Textatelier
BLOG vom: 03.01.2010

Bei Regen an der Reuss-Aare-Mündung im Wasserschloss

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
Silvester 2009. Ergiebiger Regen bis in den frühen Nachmittag hinein. Grosse Wasserführung der Aare, gut das Doppelte der durchschnittlichen 300 m3/sec.
 
Ich mag Auenwälder. Sie leben von Wasser, lieben Überschwemmungen. Und da ich gerade noch in Brugg zu tun hatte, erlaubte ich mir um die Mittagszeit den Abstecher ins Wasserschloss, wie man den Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat nennt. Ich verliess die Aaretalstrasse bei Lauffohr (nördlich von Brugg) und bog beim Verkehrskreisel nach rechts gegen die 2008 vollendete Vogelsang-Brücke, die eine Verbindung nach Turgi und Baden gewährleistet.
 
Der torartige Kreisel mit den bogenartig zueinander greifenden dreiteiligen Pylonen nach einer Idee von Ruedi Sommerhalder ist die Verkehrsschlüsselstelle im Wasserschloss. In dieser natürlichen Anlage wurde zusammen mit dem Bau der 225 Meter langen Vogelsang-Brücke über den Auenwald und die Aare, die dort bereits mit der Reuss vereinigt ist, auch die Strasse ausgebaut – etwa 14 Mio. CHF wurden hier alles in allem investiert. Die Betonbrücke mit den kreisrunden Pfeilern war umstritten; viele Anwohner vertraten die Ansicht, Holz wäre heimeliger gewesen. Beton war stärker, und das neue Bauwerk kann nun auch als Aussichtsplattform dienen.
 
Ich stellte den Prius auf der Vogelsang-Seite ab und wanderte, mit einem Schirm bewaffnet, über diese Brücke zurück. Bei einem Tümpel zwischen der Aare und dem westlichen Seitenarm hatten scheue, nachtaktive Biber, die sich vor dem jägerischen Menschen sehr in acht nehmen, gerade 3 mehr als armdicke Weiden so umgelegt, dass ihre Kronen ins Wasser fielen; die Frassspuren machten einen frischen Eindruck; das Holz war noch hell.
 
Eine komfortable, leicht gewölbte Holzbrücke mit Holzboden und -abschrankungen wurde immerhin etwa 200 m südlich über den Aare-Seitenarm gebaut; sie kann bis 3,5 Tonnen tragen. Sie führt auf die kleine Insel östlich des Aufelds und ermöglicht den Spaziergang nahe am Aareufer im Auenwald. Der Boden war durchnässt; unter meinen wetterfesten Schuhen tönte es wie bei einer Sumpfwanderung. Der Regen trommelte auf den Schirm, und einzelne, von den Bäumen fallende besonders grosse Tropfen sorgten in diesem Konzert für die Paukenschläge. Bei einem Stockenten-Paar, das ich in seiner Traulichkeit unbeabsichtigt aufgeschreckt habe, entschuldigte ich mich in aller Form.
 
Das bräunliche Aarewasser liess nur noch einen Teil des oft feinsandigen Ufers frei, erreichte bereits Weidengebüsche. Nur wässrige Auenwälder verdienen ihren Namen. Die Weichholzaue mit den Silber- und Bruchweiden, Grauerlen, Schwarzpappeln und grünen Schachtelhalmen freute sich über die reichlichen Wassergaben ebenso wie das Moos, das herumliegende Stämme überzog. Ich war bei dieser Wanderung froh, dass sich das Land zur Hartholzaue mit den Eschen, Traubenkirschen, Stieleichen und Feldulmen leicht anhob. Denn bei einem unverhofften Anstieg des Wasserspiegels – etwa durch Schleusenmanipulationen am Bielersee-Ausgang beim Regulierwehr Port im Nidau-Büren-Kanal – hätte ich dort hinauf fliehen können.
 
Vom Wanderweg an der Aare südlich der Vogelsang-Brücke hat man einen guten Blick über die Aare zur Einmündung der Reuss. Das definitive Ende der Reuss wird sozusagen durch die Eisenbahnbrücke optisch besiegelt. Diese gemauerte Steinbrücke, ein Bestandteil der SBB-Strecke Brugg–Baden, ist die älteste noch in Betrieb stehende Eisenbahnbrücke der Schweiz. Sie stammt aus dem Jahr 1856, war zuerst ein- und bereits ab 1862 doppelspurig. Fast im 5-Minuten-Takt fuhren während meiner Silvester-Exkursion Züge über die Brücke.
 
Bei meinem Spaziergang musste ich wegen des Aare-Seitenarms, der den Auencharakter besser zur Geltung bringt, über 2 an sich massive, aber bedrohlich nach unten durchhängende und durchnässte Holzbrücken schreiten. Die Sache hielt; andernfalls hätte ich mich durch ein paar Schwimmbewegungen problemlos ans nahe Ufer retten können. Umgekippte Bäume würden Halt bieten. Und mit etwa 8 °C war es ja so kalt auch wieder nicht.
 
Eine elegante, stabile Hängebrücke mit Tragkabeln und seitlichen Rohrsträngen führt demgegenüber auf die rechte Aareseite zurück. Hier, im Brugger Schachen, steht die riesige Abwasserreinigungsanlage (ARA) Brugg-Birrfeld. Von ihr aus folgt man der Aare rechtsufrig flussabwärts und kann bald einmal über eine Treppe zur beschriebenen Eisenbahnbrücke emporsteigen und den Zusammenfluss von Aare und Reuss wie von einer Kanzel aus geniessen.
 
In der Mündungskehle steht ein alter, farbenfroh besprayter Bunker im Schatten alter Bäume, zumal auch Wasserstrassen bewacht werden mussten. Sein Dach ist überwachsen, und der Betonkoloss beginnt sich allmählich mit der Auennatur zu vereinigen. Diese Gegend bei Gebenstorf war während des 2. Weltkriegs strategisch bedeutsam. In diesem Bereich, zwischen dem Bruggerberg und den Gebenstorfer Horn, hätte die letzte Möglichkeit bestanden, den von Norden eindringenden Feind aufzuhalten. Hier wurde 1939/40 die so genannte „Limmatstellung“ ausgebaut; die Limmat fliesst etwa 1 km weiter unten in die Aare. Man sieht den Bunker von der alten Eisenbahnbrücke sehr gut.
 
Auf der Brücke werden die Schienen von einem etwa 1 Meter breiten Fussgänger- und Wanderweg begleitet; eine massive Eisenprofil-Abschrankung und ein Eisenhag gewährleisten die Sicherheit des Fussgängers selbst dann, wenn er vom Fahrtwind der Züge erfrischt wird. Bald findet man sich wieder in Vogelsang zurück, seit 1884 ein Teil der Gemeinde Gebenstorf AG, wo ab 1826 auf Initiative der Bebié-Brüder Heinrich, Rudolf und Kaspar eine grosse Spinnerei entstand.
 
Mein Auto, das ich bei der Brücke Vogelsang parkiert hatte, war noch nicht weggespült. Der Regen hörte erst gegen Abend auf. So hatte ich 2009 also noch einmal Glück gehabt.
 
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