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BLOG vom: 16.06.2010

Fussball-WM (2): Rote Karte für übersüsste WM-Produkte

Autor: Heinz Scholz, Wissenschaftspublizist, Schopfheim D
 
Bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften im Fussball ist die Süsswarenindustrie besonders erfinderisch. In vielen Werbespots werden schon Monate vor einem solchen Ereignis die neuesten Kreationen oder alte Produkte mit aufwendiger Verpackung publik gemacht. Wer die Produkte näher betrachtet, wird feststellen, dass sie wahre Kalorienbomben sind. Sie haben nichts mit ausgewogener Ernährung oder Sportlernahrung zu tun.
 
Der Bundesverband der Deutschen Süsswarenindustrie (BDSI) hofft auf ein Umsatzplus von 3 %. Ihm wäre ein schlechtes oder durchwachsenes Wetter besonders lieb, denn da bleiben die Leute zu Hause, sehen fern und knabbern lustig seine Produkte. Bei schönem Wetter gehen die Umsätze der Süsswarenhersteller in den Keller. Aber es profitieren dann ganz andere, nämlich die Wirte in den Biergärten oder in Lokalitäten mit einem Fernseher. Dann steigt der Getränkeumsatz ins Gigantische.
 
Wie ungesund sind diese von den WM-Fans vernaschten Produkte? Foodwatch hat 11 für die WM besonders beworbene Produkte näher unter die Lupe genommen. Foodwatch (http://foodwatch.de) hat die Süssigkeiten auf ihren Anteil an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz hin untersucht und mit den Ampelfarben versehen. „Rot“ weist auf einen hohen Anteil an diesen nicht gesunden Inhaltsstoffen hin. Alle 11 Produkte wurden mit der Ampelfarbe Rot gekennzeichnet. Foodwatch hat übrigens die 11 Produkte in ein Spielfeld platziert. Durch Setzung des Cursers auf das jeweilige Produkt werden die Inhaltsstoffe und die Ampelfarben eingeblendet. Eine sehr gute Idee. Es lohnt sich auf jeden Fall, bei foodwatch einmal reinzuschauen. Dort ist u. a. auch eine Mogel-Liste unter dem Titel „Legale Täuschung im Supermarkt“ einzusehen.
 
Viel Zucker und Fett
Hohe Kalorien hatten die „Yogurette“, die mit „joghurt-leicht“ beworben wird. Wer 100 g davon verzehrt, hat sich schon 567 Kalorien einverleibt. Ferrero, der auch den „Kinder-Riegel“ (558 kcal/100 g)auf den Markt bringt, hatte eine unglaubliche Werbeidee: Wer 50 Packungen (insgesamt 500 Riegel) kauft, bekommt ein Fan-Trikot.
 
Ich nahm am 15.06.2010 dieses Produkt in einem Frischmarkt unter die Lupe. Ich konnte es kaum Fassen: Jeder „Kinder-Riegel“ mit 21 g Gewicht hat 11 g Zucker und 7,3 g Fett (davon 4,7 g gesättigte Fettsäuren). Wenn man diese Menge auf 500 Stück umrechnet, kommt man auf 5,5 kg Zucker (zirka 1800 Stück Würfelzucker) und 3,65 kg Fett (davon 2,35 kg gesättigte Fettsäuren). Die erwähnten Produkte haben laut foodwatch 3 rote Karten (Ampelfarbe Rot) für Fett, gesättigte Fette und Zucker erhalten.
 
Es ist klar, dass die erwähnte Firma die Ampelkennzeichnung nicht auf den Verpackungen angebracht hat. Es gibt zum Glück aber schon heute Firmen, die die Ampelfarben Rot, Grün und Gelb aufdrucken. Ich hoffe, dass demnächst vom Europäischen Parlament die Ampelkennzeichnung beschlossen und vorgeschrieben wird.
 
