BLOG vom: 11.11.2009
Nochmals Glück gefunden, auch wenn es Lebensherbst ist
Autorin: Rita Lorenzetti, Zürich-Altstetten
Die Geschichte ist wahr. Namen und Orte sind aber verändert.
Es fiel mir schon auf dem Friedhof auf, dass Gregory religiös-philosophische Gedanken äusserte, als wir vor dem Grab seiner geliebten Henriette standen. Ungewohnt für mich. In meiner Erinnerung war er der nüchterne und kritische Mann, der immer darauf achtete, dass Gedanken realitätsbezogen blieben und die Wortwahl präzise war. Nur keine Höhenflüge, nur keine Phantasien. Und religiöse Themen wies er stets von sich. Hatte ihm der frühe Tod seiner Frau nun neue Gedankenräume erschlossen?
5 Jahre war er nun Witwer, bereiste in dieser Zeit viele Länder, forschte an einem Thema, schrieb ein Buch. Briefe von ihm berichteten von seinen Reisen. Die Trauer wurde nie erwähnt. Eines Tages wurde vereinbart, sich wieder einmal zu treffen. Und wie früher führte uns er uns auch diesmal an einen Ort, den wir alleine kaum gefunden hätten. Auch als Henriette noch lebte, festigten unsere Zusammenkünfte nicht nur unsere Freundschaft. Wir zeigten einander immer auch Orte mit besonderem Charakter aus dem eigenen Lebensumfeld. So vermittelten wir einander Geographie und die Mentalität des jeweils anderen Kantons.
Diesmal führte der Weg zu einem beliebten Gasthaus über eine Lichtung und einem Waldrand entlang. Von weither leuchtete ein Kirschbaum in rotem Herbstlaub. Da sprach ich aus, was ich in jenem Augenblick gerade dachte: Hoffentlich sind auch wir erst in jener Herbstphase unseres Lebens, in der unsere Farben noch leuchten. Gregory war augenblicklich elektrisiert. Er fühle sich sogar 30 Jahre jünger. Über die Gründe würde er uns gerne erzählen. – Wenn er uns damit nicht langweile, fügte er dann noch hinzu.
Während des Essens erfuhren wir seine spannende Geschichte: Wie er eines Tages alle seine Bedenken wegschob und sich plötzlich getraute, sich im Internet auszustellen und nach einer Partnerin zu suchen. Und wie er sofort Antwort bekam. In einem anderen Land ertrugen nämlich die erwachsenen Söhne und Töchter die Tränen ihrer Mutter nicht mehr. 2 Jahre täglich um den verstorbenen Mann zu weinen, seien genug. Sie meldeten die Mutter auf derselben Partnerschafts-Plattform an, wie Gregory es auch getan hatte.
Die Profile der beiden Persönlichkeiten zogen sich an. Der Computer erfasste und verband sie. Es machte klick. Grosse Überraschung, als er mitteilte, dass das Glücksspiel nun ernst geworden sei.
Gregory verhehlte nicht, dass er anfänglich skeptisch war. Die Berufsbezeichnung der ermittelten Frau irritierte ihn. Das lasse sich leicht schreiben, sinnierte er. Ob es aber wahr sei? Das Internet gab ihm Antwort. Ja. Mehr noch als da geschrieben stand. Die Frau entpuppte sich als eine bekannte schreibende und malende Künstlerin.
Nun ist Gregory ein Vielflieger geworden, reist oft zu ihr in die südliche Stadt, wo sie arbeitet und lehrt. Und sie kommt, so oft es möglich ist, zu ihm in sein grosses Haus in die Schweiz. Abschied und Wiedersehen gehören nun zum neuen Leben und beflügeln beide. Gregory schätzt das kulturelle Umfeld dieser Frau, den Kontakt zu Kunstschaffenden. Sie öffnen ihm neue Sichtweisen. Das Leben hat jetzt mehr Fülle, mehr spielerischer Raum. Die vordem zu ihm gehörende Strenge ist aufgebrochen. Und an diesem Sonntag sah ich um diesen Mann ein mildes Licht. Sein Glück.
Dann trat der Kellner an unseren Tisch und fragte nach den Wünschen für den Nachtisch. Es war schwierig für uns, aus den vielen Angeboten spontan zu wählen. Gregory, der für die Hauptspeise noch darauf geachtet hatte, dass wir uns für ein gemeinsames Menu entschieden, schlug jetzt vor, 3 verschiedene Desserts zu wählen. Nach jedem Bissen könnten wir den Teller im Uhrzeigersinn weiterreichen, wir befänden uns schliesslich im Uhrmacherkanton. Ob das hier üblich sei? Nein. Diese Idee sei ihm jetzt gerade zugefallen.
Die Teller rotierten. Niemand musste befürchten, eine falsche Wahl getroffen zu haben. Die Köstlichkeiten standen allen zur Verfügung. Es war ein beinahe kindliches Spiel, das uns fröhlich stimmte und unsere Freundschaft erneut festigte.
Und was mich am meisten freute: Gregory ist glücklich und selbst ein Kreativer geworden.
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