Textatelier
BLOG vom: 04.11.2009

Kurioses aus der Pflanzenwelt: Hexenbesen und Holzkröpfe

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Wer mit offenen Augen die Natur beobachtet, entdeckt oft Dinge, die der oberflächliche Betrachter nicht sieht. Es ist dann nicht so schwer, abnorme Wuchsformen, Missbildungen und ungewöhnliche Blühformen zu entdecken. Besonders bei unseren Wanderungen durch das Elsass, den Schweizer Jura und den Schwarzwald, entdecke ich immer wieder solche Kuriositäten aus dem Pflanzenreich. Von einigen werde ich berichten.
 
Wenn die Hexe durch die Bäume fliegt
Bei unserer Wanderung Ende Oktober 2009 entdeckte ich im Feldberggebiet (Bärental, südlicher Schwarzwald) eine Birke, die zahlreiche kugelige und buschige Verwachsungen auf fast allen Zweigen aufwies. Es handelte sich hier um Hexenbesen, die durch einen Pilz gebildet werden. Bei der Birke hat sich der Schlauchpilz Taphrina betulina eingenistet. Der Pilz bildet auf den Ästen winzige Schläuche aus. Diese treiben das Wachstum überzähliger bzw. „schlafender“ Knospen so an, dass sich besenartige Gebilde entwickeln. Hexenbesen findet man öfters auf Tannen, Rotbuchen, Hainbuchen, Linden, Robinien, Birken, Fichten und Kiefern. Das Holz des Wirtsbaums wird übrigens nicht durch den Pilz zerstört. Der Pilz kann jedoch viele Jahre im Gehölz überleben und der Hexenbesen sich weiterentwickeln.
 
Auf anderen Baumarten können Rostpilze (Tannen), Viren und Phytoplasmen (Mycoplasmen) bei der Ausbildung eines Hexenbesens eine Rolle spielen. Bei der Kiefer und Fichte sind jedoch auch vererbbare Knospenmutationen beobachtet worden. Der Gärtner nutzt dies, indem er kleinwüchsige Nadelholz-Zierformen züchtet. Sie werden als „Naturbonsais“ bezeichnet. Man geht laut www.gartentechnik.de so vor: Die mutierten Triebe werden entnommen und auf Gehölze der ursprünglichen Art gepfropft. „Genetisch stabile Exemplare der Hexenbesen lassen sich auf diese Weise gut vermehren. Diese Minigehölze bilden jährlich nur kurze Neutriebe und bleiben über viele Jahre hinweg in einer handlichen Grösse. Dabei sind sie genauso winterhart wie ihre grossen Artgenossen.“
 
Die Minigewächse eignen sich für Bepflanzungen von kleinen Gärten und Friedhöfen. Sie sind auch verwendbar für winterharte Kübel- und Balkonbepflanzungen.
 
Im Volksmund wurde die Bezeichnung „Hexenbesen“ wohl deshalb geboren, weil diese Büsche in den Bäumen den Eindruck erwecken, als hätten Hexen beim nächtlichen Ritt ihre Besen verloren. Im Volk herrschte auch die Meinung vor, Hexenbesen würden böse Geister vertreiben und Hexen in die Lüfte erheben.
 
Mächtige Holzknollen an alten Bäumen
Als ich in den 1980er-Jahren mit Heinrich Abraham aus Leifers (Südtirol) eine Wanderung vom Weissen See zur Hornalm unternahm, entdeckte ich am Wegrand eine Fichte, die eine mächtige Wucherung in Form eines dicken „Pos“ aufwies. Mein Begleiter, Botaniker und exzellenter Heilpflanzenkenner, betonte, diese krebsartige Wucherung sei die Folge einer Baumverletzung. Die Verletzung könnte durch Insekten, Pilze, Blitzschlag oder mechanische Einwirkungen entstanden sein. Der Baum steht ausserdem auf einer Störzone, und darin liegt die Erklärung für die entgleiste Wundheilungsreaktion.
 
Von Prof. Dr. Bertold Hock vom Wissenschaftszentrum Weihenstephan, Lehrstuhl für Zellbiologie, erhielt ich auf Anfrage eine weitere interessante Erklärung: Er vermutet, dass die Holzkropfbildung durch Austreiben schlafender Augen (ruhende Knospen) entstanden ist. Die Störung dieses Vorgangs führt leicht zur Überwallung und damit zur Knollenbildung. Den Vorgang der Knollenbildung erkannte übrigens schon Theodor Hartwig Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine Knolle bildet sich wie folgt: Abtrennung des im Bast ruhenden Knospenteils von der Basis im Holzkörper und Erhaltung des im Bast liegenden Knospenkörpers. Dieser kann infolge der Abtrennung von der Basis nicht mehr austreiben, sondern er wird stattdessen die Bildung runder Holz- und Rindenlagen auslösen. Auf diese Weise entstehen mächtige Holzknollen, die man auch Holzkröpfe, Knollenmasern und Kropfmasern nennt. Auch auf Wurzeln können infolge nichtaustreibender Wurzelknospen Knollen entstehen.
 
