BLOG vom: 14.04.2010
Graubünden: Von allerlei Schrägem und von Superlativen
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
Gekrümmt, gebogen, von der Senkrechten und Waagrechten abweichend: Im Bündnerland trifft man oft auf Schräges. Das heisst aber nicht, dass der Kanton Graubünden und seine Bewohner nicht als vertrauenswürdig gelten; das Gegenteil ist der Fall. Bei einer Exkursion mit meinem Schwager Werner Allemann aus Malix GR, einem landeskundigen ehemaligen Baufachmann (78), vom 07.04.2010 begegneten wir einfach Vielem mit eigenwilligen Formen, das etwas ausser das Lot geraten war, sogar einem schrägen Kirchturm in Brienz GR.
Churwalden
Unseren ersten Halt machten wir im Zentrum von Churwalden. Diese steinreiche Gemeinde war auf den 01.01.2010 um Malix und Parpan vergrössert worden, Ausdruck der aktuellen Fusionitis. Im langgezogenen Strassendorf, wo (wie auch in Parpan) Rindfleisch aus aller Welt auf wunderbare Weise in der guten, trockenen Luft in Bündnerfleisch verwandelt wird, fliesst der Stätzerbach von der Alp Stätz her in die Rabiusa. Manchmal kommt hier oft mehr Wasser zusammen als man sich das wünscht. Deshalb erhielten die sich vereinigenden Bäche im Dorf ein neues Natursteinbett, das elegant geschwungen ist. Selbst die Dämme, in die schematisch quadratische Aussparungen für Pflanzen eingefügt sind, verändern manchmal das Gefälle sozusagen wellenförmig fliessend, lockern den Kanaleindruck auf. Für diese Verbauung wurden keine einheimischen Steine vom Fuss des Lenzerhorns eingesetzt, sondern solche aus dem weit entfernten Trübbach SG; offenbar lag von dort eine günstigere Offerte vor. So werden manchmal nicht nur Eulen nach Athen, sondern eben auch Steine ins Steinreich getragen, sozusagen ein Verstoss gegen die Gesetze der Schwerkraft.
Die Lenzerheide („d’Heid“)
Bei der Weiterfahrt über Parpan und das touristische beliebte Hochtal Valbella (und damit über die Sprachgrenze Deutsch-Rätoromanisch) sowie die Lenzerheide/Lai mit dem See und dem noch nackten Geäst der Lärchen in ausgedehnten Fichtenwäldern erfuhr ich von Werner, dass der Ortsname Lenzerheide/Lai keine eigene Gemeinde, sondern eine Fraktion (einen Ortsteil) der Gemeinde Vaz/Obervaz bezeichnet – ursprünglich ein Maiensäss, das die Obervazer Bauern jeweils ab Mai bis in den Herbst hinein mit ihrem Vieh aufsuchten. Das Dorf Lenzerheide, das neben Sakralbauten kaum bauliche Sehenswürdigkeiten bereit hält, ist auf diesem Alpweidegrund erst in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden. Hier wird heute aus touristischen Gründen vorwiegend Deutsch gesprochen. In der Umgebung wuchert seit langem der Ferienhaus- und Zweitwohnungsbau am Fusse des weit ausladenden Wintersport- und Wandergebiets mit seinem Steinrüfen. Am bekanntesten ist das mit Seilbahnen erschlossene Parpaner Rothorn. Eine Goldgräberstimmung herrschte hier einst wegen der Edelmetallgruben, heute eher wegen des Fremdenverkehrs.