Der Hersteller von „Kinder-Riegel“, Ferrero, argumentierte nach den Beschwerden so: Das Produkt gebe es schon länger, und die Interessenten könnten sich 5 Monat Zeit nehmen, um die erforderlichen Punkte zu sammeln und die 58 590 kcal zu konsumieren. Bei dieser Kalorienbombe wird wohl der Dünnste fett. Man könnte diese auch abtrainieren, aber wer bringt das schon in unserer bewegungsarmen Gesellschaft fertig! Viele sitzen faul herum und denken schon an das nächste Essen und bekommen vielleicht schon sehr früh diverse Stoffwechselerkrankungen.
 
Den Verantwortlichen der Süsswarenindustrie ist das Schnuppe, wie viele Kalorien jeder verputzt. Nach meiner Ansicht fördern die Hersteller von diesen Kalorienbomben den Zucker- und Fettkonsum, besonders bei den Jugendlichen. Oft sind die Eltern leider keine Vorbilder, denn sie naschen genauso gern wie ihre Sprösslinge. Und auch etliche Nationalspieler fördern mit ihrer Werbung für Junk-Food und Soft-Drinks den Konsum. Denn sie wissen nicht, was sie tun, könnte man sagen, aber sie wissen genau, wie viel Geld man mit der Werbung verdienen kann.
 
WM-Fluchtpaket für Frauen
Es gibt „Pringoooals“ (Chips), Sonderpackungen für Knabbereien, Halbzeit-Schokolade und WM-Würstchen, Eis in Ballonform und Fussball-Eiskonfekt. Damit der Verkauf (Ball) so richtig rollt, gibt es kleine Deutschland-Fahnen, Bilder von Fussballidolen und Tröten als Gratisgeschenk dazu. Wer gerne rubbelt, kommt zurzeit auch auf seine Kosten: Edeka verteilt kostenlos Rubbellose. Auf 9 Feldern darf man nur 4 aufrubbeln. Wenn auf den 4 aufgerubbelten Feldern je eine Tröte zu sehen ist, hat man diese gewonnen. Auf diese kann ich verzichten. Aber manche sind so verrückt nach diesen Fan-Artikeln, dass sie alles versuchen, den einen oder anderen zu ergattern.
 
Mein Nachbar, der auch eine Tröte mit dem Rubbellos gewonnen hat, war hocherfreut und zeigt seinen Enthusiasmus jeden Tag erneut, indem er kräftig in die Vuvuzela hineinbläst ...
 
Wer keine Tröte mehr erstehen kann, weicht auf andere Fan-Artikel aus, wie zum Beispiel auf das WM-Klopapier, das nach Rasen duften soll, Teebeutel mit Fotos von Fussball-Legenden als Anhänger oder Bade-Enten in WM-Bemalung.
 
Die Sorat-Hotelkette bietet für Frauen das „WM-Fluchtpaket“ an. Die Frauen erhalten dann eine Kinokarte für den Film „Sex and the City“ und einen Beauty-Korb, der sich im Bad befindet.
 
Schnitzel schwarz-rot-gold
Anlässlich der Fussball-WM 2006 präsentierte das Thüringer Klossmuseum (www.klossmuseum.de) den Fussball-Kloss in Gross-Format. Schon damals gab es spezielles WM-Food, wie zum Beispiel das Elfmeter-Brot, die Vierer-Kette und die Rasenschnitte und Halbzeit-Pizzen. Die Mensa der Deutschen Sporthochschule Köln hatte ein spezielles Stürmer-Menü im Angebot. Dieses bestand aus Hähnchenbrust auf Rhabarber-Pfefferkompott nach dem Motto „fruchtig spritzig wie der Stürmer mit ordentlich Pfeffer in der Butz“.
 
