Textatelier
BLOG vom: 15.01.2010

Weinanekdoten III: „Lafite Rothschild“ (1890) im Rattenloch

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Ohne Wein kann´s uns auf Erden
nimmer wie dreihundert werden.
Ohne Wein und ohne Weiber
hol der Teufel unsre Leiber.“
(Johann Wolfgang von Goethe – „Tagebuch“, 15.06.1775)
*
„Der Wein erfreut des Menschen Herz,
und die Freudigkeit ist die Mutter aller Tugenden.“
(Johann Wolfgang von Goethe - ´“Götz von Berlichingen“)
*
„Lieber e huffe Öchsli im Cheller,
als ei Chueh im Stall!“
(Ötlinger Winzer-Weisheit)
 
Alter Wein im Rattenloch
Rolf P. Hess, der auf Cebu (Philippinen) lebt, teilte mir auf meine Anfrage am 05.01.2010 die folgende Episode über den Wein mit:
 
„In den Jahren 1978-1980 führte ich in Hongkong eine Handelsfirma, die der Peninsula Gruppe angehörte. Unter anderem waren wir damals die grössten Weinexporteure in Hongkong. Bei meinem 1. Besuch bei den Bordeaux-Wein-Exporteuren Barton & Guestier (www.barton-guestier.com) wurden wir – ich reiste mit dem damaligen Food & Beverage Direktor Fritz Sommerau – fürstlich empfangen. Gegen Ende des Tages wurden wir in einen geheimen Keller geführt. Dort wurden die Kisten, die beschädigt waren, lieblos gelagert. Wir durften uns frei umsehen und eine Flasche Wein auswählen. Da gab es keine Gestelle; die Weinflaschen, die nicht exportiert werden konnten, lagen durcheinander auf dem Boden. Einige davon hatten keine Etiketten mehr. Ratten hatten diese abgenagt. Der Herr, der uns hierher geführt hatte, zeigte uns ein paar Flaschen, die so hingelegt worden waren, dass die Mitte der Etiketten sich gegenseitig berührten. Bei diesen wenigen Flaschen konnten wir den Hersteller und das Jahr feststellen: Chateau Lafite Rothschild, 1890 (kein Tippfehler: achtzehnhundertneunzig!). Die linken und rechten Teile der Etiketten waren nicht mehr da, von Ratten gefressen. Wir fanden es interessant, dass selbst die Ratten sich auf die berühmtesten Weine konzentrierten – wurden dann aber belehrt, dass damals beim Haus Lafite Rothschild wohl ein besonderer Leim zum Verkleben der Etiketten verwendet worden war.
 
So eine Flasche wählten wir zum Trinken. Sie war wohl nicht mehr auf dem Höhepunkt, aber überraschenderweise noch absolut trinkbar. Mit den heutigen Verarbeitungsmethoden ist das wohl kaum mehr möglich.“
 
Anmerkung: Im 18. und 19. Jahrhundert teilte man Weine in Frankreich in „Chateau“ (Burg), „Bourgeois“ (Bürgerlich) und „Ordinaire“ (Gewöhnlich) ein. Hinter den Bezeichnungen verbarg sich der Weinproduzent, es war entweder ein Adeliger, ein (bürgerlicher) Privatmann oder ein (gewöhnlicher) Bauer. In der Tat war der Wein, der in dem Rattenloch in Hongkong lagerte, ein solcher, der von einem Adeligen produziert wurde. Wohl ein Wein vom Allerfeinsten.
 
Der durstige Reisende im Zug
Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller aus London, übermittelte mir diese Geschichte:
 
„Als 18-Jähriger hatte ich Spanien mit dem Zug (3. Klasse) bereist. In meinem Abteil trank ein Spanier wacker aus einer Weinflasche. Ich selbst war sehr durstig. Ich sehe ihn noch immer, wie mein Abteilsgefährte aus seinem Schlummer erwachte und ungläubig auf die leere Flasche starrte. Zum Glück hatte er mich nicht verdächtigt. Übrigens bewunderte ich, wie er nach spanischer Art aus der Flasche trank: Der rote Saft wechselte wie eine Fontäne aus der Flasche direkt in seinen Mund. Zum Glück tat ich es ihm nicht gleich, als ich meinen Durst löschte, sonst hätte mein rot besprenkeltes Hemd mich verraten. Nebenbei wäre mir damals Mineralwasser viel lieber gewesen.“
 