Brienz
Auf der Weiterfahrt gegen Tiefencastel wies mich Werner unterhalb von Lantsch/Lenz an, ostwärts gegen Brienz/Brinzauls (1150 m ü. M.), über dem Albulatal gelegen, abzuzweigen, wo der Schiefe Turm von Pisa seinen Bruder stehen habe, wie er scherzhaft meinte. Tatsächlich hat dort der Turm der spätgotischen Pfarrkirche Son Tgalester/St. Calixtur etwas Schlagseite, was kaum bekannt ist und auch für mich eine Neuentdeckung bedeutete. Wenn man von dieser Schräglage weiss, erkennt man sie gut. Doch wird dieser Umstand im Dorfe offenbar eher verdrängt, jedenfalls konnte ich von der Gemeindeverwaltung keine Information erhalten („überfragt“); doch wurde ich an die richtige Adresse verwiesen: an Hermann Bossi, Cresta 56, Kirchgemeindepräsident.
Laut seinen Angaben wurde das Fundament des Turms, der in 4 übereinander liegende Segmente aufgeteilt und mit einer niedrigen Kuppelhaube abgedeckt ist, auf der rechten Seite (talwärts) durch eindringendes Wasser beschädigt, so dass 1978 eine Renovation und Erneuerung anstanden. Das auf dem Schieferfels stehende Fundament wurde instand gestellt und der Turm mit Seilen gesichert. Ein Drahtseil musste in die Kirche geführt werden, an dem die Turmbewegung, die langsam weitergeht, verfolgt werden kann; die Überwachung erfolgt durch die Liesch Ingenieure in Malans/Chur. In der Fassade des Pfarrhauses, das ebenfalls auf dem Kirchhügel steht, haben sich viele Risse gebildet – auf solche bin ich seit meinem Besuch in Staufen D, wo sich der Boden wegen des in den Anhydrid vordringenden Wassers anhebt, sensibilisiert – in Brienz senkt er sich.
Die Kirche Brienz ist wegen ihres 1519 entstandenen, spätgotischen Flügelaltars im schwäbischen Stil berühmt. Das Kircheninnere ist nach meinem persönlichen Empfinden überladen; die Üppigkeit erschlägt einen fast. Und die auffallend vielen Leidensweg- und Kreuzigungsszenen dürften für zarte Kinderseelen etwas brutal wirken.
Laut Hermann Bossi steht Brienz, wo es Ende des 18. Jahrhunderts einen Steinschlag gab, auf einem bewegten Schieferboden, was bedeutet, dass das ganze Dorf in einer leichten Bewegung ist (ähnlich bewegte Dörfer sind im Bündnerland Peist im Schanfigg und Saas im Prätigau). Bei solchen Vorgängen spielen die Fels-Beschaffenheit, Risse und Gleitflächen eine Rolle, selbstverständlich auch das gefrierende und wieder auftauende oder zu Erosionen beitragende Wasser, genauso wie menschliche Eingriffe. Etwa 8 Prozent der natürlichen Flächen der Schweiz sind instabile Hänge, so dass man also nicht sagen kann, in unserem Land bewege sich nichts.
Wie ich aus dem Gespräch mit Herrn Bossi heraushörte, steht das harte Gebirgsvolk der Bündner solchen Erscheinungen relativ gelassen gegenüber, ohne deswegen Schutzmassnahmen zu vernachlässigen. Die Bewegung von Brienz hat in der Mitte der 1970er-Jahre und dann in den 1990er-Jahren nochmals eher zugenommen.
Burgruine Belfort
Die Ruine Belfort, die ebenfalls auf Brienzer Boden steht, befindet sich ausserhalb des Dorfs auf einem schmalen Felsrücken zwischen 2 Tobeln an der Strasse nach Alvaneu, an einen Schräghang angefügt, der aber hier offensichtlich recht stabil ist.
