Textatelier
BLOG vom: 08.03.2010

Folgen der Orientierungslosigkeit: Friendly Fire, Eigengoals

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
„Diese Welt ist absurd.“
Albert Camus
 
Eine gewisse Rücksicht dem Gegner gegenüber ist unverkennbar, wenn sich eine Armee gleich selber beschiesst. Die besonders schiessfreudigen Amerikaner, denen sich immer einmal wieder Schüsse verirren, haben zur Bezeichnung dieses selbstlosen Einsatzes mit Bumerang-Effekt einen netten Euphemismus erfunden: friendly fire = freundliches Feuer.
 
Den freundlichen Ausdruck könnte man auch ausserhalb des militärischen Treibens sehr wohl gebrauchen. Zum Beispiel in der Wirtschaft, im Finanzbereich, in der Politik. Da tut man doch wirklich alles, um die eigenen Kassen und Taschen zu füllen, lässt sich von Heeren von Unternehmensberatern ausnehmen und irreleiten – die seriösen und kompetenten mögen sich davon nicht betroffen zu fühlen – und staunt am Schluss, wenn die Schüsse hinten hinaus gehen. Defizite. Arbeitsplatzverluste. Wirtschaftskrise. Staatsbankrotte. Im Fussball spricht man von Eigentoren.
 
Einbindung unbeholfener Medien
Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, also ich die neuesten Informationen über den Weltenlauf zusammenkratzte. So hörte ich gerade am Radio, dass China das Wetter vermehrt beeinflussen wolle, wobei allerdings nicht gesagt wurde, dass dies die Amerikaner schon lange tun. Sicher hat u. a. auch die rasend schnelle Verheizung der Erdölvorräte einen Einfluss aufs Klima. Aber wir wissen nicht genau, welches die Auswirkungen sind, weil der grösste Teil der Wissenschaft käuflich geworden ist und uns manipuliert statt informiert. Fazit: Selbst das Wetter ist den menschlichen Irritationen ausgesetzt. Das Feuer, das dadurch entfacht wird, ist nicht immer freundlich.
 
Funktionsschwache Medien
Die Medien sind durch Sparmassnahmen am falschen Ort – ausgerechnet im Kopfbereich – derart zusammengeschrumpft, dass sie uns nur noch bruchstückhaft informieren können. Diagnose: Insuffizienz = Funktionsschwäche. Vielleicht reicht es noch zu einem Interview, der bequemen Art von Wissensbeschaffung. Die Fragen, die Moderatoren den beigezogenen so genannten „Experten“ zu stellen vermögen, sind auch nicht immer die schlauesten. Im Moment quält sich gerade ein Radiomoderator mit dem Unterschied zwischen Butter, Kochbutter und eingekochter Butter ab – er hat keine Ahnung, lässt sich die Unterschiede von einer Ernährungsexpertin erklären, rekapituliert falsch.
 
Fernseh-Diskussionen in grösseren Gruppen ihrerseits werden unerträglich, weil es vielen Moderatorinnen und auch Moderatoren, die überhaupt nicht moderat (gemässigt) sind, vor allem darum geht, vorbereitete Drehbücher abzuspulen und sich als Dirigent in Szene zu setzen. Statt den Teilnehmern die Möglichkeit zu belassen, sich im Zusammenhang ausdrücken zu können, unterbrechen sie ständig, machen Gedankenflüsse kaputt, und brisante Themen werden abgeklemmt, besonders wenn diese Medienzustände betreffen. Es ist oft nicht mehr zum Zuschauen und Zuhören.
 
