Textatelier
BLOG vom: 08.04.2010

Fressgelage von Prälaten und vom Fasten gegen Begierden

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
„Wenn der Magen voll ist, singen die Vögel und die Menschen lachen.“
(Aus Australien)
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„Eine junge Frau hat durch Geist und Schönheit nicht so viele Verehrer wie ein reicher Mann durch die Freuden seiner Tafel.“
(Vauvenargue; Nachgelassene Maximen)
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„Wenn ein Mann auch vielleicht kein Herz hat, so hat er doch bestimmt einen Magen.“
(Aus der Mongolei)
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Vor kurzem las ich das höchst amüsante Buch „Der Weg zu Gott führt durch die Küche“. Das Werk stammt aus der Feder von Josef Imbach. Er ist ein Schweizer Theologe und leidenschaftlicher Koch. Er erzählt in diesem sehr amüsant geschriebenen Werk „vom fruchtbaren Zwiespalt zwischen Fasten und Feiern, Askese und Schlemmerei“. Es ist ein appetitanregender Ausflug in die Kirchen und Küchen. In jedem Kapitel hat er interessante Rezepte zum Nachkochen eingestreut. So gibt es die Rezepte über Brotkuchen, Zucchinirondellen mit Hackfleisch, gefüllte Datteln, Eierkuchen mit Speckwürfelchen, Rotweinkuchen, Crêpes Suzette, Kartoffelklösse, Eisbein, Strudeltäschchen, gefüllte Auberginen, Thunfischwurst, Käsesuppe, Schweizer Schnitzel. Es sind moderne und vom theologiekundigen Koch ausprobierte Gerichte, die natürlich die Mönche und Kirchenfürsten in vergangenen Zeiten nicht auf dem Speiseplan hatten. Dafür andere üppige Speisen.
 
Amüsant und originell finde ich bereits das Titelbild des Buches. Da sitzt ein genüsslich dreinblickender feister Mönch vor einem Zinnteller, auf dem ein geräuchertes Rippchen liegt. Daneben steht ein mit Bier gefüllter Humpen aus Glas mit Zinndeckel. Der Mönch freut sich sichtlich auf das genüssliche Mahl.
 
Im bayerischen Monasterium Formbach lebte im 16. Jahrhundert ein Abt, der trank sehr viel Wein und pflegte viel zu essen. Ein Chronist schrieb, der Abt sei so dick, dass ihn niemand umspannen konnte. Und so stelle ich mir die mittelalterlichen Mönche immer vor.
 
Von Josef Imbach habe ich noch 2 Bücher in meinem Bücherregal. Es sind die Werke „Geheimnisse der kirchlichen Küchengeschichte“ und „Was Päpsten und Prälaten schmeckte“. Aber konzentrieren wir uns auf das eingangs erwähnte Buch. Einige amüsante Anekdoten werde ich mit eigenen Worten erzählen oder diese teilweise zitieren.
 
Essen mit den Händen
Es waren nicht die „geheiligten“ Hände der Päpste oder Prälaten, die ihre Handwerkszeuge zum Essen benutzten, sondern Könige und Adelige. So verbot der Sonnenkönig Ludwig XIV. die Benutzung einer Gabel bei höfischen Trink- und Fressgelagen. Seine Schwägerin Liselotte von der Pfalz sagte: „Mir hat noch nie jemand dergleichen verbieten müssen. Ich habe mich zeit meines Lebens beim Essen nur meines Messers und meiner 5 Finger bedient.“ Als sie sich einmal über die Vielesserei ihres Schwagers beklagte, musste sie sich sagen lassen, dass die Köche dazu da seien, um den König mit den besten Speisen zu füllen, und die Ärzte müssten dafür sorgen, um ihn zu entleeren.
 
Liselotte von der Pfalz war auch eine Frau, die sich nicht viel sagen liess und kulinarisch manchmal ebenfalls über die Stränge schlug. Einmal kurierte sie ihr dreitägiges Fieber mit Kirschen. Sie schrieb in einem Brief (sie hat rund 4000 Briefe geschrieben) dies: „Ich habe mich mit Kirschenessen kuriert. Man hatte mir die Kirschen zwar verboten, aber als man mir einen Korb davon brachte, hab ich sie heimlich gefressen und syderdem ist das Fieber nicht wieder kommen.“
 
Die letzten Worte
Die letzten Worte etlicher Berühmtheiten sind überliefert. Die guten Esser dachten oft nur an feine Speisen und Getränke. Als die 98-jährige Schwester des berühmten Jean Anthelme Brillat-Savarin, Josephine, nach einem Diner schwindlig wurde, klingelte sie dem Personal und rief aus: „Es geht zu Ende – rasch den Nachtisch!“
 
Der Komponist Johannes Brahms sah sein Ende kommen. Er verabschiedete sich nach einem Glas Wein mit den Worten: „Schmeckt der aber gut – Danke!“
 
Ich kenne auch einige Leute, die vielleicht auch so reagieren werden, wenn ihr letztes Stündlein geschlagen hat.
 
