BLOG vom: 15.05.2010
Swatch: Von den Weltuntergangsstimmungen unbeeindruckt
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein/AG CH (Textatelier.com)
Nicolas G. Hayek hat so etwas wie einen Urinstinkt, den man auch als Uhrinstinkt bezeichnen könnte. Als in den frühen 1980er-Jahren in der Schweizer Uhrenindustrie, insbesondere wegen der aus Japan einströmenden Billig-Elektronik-Plastikkonkurrenz, eine Untergangsstimmung herrschte, setzte er auf Zuversicht. Er lancierte die Marke Swatch(1983) und liess Uhren herstellen, die sich sozusagen jedermann leisten konnte. In deren Schlepptau fasste die ganze Branche wieder Zuversicht. Berühmte Schweizer und ausländische Uhrenmarken gingen in der Swatch Group AG, 1998 gegründet auf – Qualität, Luxus, Schmuck vereinigten sich. Die weiterentwickelten, mechanischen Traditionsuhren eroberten die Welt: Omega, Breguet, Blancpain, die deutsche Glashütte mit ihren Taschenuhren, Jaquet Droz, Tiffany & Co., Léon Hatot, Longines, Rado, Tissot, Calvin Klein, Balmain, Certina, Mido, die amerikanische Hamilton usf. fanden sich zu einem Riesenunternehmen zusammen. Von Billig- bis Luxusuhren ist hier alles versammelt.
Die berühmten Marken entwickelten sich bei der unkonventionellen Arbeitgeberin Swatch AG gut, haben einen sicheren Hort wie die annähernd 24 000 Angestellten: Im 1. Halbjahr, als der Umsatzeinbruch 15,3 % betrug, entschied die Geschäftsleitung, selbst im Falle eines noch substanzielleren Umsatzrückgangs keine Arbeitsplätze abzubauen. Dieser Entscheid wurde im Frühjahr 2009 publiziert und kostete das Unternehmen 120 Mio. CHF, wie Verwaltungsratspräsident Nicolas G. Hayek an der Generalversammlung von 12.05.2010 im Basler Kongresszentrum bekannt gab. „Für uns ist das Personal keine Ware – es sind Partner, die an den zukünftigen Ergebnissen, an den Innovationen und an der Entwicklung des Unternehmens teilnehmen“, sagte er, als ob er sich für dieses unübliche Verhalten rechtfertigen wollte. Zudem pflege man in diesem Unternehmen eine langfristige Strategie. Als sich das 2. Semester 2009 positiv entwickelte und der Dezember 2009 sogar mit einem Rekordumsatz abschloss, zahlte sich das aus – es ergaben sich dank der personellen Kontinuität Einsparungen von rund 200 Mio. CHF.
Nach all dem kurzsichtigen Denken, welches die von den USA ausgehende neoliberale Wirtschaftsweise im Übrigen begleitet, ist es wohltuend, zu erfahren, dass es in der Wirtschaft noch unangepasste Manager gibt, die umso erfolgreicher sind. Und Hayek, inzwischen ein richtiger Urschweizer, hält viel von Menschen und menschlichen sowie schweizerischen Werten: „Das Volk ist hier wichtiger als die Regierung. Dieses Volk, das die Gewalt verachtet und nie kolonisatorisch tätig war, ist die Grundlage aller Tugenden.“ Und er rief den 1803 Anwesenden „Allez la Suisse – Hopp Schwiiz!“ zu. Einer, der zu seiner Wahlheimat steht.
In guter Schweizer Tradition hat die Swatch Group keine Berührungsängste zum Ausland, zum weltweiten Geschäften. So wuchs das Unternehmen gerade in China 2009 während des ganzen Jahres. Und gleichzeitig wurde mit dem Umbau des „Peace Hotel South Building“ an bester Lage in Schanghai begonnen, wie Georges Nick Hayek, Sohn des Firmengründers und Präsident der Konzernleitung, auch visualisiert aufzeigte. Die Eröffnung soll noch im Mai 2010 erfolgen. Das alte, 1906 erbaute Hotel (einst Palace geheissen) ist eines von Chinas berühmtesten Bauwerken. Es wurde aussen und innen aufwendig restauriert – bei rund 35 Mio. CHF an Kosten. Zu seinen typischen Architekturmerkmalen gehören die vergoldeten Decken- und Säulenornamente. Im Erdgeschoss werden sich die prestigeträchtigsten Marken der Swatch Group, unter anderem Breguet, Blancpain und Omega, präsentieren. Talentierte Künstler werden in 18 Ateliers Gelegenheit erhalten, während einiger Monate hier zu leben und ihre Werke zu präsentieren.
Bemerkenswerterweise ist neben dem Denkmal- auch der Umweltschutz eine wichtige Leitlinie des Swatch-Konzerns, was einen sorgfältigen Umgang mit den Ressourcen bedeutet. Der Energieverbrauch pro Nutzfläche konnte im Berichtsjahr 2009 gesenkt werden. Abfall wie Batterien wird wenn immer möglich rezykliert, und wo möglich werden Lösungsmittel (Volatile Organic Compounds) durch wässrige Verfahren ersetzt. An Massnahmen im Interesse von Gesundheit und Sicherheit des Personals wird nicht gespart. Zudem sind Umwelt- und Sozialkriterien auch Bestandteile der Beschaffungspolitik. Und das alles zahlt sich am Schluss aus: Selbst im schwierigen Jahr 2009 belief sich der Jahresgewinn auf 433 (2008: 672) Mio. CHF.
Das U(h)rvertrauen der Aktionäre blieb nicht nur intakt; es wurde sogar noch gemehrt. Die Swatch-Aktie gewann am Tage der GV 4,7 % und schlug damit alle Blue Chips. Die Titel profitierten vor allem von diesen Äusserungen von Nicolas Hayek an der Generalversammlung: „Fast jeden Monat verzeichnen wir Rekordverkäufe und -betriebsgewinne.“ Er stellte für 2010 ein Rekordjahr in Aussicht.
Weil dieses Wachstumsdenken auf ethischen Grundlagen beruht, ist es nicht anstössig. Von einer Uhrenfirma erwartet man ja schliesslich, dass sie weiss, warum jemandem die Stunde schlägt – oder eben nicht. Jeder Mensch und jedes Unternehmen tragen Verantwortung für die Gemeinschaft und ihren Lebensraum. Wird sie wahrgenommen, sind günstige Rückwirkungen unvermeidlich.
Hinweis auf weitere Generalversammlungsberichte in Blog-Form
Hinweis auf weitere Blogs von Hess Walter
Verkehrsmedizinische Untersuchung für Alte: das Auto-Billett
Aargau: Leben im freiesten Kanton des glücklichsten Lands
Reaktionen auf Blogs (158): Nachwehen zur Blatter-Wahl 5
Auf US-Befehl skandalisierte Fifa. Medien spuren unverzüglich
Reaktionen auf Blogs (157): Duftendes aus dem Ideentopf
Schweiz: Plädoyer für eine selbstbewusste, mutige Politik
Markwalders Kasachstan: Im Dienste der Destabilisierung
Reaktionen auf Blogs (156): Von Günter Grass, vom Lesen
Ein neues Umweltdebakel in Sicht: Solarpanel-Sondermüll
Gerhard Ammann: Naturaufklärer und Auenschutz-Pionier
Ulrich Weber: der Erfinder der 1. Bundesrätin ist nicht mehr
Der Zickzack-Kurs des Weltgeschehens: Desorientierung
Chaos-Praxis: Im Labyrinth der Erkenntnis-Widersprüche
Die Wirkungen von Staatsbesuchen: Hollande in der Schweiz