Die Herren von Belfort liessen diese Burg wahrscheinlich im 12. Jahrhundert im Zentrum ihrer Herrschaft erbauen, und anschliessend wurde diese Befestigungsanlage im Auftrag der Herren von Vaz erweitert, als diese den Herrschaftssitz in Nivagl, südlich der Lenzerheide in Vaz, aufgaben. Ihr Herrschaftsgebiet reichte vom Prätigau über die Landschaft Davos bis zum San-Bernardino-Pass. 1338 kam die Burg als Erbschaft an die Grafen von Toggenburg, die sie bis 1436 behalten konnten. Dann wechselten die Besitzer mehrmals, bis die Belfort schliesslich zu Habsburg-Österreich kam, die ihren Besitz mit allen erdenklichen Tricks auszuweiten verstanden. Die Beeli von Belfort waren Österreichs Statthalter, Im Schwabenkrieg 1499 wurde die Burg von den auf der Seite der Eidgenossen gegen die Habsburger kämpfenden Bündner erstürmt, erobert und ausgebrannt. Über einem Türsturz konnten wir noch einen verkohlten Holzbalken ausmachen – ob die Kohle aus jener Zeit stammt, weiss ich nicht genau. Die Zerstörung erfolgte, um die Burg als kaiserlich-österreichischen Stützpunkt ein für allemal auszuschalten.
Schätzungsweise 300 m westlich der heutigen Burgruine ist an der Strasse ein grosser Parkplatz, von wo aus man die aufgetürmten Steine sehr gut sehen kann. Das breite Asphaltband entspricht dem ehemaligen Handelsweg, der von Chur über die Lenzerheide und den Albulapass ins Engadin führte und dem wir ja gerade folgten. Vom Parkplatz aus ist nur noch einer der ehemals 2 Burgtürme auszumachen, und von den Wohngebäuden ist nicht mehr viel zu sehen. Die Anlage, zu der auch eine Wehrmauer und ein Zwinger gehörten, sieht im oberen Teil wie ausgefranst aus.
Der schmale Weg zur Ruine über das Kulturweg-Teilstück mit Nadelfilzbelag (Tannen- und Lärchennadeln), Holzbrücken und Treppen, vorbei an Wasser, das über Steine fliesst, und neben zart violetten Erika-Blüten in einer Felsnische bietet erbauliche Bilder. Nach wenigen Minuten erreicht man die rustikalen Mauern dieses Baudenkmals von nationaler Bedeutung, das von der Stiftung Pro Ruine Belfort betreut wird. Der Anlage-Restbestand wurde 1937 gesichert und zwischen 2002 und 2007 wieder renoviert. Ein Schräglift ist neben der Ruine noch vorhanden, ebenso mehrere Gerüststangen bei einer frischen Gamslosung aus dunkelbraunen, fast schwarzen, leicht glänzenden Kügelchen, die von Werner als ehemaligem Jäger sofort als solche identifiziert wurde.
In der Ruine können sich die Besucher dank fest installierter Metalltreppen mit Handläufen sicher bewegen und auch die Aussicht bewundern – bis zum dreieckigen Piz Kesch (3418 m), der als berühmtester Berg im Albulagebiet gilt, oder hinunter ins Dorf Surava. Die Mauern der Ruine bestehen aus eher unförmigen, grauen und rötlichen Steinen, darunter vielen hellen (Tuffsteinen); die Zwischenräume sind mit Mörtel gefüllt. Befestigungsmassnahmen mit Eisenverstrebungen und Seilen sind am Mauerwerk sichtbar. Der Innenhof, ein leeres Geviert, ist mit Gitterglas vor Wasser geschützt, die Fensterstürze mit frischen Holzbalken befestigt.
Alvaneu
Nachdem wir schon unter dem Titel Belfort reisten, lag es nahe, im Hotel Belfort im Walser-Dorf CH-7492 Alvaneu Dorf (www.belfort.ch) zu tafeln, um etwas Leben in diese als wirtschaftlich „potenzialarm“ bezeichnete Gegend zu bringen und sozusagen die alpine Brache umzupflügen – der Begriff „potenzialarm“ stammt von den heutigen Herrschaften in Chur (Kantonsverwaltung) und betrifft das Albulatal. In den Dörfern in dieser Talschaft wird von der älteren Generation heute durchaus noch romanisch gesprochen, was auch fürs gesamte Oberhalbstein (Sursés) gilt. Alvaneu-Dorf liegt ebenfalls auf der Sprachgrenze Deutsch-Rätoromanisch, und die beiden Dörfer Schmitten und Wiesen am Landwasser waren sicher ursprünglich Walser-Siedlungen, und da galt (wie in Davos) die deutsche Sprache, was nicht ausschloss, ihnen romanische Namen zu geben.
