BLOG vom: 12.10.2009
Büren a. A. (BE): Wo die Aare abschweift und zum Kanal wird
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Bei einer Aareschifffahrt von Solothurn nach Biel am 09.04.2007 legte unser Motorschiff „Siesta“ in Büren an der Aare BE kurz an, und ich bedauerte damals, dass eine ausgiebige Besichtigung dieses mittelalterlichen Landstädtchens nicht in unserem Zeitplan unterzubringen war. Ich habe es in meine Liste der zu besuchenden Orte, die sich ständig verlängert, aufgenommen. Jede Exkursion weckt nämlich neue Begehrlichkeiten.
Kurz gestreift und auch durchfahren habe ich dieses Büren schon mehrmals mit dem Auto auf der Reise von Solothurn Richtung Lyss BE (Bezirk Aarberg), das heisst ins Seeland, wenn ich die A1, die grosse Autobahn, mied. Büren a. A. (443 m ü. M., 3200 Einwohner) wurde im 13. Jahrhundert genau aus verkehrspolitischen Erwägungen heraus gegründet; es befindet sich in einem Engpass zwischen dem Städtiberg (595 m ü. M.) und der Aare, war einst vollständig von Wasser umschlossen und hatte einen Grundriss in der Form eines Dreiecks. Inzwischen haben 2 Juragewässer-Korrektionen die Aare gebändigt; doch gerade im Raum Büren/Meienried/Scheuren/Meinisberg, zu beiden Seiten des Nidau-Büren-Kanals, sind noch die auffälligsten Relikte des ehemaligen Aarelaufs zu langsam verlandenden Altarmen verkommen. Es sind Restbestände des ehemals mäandrierenden, übermütigen Flusslaufs mit seinen schwankenden Wasserständen, die gelegentlich zu Überschwemmungen ausuferten. Heute sind es landschaftliche Attraktionen.
Die Bahnstation SBB befindet sich etwa 5 Fussgängerminuten südlich vom Bürer Stadtkern entfernt. Beim Bahnhof kann man sein Auto für 1 CHF pro Stunde los werden. Der Fussgänger erreicht sofort den Graben (Wassergraben), der jetzt aufgefüllt, vollkommen trocken und eine Strasse ist, welche den Stadtkern auf 2 Seiten des Dreiecks umschliesst; im Norden übernimmt in kleiner Distanz zur Aare – und dieser parallel folgend – die Hauptgasse diese Aufgabe. Ich weiss dies dank des Ortsplanstudiums beim Bahnhof.
Das Stedtli
Im kompakten Städtchen ist das ehemalige Landvogteischloss und heutige Amtshaus am Westeingang des Fleckens, das aus der Zeit zwischen 1620 und 1625 stammt und zu den Hauptwerken bernischer Architektur des 17. Jahrhunderts gehört, das dominante Baudenkmal, ein Renaissancebau mit Anklängen an die Burgunder Bauweise. Die Baumeister hiessen Daniel Lerber und Daniel Heintz. Die Südfassade, die zwischen markanten Erkern und unter der typisch bernischen Giebelründe in Erscheinung tritt, ist mit gotischen Staffelfenstern versehen und lebhaft bemalt, eine sehr schöne Restauration (2003). Im Türmchen über dem Hofeingang hängt das so genannte Armsünderglöckchen, das jeweils nach einer Hinrichtung geläutet wurde, letztmals am 07.06.1861. Nichts damit zu tun hat eine Gedenktafel, die an den „Staatsmann Bundesrat Jakob Stämpfli, Schöpfer der Berner Verfassung, Vorkämpfer der Staatsbahnen, Hüter unserer Unabhängigkeit, der Wohlfahrt Förderer 1820‒1879“ erinnert. Stämpfli lebte zwar nicht in Büren, absolvierte aber beim damaligen Amtsgerichtsschreiber eine Lehre.
Noch etwas älter ist das 1613 bis 1619 errichtete Rathaus, das ein Renaissance-Täferzimmer aus der Zeit um 1640 enthält; leider konnte ich dieses Baudenkmal am Samstag, 04.10.2009, nicht besichtigen. Es wurde 1950 bis 1953 umgebaut und renoviert, vor dem Zerfall gerettet. An den Fenstern im Rathaussaal hängen die Wappenscheiben der 14 Gemeinden des Amtsbezirks Büren, wie ich nachgelesen habe.
Die Gebäude an der Hauptgasse, auf deren Steinbelag Autopneus ein volltönendes Rauschen erzeugen, bieten Abwechslung durch ihre Farbe, durch ihre unterschiedliche Höhe, verschiedenartig gestaltete Giebel und den individuellen Blumenschmuck vor den Fenstern bis hin zu einer fast vollständig abdeckenden Fassadenbepflanzung, die selbst Fenster verschliesst. Auch das Gewerbe blüht hier. Die Apotheke/Drogerie am Marktplatz bietet einen umfangreichen Gesundheitsservice an.
