Textatelier
BLOG vom: 01.01.2010

Zum Jahreswechsel 2009/2010: Eine Zäsur, die gar keine ist

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
Wir tun immer so, als ob der Jahresübergang ein Einschnitt, eine harte Zäsur, sei, gewissermassen das Tor zu einer hoffentlich besseren Zukunft, mithin ein Grund zum Feiern und zum Wünschen. Nichts gegen das Feiern, nichts gegen das Wünschen!
 
Gewiss, auf ein neues Jahr hin werden manchmal neue Gesetze, neue Regeln eingeführt, manchmal einfach aus buchhalterischen Gründen, denn man rechnet mit Vorliebe nach Kalenderjahren ab. Wenn man Abläufe, die sich buchhalterisch niederschlagen, mitten im Jahr ändern würde, erschwerte das die Statistiken, das Vergleichen. Bei uns in Biberstein ist auf den 01.01.2010 gerade der Trinkwasserpreis verdoppelt worden. Die Nachbargemeinde Rohr AG ist in der Aargauer Kantonshauptstadt Aarau aufgegangen, eine Fusion. Der Bancomat im Gemeindehaus Rohr, der mir jeweils das Portemonnaie wieder auffüllte, ist demontiert. Weitere Gemeindefusionen auf den 01.01.2010 im Aargau: Hilfikon zu Villmergen; Umiken zu Brugg; Etzgen, Hottwil, Mettau, Oberhofen und Wil zur neuen Gemeinde Mettauertal; Ittenthal zu Kaisten sowie Sulz zu Laufenburg.  
 
Doch für all das war nicht der 1. Januar der Auslöser, sondern man hat die Änderungen einfach auf dieses Datum festgelegt. Zur Vereinfachung der Buchhaltung. Im Übrigen passiert am Jahreswechsel an sich nichts von Bedeutung, abgesehen vom Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Denn der Weltenlauf ist ein dauerhafter, langsam dahinfliessender Prozess. Lehren werden unterwegs nicht gezogen. Blödsinn wird weiterhin angerichtet, als ob es keine Jahreswende gegeben hätte.
 
Viele Medienschaffende haben nicht einmal auf 10 zu zählen gelernt, verwechseln ein Dezennium mit einem Jahrzehnt und machen den gleichen Fehler wie an der Jahrtausendwende, die 1 Jahr zu früh (1999/2000 statt 2000/2001) gefeiert wurde. Sie sprechen jetzt von einem neuen Jahrzehnt, das allerdings erst in 1 Jahr (2010/2011) beginnt, obschon jedes Kind weiss, dass man mit 1 (und nicht mit 0) zu zählen beginnt, ein Jahrzehnt demzufolge vom Jahr 1 und bis und mit dem Jahr 10 dauert. Selbst die „NZZ“, die einst ein Intelligenzblatt war, schafft das nicht mehr: Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist wohl das bislang wärmste weltweit seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen“, schrieb sie am 08.12.2009, oder am 21.12.2009: „Im neuen Jahrzehnt kommt LTE als vierte Generation des Mobilfunks.“ Das Schweizer Fernsehen einigte sich auf „Nullerjahre", was sinnvoll ist. Die Zeitschrift Time" spricht von einer „Dekade", womit einfach ein Zeitraum von 10 Jahren bezeichnet wird, der nicht unbedingt in einem Jahr 1 beginnen muss. Im Deutschen bezeichnet das Wort Dezennium ein Jahrzehnt.
 
„Wechsel“
Vor einem Jahr war „Change“ (Wechsel, Veränderung, Wechselgeld) das Zauberwort, das von Barack Obama in die USA und die US-hörige Restwelt hinausposaunt wurde, nachdem alle Welt von der Herrschaft des Amerikas unter George W. Bush die Nase gestrichen voll hatte. Unbeholfene Zeichnungen wurden von Colin Powell als „Beweise“ für Saddam Husseins „Massenvernichtungswaffen“ als Leitobjekte der Verlogenheit, mit denen die Welt irregeführt und ein Krieg mit unzähligen unschuldigen Opfern gerechtfertigt wurde, dem Uno-Sicherheitsrat und den gutgläubigen Medien und damit dem Publikum vorgelegt.
 
Am US-Stil hat sich ausser der Rhetorik gar nichts geändert. Die Bush-Politik, wer auch immer diese vorgegeben haben mag, wird durch das Obama-Regime sogar noch akzentuierter fortgesetzt. Der irrtümlicherweise angehimmelte Heilsbringer Obama förderte die US-Verschuldung noch schneller als alle Präsidenten vor ihm, warf das Geld für Kriegseinsätze noch freigiebiger hinaus – im Moment wird neben dem Iran, wo die Opposition zum Rebellentum ermuntert wird, auch das Schlachtfeld Jemen vorbereitet. Laut einem Berichterstatter von Radio DRS besitzt Jemen, wo auch Erdöl gefördert wird, mit dem Bab el-Mandab – dem „Tor der Tränen“ – die einzige natürliche Verbindung vom Golf von Aden zum Roten Meer, und das Land grenzt südlich an Saudiarabien an. Also eine ausgezeichnete strategische Lage. Das habe die Al-Kaida natürlich gemerkt, sagte der Berichterstatter, und dort würden Terroristen ausgebildet. Zum Glück, möchte man beifügen, haben die USA die Vorzüge des Jemen bisher übersehen ...
 
