Textatelier
BLOG vom: 21.04.2010

Vernebelt: Damals, als nur noch der Vulkanstaub herumflog

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
„Vulkanasche“: verglaste, kleinste, scharfkantige, siliziumhaltige Magmateile, die keine Verbrennungsrückstände sind. Wenn ich dieses Wort höre, denke ich an Atemnot und Erstickung. Das beruht auf meiner Pinatubo-Erfahrung vom 14.01.1992 auf der philippinischen Insel Luzon. Der Vulkan Pinatubo war nach 611 Jahren Ruhe am 15.06.1991 im Anschluss an verschiedene Voranmeldungen wie einem Erdbeben der Stärke 7,8 explodiert. Der Ausbruch erfolgte während eines Taifuns. Der Vulkan schleuderte Vulkanstaubwolken bis auf 27 km Höhe hinauf, also in die Stratosphäre. Und dieser Ascheregen hinterliess furchtbare Verwüstungen und beeinträchtigte das Klima weltweit. In meiner Philippinen-Reportage unter „Länderporträts“ habe ich einige Fakten dazu publiziert.
 
Die Pinatubo-Dimension auf den Philippinen (93 km nordwestlich von Manila entfernt und 26 km westlich von Angeles City) übertraf die aktuelle „Eyjafjalla“-Eruption in Island um Grössenordnungen. Auf Luzon wurde eine ganze, teilweise bewohnte Landschaft unter der Magermörtel-ähnlichen „Asche“ (der Begriff ist falsch, man würde gescheiter von Vulkanpulver, einem Feinststaub, sprechen) begraben. Die kleinen Partikel, die sich noch rund um den Erdball verbreiteten, waren messbar klimawirksam, indem sich eine leichte Abkühlung um wenige Zehntelgrade ergab. Solche Grössenordnungen erreicht der Gletschervulkan Eyjafjalla zweifellos nicht annähernd, obschon dieser der aktivste und grösste europäische Vulkan ist.
 
Die beiden Seiten des Staubs
Der Name Pinatubo heisst „etwas zum Wachsen bringen“ – ein Vulkan hat also auch seine guten Seiten. Der Vulkanstaub verursacht Nutzen und Schaden. Zum Nutzen gehört die mineralische Anreicherung der Böden mit Steinmehl und damit die Begünstigung des Pflanzenwachstums: eine Mineralstoffdüngung. Zu den unangenehmen bis krankmachenden Erscheinungen gehört die Beeinträchtigung der Lungenfunktionen, in Extremfällen reicht das Krankheitsbild bis zur COPD. Das ist die Abkürzung für „Chronic Obstructive Pulmonary Disease“, eine Lungenkrankheit, die langsam fortschreitend die Atemwege einengt und zur Atemnot führt (im Volksmund „Raucherlunge“ genannt). Vulkanasche ist zweifellos gefährlicher als Tabakrauch – nur macht sich niemand ein Vergnügen daraus, sie täglich zu inhalieren.
 
Ich habe die Folgen des Vulkanstaubs zum Glück nur vorübergehend, bei einem Aufstieg auf einen Vulkanstaubhügel wenige hundert Meter vor der Pinatubo-Vulkankette an der westlichen Luzon-Spitze, am eigenen Leib erfahren. Weil ich nach dem Staub-Einatmen kaum noch weiteratmen konnte, somit zu wenig Sauerstoff erhielt, musste ich auf der verhärteten Asche absitzen – es war mir während 2 oder 3 Minuten kein Schritt mehr möglich ... dann ging es wieder, nach einigen erfolgreichen Luftschnappversuchen. Ich hatte nur wenig Staub erwischt, den die vor mir gehenden Begleiter, der Filipino Angelito Miranda und mein Bruder Rolf, mit den Schuhen aufgewirbelt hatten. Aber bereits diese verhältnismässig wenigen mikroskopisch kleinen Partikel hatten beängstigende Auswirkungen. Und seither hüte ich mich tunlichst vor der Staub-Konsumation. Als ich am Sonntag, 18.04.2010, ins Auto sass, schaltete ich vorsichtshalber die Pollenfilter-Funktion ein ... Denn die kaum sichtbare Aschewolke kroch in 3000 bis 4000 m Höhe auch über der Schweiz herum. Die Stimmung war diesig, dunstig, leicht trüb. Asche? Feuchtigkeit? Die üblichen Aerosole der motorisierten Gesellschaft?
 