Offen war dafür die reformierte Stadtkirche zu St. Katharinen mit dem am Ende des 13. Jahrhunderts entstandenen, frühgotischen Chor und dem figürlichen Kapitellschmuck, der von der Schöpfungsgeschichte und vom Weltgericht erzählt (und damit die Globalisierung vorwegnimmt) und den etwas jüngeren Gewölbemalereien. Der sakrale Raum wurde durch hereinfallendes Sonnenlicht von seiner düsteren Atmosphäre erlöst. Bemerkenswert ist die flach beschnitzte und bemalte Holzdecke über dem spätgotischen Langhaus, die aus dem Jahr 1510 stammt. Die Kanzel ist ein handwerkliches Meisterstück (1625). Während der Restaurationsarbeiten von 1963 stürzte der Turm ein und zerstörte einen Teil des Chors – übrigens einen Tag vor der Aufrichtefeier. Auch die Rokoko-Orgel von 1722 wurde stark beschädigt. Die zuständige, heilig gesprochene Katharina (es gibt 8 dieses Namens) war mit ihren umfangreichen Aufgaben als Schutzpatronin damals gerade hoffnungslos überlastet. Ihr sei vergeben.
Kalbsleberli auf Spanisch mit Sämi Schmid
In dieser Kirche fand ich den Stadtprospekt „Vom lebendigen Stedtli zum puren Naturparadies“, den ich beim Mittagessen vor dem Restaurant „Löwen“ studierte. Eine Rebe deckte den Wirtshausschriftzug fast zu; immerhin war auf dem Sockel eines goldigen Löwens, der die Fassade beherrscht, die Jahrzahl 1818 zu lesen (entsprechend der Nummer der neuen Schweizer Telefonauskunft). Ich hatte dieses Haus gewählt, weil man draussen, am Rande der Hauptgasse sitzen und das Stedtlibild auf sich einwirken lassen kann.
Das altehrwürdige Gasthaus bietet vor allem spanische Spezialitäten an, und der nette Kellner, der ebenso viel Mühe mit dem Deutsch wie ich mit dem Spanisch hatte, stammt ebenfalls aus Spanien. Ich bestellte geschnetzelte Kalbsleberli, die logischerweise nach spanischer Art mit viel Zwiebeln, einer tomaten-orangefarbenen Sauce und Salbei zubereitet waren und gut schmeckten. Der Wirt selber hatte das Gericht an mein Tischchen getragen und, als er es abgestellt hatte, mir freundschaftlich auf die Schulter geklopft, als ob er ausdrücken wollte, meine Wahl sei grandioso gewesen. Kaum hatte ich die ersten 2 Bissen degustiert, eilte der Kellner herbei und stellte die ihm antrainierte Gaststätten-Standardfrage: „Isch es guet gsii?“, um das rechtzeitig hinter sich zu bringen. Ja, es blieb gut. Magnifico.
Als Dessert las ich dann das kalorienfreie „Editorial“ des erwähnten Prospekts, das von Alt-Bundesrat Samuel Schmid verfasst worden war; er wohnt in Rüti bei Büren und bezeichnet Büren als „Teil meiner Heimat“. Schmid, volksnah, in Erinnerungen schwelgend: „Hier kauften bereits meine Eltern ein, was es im eigenen Dorf nicht gab, und man ging im Januar in den Sonntagskleidern zur Bank, um die Zinsen im Sparbüchlein nachtragen zu lassen.“
Ich selber möchte im Gegensatz zur Lokalbank nicht nachtragend sein, schon gar nicht bereits im Oktober. Der ehemalige Schweizer Militärdirektor ist ja jetzt nicht mehr im Amt, und von seinem Nachfolger Ueli Maurer wird versucht, der Armee wieder etwas Schlagkraft zurückzugeben.
Der Prospekt erzählt im Weiteren von der familiären Atmosphäre im Stedtli (so schreibt sich das Städtli hier eben), aber auch von Störchen, Graureihern, Schwalben und manchmal sogar weissen Reihern und Eisvögeln, die sich in der Umgebung wohlfühlen.
Die Brücke Nr. 9
Mit Lokalwissen aufgefüttert, begab ich mich alsdann zur 108 Meter langen Holzbrücke, welche das Stedtli seit 1275 mit dem Ortsteil Reiben verbindet; die Eingemeindung erfolgte bereits 1911. Allerdings ist von der 1. Brücke nichts mehr zu sehen. Die jetzige Brücke besteht erst seit 1991 – und es ist die 9. in einer langen Serie an Flussübergängen. Die Ausgabe Nr. 8 war einem Brandanschlag zum Opfer gefallen, eine feurige Tradition fortsetzend. Schon 1798 war eine Holzbrücke in Büren abgebrannt: Bei einem Rückzug vor Napoleons Truppen zündeten die Einheimischen die Brücke gleich selber an. Und in der Zeit der Internierung der französischen Bourbaki-Armee (1871, Bestandteil des Deutsch-Französischen Kriegs) diente das Bauwerk als Stall für mehr als 100 Pferde und Maultiere. Die gedeckte Brücke hat architektonisch tatsächlich etwas von einem Stall an sich, wiewohl man Ställe natürlich nicht über Flüssen aufbaut – schon aus Kostengründen.