Das Doppelpaket Politik/Medien mit ihrem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis entfernt sich zunehmend von den grossen Massen, dem Volk. Dieses spürt, dass es verschaukelt wird, und das Misstrauen der Politik und dem Staat gegenüber ist eine Gefahr für die Demokratie, wie auch Klaus Schwab bei der WEF-Eröffnung am 21.01.2010 in Davos erläuterte: „Sie (die Demokratie) funktioniert nur dann, wenn die Bürger Vertrauen haben in die demokratischen Institutionen und ihre Führungsverantwortlichen.“
 
In der Politik ist die persönliche Imagepflege, die Vorbereitung auf eine gute Wiederwahl, und nicht die Sachpolitik die erstrangige Triebfeder, von Ausnahmen abgesehen. Manchmal geht die Rechnung auf, doch ist die Gefahr einer Verirrung hin zu Fehlentscheiden immer gegeben. Statt der mit Augenwischereien einhergehenden Imagepolitur stellt sich dann ein Glaubwürdigkeitsverlust ein. Ausreden und Verdrehungen können vorübergehend als Rettungsanker dienen. Aber solche Anker ziehen einen halt auch in die Tiefe, ihres Gewichts wegen.
 
Die Machtelite sieht sich durch eine ausgeprägte Demokratie nur behindert, verständlicherweise, weshalb diese auch leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Die demokratischen Rechte werden gezielt abgebaut, wie das an der Scheindemokratie USA oder an der EU mit dem Lissabonner Vertrag (Machtzentralisierung in Brüssel) deutlich abgelesen werden kann. Das Schweizervolk hat seine demokratischen Einflussmöglichkeiten bis heute über die Runden bringen können, weltweit eine Besonderheit. Und so konzentriert sich die ganze Hoffnung auf Korrektureingriffe durch das Stimmvolk, wenn die Bundesbehörden schwach sind. Wir haben viel zu verlieren.
 
Um das widerspenstige Volk präventiv zu zähmen, gibt es keine andere Lösung als es durch Desinformationen und durch bruchstückhaftes, von PR- und Marketinggurus vorgekautes Werbezeug zu irritieren, gefügig zu machen und mit aufgebauschten Bagatellen abzulenken. Das eigenständige Denken macht Mühe, macht den Unangepassten zum Aussenseiter und, wie es die Schweiz erlebt, zum Ziel von Angriffen. Doch wer da nicht Widerstand leistet, soll sich hinterher bitte nicht über die unangenehmen Folgen beschweren.
 
Unmögliche Wertvorstellungen
Das Bruchstückhafte grassiert auch bei den Druckmedien. Den übrig gebliebenen Platz füllen die Zeitungen mit Promibildchen und dem flüchtigen Sport aus, der, ähnlich wie die Wirtschaft, ständig neue Superlative anstrebt, als ob so etwas auf Dauer funktionieren könnte, sich in der Dopingkloake und Unfällen verstrickt und falsche Wertungen verbreitet. Ich möchte bei allem Respekt vor den Leistungen des sympathischen CH-Nationaltrainers Ottmar Hitzfelds das Ansehen der Schweiz nicht bloss über den Umstand definiert wissen, wie viele Goals die eine international zusammengekaufte Nationalmannschaft in ein fremdes Netz kickt. Die Identifikation des Landes sollte vielmehr zum Beispiel durch Leistungen der Allgemeinheit hinsichtlich Humanität, Zuverlässigkeit, Einsatzbereitschaft, durch eine korrekte, auf Neutralität bedachte und mit einheitlichen Massstäben messende Politik, ferner durch einen anständigen Umgang mit dem Lebensraum und Entwicklungen, die Verbesserungen und nicht einfach Veränderungen sind, erfolgen.
 
Die neoliberale Globalisierung ist, kurz zusammengefasst, eine rücksichtslose, grenzenlose Geschäftemacherei, wobei die Grenzenlosigkeit in des Wortes Doppelsinn zu verstehen ist. Dieses System nach dem Muster US-amerikanischer Geld- und Machtgier ist eine Seuche aus dem 20. Jahrhundert, die sich in diesem 21. noch ausgeprägt hat. Es fusst im luxuriösen US-Lebensstil weit über die eigenen Möglichkeiten und Leistungen hinaus, der die ganze Welt in Verzückung gebracht, zur blinden Nachahmung verführt hat.
 
