BLOG vom: 25.09.2009
NZZ-Relaunch: Das peinliche Facelifting der „alten Tante“
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Die Zeiten ändern sich. Sie tun das neuerdings so schnell, dass es zur Wohltat wird, wenn etwas Bewährtes stabil bleibt, sich nicht ändert – und wie ein Fels in der Brandung den Wellen des flüchtigen Zeitgeists trotzt.
Die 1780 gegründete „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) war bisher eine Art unverrückbarer Papierberg, der sich von der Pandemie der Medien-Boulevardisierung nicht beeindrucken liess (ähnlich der deutschen FAZ). Die NZZ zeigte Standhaftigkeit und offenbarte die Auffassung, dass die traditionelle Qualität auch äusserlich in Erscheinung treten sollte. Eine gepflegte Erscheinung wie ein Herr im dunklen, massgeschneiderten Anzug – es müssen nicht immer Frack und Zylinder sein – ist eine Botschaft von Noblesse, besonders dann, wenn auch das Benehmen stimmt und Gespräche denselben Eindruck wie das äussere Erscheinungsbild hinterlassen. Auf den inneren Gehalt kommt es in erster Linie an.
Zwar versteht man, dass die Zeitung aus Zürich 1946 die Frakturschrift gegen die modernere lateinische Antiqua im Interesse der Leserfreundlichkeit umstellen musste. Dennoch blieb die NZZ in ihrer vornehmen Schlichtheit die schönste Zeitung auf dieser Erde; „nur ein Cocktailkleid von Chanel war noch eleganter“, schrieb Spiegel online am 23.09.2009 unter dem grafischen Schock wegen des NZZ-Grafikers, der sich als Hooligan entpuppte und eine starke Marke um die eigene Identität bringen wird. Und der „Spiegel“ erinnerte sich in diesem Zusammenhang an den verheerenden Nonsens, den der Schweizer Publizist Roger de Weck, ein leidenschaftlicher Modernisierer, auch in politischen Belangen, welcher der „Zeit“ durch einen missglückten Relaunch Ende der 1990er-Jahre fast das Genick gebrochen hat. Der Publizistikstar musste ersetzt werden. Anschliessend an solche Zerstörungswerke muss jeweils mit einem Redesign zu retten versucht werden, was allenfalls noch zu retten ist.
Die NZZ hat sich mit ihrem Facelifting in den üblichen Medienhauptstrom eingebettet; sie ist billig, gewöhnlich, austauschbar geworden – und man kann sie auch gleich vergessen. Auch das inhaltliche Profil, falls man davon noch sprechen darf, ist dem Mainstream angepasst (NZZ: „hohe Auslandkompetenz“): Alles, was die USA vorgeben und der übrige Westen kopflos nachdenkt oder nachvollzieht, ist gut, der Rest schlecht, darf und soll kritisiert und heruntergemacht werden. Dieses simple Strickmuster ist natürlich in dieser Zeit der US-Kriegspolitik und des Niederreissens der Weltwirtschaft durch die US-Dummheiten und -Kriminalitäten kein Erfolgsrezept mehr.
Stabile Leserzahlen wurden unter solchen Vorzeichen als Erfolg gedeutet, und wo der tatsächliche Erfolg ausbleibt, bleiben auch die Inserenten auf Distanz. Wenn dann noch die Weltwirtschaftskrise, die mit der US-Hypo- bzw. Hyperkrise begann, dazu kommt, werden Abonnenten und Inserate knapp. Statt sich um inhaltliche Verbesserungen, um journalistische Qualität zu bemühen, ging auch die NZZ den Weg des billigsten geringsten Widerstands. Sie verkleinerte die Redaktion (etwa durch Frühpensionierungen als gute Gelegenheit, um Alte loszuwerden), opferte Gehirnmasse, kürzte das Zeilenhonorar um 1/3 auf CHF 1.40, hatte aber immerhin noch genügend Geld für das neue Kleid mit den Anleihen im Boulevard, das von der Kölner Designagentur Meiré und Meiré als Kopie des allgemeinen Tageszeitung-Aussehens übernommen wurde. Die „alte Tante von der Falkenstrasse“, als die man bisher die traditionsbewusste NZZ mit einer Mischung aus Spott und Bewunderung bezeichnete, wird nicht jünger, wenn man ihr eine bunte Fahne umhängt und etwas Schminke ins Gesicht schmiert. Das sieht dann einfach kindisch aus. Die einstige Zurückhaltung im Modernisieren ist jetzt weg; das 1. Farbbild wanderte 2005 auf die NZZ-Frontseite.