Caterer und Lebensmittel-Hersteller präsentieren auch in diesem Jahr ausgefallene Produkte. So bieten sie verschiedene Menüs aus den WM-Teilnehmerländern an. Hiesige Gerichte werden einfach umbenannt. So wird beispielsweise eine Currywurst zum Burrito Mexico, aus der gewöhnlichen deutschen Bratwurst eine Boerewors (Burenwurst). Wenn Deutschland spielt, gibt es „Schnitzel schwarz-rot-gold“. Ich könnte mir das Schnitzel so vorstellen: 1/3 des Schnitzels ist verkohlt oder mit einer schwarzen Pfeffersosse bestrichen, 1/3 wird mit Ketchup mariniert und das restliche Drittel dürfte Curry oder Senf aufweisen. Aber vielleicht bin ich da auf dem Holzweg.
 
In der „Badischen Zeitung“ vom 15.06.2010 war eine Obsttorte in den Farben Schwarz-Rot-Gold abgebildet. Die Torte wies Blaubeeren, Kirschen und gelbe Pfirsichschnitze auf. Eine Frau aus Maulburg (Kreis Lörrach D) hat ihrem Mann diese Torte zum 1. Spiel Deutschland gegen Australien (4:0) geschenkt.
 
Auch in unserem Frischmarkt entdeckte ich etliche Nahrungsmittel, die einen Bezug zur Fussball-WM haben. Hier einige Produkte: Massai-Steak („mariniertes Schweinenackensteak mit einem Hauch von Afrika“, 4 Stück für 4,71 Euro), Grillsteak Stürmer („Schweinenackensteak in einer Marinade mit erlesenen Kräutern“, 4 Stück 4,72 Euro), „Biss-Kick“ von Almighurt (10er-Pack Joghurt Classic und Erdbeere, mit einem „WM-Guide“ gratis), Milchschnitte Fan Connection (10 Stück, „Punktesammeln für tolle Fanprämien“, 1 Schnitte enthält 8,2 g Zucker und 7,6 g Fett).
 
Actimel hat ein 8er-Pack im Angebot. Wer eine solche Packung kauft, bekommt 1 Fan-Armband dazu.
 
Auch die Getränkehersteller erhoffen sich mit neuen Fantasienamen grosse Umsätze. So bieten Hersteller Whisky in der Zebradose oder Bierdosen in Rasen- oder Balldesign an. Wer auf Alkohol verzichten möchte, wird wohl zu einem „Rasen-Cocktail“ aus grünem Pfefferminzsirup und Orangensaft greifen.
 
Sich nicht verrückt machen lassen!
Persönlich lasse ich mich mit diesen Werbestrategien und dem Riesenangebot an Produkten nicht irre machen. Ich verzehre bei den manchmal nervenaufreibenden Übertragungen Tomaten-Bruschetta-Häppchen, Karottensticks, Vollkornbrot mit Quarkaufstrich, Apfelschnitze und jede Menge Erdbeeren mit Joghurt oder Sahne, aber auch einmal das eine oder andere Stück dunkler Schokolade. Zur Nervenberuhigung trinke ich einen Melissentee oder ein Getränk aus viel Wasser und wenig Holunderblütensirup oder ein alkoholfreies Bier. Ich brauche keinen „Rasentee“ oder einen aufpeitschenden Alkohol-Cocktail. Wenn ich nicht mit dem Auto herumfahren muss, trinke ich ab und zu etwas Alkohol (Bier, Wein) zum Mittagessen. Dann bin ich nicht alkoholumsäuselt, sondern fit für die Spielübertragung.
 
Die Hersteller haben dann mit ihren „fernsehrelevanten Artikeln“ (Chips, salzige Snacks) bei hoffentlich vielen aufgeklärten Fans und auch bei mir keine Chance.
 
Internet
www.wz-newsline.de (Werbung wird immer kurioser)
www.spiegel.de (Wie Süssigkeitenkonzerne die WM-Fans vernaschen)
http://esskultur-geniessen.suite101.de (Snacks, Fingerfood und Häppchen für die WM Party selber machen)
 
Literatur
Tschirner, Martina; Sterniczuk, Tim: „Die besten Snacks & Drinks zum Anpfiff: WM 2010“,
Hölker Verlag, März 2010.
Anmerkung: Es gibt zahlreiche Bücher über Fingerfood.
 
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