Weindegustationen
Walter Hess, Publizist vom Textatelier.com in Biberstein, schrieb mir über Weindegustationen die folgenden interessanten Details:
 
„Weindegustationen erbringen nur ehrliche Resultate, wenn man sie blind durchführt, das heisst, der Wein wird im Hintergrund eingeschenkt. Kein Verkoster sieht die Flasche und die Etikette: Er weiss nicht im Entferntesten, was ihm vorgesetzt wird. Sonst trinkt man gerne nach „Etikette“: Wer wagt es schon, einen teuren Wein zu kritisieren oder einen billigen zu loben!
 
Blinddegustationen, von denen wir im Stubenrat der Aarauer Weinbruderschaft in den 1980er-Jahren Dutzende durchgeführt haben (sie waren der Normalfall), förderten Überraschendes zu Tage: Die grossen Weine sind nicht immer gross, die kleinen nicht immer klein, das heisst, die Weine nähern sich beim Blinddegustieren eher an. Man lernt dabei, gute Tropfen zu entdecken, die manchmal preisgünstig sind oder sich vor teuren Berühmtheiten zu hüten, die vom Namen leben. Auf diese Weise habe ich erst in den letzten Monaten verschiedene chilenische Weine entdeckt, deren Frucht und Fülle mich förmlich umwarfen … nicht weil ich zu viel davon getrunken hätte. Ich kam darauf, weil ich der verblüffend ähnlichen Etikette wegen, einen chilenischen Rosé für einen Provence-Gewächs gehalten hatte und den Irrtum nicht bemerkte, bis ich den Wein degustierte. Erst auf der Zunge klärte sich das Missverständnis auf. Ich hatte einen neuen Stern entdeckt: Chile. Man muss lernen, seinen Sinnen zu vertrauen – aber auch hier wäre blindes Vertrauen unangemessen.“
 
Anmerkung: Im letzten Jahr wurden teure und billigere Weine auch im Fernsehen degustiert. Da gab es eine Überraschung: Die preisgünstigen Weine aus dem Discounter schnitten manchmal besser ab als die teuren Tröpfchen.
 
Dazu ein Ausspruch von Johann Wolfgang von Goethe, der ein Liebhaber des Weins war: „Die Güte des Weins hängt von der Lage ab, aber auch von der späteren Lese. Hierüber liegen die Armen und Reichen beständig im Streite; jene wollen viel, diese guten Wein.“
 
Höchster Weinberg Europas
Rita Lorenzetti aus Zürich teilte mir dies mit: „Vor 35 Jahren konnten wir in Visperterminen, dem Ort mit dem höchsten Weinberg von Europa, eine Ferienwohnung mieten. Er befindet sich im Kanton Wallis (Schweiz). Ein Rebbauer war unser Vermieter. Um die Rechnung zu bezahlen, wurden wir in seinen Weinkeller eingeladen. Dieses Ritual ist eine schöne, gastfreundliche Geste, die im Wallis gepflegt wird. Uns wurde der Heidawein offeriert, und dann wurde auch mit der damals 10-jährigen Tochter angestossen. Wir erinnern uns gut, wie quirlig und lebenslustig sie wurde. Der Wein war köstlich und beschwingte auch uns Erwachsene. Heidawein zu trinken, ist bis heute mit diesem Erlebnis verbunden.“
 
Anmerkung: Europa höchster Weinberg liegt zwischen 650 und 1150 Meter. Die 500 Höhenmeter sind in kurzen Terrassen mit hohen Trockensteinmauern zu überwinden. Die Rebsorte „Haida“ ergibt laut www.heidadorf.ch einen sehr würzigen und sehr speziellen Weisswein. Er ist harmonisch, körperreich und hat eine ausgewogene Säure. Der „Haidawein“ wird als die „Perle der Alpenweine“ bezeichnet.
 
