BLOG vom: 16.10.2009
Meienried BE: Raritäten über einmalige Maiglöckchen hinaus
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein CH (Textatelier.com)
Wenn jemand einen Beweis für die Grösse und Schönheit des Kleinen suchen sollte – in Meienried im Berner Seeland (Bürenamt) wird er fündig: Die Gemeinde hat 52 Einwohner und ist und bleibt selbstständig.
Büren a. A.‒Meienried
Von Büren an der Aare aus kann Meienried innerhalb von 25 Minuten zu Fuss erreicht werden, am einfachsten der Aare entlang, die allerdings oberhalb von Büren zum Nidau-Büren-Kanal geworden ist, eine Folge der 1. Juragewässer-Korrektion (1868 bis 1891). Die Aare wurde durch den Bau eines Kanals zwischen Aarberg und Hagneck in den Bielersee umgeleitet, und in diesem Zusammenhang entstand auch der Nidau-Büren-Kanal. Immerhin ist noch eine grosse, eingebuchtete Schlaufe des ursprünglichen Aarelaufs zwischen dem Büttenberg-Hügel, der um maximal rund 130 Meter über die Talebene hinaus gewachsen ist, und dem Kanal vorhanden. In der erwähnten Schlaufe ist das Gebiet Häftli, das etwa 2 km gegen Norden reicht. Aber auch südlich des Kanals, bei Meienried, gibt es vom Kanal abgeschnittene Restbestände der alten Aare und der alten Zihl, so dass die zum Teil sumpfige, mit Schilf überwachsene und mit mächtigen, wasserliebenden Weiden und anderen Auenbäumen wie Erlen und Pappeln bestandene Landschaft als Ried bzw. Niedermoorgebiet viel Ähnlichkeit mit dem Grossen Moos, der einstigen Schwemmfläche der Aare zwischen Kerzers, Murtensee, Ins und Lyss, aufweist.
Rund ums Meienriedloch
Gemütlich umrundete ich das Meienriedloch bis gegen Scheuren, ein Stück weit zwischen hohen Schilf- und Maisbeständen. Skabiosen-Flockenblumen färbten eine Wiese in ein helles Violett ein, und in einem hölzernen Bienenhaus betreute ein pflichtbewusster Imker seine Völker, bewacht von einem friedlichen Berner Sennenhund. Einige künstlich angelegte Tümpel waren ausgetrocknet.
Bei der Orpundinsel steht ein teilweise sehr breiter, bewaldeter Hügel aus Ablagerungsmaterial von der Juragewässer-Korrektion, ansonsten hier alles ausgeebnet wäre. Auf der Mergelstrasse bei Scheuren kam mir ein Traktor entgegen, der gewaltige Staubwolken erzeugte, aber in rücksichtsvoller Weise das Tempo herabsetzte, um das Aufwirbeln in Grenzen zu halten. Ein Greifvogel mit gegabeltem Schwanz – war das ein Rotmilan? – segelte über mich hinweg. Ein Bauer lockerte mit einer Egge am Traktor den ausgetrockneten, dunkeln Boden, grub einen Stein aus. Daneben lagen einige Zuckerrübenhälften herum, die bei der Ernte zerschnitten worden waren. An einem Baum hingen knallrote Äpfel zwischen dem angedörrten Laub. Ein gefurchtes Kartoffelfeld war komplett dürr.
Im Umfeld der verbliebenen Feuchtgebiete hat die Landwirtschaft offensichtlich ertragreiche Böden vorgefunden, auf denen bei meinem Besuch vom 03.10.2009 ganze Wälle von Zuckerrüben lagerten, ein Beitrag zum Zuckerüberfluss. Hier wird Landwirtschaft auf die industrielle Tour betrieben. Doch zwischen den Wasserläufen Alte Aare und Alte Zihl, die sich ganz in der Nähe vereinigt haben, hat sich eines der reizvollsten Bauerndörfchen angesiedelt, das ich kenne: Meienried, das in Unterfar und Oberfar aufgeteilt ist.
Meienried
Besonders eindrücklich ist die Hofgruppe Unterfar (430 m ü. M.), bei der früher eine Schiffsanlegestelle war. Inzwischen ist sie in der weiten Schilffläche Meienriedloch, einem Naturschutzgebiet, aufgegangen. Einige Wasserflächen sind vom Schilf befreit, freigelegt, und es ist offensichtlich schwierig und aufwendig, die Wasserfläche vor dem Verlanden zu bewahren. Seerosen und Tannenwedel beleben das Wasser neben dem Schilfdickicht und den frühherbstlich sanft eingefärbten Laubbäumen.