Das Resultat: Die perplex staunende Restwelt muss diese Zechprellerei bezahlen. Mit den Gaunermethoden der Falschdeklaration wurden die gebündelten Schuldscheine, die als toxische = giftige Papiere noch immer weltweit Volkswirtschaften destabilisieren, den gutgläubigen Investmentbankern verkauft, die sich durch Zahlenmanipulationen daran noch zu bereichern vermochten, gigantische Boni und Saläre bezogen haben und am Ende an goldenen Fallschirmen auf dem für sie vergoldeten Boden der Wirklichkeit landeten. Die Völker bluten auf direkten und indirekten Wegen – wie durch einen Abbau der Leistungen für die Allgemeinheit. Und die Finanzjongleure setzten gleich nach der Finanzkrise wieder zu neuen Höhenflügen an, neuen Schaden anrichtend. Die Suche nach Ursachen und Dieben hört offensichtlich bei Ladendiebstählen und Tankstellenüberfällen auf, weil man ja die Grossen schon immer laufen liess. Und eigentlich scheint niemand daran Anstoss zu nehmen. Denn so ist es eben. Man lässt sich belügen und betrügen. Schicksalsergeben.
 
Für die Schäden, welche aus den Globalisierungsvorgängen herausgewachsen sind, hat allüberall das breite Volk aufzukommen. Es trägt das ganze pekuniäre Leid. Nachdem die Arbeiterschaft weitgehend ausgeplündert ist, ist jetzt der Mittelstand an der Reihe, an der Kandare. In immer mehr Ländern sind die Wirtschaftslage und damit die Armut so ausgeprägt, dass Menschen zu Flüchtlingen werden müssen, um all dem Elend zu entgehen. Wenn Steuern wie in Deutschland unerträglich werden, retten sich besser situierte Angestellte in Länder, in denen sie noch die Möglichkeit haben, Ersparnisse als Absicherung für spätere Tage aufzubauen. Und andere sehen sich genötigt, ihr Erspartes in einen hoffentlich sicheren Hafen jenseits der Grenzen zu bringen. Niemand fragt danach, ob es nicht Gründe für solche Bewegungen mit ihrem internationalen Konfliktpotenzial gibt, die zu beseitigen wären.
 
Die Lage ist bereits derart desolat, dass sich verarmte Länder gezwungen sehen, jede Privatsphäre abzuschaffen, den ganzen Finanzverkehr über die Landesgrenzen hinaus zu überwachen – wer beim internationalen Bankdatenaustausch nicht mitmacht, wird erpresst. Wahrscheinlich werden grössere Zahlungen mit Bargeld bald unterbunden, weil sie sich der elektronischen Kontrolle entziehen.
 
Erpressungen sind en vogue
Die Vorgänge spielen sich länderübergreifend ab. Ständige Reibereien und Strafaktionen sind die Folge bis hin zur grassierenden Erpressungsmentalität auf dem weltpolitischen Parkett. Sie ist eine Spielart der von den USA legitimierten Folterungen in dem von ihnen geförderten Terrorbereich: Man erzwingt eine Aussage oder ein Verhalten, indem man zum Beispiel durch das Eintauchen des Kopfs ins Wasser dem Opfer das Ertränken simuliert (Waterboarding), wobei der Gemarterte nicht weiss, ob er das überlebt. Unter Ländern passiert die Luft-Abschnürung in leicht abgewandelter Art und Weise durch Wirtschaftsboykotte – siehe jahrzehntelanger US-Boykott des widerspenstigen Kuba, und wer bei solchen Aushungerungen nicht mitmacht, wird von den USA ebenfalls bestraft.
 
Solch eine gnadenlose Erpressungsmentalität bekommt zurzeit die Schweiz zu spüren, weil sie es bisher gewagt hat, sich nicht vollends ins Globalsystem einbinden zu lassen, weil sie eigene Wege beschreitet. Sie wird auch deshalb zu einem Objekt der Plünderungen, weil in diesem wohlhabenden Land ja noch etwas zu holen ist. Die Lage ist ähnlich wie in allen Katastrophengebieten: Wer überleben will, muss zum Plünderer werden; Erpressungen in der internationalen Politik gehören in dieses Kapitel. Und wer den Tatbestand der Erpressung erfüllt, kann auch gleich zum Hehler werden und gestohlene CDs mit Bankdaten kaufen; darauf kommt es dann auch nicht mehr an. Die Rechtsverluderung wird grenzenlos, uferlos. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert, lautet eine alte Lebensweisheit.
 