Der französische Meisterkoch Antoine Caréme (1783‒1833), der für einen Zar und 2 Könige kochte, starb am Herd, als er seine Schüler überwachte. Seine letzten Worte waren: „Diese Kalbsröllchen sind gut, aber zu rasch erhitzt. Man muss die Kasserolle ganz leicht schwenken.“
 
Der französische Geniesser Charles d`Everuard (gest. 1703) wurde von einem Priester gefragt, ob er sich mit Christus versöhnt habe. Er antwortete: „Versöhnen würde ich mich lieber mit meinem Magen, denn er hat seine Funktion eingestellt.“
 
Kein Wein für Frauen?
Tertullian bringt in seiner Schrift „Apologeticus“ Fakten zum Weingenuss. Der Autor lebte um 150/160 bis um 220/230 u. Z. (verschiedene Quellenangaben). Hier einige Bemerkungen: „Bekanntlich enthielten sich die Frauen anfänglich gänzlich des Weines. Dieses Verbot war so streng, dass eine Verheiratete von ihren Angehörigen mit dem Hungertode bestraft wurde, wenn sie sich erkühnte, die Siegel zum Weinkeller aufzubrechen (…) Ursprünglich waren die Frauen verpflichtet, ihre Ehemänner zu küssen, damit dies sich überzeugen konnten, dass sie keinen Weinatem hatten. Wo aber gibt es noch heute harmonische Ehen, die doch früher gerade wegen der strengen Sitten dermassen glücklich waren, dass noch beinahe 600 Jahre nach der Gründung Roms von Scheidung nicht einmal gesprochen wurde?! Heutzutage ist der ganze Körper der Frauen mit Gold behängt, und es gibt kaum mehr eine, deren Küsse nicht nach Wein schmecken. Und was die Scheidung betrifft, ist diese inzwischen längst ein integrierender Bestandteil des Treueversprechens.“
 
Kaum zu glauben, dass schon damals die Trinkerei und die Scheidungen überhand nahmen. Heute beobachtet man diese Tendenzen immer mehr. So wird bei uns jede 3. Ehe geschieden, und viele Frauen halten sich nicht mehr beim Alkoholgenuss zurück.
 
Hier noch eine passende Geschichte aus der Stadt Leipzig. 1773 wurde eine betrunkene Frau mit einem Zettel auf der Stirn auf den Markt geführt. Die Aufschrift lautete:„Versoffene Krugurschel“.
 
Fürstenhochzeit in Bayern
Laut Aufzeichnungen des fürstlichen Verwalters wurden bei der Vermählung des Landshuter Herzogs Georg der Reiche (er war ein bedeutender Wittelsbacher) und der polnischen Königstochter Hedwig (polnisch Jadwiga) im Jahre 1475 unglaubliche Mengen an Nahrungsmitteln verarbeitet. Hier die Liste: 40 000 Hühner, 11 500 Gänse, 1537 Lämmer, 1133 ungarische Schafe, 285 Brühschweine, 232 Ochsen und 200 000 Eier. Es wurden 200 000 Saum Wein bereitgestellt. 1 Saum bzw. Ohm schwankte je nach Land zwischen 134 und 174,75 Liter. Die Angaben zum Bier fehlten bei der Aufstellung. Die ganze Veranstaltung kostete nach heutiger Währung 15 Millionen Euro.
 
Übrigens finden im Abstand von mehreren Jahren Aufführungen in Landshut statt. Die nächste Aufführung „Landshuter Hochzeit 1475“ ist für das Jahr 2013 geplant.
 
Auch die Kardinäle und andere Kirchenfürsten waren Freunde von üppigen Mahlzeiten und Festivitäten. 1308 lud Kardinal Arnaldo Pelagrù, ein Neffe Papst Klemens´ V., Kardinäle, Prälaten, Edelleute und Knappen zu einem Mahl in Vignone in Piemont ein. Es wurden 9 Gänge zu je 3 Gerichten serviert.
 
Anonimo Fiorentino aus Florenz schrieb darüber u. a. das Folgende: „… es gab also 27 Speisen, von solcher Mannigfaltigkeit, dass, wollte man sie beschreiben, man darüber sterben würde. Meine Feder würde müde werden, und sie hat doch wahrlich noch vieles andere zu berichten: Es gab alles, was man nur will, alles was teuer, gut, besser und am besten ist. Nach den ersten 3 Gängen kam als Intermezzo ein riesengrosser Berg herein, aus lauter Wild aufgebaut: ein mächtiger Hirsch, der lebend schien und doch gekocht war, ein Wildschwein, Rehböcke, Hasen, Kaninchen (…).“
 
2 Jahre Fasten für Fremdgänger
In einem Bussbuch, das den 735 gestorbenen Mönch Beda zugeschrieben wird, kamen saftige Fastenstrafen vor. Hier ein Auszug: „Wer trinkt, bis er sich übergeben muss, soll 40 Tage fasten, falls es sich um einen Priester oder Diakon handelt; 30 Tage, wenn der Betreffende ein Mönch ist, 12 Tage, wenn es sich um einen Laien handelt. Wer sich übergibt, weil er krank ist, sündigt nicht. Wer sich übergibt, weil er zu viel gegessen hat: 3 Tage Fasten. Wer sich trotz des Verbots seines Herrn betrinkt, sich aber danach nicht übergibt: 7 Tage Fasten.
 
