BLOG vom: 30.06.2010
Nicolas G. Hayek: Wenn dem Uhrenkönig die Stunde schlägt
Autor: Walter Hess, Publizist, Biberstein AG/CH (Textatelier.com)
Todesfälle berühren einen in vollkommen unterschiedlicher Weise. Sie lösen nicht immer Trauer aus, können gegebenenfalls auch zu Erleichterung beitragen. „Es ist ihm gut gegangen“, sagt man dann diplomatisch. Manchmal, vor allem, wenn man jemanden kaum gekannt hat, berührt der Tod nicht, ansonsten wir andauernd in Trauer sein müssten. Das Sterben: ein normaler Ablauf. So ist es eben. Die familiäre Nähe schafft andere Verhältnisse. Für die Angehörigen reisst der Tod eine mehr oder weniger schmerzliche Lücke; er kann in Bezug auf alte, gebrechliche Leute aber auch eine Erlösung sein – für alle. Die Nähe kann zur Belastung werden.
Manchmal berührt einen der Hinschied einer bekannten Persönlichkeit, auch wenn man zu ihr keine direkten persönlichen oder verwandtschaftlichen Beziehungen hatte. Ich habe das am Montagabend, 28.06.2010, erlebt, als in der TV-DRS-Sendung Eco der Tod des so genannten „Uhrenkönigs“ Nicolas G. Hayek verkündet wurde. Er war – und darin ist sich auch der Medienmainstream einig – eine der herausragenden Personen der Schweizer Wirtschaft, mutig, frech, ein selbständiger Denker, provokatorisch, unangepasst, erfolgreich. Es ging zwar auch bei ihm ums Geld, aber nicht allein um das. In seinem letzten Interview, das er dem Magazin „Cicero“ gewährte (die Juli-2010-Nummer) rechnete Hayek sprachgewaltig noch einmal mit der rein auf schnelle Geschäftemachereien angelsächsischen Finanzmentalität ab: „Diese leidige Finanzmentalität, die an der amerikanischen und teilweise auch an der englischen Börse leider vorherrscht, mit ihren Unmengen von doppelzüngigen Akrobaten, mit allen ihren scheinheiligen Lippenbekenntnissen, alle diese Finanzprediger, dieses Überangebot an Spekulanten, diese Hasardeure und geldgierigen Fondsakteure, diese Pharisäer, die sogar nicht vorhandene Splitter in den Augen anderer sehen und des Balkens im eigenen Auge nicht gewahr werden, sie alle helfen weder der Industrie noch der Gesamtwirtschaft Amerikas oder gar der Welt. Es sind glücklicherweise nur einige wenige, und doch sind es immer noch zu viele Gauner und Betrüger.“ Seine Kritik richtete sich auch immer wieder gegen die Schweizerische Nationalbank mit ihrer Geldpolitik. Ob er auch an deren einfältige Goldverkäufe auf USA-Druck hin dachte, weiss ich nicht.
Unangepasst, unkonventionell
Seine Sprache war klar, unverblümt. Wenn solch eine Stimme verstummt, ist das beim Überhandnehmen zurechtgebogener, bis zur Unkenntlichkeit verkrümmten Informationen, die zu Desinformationen werden, ein umso schwererer Verlust. Der soeben beendete G20-Gipfel, dieser Gottesdienst Auserwählter an der Macht der Grösse, der nur Interessengegensätze zutage förderte und eine Veranstaltung der Unverbindlichkeiten war, wurde von den Grossen gleich selber zum „Erfolg“ umfunktioniert. Und Barack Obama, derzeitiger US-Präsident, stellte anschliessend alle Tatsachen auf den Kopf, verwandelte er doch den verschwenderischen US-Lebensstil, an dem die gesamte Einheitswelt mitzuzahlen hat, zur Folge des amerikanischen Gutmenschentums um ... das wurde doch alles nur getan, damit es den Leuten ausserhalb der USA gut geht. Die US-Verbraucher wollten nicht mehr, wie bei früheren Aufschwüngen, der Motor der Weltwirtschaft sein, sagte Obama, als ob er von einer motorischen Störung befallen sei. „Nach Jahren der übermässigen Verschuldung können und werden die Amerikaner der Welt nicht für anhaltenden Wohlstand auf Pump kaufen können“, sagte Obama. „Kein Land sollte davon ausgehen, dass es seinen Weg zum Wohlstand mit Exporten nach Amerika pflastern kann.“ So viel Verdrehungskunst aus einer Nation, welche die Schuldenmacherei kultiviert und propagiert und ihre Räuberbanden in alle Welt abkommandiert, habe ich nach der eigentlichen Ausplünderung der Restwelt durch die USA noch selten gehört.