Wie üblich bei den Relaunches, geht es um mehr Spalten (im Falle der NZZ um 5 statt bisher deren 4, an denen die „Kultur“ festhalten darf), damit Überschriften-Variationen und eine intensivere Bebilderung erleichtert werden (Bilder können billiger als Text produziert werden). Zum Standardprogramm gehören grössere Zwischenräume (Leerraum, vor allem im Kopfbereich der Seiten) und damit mehr Luft – als ob die Zeitungsleser vor allem begierig auf Weissraum wären; diesbezüglich wären sie mit preisgünstigen, unbeschriebenen Notizbüchern aus der örtlichen Papeterie besser bedient. Und mit solchem Unsinn sollen die Jungen angelockt werden. In der Praxis aber gelingt dadurch die Vertreibung treuer Leser weit besser. Mit abgedroschenen, von allen kopierten Innovationen kann die verkaufte Auflage von derzeit 143 000 Exemplaren wohl kaum gehalten werden.
Bei derartigen Gelegenheiten wird jeweils auch an der Zahl der Bünde herumgedoktert, die nach der jetzigen Mode gerade wieder reduziert wird. Im NZZ-Fall von 5 auf 3, zumal ja auch der Umfang schmilzt. Die 1. neugestaltete Nummer vom 23.09.2009 war mit Gefälligkeitsinseraten stark aufgeblasen. Die Luft wird blad wieder draussen sein.
NZZ-Chefredaktor Markus Spillmann (1967), seit April als Nachfolger von Hugo Bütler im Amt, versucht dies alles unter dem Motto „Der Substanz mehr Ästhetik geben“ zu verkaufen, und er bettelt um Treue zum Blatt ... schon fast ein Eingeständnis des schwerwiegenden Ausrutschers.
Ueli Maurer lag richtig
Die Medienqualität stand in den vergangenen Tagesaktualitäten im Vordergrund. Der Schweizer Bundesrat Ueli Maurer las am 17.09.2009 am Jahreskongress den verlegenen Schweizer Verlegern in Interlaken die Leviten. Die Medienvielfalt sei nur noch scheinbar, sagte er, ebenso scheinbar seien die Information und die Genauigkeit. Tatsächlich aber seien der Pfusch und eine unkritische Haltung, bemängelte er sinngemäss; Themen würden totgeschwiegen. Recht hat er. Und man ist dem beizufügen geneigt, man sei auch für das verantwortlich, was man nicht schreibt und nicht tut (Laotse).
6 Tage vor der Neueinkleidung der NZZ sagte Maurer in seiner markanten und zutreffenden Rede: „Wenn alle wie im Märchen die neuen Kleider des Kaisers preisen, ist es die Aufgabe der Medien, als kleiner Knabe mit der Wahrheit in die Disziplin der Heuchelei hinein zu platzen und zu schreiben, ja, zu schreien: Der ist doch nackt!“
Hinsichtlich der neuen NZZ-Kleider blieb nicht nur ein Aufschrei aus, sondern vor allem die übrigen Medien waren es, welche die neuen Kleider priesen und das Debakel herunterspielten, weil sie ja selber in dieses Theater des Relaunchens eingebunden sind und jedes Wort der Kritik auf sie zurückfiele. Wahrscheinlich sind sie sogar unterschwellig glücklich darüber, dass es jetzt selbst die NZZ erwischt hat, die sich nun nicht mehr durch eine elegante Robe über sie erheben kann. Die „hohe Erscheinungskompetenz“ des einstigen Traditionsblatts ist in den Boulevardsumpf eingetaucht – nur dort ist noch der nötige Tiefgang auszumachen.
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