Die Gemeindebehörde von Alvaneu (1200 m) rief im Frühjahr 2007 als potenzsteigernde Massnahme das „Fürstentum Belfort“ aus, ernannte einen Fürsten („Peter Fürst I.“) in der Person von Peter M. Wettler, der zeitweise in diesem Hotel residierte und dort im Gespräch mit Gästen nach Visionen für die Region fahndete: eine Künstlergasse im Dorf, wo einst die bedeutendsten Kunstschlosser Graubündens wie Martin Laim und seine Nachkommen wirkten, ein Wasserweg, ein Eisweg. Und der Gemeindepräsident Thomas Kollegger (Sohn des ehemaligen Volksmusikers Heiri Kollegger) bringt das Kunststück fertig, im Kopfstand Alphorn zu spielen. Mehr oder weniger schräge Ideen waren also ebenfalls gefragt.
So tafelten Werner und ich denn entsprechend fürstlich bei Lammbraten, gebratenen Kartoffeln und bei einem Röteli-Parfait (Halbgefrorenes mit Dörrzwetschgenkompott) zum Dessert. Zwischen hindurch richteten wir den Blick zum Tinzenhorn, auf den Piz Ela und den Piz Mitgel. Die Berge waren an diesem strahlenden Tag unter dem reinen Himmelblau von einer frischen Decke aus schneeweissem Schnee überzogen. Die Sicht war absolut klar, die Bilder strahlten wie auf einem Kalenderblatt nach der Adobe-Photoshop-Behandlung.
Im Tal unten statteten wir dem Schwefelwasser-Heilbad einen Kurzbesuch ab; Alvaneu Bad liegt auf 950 Höhenmetern. In der Nähe steht noch das alte Kurhaus, in dem der Kurbetrieb, den es an dieser Stelle schon im 16. Jahrhundert gab, 1962 eingestellt wurde. Im 34 Grad C warmen Wasser der neuen Anlage kann man drinnen und draussen baden. Dampfbäder und Sauna sind ebenfalls vorhanden. Gleich daneben ist der Golfplatz des Golf Clubs Alvaneu Bad, der wahrscheinlich vergrössert wird. Darauf deuten Rodungsarbeiten nördlich der Albula hin.
Der Landwasserviadukt
Gleich in der talaufwärts angrenzenden Gemeinde Schmitten und zum Teil auf dem Boden von Filisur steht der Landwasserviadukt, das spektakulärste, kürzlich renovierte Bauwerk aus der 63 km langen Albulastrecke der Rhätischen Bahn (RhB). Er überbrückt das Schmittnertobel. Das Landwasser, das aus der Gegend von Davos heran fliesst, ist ein Nebenfluss der Albula ohne eigentliche Quelle, sondern eine Versammlung von 4 Wasserlinien (Flüelabach, Schiabach, Dorfbach und Dischmabach). Wir spazierten von der Talstrasse her diesem Gewässer entlang, vorbei an einer jagdlichen Passhütte für den Fuchs- bzw. Marderabschuss, zum Viadukt.
Am Flusslauf ist im Privatwald Salé ein Holzschlag im Gange, vor allem Fichten und Föhren waren ins Landwasser gestürzt. Es soll ein Auen-ähnliches Gebiet mit Erlen und Birken einer naturnaheren Böschung geschaffen werden, zwischen der das Landwasser mäandrieren kann. Für die Wiederherstellung von Auenwäldern in Mittelbünden besteht ein so genanntes Nutzungskonzept.
