviar serviert für 5,90 Euro) und der Spruch des Monats: „Dein Körper ist dein lebenslanger Begleiter. Behandle ihn behutsam und liebevoll, damit die Seele Freude hat, darin zu wohnen.“
 
Nach der Begrüssung durch die freundliche und agile Kräuterwirtin bestellten wir Kaffee und Apfelkuchen mit Sahne. Ein Teilnehmer labte sich an einer Schlachtplatte mit Blutwurst, Leberwurst und Schwarzwälder Speck. Alles schmeckte hervorragend.
 
Dann führte mich Helena (inzwischen duzten wir uns alle) über die vor dem Haus gepachtete grüne Wiese. Sie erzählte mir, was sie für Pläne hat. Sie möchte eine Permakultur nach Angaben von Sepp Holzer, den sie persönlich kennt und wahrscheinlich im nächsten Jahr nach Gersbach kommt, anlegen. Ihr Mann und Sohn waren gerade dabei, Holzstämme mit dem daran befindlichen Grün abzuladen. In ausgeschachteten Parzellen werden die Holzstämme versenkt und mit Erde zugeschüttet. In dieser so gelockerten Erde gedeihen laut Holzer viele Pflanzen, die sonst nicht in einer Höhe von 1100 bis 1500 Meter heranwachsen (www.krameterhof.at).
 
Helena hat auch noch ganz andere Pläne. Sie will einen Kräutergarten und einen Barfusspfad anlegen. Der geplante Barfusspfad ist schon von der Erde befreit. In einigen Kisten sah ich schon die verschieden feinen und groben Kieselsteine, die später im Abstand von 2 Metern ausgebracht werden sollen. Geplant sind jedoch noch andere Beschichtungen auf diesem Wohlfühlpfad. Zukünftig können Besucher barfuss auf Sand, Moos, Holzpflaster, Pflastersteine, Tannenzapfen lustwandeln. Ich freue mich schon auf die Einweihung.
 
Des Weiteren plant sie einen Wohlfühl- und Sinnesgarten mit Streichelzoo für die Kinder. Ich bin überzeugt, diese Pläne sind noch nicht die letzten. Sie sprüht nur so vor Einfällen.
 
Helena Schmidt ist eine ausgebildete Kräuterpädagogin. Sie legte nach 1,5 Jahren ihre Qualifizierung an der Gundermannschule® mit einer theoretischen und praktischen Prüfung ab. Schwerpunkte der Ausbildung sind die traditionelle Kräuterkunde und die Ethnobotanik. Diese befasst sich mit dem Vorkommen und der Verwendung von einheimischen und kultivierten Nahrungs- und Heilpflanzen. Die Kräuterpädagoginnen sind dann befähigt, Kräuterwanderungen durchzuführen, Vorträge über Heilkräuter zu halten, Wildkräuter-Buffets für Feste und Feiern zu organisieren und Köstlichkeiten aus der Natur zuzubereiten, aber auch Kräuter-Wellness anzubieten. In ihrem Haus können Übernachtungen gebucht werden. Je nach Wunsch kann der Gast in Stroh- oder Heubetten nächtigen.
 
Während der Vesper konnte ich noch in eine Mappe hineinsehen. Über die Gründungsidee war dieses u. a. zu lesen:
 
„In meinen Gedanken formte sich ein ‚Wohlfühlcafe für alle Sinne’ heraus. Ich wollte meine Gäste in einem besonderen, liebevollen Ambiente verwöhnen. Mit ungewöhnlichen und dennoch schmackhaften, mit eigens dafür ausgesuchten Kräutern, liebevoll hergestellten Gerichten, wollen wir das Bild des Kräutercafes vervollständigen.“
 
In der Tat ist ihr das jetzt schon gelungen. Es ist eine Einrichtung, die etwas Besonderes im Schwarzwald darstellt. Und auch die Wirtin ist etwas Besonderes. Durch ihre herzliche extrovertierte Art begeistert sie jeden. Auf jeden Fall ist ihr weiterhin Erfolg zu wünschen.
 
Literatur
Ralf H. Dorweiler: „Wenn der Türkenlouis das erlebt hätte“, „Badische Zeitung“, 14.11.2007.
Harald Klemm: „Werkbericht zur Umsetzung des Schanzenprojektes“, „Das Markgräfler Land“, Band 1/2009.
Werner Störk: „Fortifikation im Barock: Die Schanzen des ,Türkenlouis’ im Südschwarzwald“, „Das Markgräfler Land“, Band 1/2009.
 
Internet
www.cafezurkraeuterwirtin.de (diese Hompage wird demnächst installiert)
 
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