Textatelier
BLOG vom: 01.02.2010

England: Tony Blair ohne Schuld, ohne Reue und Sühne

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Die Chilcot Irak Inquiry in London hat am Freitag, 30. Januar 2010, mit der 6-stündigen Einvernahme des ehemaligen Premiers Tony Blair ihren Höhepunkt erreicht. Dieses erlauchte 5-köpfige Gremium untersucht, ob der Irak-Krieg auf rechtlicher Grundlage stattgefunden hat oder nicht. Dieser Club hat keinerlei juristische Befugnisse – er ist kein Gericht. Tony wurde sanft angefasst und äusserst höflich befragt. Er durfte Antworten schuldig bleiben. Damit wurde ganz und gar zwecklos viel Zeit vertrödelt, ist es doch längst klipp und klar erwiesen, dass der USA-hörige Tony Blair selbstherrlich sein Land in diesen illegalen Krieg verwickelt hat. Er unterstrich: „Das war meine eigene Entscheidung“. Damit hat sich dieser Herrscher wie in einer Bananenrepublik über die Demokratie hinweggesetzt. Er zählte auf seine Mitläufer im engeren Kabinett.
 
Weite Kreise der Bevölkerung sind zutiefst empört. Tony Blair wird als Kriegsverbrecher gebrandmarkt, auch von vielen Eltern der bisher 179 gefallenen britischen Soldaten. Laut dem „Lancet Survey“ (am 11.10.2006 veröffentlicht) sollen über 600 000 Zivilisten ums Leben gekommen sein. Die Zahl der Opfer dürfte inzwischen bedeutend höher sein. Sie sind begraben und vergessen – ausser von ihren Angehörigen.
 
Längst bevor die USA und Grossbritannien losschlugen und Saddam Hussein vom Sockel stürzten, fehlten dem Irak nachweisbar WMD (Waffen zur Massenvernichtung) und die Mittel, England innert 45 Minuten zu überfallen. Es bestand kein UNO-Mandat für diesen Krieg. Irak, d. h. Saddam Hussein, duldete keine Al-Kaida-Zellen im Land. Schon 11 Monate vor der Invasion hat Tony Blair dem Rädelsführer, Präsident George W. Bush, versichert, dass er ihm im Krieg beistehen werde. Diese Allianz ist ein Teufelspakt – die wahre „axis of evil“. Seit den westlichen „Befreiungskriegen“ unter dem Motto „winning hearts and minds“ in Irak und Afghanistan haben sich die Terrorakte weltweit verbreitet.
 
Der am 9/11 ausgelöste Racheakt ist fehlgeschlagen, mit tragischen Verlusten von Menschenleben. Die 3000 Opfer des Manhattan Attentats hat mehr als 1 Million Zivilisten in Irak und Afghanistan das Leben gekostet. Ja, Gerechtigkeit muss sein … Das abscheuliche Duo Bush-Blair bezeugt bei jeder Gelegenheit sein reines Gewissen, gern mit „der Hand auf dem Herzen“. Auch während dieses Verhörs hat Tony Blair wieder demonstrativ diese leere Geste ins Bild gebracht.
 
AA Gill hat den schlüpfrigen Aal – Tony Blair – kraftvoll doppelseitig in der „Sunday Times“ vom 31.01.2010 demaskiert. Wortwörtlich begann er seinen Verriss zu dessen Aussehen: „He (Blair) has left parochial politics and gone into intergalactic diplomacy and had a severe facelift. The skin was drawn tight, the mouth tugged into a morticised grin. It wasn’t a good look.” (Er hat die Kirchturmpolitik verlassen und ist in die Milchstrassen-Diplomatie gegangen mit einer schlimm operativ gestrafften Gesichtshaut. Die Haut war straff gezogen, der Mund zum leichenhaften Grinsen verzerrt. Das war kein guter Anblick.)
 
Glich er dem nazistischen Gustav von Aschenbach, wie von Thomas Mann im „Tod von Venedig“ entworfen?
 
Was gibt es zum Spinnrocken von Tony Blairs Gefasel zu sagen? Zuerst beantwortete er die Fragen beinahe unterwürfig. Dann wurde er zunehmend keck, anmassend und stellte mehr und mehr hypothetische Fragen, die er selbst beantwortete. Dabei gab er den Eindruck, dass er jedes Wort, das er aussprach, felsenfest glaube. Glänzend spielte er seine theatralische Rolle. Befragt, ob er heute gewisse Dinge anders getan hätte als damals, antwortete er ominös, das sei „die 2010 Frage … Stellen Sie sich vor, Saddam wäre noch da: Wie schlimm würde das sein?“ Niemand packte seine Antwort beim Schopf. Mehrmals erwähnte er den Iran als der nächste Kriegsschauplatz, denn von dort kommt jetzt alles Übel. Die Israeli werden sich die Hände reiben. Das Vorspiel hat bereits in Palästina stattgefunden. Bezeichnenderweise wurde das Wort Erdöl kein einziges Mal genannt.
 
Ganz zuletzt kam die Frage, ob er etwas bereue. Blair war auf diese Frage ebenfalls vorbereitet und sagte schroff: „Responsibility, not regret.“ (Verantwortlichkeit, keine Reue.) Ob er noch etwas hinzufügen habe? „Nein“, sagte er mit steinernem Ausdruck, erhob sich und verliess seinen Gebetssaal als standhafter Katholik nach seiner öffentlichen Selbstwäsche.
 
„Die Geschichte wird weisen, welchen Platz Tony Blair einnimmt“, meinte ein anderer Berichterstatter. Die Geschichte besteht aus vielen Lügenschichten, glaube ich. Tony Blair hat, am Freitag, dem 30. Januar 2010, über sich selber Recht gesprochen und war sich dessen in seinem Grössenwahn nicht einmal bewusst.
 
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