Textatelier
BLOG vom: 27.03.2010

Abschied von meiner Geigenmusik, nicht von der Geige

Autor: Emil Baschnonga, Aphoristiker und Schriftsteller, London
 
Wohl 2 Jahre sind verstrichen, seitdem ich das letzte Mal meine Geige in der Hand gehalten habe. Ich wollte bloss eine Sonate (IX, Op.5) von Arcangelo Corelli spielen. Ich brachte es nicht mehr fertig und versorgte verdrossen mein Instrument. Nach unzähligen Geigenstunden in der Basler Musikschule und nach 25 Jahren regelmässigem Geigenspiel waren meine Finger steif und ungelenk geworden. Der Bogen rutschte mir über dem Steg hinweg. Das Velofahren oder das Schwimmen verlernt man nie. Was man einst mit viel Schweiss und Einsatz auf der Geige erreicht hatte – oder auch nicht, ist und bleibt leider für immer verloren.
 
In der Sonntagsausgabe der Sunday Times vom 21. März 2010 stiess ich auf diese Anzeige: „Are you playing your violin – or is it gathering dust? (Spielen Sie Ihre Violine oder sammelt sie Staub?)“ Weiter unten stand vermerkt: „Sell at auction – If you are not using your musical instrument, find out its real worth. Brompton’s offer comprehensive without charge or obligation. We are now accepting instruments for our next auction on June 14th. (Verkaufen Sie an der Auktion. Lassen Sie sich von uns beraten usw.)".
 
Meine Geige verramschen? Das kommt nicht in Frage. Dennoch packte ich sie gestern Nachmittag aus dem Geigenkasten und stimmte die Saiten. Wiederum entlockte ihr verstimmte Töne, noch viel schlimmere als vor 2 Jahren. Mein Misserfolg war „eklatant“.
 
Meine Geige gibt vor, von Vuillaume in Paris zu stammen. Ich weiss, niemand soll einer auf dem Geigenboden aufgeklebten Etikette trauen. Dennoch packte mich die Neugier. Ich werde sie im Auktionshaus Brompton’s zeigen. Aber verkaufen? Nie in meinem Leben!
 
Meine Geige und ich haben viel zu viel miteinander erlebt. Sie hat mich nach Le Locle begleitet. Wir spielten zusammen in einem dortigen Amateurorchester und gingen zusammen sogar auf eine Konzerttournée bis nach Delémont. Ich spielte immer die 2. Geige, was mich nicht störte, doch hin und wieder wurmte. Später, im Londoner Boarding House (Pension), mussten sich meine Zimmernachbarn gezwungenermassen an meiner Hausmusik ärgern. Immer wieder wurde nebenan das Radio laut aufgedreht. Während ich spielte, hörte ich diesen Lärm nicht – nur meinen eigenen …
 
An einem heissen Juliabend in meinem Garten in Wimbledon – lange ist es her ‒ packte mich der Grössenwahn. Ich wollte die Vögel mit meiner miserablen Darbietung des Violinkonzerts Nr. 2 in G Dur von Joseph Haydn beeindrucken. Ich musste annehmen, dass sie ich sie aufgescheucht hatte und sie eiligst ihre Schlafstätte gewechselt hätten.
 
Eines muss ich festhalten: Meine Geige verschaffte mir viel Trost. Nach einem anstrengenden Tag spielte ich für mich allein und entspannte mich. Dazu musste ich Stücke wählen, mit denen ich vertraut war. Sonst hätte ich mich geärgert.
 
Noch etwas: Meine Geige hat einen eigenartigen Duft. Vielleicht stammt er von meinen Schweisstropfen. Ich mag diesen Geruch. Schade, dass Frauen nicht so riechen.
 
Schade auch, dass ich meiner Geige nicht zum Abschied aufspielen kann. Sie wird mir dafür dankbar sein.
 
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