Ruhe am Firmament
Der Ausbruch des isländischen Vulkans in der Fimmvörduháls-Hochebene am 14.04.2010 wurde bisher weitestgehend unter flugtechnischen Aspekten behandelt, weil die Flugpartikel den europäischen Luftverkehr praktisch lahmlegten. War diese himmlische Ruhe das Resultat der Überreaktion hilfloser Behörden? Sie waren offensichtlich verunsichert und handelten nach dem Motto „Im Zweifelsfalle für die Sicherheit“ auf der Grundlage von Computersimulationen im Volcanic Ash Advisory Centre (VAAC) in England. Messungen wurden von dieser Forschungsinstitution offenbar nicht vorgenommen, was auf eine liederliche Arbeitsweise hindeutet. Diese auf die Vulkan-Beobachtung spezialisierte Einrichtung, eine Abteilung des Met Office in Exeter, hat jedenfalls keinen sehr überzeugenden Eindruck hinterlassen.
 
Tausende von Flugpassagieren strandeten, konnten nicht abfliegen, sich nicht aus dem Staub machen, oder sie blieben unterwegs hängen, wo sie nicht bleiben wollten. Im Flugwarentransport lief ebenfalls nichts mehr. Das Chaos war total, die Verluste gehen in die Milliarden. Erst am Dienstag, 20.04.2010 wurde der Flugbetrieb langsam wieder aufgenommen.
 
Der feine Staub, ein Naturprodukt, wurde zum Sand im Getriebe der mobilgemachten, dicht vernetzten, globalisierten Gesellschaft, die immer störungsanfälliger wird und offensichtlich bereits wegen relativ banaler Ereignisse kollabiert. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ fand die passenden Worte: „Es ist, als wolle uns die Natur daran erinnern, wer wirklich das Sagen hat auf diesem Planeten. Und niemand ‒ nicht die US- Armee, nicht die katholische Kirche, nicht die FDP ‒ kann etwas dagegen unternehmen. Die Erde hält sich einfach nicht ans Rauchverbot. Und auch das ist selten: Absolut niemand hat Schuld. Nicht mal Guido Westerwelle. Die Twitter-Gemeinde juxt: ,Ausgerechnet Island: Erst verbrennen sie unser Geld, jetzt bekommen wir die Asche zurück.’ Und wir warten, warten, warten. Und machen uns Gedanken über unsere eigene Verletzlichkeit.“
 
Derweil freuten sich Millionen von Fluglärmgeplagten über die herrliche Ruhe am kondensstreifenfreien Himmel. Und auch die CO2-Bilanz war positiv: Den etwa 7500 Tonnen Kohlendioxid, welche der Eyjafjalla pro Tag ausstiess, standen die täglich über 200 000 Tonnen CO2 gegenüber, welche gestrandete Flugzeuge nicht ausstossen konnten.
 
Zu den Begeisterten gehörte die schiessfreudige Nato, die ihr Manöver „Brilliant Ardent 2010“ (ein Angriff auf den Iran wurde trainiert) ungestört weiterführen konnte und offenbar Ascheschäden an ihren Bombern gelassen hinnahm. Gleichzeitig machte Admiral Mike Mullen, der ranghöchste Soldat der Vereinigten Staaten (Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff), bei einer Rundreise durch die USA in Barack Obamas Auftrag, wie man annehmen darf, gerade Stimmung für einen baldigen Militärangriff auf den Iran (Quelle: Udo Ulfkotte: „Enthüllt: Europäische Militärs nutzen den Totalausfall der zivilen Luftfahrt für Kriegsspiele“, www.kopp-verlag.de).
 
Wie anfällig sind Flugzeuge?
Selbstverständlich übersteht kein Flugzeug die Durchquerung des Herzens einer dichten Staubwolke unbeschadet – Triebwerkausfälle sind bei dichten Staubkonzentrationen wahrscheinlich, weil die vor allem aus Silizium bestehende Asche schmilzt und sich als glasartige Masse absetzen und bewegliche Teile verkleben kann. Zudem kann sie das Staudruckrohr („Pitot“) des Flugzeuges verstopfen, so dass die Geschwindigkeitsanzeige im Cockpit ihren Dienst nicht mehr erfüllt.
 