Der Viadukt wuchs bei unserer Annäherung zu einer ungeheuren Grösse heran. Noch nie hatte ich an den Füssen dieses gigantischen, in jeder Beziehung schrägen Bauwerks aus dunklen Kalksteinen, die mit Kalkdolomit verfugt sind, gestanden. Die 5 bis 65 m hohen, gleichermassen wuchtigen wie geschmeidigen, sich gegen oben verjüngenden Pfeiler, die zu einem Kreisbogen mit einem Radius von 100 m gehören, waren seinerzeit ohne Gerüst aufgemauert worden. Das war nur möglich, indem zuerst für jeden Pfeiler ein eiserner Stützturm aufgebaut wurde, der dann im Inneren des Pfeilers verschwand. An diesen kontinuierlich nach oben verlängerten Türmen wurde jeweils eine Kranbrücke aufgehängt, dank der das Baumaterial nach oben befördert werden konnte – ein bautechnisches Meisterwerk. Oben sind 6 Gewölbe mit Spannweiten von 20 m. Das südliche Widerlager liegt in einer hohen, lotrechten Felswand, dem Beginn des 216 m langen Landwassertunnels. In diesem Gebiet steigt das leicht gebogene Trassee mit 20 Promille an – eine schräge Dreidimensionalität.
Wer dieses 1901 entstandene Werk, das jetzt als Unesco-Kulturerbe bezeichnet ist, von unten, aus der Froschperspektive, auf sich wirken lässt, wird überwältigt, von Ehrfurcht erfüllt. Es kostete damals 280 000 CHF – und die sanfte Renovation im Sommer 2000 dann 4,6 Mio. CHF. Die Fugen wurden durch Injektionen verstärkt, obschon das Bauwerk in einem noch tadellosen Zustand war. Im Bahngeleise-Bereich wurde der Wasserabfluss verbessert, um die Infiltration ins Mauerwerk zu verhindern, und der Oberbau erneuert.
Zum RhB-Streckennetz gehören viele kleine und grosse Viadukte, so der Bogenviadukt in Brusio und die Wiesner-Viadukt auf der Strecke von Filisur nach Davos.
Wir kamen uns verhältnismässig klein vor, als wir zum Holzumschlagplatz zurückwanderten, wo wir den Prius abgestellt hatten.
Filisur
Werner schlug einen Besuch in der seit rund 100 Jahren bestehenden Gärtnerei „schutz filisur“ vor, die auf alpine Pflanzen spezialisiert ist, aber auch Gewächse exotischer Art anbietet. Aktuell im Angebot waren gerade die Schokoladenblume (Cosmos atrosanguineus), das Kapkörbchen (Dimorphoteca sinuata) und die Hängeminze (Indian Mint). Viele Pflanzen in Plastiktöpfchen waren auf dunklen Folien aufgestellt, die Sonnenwärme nutzend. So wurde das Wachstum beschleunigt. Sie erwachten gerade aus dem Winterschlaf und waren von Dürre und Winterkälte gezeichnet.
Bellaluna
Zu Filisur gehört auch das Gebiet Bellaluna, wo einst Eisenerz abgebaut wurde; die Bergwerke gehen auf etwa 1568 zurück, und sie waren bis 1848 in Betrieb. In diesem Zentrum der Bergbaugeschichte im Albulatal waren auch Hochöfen für die Eisen- und Zinkschmelze in Betrieb; Wasserkraft und Holz gab es hier genug. Heute sind bloss noch das Knappen- und das Direktionshaus erhalten. In einem kleinen Zoo vergnügten sich Zwergziegen, Frettchen aus der Iltis-Verwandtschaft und 2 dunkelgraue, asiatische Hängebauchschweine (meine Lieblingstiere) mit Köpfen, die eingestaucht zu sein schienen. Sie meldeten sich mit einem Grunzen, das meinem Schnarchen im Tiefschlaf ähnlich ist. Es tönte wie Musik.