So werden wir halt informiert, immer aus dem westlichen Fenster. Schon zu Beginn seiner Amtszeit sind von Obamas Auserwählten CIA-Experten in den politisch maroden Jemen geschickt worden, wo US-Spezialkommandos die Schulung jemenitischer „Sicherheitskräfte“ begonnen haben, um hier nichts anbrennen zu lassen, was den eigenen Interessen dienen könnte. Die Öffentlichkeit erfuhr bis zum missglückten Anschlag bei Detroit nichts davon. Es sieht wieder alles nach Drehbuch aus.
 
Nach dem erwähnten Versuch des 23-jährigen Nigerianers Umar Faruk Abdulmutallab, ein Flugzeug im Landeanflug auf Detroit mit Sprengstoff in die Luft zu jagen, reagierte Obama deshalb hundertprozentig Bush/Cheney-konform – in jener Art, die sich eindeutig als Terrorismus-Förderung herausgestellt hatte: Er kündigte weitreichende Massnahmen an, mit denen die Sicherheit im US-Flugverkehr gewährleistet werden soll. Die Regierung tue nach dem versuchten Anschlag alles in ihrer Macht Stehende, um sicherzustellen, dass US-Bürger sicher seien, sagte Obama nach Lehrbuch. Amerikaner über alles. Obama ordnete in herkömmlicher Manier eine Überprüfung der Luftsicherheitsbestimmungen und des Warnlistensystems für Terrorverdächtige an, was den Schnüffelstaat beflügelt und in der Praxis nur pannenanfällig ist, wie Figura zeigt. Obama selber gab das zu; er sprach von einem „völlig inakzeptablem systemischen Versagen“ des CIA, der gerade auf der pakistanischen Forward Operating Base Chapman in der Provinz Khost, in die ein Attentäter eindringen konnte, 8 Tote hinnehmen musste. Misserfolg auf Misserfolg. Peinlich. Gleichwohl forderte Obama die für nationale Sicherheit zuständigen Beamten auf, den Druck auf Terroristen aufrecht zu erhalten, welche die USA angreifen wollten. Man weiss inzwischen, was das bedeutet: Das Schuldenimperium Amerika kontrolliert die Welt unter dem Vorwand der Bekämpfung des geschürten Bösen. Dabei hatte Obama noch im Wahlkampf zum Abwägen zwischen den Werten Sicherheit und Freiheit aufgerufen. Der Entscheid ist jetzt gefallen.
 
Falsches Modell
Das Modell der Globalisierung (Weltvereinheitlichung) und des damit verbundenen Neoliberalismus (Vorrang der Geschäftemacherei zu jedem Preis, wobei Goldene Kälber den höheren Stellenwert als der Mensch und sein Lebensraum besitzen) hat sich als Ursache von katastrophalen Fehlentwicklungen herausgestellt: Immer mehr Menschen verarmen, selbst und gerade in den USA, und in der EU, weil sich die Schere zwischen Arm und Reich so weit geöffnet hat, dass die beiden Klingen bereits an den rundlichen Griffen anstehen, so dass der Scherenvergleich zur Darstellung des zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Dramas also nicht mehr hinreicht. Laut Caritas gibt es – wenn auch auf ziemlich hohem Niveau der Armutsgrenze – auch in der Schweiz Zeichen von Armut; und weil es keine offiziellen Zahlen gibt, wird geschätzt, und die Schätzungen werden dann als Fakten kolportiert.
 
Die Globalisierung trägt jedenfalls wie ein Schuh- oder Beinbomber auch dadurch den Zeitzünder der Selbstzerstörung in sich.
 
Weil die ganze Welt durch die USA (z. B. durch den verkappten Schuldscheinschrott und den Zerfall des Dollars, der nicht einmal mehr sein Papier wert ist) geschröpft wurde, die auf Pump agierenden Regierungen Milliardenbeträge in die Wirtschaft eingeschossen haben, müssen immer mehr Länder, die bankrott (staatsrott) sind, ebenfalls Raubzüge auf andere Staaten veranstalten und die eigene Bevölkerung derart mit Abgaben belasten, dass die Kaufkraft erlischt und die Armut noch weiter ansteigt. Die Geldpressen laufen ununterbrochen, seit der Abschaffung des Goldstandards nach US-Vorgaben ungebremst.
 
