Textatelier
BLOG vom: 05.05.2010

Römertag 2010, Brugg: Rückkehr von Natur und Geschichte

Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
 
Die römischen Legionäre und Gladiatoren – sie gibt es also noch. Ob in der sengenden Sonne von Rom oder bei Regen und 10 °C bei Brugg und Vindonissa – die gestählten Oberkörper der kampferprobten, abgehärteten Männer bleiben unbedeckt, abgesehen von einem Armschutz, dem Lendenschurz und den Beinschienen. Der Schild, mit dem man Stich- und Hiebwaffen abhalten kann, liesse sich notfalls auch als Regendach einsetzen. Selbst Zeus, lässt er nun regnen oder nicht, kann es ja auch nicht allen recht machen.
 
Auch ohne den übertriebenen Prunk von damals und bei höchst kultivierten, Verletzungsgefahren vorbeugenden Grausamkeiten sind sie halt doch dekorativ und attraktiv, die alten Römer. Sie bauten mit Kampfschulung und militärischer Taktik ihr Weltreich auf. Dessen Ende begann sich abzuzeichnen, als Konstantin der Grosse (Flavius Valerius Constantinus) die Christenverfolgungen 313 einstellte, das auseinander brechende Reich nochmals neu zu organisieren und zu einigen versuchte. Die Gladiatorenspiele, an denen auch wilde Tiere mitwirkten, wurden von ihm 325 abgeschafft; der Vollzug dieser Spektakel dauert bis gegen Ende des 4. Jahrhunderts. Inzwischen baute sich der Siegeszug des Christentums auf, das dann zur Verfolgung von uns Heiden startete.
 
Die römische Geschichte, von der es überall noch Spuren gibt – Vindonissa (Windisch bei Brugg AG) ist eines der Paradebeispiele – mit ihren Errungenschaften und Publikumsbelustigungen, akzentuiert vom unbändigen Wunsch nach Kraft (Gesundheit), Grösse, Macht, Ruhm, Reichtum und öffentlicher Anerkennung, hat ihre Faszination nie verloren. So merkwürdig ist das allerdings nicht, zumal ja viele Eigenarten der Römer den Untergang ihres Reichs problemlos überlebt haben – bis hin zur Abhandlung von Kriegen als Show, heute durch die elektronischen Medien. Man erinnere sich beispielsweise an die Tod und Verwüstung bringenden Feuerwerkereien, die dem globalen Publikum lustvoll zelebriert werden, wenn die US-Amerikaner im Rahmen ihrer Weltmachtgelüste eine Stadt wie Bagdad mit Bomben zudecken (nur die Leichen sieht man nicht) – Machtmittel und Weltmachtfantasien sind Dauerthemen. Selbst die Opferung von Menschen gab es zu allen Zeiten, wobei sich einfach die Methoden änderten – von der Einzelabschlachtung mit dem Schwert nach handwerklicher Art bis hin zur Massentötungen durch flächendeckende Bombardierungen. Der Leser mag bitte selber entscheiden, was unmenschlicher ist.
 
Der römische Dichter Horaz (Quintus Horatius Flaccus) erkannte das und hielt in seinen Episteln fest: „Naturam expellas furca, tamen usque recurrit“ (Suche nicht, die Natur zu bewältigen, wisse, sie rächt sich) – im Sinne von: „Du suchst die Natur mit Gewalt zu unterdrücken, aber sie kehrt immer wieder zurück.“ So mag es denn manche Gründe geben, das Andenken an die Römer zu bewahren, ihre Geschichte noch lebendiger werden zu lassen als sie es ohnehin ist, und darüber nachzudenken, woher wir kommen und was aus uns aufgrund unserer Veranlagung und unserer Vergangenheit wurde. Der Aargau ist der beste Nährboden dafür, bildete doch der Rhein während der Blütezeit des Römerreichs zweimal dessen Nordgrenze, und deshalb ist, was seit 1803 mit „Aargau“ bezeichnet wird, reich an Fundstätten und Fundstücken. Dazu gehören neben dem Legionslager Vindonissa z. B. die spätrömischen Kastelle von Kaiseraugst und Zurzach, Wachttürme am Rhein, Siedlungen wie Lenzburg und Baden und über 100 Gutshöfe.
 
Handwerkliches
Der Römertag beim 1912 eröffneten und kürzlich erneuerten Vindonissa-Museum in Brugg, der am 02.05.2010 zum 9. Mal durchgeführt wurde, ist eine volkstümliche Veranstaltung. Sie nähert sich dem Thema von verschiedenen Seiten an und weckt ein paar Aspekte des Kulturerbes für ein paar Stunden aus dem Schlaf im Schosse der Geschichte auf. Bemerkenswert waren die handwerklichen Demonstrationen, so etwa das Flechten, das Schmieden von Blech, das Knochenschnitzen, das Münzenprägen, der Bau von Wagenrädern nach Römer Art aus Eschenholz, das unter Hitze- und Feuchtigkeitseinwirkung ausgesprochen biegsam ist, wie der Archäologe Christian Maise aus Laufenburg D erläuterte. Mit solchen Rekonstruktionen befasst sich auch die Römergruppe „Cives Rauraci et Vicani Vindonissenses“, die hobbymässig die römischen Lebensumstände, die Objekte und den Alltag nachvollzieht, ein unwahrscheinlich weites Feld, das mit Hingabe beackert wird. Aargauer Bildhauer meisselten in einen stark quarzhaltigen Sandstein die klassische römische Kapitalschrift, die Capitalis monumentalis, ein und demonstrierten dabei die Bedeutung des richtigen Werkzeugs. Die Meissel müssen messerscharf sein und immer wieder – auf die jeweilige Steinhärte abgestimmt – gehärtet werden. Die glühende Meisselspitze, deren Temperatur der Fachmann an der Färbung erkennt, wird im richtigen Moment im Wasser abgeschreckt.
 