Die jetzige Brücke besteht im Wesentlichen aus mächtigen, verleimten Verbundholzbalken, an sich ein eindrückliches Bauwerk, dem bloss die Dimension des Alters fehlt. Verschiedene Fensternischen an den verschalten Seitenwänden neben der asphaltierten Fahrbahn und den beidseitigen Fussgängerbereichen mit Holzboden rahmen den gelegentlichen Durchblick zur Stedtli-Fassade ein.
Die Schifffahrt lebt weiter
Bei der wenige Meter unterhalb der Brücke eingerichteten Schiffsanlegestelle („Ländti“) herrschte ein reger Betrieb. Die Bielersee Schifffahrtsgesellschaft kreuzte um die Mittagszeit mit den Schiffen „Stadt Solothurn“ (aareabwärts) und „Siesta“ (aareaufwärts) auf; das letztere Boot ist mir in schöner Erinnerung. Die Schiffe schwaderten bei der Wegfahrt der Flussmitte entgegen, wahrscheinlich um bei dem tiefen Wasserstand möglichst bald aus der seichten Zone herauszukommen. Umso weniger Probleme bot die Durchfahrt unter der Holzbrücke, deren neue Version gegenüber den Vorgängerinnen zudem um 30 cm angehoben wurde.
Relativ jung ist beim Hafen die unförmige, grob behauene Kalksteinplastik von Jürg Frelch, die ans Bildhauersymposium 2008 erinnert. Der stattliche Brocken heisst „Schwerelos“ und kann wegen seines grossen Gewichts nicht weggetragen werden – wie auch die beiden alten Glocken nicht, die nebenan ein eigenes Dach erhalten haben. Sie sind tonlos.
Büren, wo die Aare zum Nidau-Büren-Kanal wird, war schon immer ein bedeutender Warenumschlagplatz für Güter, die auf dem Wasser transportiert wurden: vor allem Wein, Getreide und Salz. Das Kornhaus in der Ländte stammt aus dem 17. Jahrhundert und diente als Kornlager und Weinkeller. Seit 2004 ist darin das italienische Restaurant „Il Grano“ (Das Getreide) untergebracht, eine Einrichtung, die neben dem Getreide ganz gewiss auch etwas mit Wein zu tun hat.
Die alte Mühle
Damit ist das Thema Getreide in Büren noch nicht erschöpft: Jenseits der Eisenbahngeleise am Fusse des Städtibergs (Im Riedli) dreht sich das Wasserrad neben der alten Mühle, ebenfalls eine Bürer Sehenswürdigkeit, in deren Mühlenstöckli „die urgemütliche Müllerstube“ anzutreffen gewesen wäre; doch die Tür war verschlossen. Ich hätte mich ja bei „Tourismus Büren an der Aare“ (www.bueren.ch, bzw. E-Mail: tourismus@bueren.ch) melden können. Aber was der Prospekt poesievoll verspricht, habe ich bei einem Rundgang um die Mühle erlebt: „Im Brunnen gurgelt klares Wasser, und am rauschenden Bach klappert die Mühle.“ Allerdings erwies sich das Klappern eher als gleichförmiges Rauschen. Das Wasserrad mit seinen schmalen Wasserbehältnissen war stark bemoost. In diesem saftiggrünen Bewuchs verfing sich die Flüssigkeit, und diese treibende Kraft wurde zum Teil wieder hinaufgetragen, dürfte also den Wirkungsgrad reduziert haben. Das Moos lässt sich auch bei seinem Dasein auf einem drehenden Rad nicht vom Wachstum abhalten – eine neue biologische Grunderkenntnis, Biologie-Nobelpreis-verdächtig.
Doch auf eine möglichst grosse Energieausbeute kommt es hier nicht mehr an; denn die Mühlentechnik ist ein idyllisches Schaustück: Das Wasser fliesst über eine Druckzuleitung in ein Wasserschloss, steigt in einem Düker (nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren) empor – die Energie dafür liefert das nachfliessende Wasser. Am oberen Ende des Wasserrads mit seinem Durchmesser von immerhin 6 Metern fliesst das Wasser übers Gerinne in die Zellen des Wasserrads und hält es in einer ständigen Drehbewegung. Ein Schwenkkännel ist in der Lage, den Wasserzufluss abzustellen und dem Rad gegebenenfalls zu Ruhe zu verhelfen. Ein Stirnrad leitet die Kraft über das Ritzel auf ein Kegelrad, das sowohl die Mahlsteine (Boden- und Läuferstein) als auch den sechseckigen Drehsichter in Bewegung versetzt.
Meinerseits setzte ich nach dem anspruchsvollen Kapitel Müllerei-Technik den Ortsprospekt-Titel in die Tat um: „Vom lebendigen Stedtli zum puren Naturparadies“ und begab mich nach Meienried, das, wenn auch nicht mehr ganz „pur“, so doch von „Puren“ (Mundartausdruck für Bauern) besiedelt ist. Jenes Bijou hat ein eigenes Tagebuchblatt mehr als verdient – und wäre es auch nur schon darum, weil es eine auf Selbstständigkeit bedachte Mini-Gemeinde ist.
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