Und nun noch einige Anekdoten aus meiner Sammlung:
 
Weinbrünnele
Die Fräulein im Kloster Frauenalb tranken sehr gerne Wein. Denn Wein gab es reichlich, erhielten sie doch das köstliche Nass als Zehnten von den Weinbauern aus dem Pfinzgau. Die Weinbauern, die einen beschwerlichen Weg zurücklegen mussten, bekamen unterwegs immer einen gehörigen Durst. Sie kamen zwar an einem plätschernden Brünnlein vorbei, aber Wasser war in ihren Augen kein rechtes Getränk. Und wer wird Wasser trinken, wenn der Wein so nahe ist, dachten sich die Burschen. Also genossen sie gehörige Portionen Wein und füllten das Fass wieder mit Wasser auf. Die Weinbauern waren der Ansicht, ohne sachverständige männliche Zechgenossen würden die Frauen die Verfälschung nicht bemerken. Das war tatsächlich so, denn die Klosterfräulein konnten nicht vergleichen, da sie immer verdünnten Wein bekamen. Das Brünnele zwischen Ellmendingen und Frauenalb erhielt später den Namen „Weinbrünnele“.
 
Regt den Verstand an
Hans W. Schmidt schreibt über den Wein, der an der Enz in der Umgebung von Claw wächst, das Folgende: „ Es ist auch hier kein süsser Wein, den die Männer schlürfend geniessen, sondern ein lieblich-herber Tropfen, der den Verstand anregt. Er ist ähnlich dem Wein des Pfinztales; auch der Ersinger vom Ameisenberg kriecht ins Gehirn und kribbelt so lange darin herum, bis die trübsinnigen Grillen ersoffen sind. Dann liegen die Wege des Geistes offen und frei zu Tage, wie die Strassen in den sauberen Dörfern im Tale der Pfinz.“
 
Des Weiteren macht Hans W. Schmidt eine amüsante Bemerkung über Napoleon. Er schreibt: „Napoleon, der erste Kaiser der Franzosen, ist dieser Segnungen des Pfinzweines leider nicht teilhaftig geworden. Als er auf seinem Eroberungszug durch Europa im ,Laub’ zu Berghausen einkehrte, das nunmehr über vierhundert Jahre lang Gäste aus aller Welt unter Dach und Fach genommen hat, da mag er wohl den schweren französischen, oder gar den korsischen Wein getrunken haben, sonst hätte sein Verstand ihm abgeraten, zu versuchen, was ihm da missriet.“
 
Quelle der letzten beiden Episoden: „Rund um den Pfinzgau“ von Hans W. Schmidt, „Weinland Baden Württemberg“ von Eugen Herwig (Bearbeitung), Südwestdeutsche Verlagsanstalt, Mannheim 1960.
 
Der angesäuselte Pfarrer
Von einer Bekannten hörte ich im August 2009 die folgende Geschichte, die sich in Wehr (Baden) vor einiger Zeit ereignet hat: Ein katholischer Pfarrer war ein Freund des Weins. Er ging regelmässig abends in eine Wirtschaft, um den Freuden des Alkohols zu frönen. Eines Tages kam er wieder einmal angesäuselt nach Hause und fand die verschlossene Tür vor. Er klopfte und klopfte. Dann rief die Haushälterin durch die Tür: „Ich mache erst wieder auf, wenn Sie nie mehr in die Wirtschaft gehen.“ Dann sagte der Pfarrer: „Wenn Sie die Tür nicht aufmachen, erzähle ich den Leuten, dass es keine Hölle gibt.“
 
Dieses Beispiel zeigt, dass viele Pfarrer das predigen, was sie selber nicht glauben.
 
Markgräfler Wirt vor der Himmelstür
Elli Kostolich, die „Annebärbi aus Eimeldingen“ erzählte während eines Altennachmittags in Hausen diese Geschichte: Ein Pfarrer und ein Markgräfler Wirt kommen zur Himmelstür. Petrus empfängt die Beiden und überlegt, wem er Einlass gewähren sollte. Er entscheidet sich für den Wirt. Der Pfarrer protestiert lautstark und forderte eine Erklärung. Petrus sagte: „Da drinnen gibt`s ne Menge Pfarrer, aber ein Markgräfler Wirt ist hier eine Seltenheit!“
 
Und zum Schluss noch ein Spruch aus Portugal, den mir eine Bekannte aus München mitgeteilt hat. Er lautet so:
 
„Stört Dich bei der Arbeit der Wein,
dann lass das Arbeiten sein.“
 
Hinweis auf einen „Glanzpunkte“- Artikel von Heinz Scholz
 
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11.01.2010: Weinanekdoten II: Weinpanscher und eine lustige Witwe
06.01.2010: Weinanekdoten I: Höllenlärm im Fass, Perkeos Riesendurst
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