Legionäre und Gladiatoren
In Windisch wurde 2006 ein Verein mit dem Namen Vex Leg XI CPF 2006 gegründet: Vexillum Legio XI Claudia Pia Fidelis, der sich unter anderem des Lebens der Legionäre und Gladiatoren annimmt; seine Mitglieder haben offensichtlich einen Mordsspass daran, deren Verhalten spielerisch und bei Beachtung aller Sicherheitsmassnahmen nachzuahmen (http://www.legioxi.ch/Pdf/Verein.pdf). Beim Parkhaus Eisi zeigten sie in voller Ausrüstung als Legion XI Kampfformationen wie den Keil (Cuneus), Abwehrtaktiken und militärischen Drill im Gleichschritt zur Erlangung von eiserner Disziplin, denn nur sie garantiert den Erfolg auf dem Schlachtfeld. Die schreienden Befehle des Centurio (Hundertschaftsführers) erfolgten auf Lateinisch: „Parate vos ad iter!“ (Marschbereitschaft erstellen); „In duos ordines!“ (in Zweierkolonne), oder: „Trollite pila!“ (den Spiesswurf vorbereiten). Die Legionäre hatten ihren Pilum bei sich: den Wurfspiess, dessen Spitze umwickelt war, damit nichts passieren konnte. Die Spitze der seinerzeit im Kampfe eingesetzten Spiesse war, wie der Naturgeschichte von Caius Plinius Secundus (23‒79) zu entnehmen ist, mit giftigen Pflanzensäften von Mandragora-Arten und der Tollkirsche versehen, damit die Gegner verletzt und vergiftet werden konnten. Von den Legionären wurden Wurfdistanzen von 30 m verlangt. Wer es nicht schaffte, erhielt so lange versalzenes Essen, bis er sich durch Training verbessert hatte.
 
Auf der glitschigen Wiese hinter dem Vindonissa-Museum fanden hervorragend kommentierte Gladiatorenschaukämpfe mit kurzen Holzschwertern statt, unbeeindruckt von Regen; ein Schiedsrichter mit markanten Gesichtszügen kontrollierte die Einhaltung der Regeln. Ich hatte vorher mit ihm gesprochen und dabei erfahren, dass die Gladiatorenkämpfe in Hollywoodfilmen der totale Nonsens seien; mit den tatsächlichen Verhältnissen hätten sie nur wenig gemein. So hätten strenge Vorschriften eingehalten werden müssen, und es sei beileibe nicht immer auf Leben und Tod gekämpft worden.
 
Besonders attraktiv war der Kampf eines Vertreters der Gladiatorengattung Secutor („Verfolger“) mit einem rechteckigen Schild, einem Visierhelm, Beinschienen und einer Manica (Armschutz aus Leder mit einer Metallpanzerung), die den Schwertarm des Gladiators schützt, gegen einen Retiarius, der nur mit einer Tunika und einem Galerus (Armpanzer mit festem Schulterschild) leicht bekleidet und kaum geschützt war. Sein Vorteil war die Beweglichkeit. Er konnte leicht davonlaufen und zu einem günstigen Zeitpunkt angreifen. Er hatte ein Fischernetz und einen Dreizack zur Verfügung, die Waffen eines Fischers also. Die Männer taten alles, eine gute Show zu bieten. Und die deutsch-stämmige Kommentatorin in ihrem wasserdichten Filzumhang mit Kapuze bat das Publikum, den Gladiator, der gerade unterlegen war, am Leben zu lassen ... dann das sei ihr Mann. So geschah es den auch.
 
Ernährung und Medizin
Am Römertag wurden z. B. von der Kantonsarchäologie Aargau auch Einblicke in die Ernährung gegeben. Ich stillte meinen Durst mit Wasser, das mit Rotweinessig angesäuert war (Essig wirkt Bakterien entgegen), probierte geröstete und gewürzte Kichererbsen, gekochte Lupiniensamen in Salzlake und in Wein eingelegte Feigen und kam so zu neuen Kräften.
 
Die Römer hatten mit der Natur und damit mit der Naturbetrachtung im Allgemeinen weniger am Hut als die Griechen. Aber in Ernährungs- und Medizinfragen wussten sie Bescheid. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang eine Auflistung der Römer-Medizin durch den ehemaligen Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Königsfelden (bis Ende 2008), Mario Etzensberger. Er sei voller Ehrfurcht für die medizinischen Leistungen römischer Ärzte, sagte er mir. So verwies seine kurzgefasste Zusammenstellung auf Personen, die bei den Römern medizinische Bekanntheit erlangten, z. B. auf Galenus von Pergamon (129‒216), der den Menschen als „Leib-Seele-Einheit“ erkannte und die Viersäftelehre mit „heiss, kalt, feucht, trocken“ begründete. Er wusste, dass ein Zustand des Gleichgewichts herbeigeführt werden muss, damit der Mensch gesund wird.
 
Kalt und feucht war es an jenem Römertag – und das macht rechnerisch schon einmal die halbe Gesundheit aus. Den Rest besorgte die gute Laune, die bei Darstellern und vielen Besuchern herrschte.
 
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