Wir sind in ein Netz von Verdrehungen, von Lügen eingesponnen und umso dankbarer für jede Stimme, die sich dagegen erhebt. Mit Nicolas Hayek ist jetzt eine davon verstummt. Dementsprechend schwer wiegt dieser Verlust.
Ich habe Hayek mehrmals an den Swatch-Generalversammlungen erlebt. Seine Anwesenheit als Verwaltungsratspräsent motivierte mich, jeweils in die Uhrenmetropole Biel (und in diesem Jahr 2010 nach Basel) zu fahren. Seine Auftritte waren für mich Lichtblicke. In seiner Denkwelt fühlte ich mich irgendwie geborgen. Er liess sich nicht von irgendwelchen marketingstrategischen Modeerscheinungen leiten, sondern verschrieb sich dem Ungewöhnlichen. Wenn sich z. B. alle die Globalisierten mit Stellenabbaumassnahmen und Sozialabbau durch die aus den USA geschaffene Krise durchzuwursteln suchten, behielt er seine guten Arbeitskräfte. Bei Swatch gebe es keinen Stellenabbau, sagte er an der GV 2010, Sicherheit und Zuversicht verbreitend. Und das Bemerkenswerte daran: Während die Börsen Arbeitsplatzvernichtungen in aller Regel bejubeln, fiel der Kurs der Swatch-Aktie am Dienstag, 29.06.2010, als sich die Todesnachricht verbreitete, um rund 5,6 %.
Retterfigur
Hayek gilt als Retter der Schweizer Uhrenindustrie, aus guten Gründen, ein Verkaufsgenie, weil er von seiner Mission erfüllt war. Als die Billig-Konkurrenz aus dem Ausland die grandiose Tradition teurer, handwerklich gefertigter Schweizer Markenuhren zu erdrücken begann und die kleine Schweiz von den nationalen Literaten bis zur Unkenntlichkeit heruntergeschrieben wurde, erkannte Hayek die Möglichkeiten der von einer Batterie angetriebenen Swatch, die schon am 01.03.1983 von der Grenchner ASUAG-Tocher ETA AG in Zürich vorgestellt wurde. Er stieg in dieses Geschäft ein und hatte damit der Billigkonkurrenz etwas entgegenzusetzen. Der Erfolg ermöglichte ihm den Aufbau eines weltumspannenden Uhren-Imperiums mit Edelmarken wie Omega, Tissot, Longines, Blancpain und Tiffany (auch die deutsche Glashütte ist dabei), deren Existenz auf diese Weise gerettet wurde. Die Produzenten können zu jenem Preis verkaufen, zu dem beste Qualität nachgefragt wird, eine wirksame Methode der Allokation.
Ein solcher Erfolg beeindruckt im Lichte des Verschwindens eines grossen Teil der Schweizer Traditionsindustrie, die bis zu ihrem Untergang mit fliegenden Fahnen den globalen Einheitsschmarren mitmachte. Es gab viel zu viele Globalisierer, die meistens ihr Heil ausgerechnet in den USA suchten und dort bis aufs Hemd ausgezogen wurden (siehe u. a. Grossbanken), und viel zu wenig Hayeks, die selbstbewusst genug waren, auch auf dem internationalen Parkett zu ihrer eigenen Musik zu tanzen und dadurch positiv auffielen.
Lebensdaten
Hayek, am 19.02.1928 geboren, wuchs in der libanesischen Hauptstadt Beirut auf. Er wurde zu einem Schweizer durch und durch – es kommt ja oft vor, dass die überzeugtesten Schweizer aus dem Ausland zu uns gekommen sind und unser Selbstbewusstsein wieder etwas aufpäppeln; im Moment ist das zwar etwas weniger nötig als ehedem, weil sich die Schweiz aus der verheerenden globalen Verschuldungskrise heraushalten konnte. Und zudem wird offenbar, wie relativ unbürokratisch die Schweiz ist, was die Entfaltungsmöglichkeiten vergrössert, die zudem in der Neutralität und der Unabhängigkeit fussen – beide sind zurzeit bedroht. Dies steht im Gegensatz zur Schwerfälligkeit politischer Abläufe, was sich aber als Aspekt der Stabilität, der Berechenbarkeit erweist. Der Schweizerfranken ist so begehrt wie unsere mechanischen Uhren und die Swatch in all ihren modischen Varianten.