Das Gebiet ist von vielen Geschichten umrankt, wie auf der Webseite www.bellalua.ch nachzulesen ist: „Grubenarbeiter sollen es gewesen sein, die in einer feuchtfröhlichen Vollmondnacht ihr Haus auf dem Namen Bellaluna getauft hätten. Nach anderen, nicht urkundlich bescheinigten Quellen, sei diese Waldlichtung einer der berüchtigtsten Hexenplätze Graubündens gewesen, wo sich die Hexen bei Vollmond zum Tanz versammelt hätten und auf ihren Besen Richtung Holland gestartet seien. Hier sei der Name Bellaluna von bal a l‘una, dem Tanz nachts um eins, abgeleitet worden.“
Eine kuriose Bellaluna-Besitzerin war nach 1965 die exzentrische Paula Roth, die als „Hexe vom Albulatal“ bezeichnet wurde, dem Haus als Wirtin neues Leben verlieh und darin auch schrieb, dichtete. Neben den Eingeborenen fühlten sich auch Schauspieler, Politiker, Soldaten, Künstler, Propheten, Sektierer und Weltverbesserer von ihr angezogen. Sie hielt ihre Bastion auch in schneereichen Winter, wenn kein Knochen vorbei kam. Sie bot Stoff genug für den Film „Bal a l’üna“von Kuno Bont (2008) und vertraute „den Halunken der Bank“ keinen Rappen an, hortete ihr Geld lieber in Büchsen und Strümpfen selber. Sie wurde am 18.04.1988 das Opfer von Raubmördern und zur Mediensensation. Dann wurde die leer stehende Anlage förmlich geplündert. Ab Oktober 2001 begannen neue Besitzer, Bruno und André Brazerol, erfreulicherweise mit der Renovation. Bei unserem Besuch war das Gebäude, das im Sommer als Restaurant dient, noch für etwa 4 Wochen verwaist; in den ersten Mai-Tagen 2010 soll es wieder eröffnet werden.
Domleschg
In Erinnerungen versunken fuhren wir auf der alten Strasse durchs Burgenland Domleschg in Richtung Chur: von Sils im Domleschg aus zum Schloss Baldenstein („verwegen kühne Burg“) über dem Burgstädtchen Fürstenau, wo sich die Albula und der Hinterrhein treffen, sodann nach Rodels mit dem Schloss Rietberg, weiter nach Papels (Neu Sils) und vorbei am Schloss Ortenstein nach Bonaduz. Diesem geschichtsträchtigen Domleschg müsste man einen vollen Tag widmen.
Wir hielten noch beim grössten, 2007 eröffneten Schweizer Sägewerk in Domat-Ems an, bei der ehemaligen Stallinger Swiss Timber AG, wo am Calanda-Fuss ganze Berge von Rundholz liegen. Im Jahr 2009 wurden 160 000 m3 Holz verarbeitet. Der Kanton Graubünden hat an den Bau dieser Anlage einen namhaften Betrag (7,5 Mio. CHF als Investitionsbeitrag und 10 Mio. CHF als Darlehen bei Steuererleichterungen) geleistet, worüber die Bündner oft den Kopf geschüttelt haben. Das Riesenwerk wurde nach kurzer Zeit an Mayr-Melnhof Swiss Timber weiterverkauft. Diese Holzlandschaft riecht noch in einiger Distanz nach Harz. Neben Schrägem hat das Bündnerland also auch Superlative bereit.
Werner Allemann hat sich als einfühlsamer, ortskundiger Begleiter erwiesen, ein humorvoller, liebenswerter Verwandter. Er ist voll von verschmitztem Humor, lässt gern ironische Untertöne mitschwingen, besonders wenn ihm Charakteristika von uns Unterländern, die wir gelegentlich aus dem Nebel zur Bündner Sonne aufsteigen und die herbe Landschaft erforschen, auffallen. Als Daueraufenthalter wären wir Verweichlichten für diese raue Welt ohnehin untauglich.
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