Ein Unverheirateter, der eine sündhafte Beziehung zu der Frau eines anderen unterhält: 2 Jahre Fasten. Ein verheirateter Mann, der eine sündhafte Beziehung zu einer verheirateten Frau unterhält: 3 Jahre Fasten, wobei sich der Verheiratete während des ersten Jahres seiner Frau nicht nähern darf.“
 
Es waren also drastische Strafen bzw. Bussen. Aber ob die etwas bewirkt haben, darf bezweifelt werden.
 
Jetzt folgen noch Besonderheiten über Fastenspeisen und Festessen aus meiner kulinarischen Anekdotensammlung:
 
Wie der Bischof fastete
Es gab früher sehr strenge Fastenregeln. Aber immer wieder gab es Tricks, um diese zu umgehen. Der Bischof von Aquilea stellte nämlich seine eigenen Regeln auf. Wahrscheinlich wollte er einen quälenden Hunger meiden. Er begann die 40-tägige Fastenzeit mit 40 Mahlzeiten und liess jeden Tag eine Mahlzeit weg. Am letzten Tag hatte er immer noch eine Mahlzeit übrig, so dass er nicht hungern musste.
 
Auch die Mönche waren sehr erfinderisch, um Verbote während der Fastenzeit zu umgehen. So liessen sich gerne Mönche zur Ader, um als Kranker Fleisch zu essen, oder Geflügel wurde mit Fischen gleichgesetzt. Begründung: Geflügel und Fische wurden am selben Tag erschaffen. Auch verzehrte so mancher Mönch Otter und Biber, die ja nicht zu den Säugetieren gezählt werden, und sie galten deshalb als Fastenspeise.
 
Sankt Pirmin von der Insel Reichenau war ein Freund des Fastens. Er meinte: Wer fastet, dem schwinden Geilheit und böse Begierden. Fasten löscht das Feuer des Zorns, „dempfft und stoffet in uns alle bose gelust und fleischlichkeit“.
 
Später peitschten sich so manche Mönche aus, um ihre Begierden zu besänftigen oder vorbeugend gegen Rheuma etwas zu unternehmen. Wer weiss?
 
Als ich die Geschichte vom Fasten las, dachte ich mir, dies wäre eine gute Möglichkeit, um gewisse sexuelle wie pädophile Praktiken abzudämpfen. Wenn dies wirklich so wirkt, dann müssten Menschen mit diesen Neigungen mehrmals im Jahr fasten. Oder bei jedem Anfall von Lust.
 
Wie Sie sehen, habe ich mich vornehm zurückgehalten und keine Berufsgruppe genannt. Missbräuche kommen nämlich nicht nur in klerikalen Kreisen, sondern auch in der Familie, in Sportvereinen und anderswo vor.
 
Festessen der Finanzminister
1878 weilten die deutschen Finanzminister in Heidelberg. Im Schlosshotel wurde ein opulentes Mahl vorbereitet – und das auf Kosten der armen Steuerzahler. Folgendes wurde aufgefahren: „Schildkrötensuppe, Kraftbrühe von Hühnern, Forellen mit zerlassener Butter, dazu Erdäpfel, Steinbutt mit Sauce Hollandaise. Rehrücken mit französischen Erdschwämmen. Kalbsmilchner mit Trüffeln. Feldhühner mit neuem Sauerkraut. Artischocken mit geräuchertem Rheinlachs. Bresse-Geflügel, Salat, Plumpudding mit Vanilletunke. Maraschino-Sulz mit Früchten. Verschiedenes Gefrorenes, Früchte, Käse, Mocca.“
 
Die erwähnten Beispiele der Schlemmerei zeigen auf, dass bei den Festgelagen von Adeligen, Prälaten, Päpsten und Politikern unglaublich viel verzehrt wurde, während das Volk oft hungern musste. Im Mittelalter bekamen die Bediensteten oder das Volk wenigstens die Reste, die von den Adeligen nicht aufgefressen wurden. Heute werden die Reste weggeworfen oder kommen in den Futtertrog der Schweine.
 
Literatur
Imbach, Josef: „Der Weg zu Gott führt durch die Küche“, Albatros-Verlag 2009.
Imbach, Josef: „Was Päpsten und Prälaten schmeckte“, Echter-Verlag 1997.
Imbach, Josef: „Geheimnisse der kirchlichen Küchengeschichte“, Albatros-Verlag 2008.
Richter, Georg: „Kulinarische Streifzüge durch Baden“, Sigloch edition 1982.
 
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