Die grosse und zweifellos schwer zu beantwortende Frage ist nach wie vor, wie sich verdünnter, scharfkantiger Staub auf die Flugzeuge tatsächlich auswirkt. Mechanische Schäden sind denkbar; Gewissheit gibt es aber darüber, dass das Grounding der Zivilluftfahrt Milliardenschäden verursachte. Die Luftfahrtgesellschaften drängten auf eine rasche Wiederaufnahme des Flugbetriebs, ohne dabei Sicherheitsaspekte zu vernachlässigen. Die Behörden, die in der Verantwortung stehen, sagten im Zweifelsfalle nein. Die Luftfahrtsperre wurde auch in der Schweiz immer wieder um einige Stunden ausgedehnt, worauf die Gefahrensituation neu beurteilt werden musste.
 
Am Montagnachmittag, 19.04.2010, dauerte die Sperre noch an, weil gerade wieder eine neue Staubwolke ankam. Am Dienstagmorgen, 20.04., konnten viele Maschinen wieder abheben, richtig durchstarten, neue Aschewolke, die angekündigt gewesen war, hin oder her. Da es recht widersprüchliche Angaben über den Verlauf und die Intensität der Aschewolke gab, war offensichtlich, dass das Chaos die Flugbewilligungszentralen erfasst hatte. Mir schien es, dass, wo immer einigermassen möglich, dem Druck der Fliegereibranche stattgegeben wurde – und dann passte man die Wolkeninformationen eben den Bewilligungen an. Am Dienstagnachmittag ging dem Vulkan die Puste aus; er beschränkte sich auf den Versand von Wasserdampf und Lava, war zur vulkanologischen Kernkompetenz zurückgekehrt. Flugbewilligungen verringerten die Wolke, Flugverbote dramatisierten sie, wie es so geht. Oder war es umgekehrt? Das Huhn-und-Ei-Syndrom.
 
Offene Fragen: Niemand scheint zu wissen, was Düsentriebwerke aushalten ... Rotierende Weicheier dürften sie ja wohl auch deshalb nicht sein, weil sie gelegentlich mit Sandstürmen (Saharastaub), Hagel und Salznebel fertig werden müssen.
 
Bemerkenswert war für mich ferner, wie unbeholfen die meisten Meteorologen den Auswirkungen des Staubs aufs Wetter gegenüberstehen. Solche gibt es sicher, auch wenn sie schwer erkennbar sind. In den Wetterberichten müsste doch über die Qualität und Quantität der Wolke, welche die Sonneneinstrahlung beeinflusst, zumindest erwähnt werden. Aber solche Wolken sind in den Wettercomputer-Modellen halt nicht enthalten – also gibt es sie nicht. Und unsere Wetterpropheten scheinen an solchen Vorgängen desinteressiert zu sein; sie verspekulieren sich lieber auf den üblichen werweisserischen Trampelpfaden. Wahrscheinlich hätten unsere Muotathaler Wetterfrösche mehr dazu zu sagen.
 
Wie es weitergeht, weiss niemand. Kommt der Eyjafjalla zur Ruhe, produziert er wieder einen Tobsuchtsanfall und mischt sich auch noch der bedrohlichere, gefährlichere und grössere Katla-Vulkan ein?
*
Die Vorgänge sind interessant: Bei virologischen Ungewissheiten wie bei den verschiedenen Grippearten dient eine Panikmache dem (Impf-)Geschäft, beim Vulkanstaub vermiesen Gefahrenszenarien und Überreaktionen das Geschäft. Im einen Fall wird herauf-, im anderen aber heruntergespielt.
 
Wenn die meisten Wissenschaftler nichts zur Klärung des Aschenebels beizutragen vermögen, können solche Spielchen innerhalb einer grossen Spannweite getrieben werden. Und sei dem, wie ihm wolle – das Endresultat ist immer dasselbe, wie man zu Beginn des Zuschaufelns eine Grabs von pfarrherrlicher Seite zu hören pflegt: „Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.“ Krise zu Krise.
 
Das finale Grounding. Nicht einmal die Hustenanfälle bleiben uns erhalten.
 
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