Hayek wohnte seit 48 Jahren in Meisterschwanden AG über dem Hallwilersee, wurde Götti des neuen Hallwilerseeschiffs „Seetal“ und besang seinen Lebensraum in hohen, den Lindenberg weit übertreffenden Tönen: „Das Seetal ist der schönste Flecken im drittbesten Kanton jenes Landes mit der höchsten Lebensqualität.“ In der idyllischen Landschaft konnte sich der unermüdliche Schaffer erholen. Es kam nicht von ungefähr, dass er bei der Arbeit an einem Herzversagen starb; wahrscheinlich hatte er sich bei dieser Hitze zu wenig Flüssigkeit zugeführt, vor lauter Konzentration zu trinken vergessen.
Swatch-Zukunft
Hayek, der im Brustton der vollendeten Überzeugung gern im Rampenlicht laute Töne von sich gab, war ein normaler Mensch, jovial, angenehm, leiblichen Genüssen offensichtlich zugetan, hatte Spass am Leben. Uhren waren sein Markenzeichen; er trug immer eine ganze Kollektion am Armgelenk. Er hatte die Mehrheit an der Firma SMH (Schweizerische Gesellschaft für Mikroelektronik und Uhrenindustrie AG, ein Fusionsprodukt aus ASUAG und SSIH), 1985 übernommen und als „The Swatch Group“ weitergeführt. Sie wurde zu einer Art Familienbetrieb mit Weltbedeutung, in dem nicht nur die Belegschaft, sondern auch die Aktionäre einen grossen Stellenwert hatten und wohl auch heute noch haben. Die operative Führung der Swatch Group liegt seit 2003 in den Händen von Sohn Nick Hayek (1954 geboren), dessen Geschäftsführung sich bisher als untadelig erwiesen hat.
Die börsianischen Unsicherheiten rund um die Swatch-Aktie unter dem Schock der Todesnachricht dürften sich weniger auf die Geschäftsaussichten, sondern viel mehr auf die Ungewissheiten über das innerfamiliäre Erbschaftsgeschehen beziehen. Was passiert mit den Aktien aus der Erbschaft? Wurde die Nachfolge im grösseren Zusammenhang eingehend genug geregelt? Gehen die Uhren in Zukunft anders? Das tun sie nach jedem Hinschied. Für Misstrauen bestehen keine Gründe.
Falls der Aktienkurs tiefer fallen sollte, ergäben sich gute Einstiegsmöglichkeiten. Man sollte eher die Fundamente als die momentanen Wirkungen eines Ereignisses betrachten.
Allerdings sind wir alle ungeduldig. Wer die Wahl hat, ein Uhren-Geschenk jetzt oder in Zukunft zu nehmen, wird sofort zugreifen, auch wenn er die Uhr im Moment nicht braucht. In Zukunft, wenn sie nützlich sein könnte, ist die Batterie leer und Ersatz schwierig zu beschaffen. Das richtige Handeln zur richtigen Zeit ist schwierig. Vielleicht kommt es anders als man denkt. Hayek hatte ein Gespür für Zukunftsbedürfnisse. Jetzt kann man keinen Rat mehr bei ihm einholen.
Nachtrag
Nayla Hayek in den Fussstapfen ihres Vaters
Bereits am 30.06.2010 wählte der Verwaltungsrat der Swatch Group SA die 59-jährige Nayla Hayek zur neuen Verwaltungsratspräsidentin. Die Tochter des verstorbenen Nicolas Hayek gehört seit 1995 den Verwaltungsrat an; sie war seit März 2010 dessen Vizepräsidentin (neben dem 2. Vize, Peter Gross) und war angeblich die Wunschkandidatin ihres Vaters. Ihr Bruder Nick Hayek bleibt CEO der Swatch Group. Die Hayek-Familie hält rund 41 Prozent der Swatch-Aktien, die auf die Wahl kaum reagierten.
Nayla Hayek ist Geschäftsführerin der Luxusuhren-Marke Tiffany, ein Gemeinschaftsunternehmen von Swatch mit dem gleichnamigen New Yorker Konzern. Sie ist auch für die Niederlassung in Dubai (Swatch Group Mittlerer Osten), die Swatch Group Indien sowie die Uhrenmarke Balmain verantwortlich. Zu den vielen anderen Aufgaben von Nayla Hayek gehören auch die Hayek Immobilien AG und ein Verwaltungsratsmandant bei den Luxusgüterläden Rivoli in Dubai, an der Swatch beteiligt ist. Sie kenne den Laden, möchte man sagen.
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