Was mich dabei erschüttert, ist der Umstand, dass der Widerstandswille der Schweiz gegen die zunehmenden Attacken bröselt, angeführt von linkslastigen Medien und uneinsichtigen Politkern, die auf den Globalisierungswahn hereingefallen sind. „Können wir es uns noch leisten, ausserhalb der EU zu stehen?“ Diese Frage wird in CH-Medien in aller Unschuld gestellt, als ob es nichts Besonderes wäre, einem Club von Staatsbankrotteuren beizutreten und auf deren Niedergang aufzuspringen.
 
Wie die EU-Länder mit ihrem Geld umgehen, ob sie die ständigen US-Kriege mitfinanzieren und daran auch tatkräftig über die Nato mitwirken, geht uns im Prinzip nichts an, so lange wir davon nicht betroffen sind, was nicht ausschliesst, dass wir den Menschen in den kriegszerstörten Gebieten Hilfe zukommen lassen. Doch kann es nicht angehen, den Erpressern, Kriegern und Plünderern mit Kniefällen zu begegnen. Auch auf die Gefahr hin, wirtschaftliche Strafaktionen erdulden zu müssen, muss man gegen die Androhung von Gewalt, Klagen, Bestrafungs- und Vernichtungskampagnen usf. standhaft bleiben. Ein Aufbäumen gegen den Opportunismus drängt sich auf; doch in der Praxis ist davon nicht mehr viel auszumachen. Wir Schweizer sind inzwischen derart blöd geworden, dass wir alle Fehler ausschliesslich bei uns suchen, uns selber mit Friendly Fire beschiessen, Eigentore gezielt einplanen und jedes Talent für Retourkutschen eingebüsst haben. Die Irritationen sind durchgehend. Und falls noch der eine oder andere weitsichtige Denker mit kritischer Vernunft auftaucht, wird er publizistisch heruntergeschrien. Anpasser sind gefragt; Skeptiker stören den Gottesdienst. Wer auf den Schmutz hinweist, ist fürs System gefährlicher als jener, der ihn herbeigeführt hat.
 
Die Fisch-Vergangenheit
Gestern habe ich mir das Buch „Der Fisch in uns“ des Chicagoer Paläontologen Neil Shubin zu Gemüte geführt, worin die Fehlkonstruktion Mensch recht plausibel erklärt ist. Bei der Evolution während 3,5 Milliarden Jahren kam es von Notbehelf zu Notbehelf, aus Flossen wurden Gliedmassen, und das Resultat kann, wie die Erfahrung lehrt, keine höheren Ansprüche mehr erfüllen. Die Anfälligkeit für praktisch alle Erkrankungen hat historische Komponenten. Wörtlich: „Wir sind nicht dazu gebaut, mehr als 80 Jahre zu leben, 10 Stunden am Tag auf unserem Hintern zu sitzen oder Biskuitkuchen zu essen, und ebenso wenig sind wir zum Fussballspielen konstruiert. Die grosse Kluft zwischen unserer Vergangenheit und unserem heutigen Leben hat zur Folge, dass unser Organismus auf bestimmten, vorhersagbaren Wegen den Bach hinuntergeht.“
 
Das betrifft das persönliche und das kollektive Befinden. Daraus erklären sich auch das Friendly Fire und die Eigentore.
 
Literatur zum Thema
Hess, Walter: „Kontrapunkte zur Einheitswelt. Wie man sich vor der Globalisierung retten kann“, Verlag Textatelier.com, CH-5023 Biberstein 2005. ISBN 3-9523015-0-7.
 
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