Seitdem ich das weiss, achte ich bei unseren Wanderungen durch die Wälder auf diese Knollen. Dabei machte ich die Entdeckung, dass besonders mächtige Knollen an älteren Bäumen zu finden sind. Knollen sah ich beispielsweise an Buchen und an einer 335 Jahre alten Linde und an der über 300 Jahre alten Grossen Eiche im Adelhausener Wald (zwischen Adelhausen und Lörrach D). Den amüsantesten Baum sah ich bei einer Wanderung in der Nähe des Nonnenmattweihers (bei Neuenweg, Kreis Lörrach). An einer etwas ramponierten Kiefer (die Borke war im unteren Teil teilweise abgelöst) war über einer Knolle ein alter Wanderschuh angenagelt. Da hatte wohl ein Wandergeselle einen überzähligen Schuh, und der musste „entsorgt“ werden. Da mussten wir herzhaft lachen.
 
Tumore der Mauke
Des Öfteren wandern wir auf schönen Wegen durch Weinbauregionen. Dabei bleibt es nicht aus, dass man interessante Entdeckungen macht, wenn man nicht nur die Weintrauben näher betrachtet, sondern auch die Stämme der Reben. So sah ich kürzlich krebsartige, knollen- und leistenförmige Wucherungen insbesondere im Bereich der Veredelungsstelle des Stammes. Es handelt sich hier um Tumore der Mauke. Der Grind oder Krebs, der als Mauke bezeichnet wird, sieht man weltweit in allen Weinbaugebieten. Die Mauke bildet sich meistens nach strengen Winterfrösten, aber auch nach Hagel und nach Verletzungen durch Weinberggeräte. Als Auslöser der Krankheit wurde das Bakterium Agro-bacterium vitis ausgemacht. Ausführliche Infos dazu unter www.ulmer.de
 
Welche Schäden verursachen solche Tumore? Es sind Folgende: Kümmerwuchs, junge, stark befallene Reben sterben ab, während ältere bei schwachem Befall diesen überstehen. Bei den Tumoren der Mauke handelt es sich nicht um Holzknollen.
 
Drehwuchs an Bäumen
Drehwuchs findet man zuweilen bei Nadel- und Laubbäumen, insbesondere bei der Fichte und Kiefer, aber auch bei Pflanzenstengeln (z. B. beim Löwenzahn). Der Drehwuchs kann durch Windwirkung, Störzonen und durch mechanische Einflüsse entstehen. Der stark verformte Baum dürfte ein Zeichen dafür sein, dass er auf einer Wasserkreuzung steht. Vielleicht hat aber auch ein Hirte einen Einfluss ausgeübt. Dieser hat vielleicht um den jungen Baum einen Draht gebunden. Heinrich Abraham teilte mir mit, dass auch seine Bonsais solch einen Drehwuchs haben. Dieser wird wohl gewaltsam hervorgerufen. Die Äste werden mit Draht umwunden und gedreht; so kommt es zur Stauung und Wachstumsverlangsamung.
 
Eine besondere Art der Sprossbildung, die Zwangsdrehung oder Zwangstorsion, kommt beim Labkraut, Baldrian, Karde, Bartnelke und bei Schachtelhalmgewächsen vor. Der Stängel ist blasig aufgetrieben und von miteinander abwechselnden Rinnen und Verwölbungen spiralig umwunden. Der ganze Spross ist korkenzieherartig gebogen. Zwangsdrehungen können auch experimentell durch Wuchsstoffbehandlung und durch Röntgenstrahlung hervorgerufen werden.
 
Besonderheiten beim Spargel
Die jungen unterirdischen Triebe, die das hochgeschätzte Spargel-Gemüse liefern, wachsen sehr schnell. Die keilförmige Spitze der Triebe ist beim Durchbrechen des Bodens durch schuppenförmige Blätter besonders geschützt. Bei dieser Pflanze sind hohle Spargel, Verwachsungen (Spargel-Zwillinge) und „Kringel“-Spargel keine grosse Seltenheit. Der „Kringel“-Spargel dürfte durch Hindernisse (Steine, Wurzeln), die sich dem „starken“ Trieb entgegenstellen, entstanden sein. Zunächst wuchs der Trieb nach oben, dann infolge des Hinernisses nach unten und schliesslich wieder in die Höhen.
 
Pelorienbildung an einem Roten Fingerhut
Vor einigen Jahren sah ich im Garten eines Bekannten und auch bei einer Wanderung vom Gasthof Gisiboden zum Hasenhorn (bei Todtnau, Kreis Lörrach D) eine interessante Abnormität beim Fingerhut. An der Spitze befand sich eine grosse schalenförmige Blüte. Es handelt sich um eine Pelorie, die besonders bei Gartenformen des Fingerhuts vorkommt. Die Botaniker betrachten die Pelorienbildung als einen Rückschritt in die ursprüngliche Blütenform.
 
Die Pelorie sieht man nicht nur beim Fingerhut, sondern auch bei Gartenrassen des Rittersporns. Die Pelorien blühen meistens etwas früher als die übrigen Blüten des betreffenden Blütenstandes. Beim Roten Fingerhut zählte man bis 30 Kronblätter und ebenso viele Staubblätter.
 
Diese wenigen Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, mit aufmerksamem Blick durch die Landschaft zu gehen. Die Entdeckungen sind vielfältig, und man ist immer erstaunt darüber, was die Natur uns für Überraschungen bereithält.
 
Internet
http://de.wikipedia.org (Infos über Hexenbesen)
www.gartentechnik.de (Infos über Hexenbesen)
www.ulmer.de (Stichwort „Schädlinge an der Weinrebe“)
 
Hinweis auf ein Blog über Heinrich Abraham
 
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