Meienried war schon 1255 in Urkunden verzeichnet. Zu jener Zeit übergab Rudolf, der Graf von Neuenburg, den Ort an den Prämonstratenserorden Bellelay BE. Etwas Geschichte ist schon noch spürbar, wenn man das Ortsbild betrachtet.
Am südlichen Eingang zu diesem beachtlichen Ensemble pflegte gerade Hans Kobel (77) das dicke Band aus roten Geranien auf dem Balkongeländer, welches das lange Bauernhaus mit dem Vollwalmdach begleitet; der Mann benutzt das Haus nun für eigene Wohnzwecke. Darunter blühten gelbe Tagetes dicht.
Herr Kobel nahm sich Zeit für ein Gespräch. Er zeigte mir an einem schrägen Träger des weit auskragenden Ziegeldachs, an dem sich der Zimmermeister Hans Salchli verewigt hat, die Zahl 1752 – das Baujahr. Da gebe es nichts zu rütteln, sagte er. Der nordseitige Stockvorbau stammt aus dem Jahr 1624. Gleich nebenan ist ein gefällig renoviertes Bauernhaus, das im Wesentlichen aus einem stattlichen Walmdach besteht, aber gegen den Dorfausgang das Bild mit einigen Rotaver-Silotürmen trübt.
Der Juragewässer-Korrektor
Gegen den Kanal zu schliesst sich ein weiteres gestaffeltes Hochstudhaus aus dem 18. Jahrhundert, mit Trauffront unter dem Walmdach, an. Dieses ist das Geburtshaus von Dr. Johann Rudolf Schneider (1804‒1880), dem Hauptförderer der 1. Juragewässer-Korrektion. Das währschafte Gebäude (1768) diente bis 1899 als Wirtshaus „Zur Galeeren“, weil ja ganz in der Nähe Schiffe anlegten und eine Fähre über die Zihl führte. Eine Schneider-Gedenkstätte (mannshoher Granitstein mit Inschrift) ist gleich gegenüber.
In Meienried war der Wasserstand vor der Gewässerregulierung manchmal ausserordentlich hoch, und die Leute hatten die Überschwemmungen satt – einmal wurde das Parterre der Gebäude aufgefüllt; an einer Hauswand ist eine Wasserstandsmarke zu sehen. Die Aare war unberechenbar, zerstörte Ernten, Gebäude und forderte auch immer wieder Menschenleben.
Dieses Meienried war das schlimmste Überschwemmungsgebiet zwischen La Sarraz VD und Attisholz SO. Die Not der Menschen prägte Schneider, der in Bern Medizin studierte, und er kämpfte als Gross-, Regierungs- und Nationalrat für eine Juragewässer-Korrektion grossen Stils, ebenso wie für die Befreiung vom Zehnt und Bodenzins. Der Bündner Ingenieur Richard La Nicca leitete den Bau. Schneider („Hauptförderer der Seelandentsumpfung“, Hausinschrift) erlebte noch die Eröffnung des Leitkanals Aarberg‒Hagneck am 12.08.1978 und des Kanals Nidau‒Büren. Die 3 Jurarandseen wurden um 2,5 m abgesenkt, und das gewonnene Land wurde drainiert.
Schneiders Leben ist im Buch „Dr. med. Johann Rudolf Schneider. Retter des Westschweizerischen Seelandes“ von Hans Fischer, Verlag Paul Haupt Bern 1963, ausführlich nachgezeichnet.
Wo die Maiglöckchen läuten
So hat dieses Meienried also wesentlich zur Umgestaltung des Seelands beigetragen, und jetzt kann man dort trockenen Fusses leben – im vergangenen Sommer 2009 besonders. Wer will, kann im Schneider-Haus im Stroh schlafen. Dafür ist das „Pintli“, die einst gut geführte und gemütliche Dorfbeiz in Kanalnähe, eingegangen. Der Mythos Music Club belebt jetzt das Gebäude.
Berühmt ist Meienried für seine Maiglöckchen-Blüte: Hier ist der einzige Standort der Sommerknotenblume Leucojum aestivum schweizweit. Sie kommt sonst nur in Südeuropa und Westasien vor. Dieses Glöckchen wird 30 bis 50 cm hoch und hat bis 1,5 cm breite Blätter. Die Blütenstände sind 3- bis 7-blütig.
Man erhält damit einen weiteren Beleg dafür, dass Meienried etwas Einzigartiges ist.
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