Wer als Bewohner vieler maroder Länder wie England, Deutschland und Frankreich nach deren transatlantischen Unterwerfung finanziell überleben will, wird zwangsläufig zum Wirtschafts- und/oder Steuerflüchtling. Dann wird er eben international verfolgt, und die Zufluchtsländer werden gnadenlos abgestraft, falls es sich nicht um eigene Oasen handelt, mit denen sich die USA und England hinreichend eingedeckt haben. Gegen diese – etwa die Kanalinseln, den US-Bundesstaat Delaware und andere – darf man selbstverständlich nichts sagen oder gar unternehmen. Doch die Schweiz, die ihr Vermögen nicht durch eine aktive Mitwirkung an internationalen Interessenclubs verplämpert hat und allen internen Zersetzungsbestrebungen zum Trotze unabhängig geblieben ist, kommt auf eine Abwandlung von Bushs Achse des Bösen: auf graue Listen und ist dementsprechend zum Abschuss frei – nach dem Vorbild der Terrorbekämpfung.
 
Haben Sie noch Wünsche? Haben Sie noch Zuversicht? Wünsche schon.
 
Selber denken
Wir alle sind aufgerufen, uns mit den schicksalsrelevanten Vorgängen in Politik und Wirtschaft im weitesten Sinne kritisch zu befassen, statt uns mit Party- und medialen Unterhaltungsdrogen über die grauen Wolken tragen zu lassen. Wir müssen im Zusammenhang kritisch denken lernen, mediale Botschaften nicht als der Weis-und Wahrheit letzte Schlüsse hinnehmen und uns ständig fragen, welche Manipulationen dahinter stehen. Die Mehrzahl der Meldungen, die uns aufgedrängt werden (und für die wir manchmal noch bezahlen ...) gehören zum Sektor der Public Relations: als Öffentlichkeitsarbeit getarnte Werbung zur Steuerung unseres Bewusstseins und Verhaltens. Sie schaffen z. B. die Basis, damit wir jene teuren Marken kaufen, die uns die Industrie andrehen will, damit wir unsere politische Haltung so finden, wie es mächtige Gruppierungen wollen, vorgeben, vorschreiben, vorkauen. Das passiert sogar auf globaler Ebene, wie das Beispiel USA zeigt, wo die Public Relations als Wort- und Faktenverdrehung 1882 erfunden wurde. Fast die ganze Welt ist mit Ausnahme einiger von mir besonders geschätzter Länder, die durch die Wertegemeinschaft ausgehungert werden, darauf hereingefallen. Inzwischen sind Verdrehungen und Manipulationen professionalisiert – bis hin zu den Spin doctors.
 
Niedergang klassischer Medien
Ich selber habe mein Leben in der Medienbranche zugebracht, blühte in diesem wunderbaren Metier auf. Doch verstehe ich seit 10, vielleicht 15 Jahren die mediale Welt nicht mehr. Sie hat alle ihre grundlegenden Aufgaben wie eine möglichst objektive Wissensvermittlung und die Erklärung von Hintergründen sowie Beziehungen aufgegeben, das geschriebene Wort relaunchend etappenweise abgeschafft und ist zu Kinderbilderbüchern in Farbe verkommen, die nicht einmal mehr dem Nachwuchs zuzumuten sind. Man entschuldige den Vergleich mit den Kinderbüchern, ist er doch eine Beleidigung für den „Struwwelpeter“, „Alice im Wunderland“, die „Raupe Nimmersatt“ und selbst für die zum Teil läppischen Grimm-Märchen. Unser Schweizer Fernsehen vertreibt die besten Sendezeiten mit Rate- und Lotteriespielen, eine ständig rieselnde Glücksbeschallung, garniert mit etwas Wühlen in Emotionen, wie es das in diesem Ausmass noch nie gab.
 
Die herkömmlichen Medien sind dabei, sich aktiv herunterzuwirtschaften und das Feld dem Internet freizugeben, das eine nuancenreichere, nicht zentral gesteuerte Informationszukunft gewährleistet. Das Internetangebot nur auf den Schrott zu reduzieren, der sich darin findet, wäre vermessen; doch selbst dann kann es den Vergleich mit dem momentanen Zustand der übrigen seichten Medien durchaus bestehen.
 
Das Leben, das Auffinden des eigenen Lebensstils, ist in diesem Umfeld schwierig, aber gleichzeitig auch eine faszinierende, im besten Sinne kreative Aufgabe. Sie muss jeden Moment wahrgenommen werden, und nicht nur an Monats- und Jahreswechseln. Und einige märchenhafte Träume wie jenem vom Leben auf einer Schatzinsel sind dennoch erlaubt. Doch geht das meist nicht ohne eigenes Zutun – jenseits der Konsumationsbefehle.
 
Machen Sie’s gut!
 
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